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KIRCHENGESCHICHTE DEUTSCHLANDS
FÜNFTER TEIL
1. HÄLFTE
KIRCHENGESCHICHTE
DEUTSCHLANDS
VON
DR. ALBERT HAUCK
PROFESSOR IN LEIPZIG
FÜXFTEK TEIL
1. HÄLFTE
ERSTE UND ZWEITE (DOPPEL-)AUFLAGE
LEIPZIG
J. C. HINHICHS'SCIIE BUCHHANDI.UNO
k<io^'l
Inhaltsverzeichnis.
Neuntes Buch.
Die Kirche Deutschlands während des beginnenden
Sinkens der päpstlichen Macht 1250—1374,
Erstes Kapitel. Seite
Die Päpste, die deutsche Kirche und das Reich 3
Die Rechtsstellung der Päpste in der Kirche S. 3. Maßregeln
Innocenz* IV. zur Vernichtung der hohenstaufischen Partei
S. o. Ihr Erfolg S. 8. Vergebliche Versuche zur Beseitigung
der Ausnahmeraaßregeln S. 10. Innocenz' IV. Tod S. 16.
Alexander IV. S. 17, seine politische Haltung S. 18, seine
kirchliche Haltung S. 19. Die Doppelwahl v. 1257 S. 25.
Haltung Alexanders S. 27. Alexanders IV. Tod. Urban IV.
S. 34. Karl von Anjou S. 35. Urban IV. und die deutsche
Thronfrage S. 36. Urbans kirchliche Verwaltung S. 38. Ur-
bans IV. Tod. Clemens IV. S. 41. Clemens' IV Tod. Gregor X.
S. 44. Rücksicht auf den Orient S. 47. Gregors deutsche Po-
litik S, 48 Wahl Rudolfs von Habsburg S. 55. Anerkennung
Rudolfs durch Gregor S. 59. Gregors kirchliche Haltung S. 63.
Z weites Kapitel.
Die geistliche Landesherrschaft 66
Das geistliche Fürstentum S. 66. Die Fürstbischöfe S. 68. Die
Fürstäbte S. 72. Rfjichsun mittelbare Klöster S. 75. Bildung
der geistlichen Territorien S, 77: Die Bischofsstädte S. 81,
Das Landgebiet S. 88. Die einzelnen Territorien: Köln S. 90.
rtrecht S. 94. Lüttich S. 95. luden, Stablo, Malmedy, Wor-
den, Essen S. 96. Münster S. 96. Osnabrück S. 9H. Minden
8. 100. Trier S. 101. Met/. S. 103. Toul und Vordun S. 104.
Mainz S. 104. Worms 8. 106. Speier 8. 107. Weißenburg
S. 108. Straßburg S. 109. Murbuch und Masmünster S. 111.
Koni^tanz S. 111. Augnburg S. 1 11. BhhoI S. 112. ChurS. 112.
Schwäbische KiÖMtcr S. ILJ. Kichbtätt S. 113. Wür/,burg
S. 114. Fulda S. 116. Bamberg S. 116. Vordon S. 117. Pador-
^ VI —
Seite
born S. 118. Hildesheim S. 119. Ilalberstadt S. 120. Säch-
sische Klöster S. UM. Hamburg-Bremen S. 121. Hamburger
Suftragan-Bistüraer S. 122. Magdeburg S. 122. Magdeb. Suflra-
gan-Iiistümer S. 123. Kegensburg S. 124. Passau S. 125.
Freising S. 12(). Brixen S 127. Salzburg S. 127.
Drittes Kapitel.
Die bischöfl ich e Kirche nl eitun g 130
Stellung des Bischofs S. 130. Das Synodalwesen S. 132. Pro-
vinziale Gesetzgebung S. 144. Die Erzbischöfe S. 149. Bischöf-
liche Beamte: Weihbischöfe S. 152, Vikare S. 155, Offiziale
S. 156, Richter S. 159, Generalvikare S. 160, Pönitentiare
S. 165. Diüzesansynode S. 166. Kirchenvisitation S. 181. Das
Domkapitel S. 185. Die Erzdiakone S. 221. Das Sendgericht
S. 226.
Viertes Kapitel.
Die Theologie 287
Die Scholastik u. die Universitäten S. 237. Stifts- u. Kloster-
schulen S. 243. Die Theologie: in den Stiftern S. 243, bei den
Benediktinern, Engelbert von Admont S. 244; bei den Domini-
kanern S. 249, Albert S. 252, Thomas S. 252, Ulrich Engel-
berti S. 253, Hugo Ri pilin S. 257, Dietrich von Freiberg S. 261.
Eckhart S. 271; bei den Minoriten S. 298, Bartholomäus Ang-
licus S. 300, David v. Augsburg S. 302, Lamprecht v. Regens-
burg S. 306; bei den Augustinereremiten S. 307, Heinrich von
Fricmar S. 307, Thomas von Straßburg S. 307, Hermann von
Schildesche S. 308: bei den Cisterziensern S. 308, der Ver-
fasser der h. Regel S. 310, der Mönch von Heilsbronn S. 311.
Fünftes Kapitel.
DieArbeitdesgeistlichen Amtes 'M6
Kinfiuß der Bischöfe S. 316. Die Weihe und die Anforderungen
für dieselbe S. 317. Die Vergebung der Pfründen S. 320.
Pfarrer und Vikare S. 322. Die Ordensgeistlichen S. 325. Die
Pflichten des geistlichen Amtes S. 332: die Messe S. 333, die
Predigt S. 340, Pfarrpredigt S.341, Ordenspredigt S. 342, Bert-
hold S. 346, Eckhart S. 351. Nikolaus von Straßburg S. 353,
Taulor S. 354; Taufe S. 358, Firmung S. 360, Beichte S. 360.
Öllcntlicho Bußzucht S. 365. Ablaß S. 367. Ehewesen S. 368.
Benediktionen S. 371. JHo Festtage S. 372. Prozessionen
S. 375. Ausstattung der Kirchen S. 376.
Sechste s Ka pitel.
Die Frömmigkeit 378
Die Gogonsiitzo in rolig. u. sittlicher Hinsicht S. 378. Gewohn-
hoitschristentnm und relig. Erregung S. 380, die Geißler S. 380.
Zug zum Visionäien S. 382: in d. Niederlanden u. am Nieder-
— VIT —
Seite
rhein S. 382, in AlamaDnieii S. 383, Baiern S. 384, nördlich
des Thüringer Waldes S. 385, in Franken S. 392, in Schwaben
S. 393, bei den Minoriten S. 395. Die Ketzer: Waldenser
S. 397, Katharer S. 406, Brüder des freien Geistes S. 407.
Kirchliche Vereinigungen: Gebetsverbrüderungen S. 416, Brü-
derschaften S. 417, Kalande S. 418, Tertiarier S. 419, Beginen
S. 421, Begarden S. 427. Die Gesinnung der Frommen: Mecht-
hild V. Magdeburg S. 428, die Nonnen von Helfta S. 482, die
süddeutschen Dominikanerinnen S. 434, Heinrich von Nörd-
lingen S. 436. Einwirkung auf die Allgemeinheit S. 438.
Siebentes Kapitel.
DicPäpsteunddasReich 447
Gregor X. und König Rudolf S. 447. Gregors Tod. InnocenzV.
S. 449. Italienische Politik der Kurie S. 449. Hadrian V.,
Johann XXI., Nikolaus III. S. 451. Gewinn der Romagna, der
Anspruch ;iuf Weltherrschaft S. 452, Der Plan, das Imperium
zu teilen S. 454. Martin IV., Honorius IV. S. 457. Befürch-
tungen in Deutschland, Jordan von Osnabrück S. 458. Würz-
burger Nationalsynode v. 1287 S. 460. Nikolaus^ IV., Tod
König Rudolfs S. 462. Adolf von Nassau u. Bonifaz VIII. S. 463.
König Albrecht S. 466. Benedikt XL, Clemens V. S. 469.
Heinrich VII. S. 470. Der offene Gegensatz S. 475. Tod des
Kaisers S. 478 und des Papstes S. 479. Johann XXII. S. 479.
Die Doppelwahl v. 1314 S. 480. Johanns anfängliche Haltung
S. 482. Die Schlacht bei Mühldorf und der Konflikt mit Lud-
wig S. 483. Die ersten Prozesse S. 485. Ludwigs Appella-
tionen S. 487. Ludwig seiner Rechte entsetzt S. 490. Bekannt-
machung der Prozesse im Reich S, 492. Mißerfolg derselben
S. 497. Die opponierenden Minoriten schließen sich an Ludwig
an S. 497. Marsilius und Johann von Janduno S. 500. Fiindruck
des Deteneor pacis in Avignon S. 506, in Deutschland
S. 508. Ludwigs Romzug S. 508. Maßregeln Johanns S. 513.
Die geflüchteten Minoriten bei Ludwig S. 516. Rückkehr des
Kaisers nach Deutschland S. 519. Die Lage in Deutschland
S. 519. Charakter Liidwig.s S. 530. Änderung seiner ihil-
tung S. 532. Verständigungsvorhandlungen S. 532, ohne
Krgebnis S. 536. Die Minoritonpoloniik gegen Johann: Michael
von Cosena, Occain S. 537. Tod Johanns XXII. Bonedickt. XIL
S. 542. Krneuerung der Verhandlungen S. 544, Benedikt
ändert seine Haltung 8. 547. Kindruck des Mißlingens S. 548.
Da« englincho HUndnis S. 549. Haltung der Fürsten S. 549.
Renso S. 553 Frankfurt S. 554. Die literarische Polemik
S. 55H : Occam S. 558, Lupoid v. Bobenburg S. 563. Flug-
scbrifton S. 564. Wiederanknüpfiing der Verhandlungen mit
— Vlll —
der Kurie S. 565. Umschwung der Verhältnisse im Reich
S. 570. Clemens VI. S. 570, Verhandlungen mit ihm S. 572.
Die Haltung der Fürsten S. 576. Der endgiltige Bruch S. 580.
Wahl Karls IV. S. 580. Ludwigs Tod S. 581. Schluß S. 582.
Die Bischofslisten, das Klosterverzeichnis und das Register folgen für die
beiden Hälften des 5. Teils gemeinsam am Schluß desselben.
Neuntes Buch.
Die Kirche Deutschlands während des beginnenden
Sinkens der päpstlichen Macht.
1250 — 1347.
Haack, Kircbfcogetohicbt« V.
Erstes Kapitel.
Die Päpste, die deutsche Kirche und das Reich.
Man kann nicht sagen, daß der Tod Friedrichs II. einem
kirchlichen Kampf sein Ziel setzte. Wohl waren Papst und
Kaiser. Kirche und Staat die hadernden Mächte. Aber in dem
gewaltigen Ringen Friedrichs mit den Päpsten hatte es sich weit
mehr nin die politische Machtstellung des Kaisers als um die kirch-
liche HeiTschaft des Papstes gehandelt. Fast widerwillig war Fried-
rich im Verlauf des Streites dazu gedrängt worden, dem Anspruch
der Päpste auf Weltherrschaft entgegenzutreten. Ihr Recht auf
die Regierung der Kirche hat er nie bestritten. Im Gegenteil,
während er die Krone trug, ist das ausschließliche Gesetzgebungs-
recht, ist die freie Dispensations- und Privilegiengewalt, ist die
oberste richterliche Autorität und die uneingeschränkte Regierungs-
macht der Päpste in der deutschen Kirche zur unbestrittenen An-
erkennung gekonmien. Der Papst war der Herr der Kirche.
Nirgends erkannte man das klarer als an der Kurie. Als Gregor IX.
am 5. September 1234 die Dekretalensammlung, die Raimund von
Pennaforte in seinem Auftrag zusammengestellt hatte, den Universi-
täten zu Bologna und Paris übersandte*, verordnete er, daß aus-
schließlich diese Sammlung im Gericht wie in der Schule gebraucht
werde. Er verbot zugleich, daß irgend jemand ohne besonderen
päpstlichen Auftrag eine neue Rechtssamndung herstelle. Damit
war die ausschließliche Herrschaft, des „neuen" kanonischen', des
päpstlichen Rechts in der Kirche proklamiert. Aber niemand
* Durch die Bulle Rex pacificuH, h. Corj). iur. can. II S. 1 AuHffabo
V. P^riedberjf. Die Sammlung de« h. g. Liber sextuR Honifaz' VIIl. war ein
8chritt weiter auf die§er Bahn, «. C. i. c. S. 9B4.
* Sirardu« von Cremona llodio novo iure canonico bei Hinachiti»,
KK, II! S. Vir, Anm. 3.
!•
— 4 —
widersprach; die Welt lobte in der Überzeugung, daß der Papst
alle Rechte im Schreine seiner Brust trage ^. Was er setzte und
sagte, war das „gemeine'^ Recht-; es band jeden, den er nicht aus-
drücklich dispensierte. Ebenso vollständig beherrschten die Päpste
die kirchliche Verwaltung. Jeder Einfluß des Königs war aus-
geschaltet. Auch von der früheren Selbständigkeit der Bischöfe in
der Regierung ihrer Diözesen war fast nichts übrig gebheben.
Sie bemerkten es kaum. Sie waren stolz darauf. Beamte des Papstes
zu sein. Auch Männer, die ihr Amt nicht der päpstlichen Er-
nennung verdankten, fingen an, ihrem Titel die Worte „von des
apostohschen Stuhles Gnaden*' einzufügen^. Dieser ganze Rechts-
stand hatte sich festgesetzt unter Zustimmung, w^enigstens ohne
Einsprache des Kaisers. Er hatte sich nie als kirchlicher Gegner
des Papsttums bewiesen.
Gleichwohl war sein Tod für die Weltstellung des Papsttums
^ Lib. sext, I tit. 2 c. 1 : Romanus pontifex, qui iura omnia in scrinio
pectoris sui censetur habere.
- Vgl. Friedberg, KR. S. 131.
' Die Formel nach Stutz, KR. S. 855 seit dem 11. .Jahrhundert. In
Deutschland ist sie indes bedeutend jünger. Unter den Erzbistümern kommt
sie zuerst in Magdeburg auf, bei dem 1327 von .Tohann XXII. ernannten
KB. Otto, s. ÜB. d. H. Merseb. I S. 937 Nr. 1076. In Prag gebrauchte sie
der erste Eß., Ernst v. Pardubitz, s. seine Statut, v. 1353, Höfler, Conc.
Prag. S. 2. In den Bistümern scheint sie während des 13. Jahrh.'s noch
nicht üblich gewesen zu sein. Man findet sie in Bamberp 1287, Looshorn
IJ,2 S. 845 bei dem von Honorius IV. ernannten B. Arnold; dann 1332 bei
dem von Johann XXII ernannten Gegenbischof Erich v. Hilde!<heim, s ÜB.
IV S. 689 Nr. 1272, ferner 1350 bei dem ebenfalls durch päpstliche Pro-
vision in Stellung gekommenen Halberstädter Gegenbischof Albrecht v. Mans-
feld, ÜB. III S. 503 IV. Nr. 2408, 241.3, 2418 u. ö.. sodann ausnahmsweise
bei dem von Benedikt XII. ernannten Friedrich v. Regensburg 1343, Ried II
S. 860 Nr. 901. GewöhnHch wurde sie in Halberstadt seit B. Ludwig, 1357
von Innocenz VI. ernannt, und seinem Nachfolger, dem von Urbun VI. er-
nannten Albrecht; der gewählte B. Ernst ließ sie zuerst weg, nahm sie
dann aber wieder auf, s. ÜB. IV S. 340 ft". Nr. 3047 u. 3053. In Regens-
burg wird sie häutiger, doch nicht regelmäßig bei B. Konrad, s. Ried II
Nr. 960, 968, 971 u. ö., u. 964, 974, 976; er war von Urban V. providiert.
In Würzburg wurde sie unter Johann v, Egglof«tein 1400ti". üblich, s.
Ussermann S. 93 ti'. Nr. 98, 100, 102, 103; aber B. Gottfried ließ sie wieder
weg S. 107 Nr. 104. In Passau begegnet man ihr bei dem von Urban V.
ernannten B. Albrecht 1366, ÜB. d. L. o. E. VIII S. 260 Nr. 261, 300 u. ö.^
doch vgl. Nr. 288 f. u. ö. Diese Beispiele werden genügen, um zu zeigen,
daß die Entstehung der Formel mit den päpstlichen Provisionen zusammen-
hängt und daß sie im MA. niemals eigentlich herrschend wurde.
von der größten Bedeutung; Denn Friedrich II. war der einzige
Mann gewesen, der der freien Anwendung der päpstlichen Herrscher-
gewalt kraft seiner politischen Stellung Schwierigkeiten bereiten
konnte. Seit dem 13. Dezember 1250 war Innocenz IV. ein Papst
ohne Kaiser: er war frei^. Alles kam darauf an, wie er die neue
Lage benützen würde.
Daß er die Vernichtung der hohenstaufischen Partei als sein
nächstes Ziel betrachtete, lag in der Natur der Sache. Sie war
durch des Kaisers Tod geschwächt, aber noch war sie nicht über-
wältigt. Darüber täuschte sich Innocenz nicht: entschlossen, wie
er war, faßte er von Anfang an den letzten Punkt, den er erreichen
wollte, bestimmt ins Auge: niemals, so versicherte er den schwäbischen
Herren, werde der apostohsche Stuhl seine Zustimmung dazu geben,
daß die Nachkommen Fi'iedrichs das Reich oder das schwäbische
Herzogtum erhielten -. Es war ihm bitterer Ernst mit diesem „nie-
mals'*. Haß und Furcht wirkten zusammen, seinen Entschluß
unwandelbar zu machen.
Im Anfang des Jahres 1251 berief er die Führer der Deutschen:
den König Wilhelm, die Erzbischöfe Gerhard von Bremen und
Konrad von Köln, an seinen Hof nach Lyon^. Der König folgte
zu Ostern der Einladung^. Statt der beiden Geladenen begleiteten
ihn der Erzbischof Arnold von Trier und der Kanzler Heinrich
von Speier. Wenn nun Innocenz seine Wahl bestätigte und
daraufhin Wilhelm dem Papste den Dienst des Steigbügelhaltens
leistete, so sollten diese Handlungen der Welt beweisen, daß der
Tod des Gegners die Verbindung der bisherigen Bundesgenossen
nicht gelockert hatte''. Wichtiger war, daß der* Papst sich mit
dem König über die Maßregeln verständigte, die diesseits und
jenseits der Alpen ergnften werden mußten, um der neuen Lage
gerecht zu werden.
* Vgl. z. Folg. außer der Lit. über die einzelnen Päpste J. Kerapf,
Gesch. d. Deutsch. Reichs während des gr. Interregnums, Würzb. 1893.
'' Ep. pont. III S. 80 Nr. 100 f. v. 29. u. 31. März 1251.
=* Ep. pont. 111 S. 31 Nr. 41 v. 27. Jan. 1251 u. S. 52 Nr. 65 v. 18. Febr.
1251; beide folgten der Berufung nicht.
* Die Einladung erfolgte per solemnes literas et nuntios; doch ist das
Einladung88chreiben nicht erhalten. Ober die Zusammenkunft berichten
Ge«ta Trev. Cont. V,4 Scr. XXIV S. 412 u. Ann. Spir. /. 1251 S. 84, vgl.
auch Nie. de Curb. 30 Muratori 111, 1 S. 502.
'' In der Einladung an die beiden Prälaten ist die Ordnung des nego-
tium imperii Komani in den Vordergrund gestellt, Herim. Altah. Scr. XVII
S. 395; Nie. de Curb. c. 30. In bezug auf die Kainerkrone wird der Papst
über allgemeine Zusagen nicht hinausgegangen «ein. Hestimint in Aussicht
geHtolli hat er sie Wilhf^Iui <'rst nach Konrads Tod, B. F. 8755.
Innocenz hat Friedrich 11. gehaßt wie selten ein Mann den
andern; aher die Größe seines Talents verhelilte ersieh nicht. Es liegt
die höchste Anerkennung des Gegners darin, daß er in dem Moment,
in dem er die Nachricht vom Tode des Kaisers erhielt, mit dem
Entschluß fertig war, nach Italien zurückzukehren^: der eine Mann
galt ihm mehr als alle sonstigen Gegner. Am 19. April verUeß
er Lyon; im November traf er in Perugia ein. Hier und in dem
benachbarten Assisi verweilte er fast zwei Jahre. Im Oktober 1253
ist er nach Rom zurückgekehrt.
Obgleich der Kaiser tot war, war es kühn, daß Innocenz
seinen Sitz von dem sichern Lyon nach Italien verlegte. Aber die
Schwierigkeiten, die er dort finden würde, hat er schwerlich völlig
überschaut: sie waren so groß und so mannigfaltig, daß er sie nicht
zu bewältigen vermochte.
Besser gelang es in Deutschland. Wenige Tage vor seinem
Aufbruch aus Lyon, am 13. April, verkündigte er die Exkomnmni-
kation des Königs Konrad und seiner Anhänger-, Schon vorher
hatte er dem Predigermönch Wilhelm von Eyk, dem Minoriten
Johann von Diest und anderen '^ den Auftrag zur Kreuzpredigt
gegen den König erteilt. Mit ungeminderter Kraft und mit den
bisherigen Mitteln sollte also der offene Kampf gegen den Erben
des Kaisers fortgesetzt werden. Doch grössere Erfolge erwartete
Lmocenz von Unterhandlungen mit dem hohenstautischen Anhang.
Er glaubte, daß die Festigkeit und der Zusammenhang desselben
durch den Tod des Kaisers erschüttert sei, und hoffte, den Kampf
dadurch beenden zu kömien, daß er die bisherigen Gegner gewänne.
An die einflußreichsten Fürsten, die Herzoge Otto von Baiern.
Albert von Sachsen und Otto von Braunschweig, die Maikgrafen
Heinrich von Meißen und Johann von Brandenburg, die Grafen
(jottfried von Hohenlohe, Philipp von Falkenstein und an andere
Herren wandte er sich in eigenen Zuschriften^. Nirgends war von
^ Am 19. Jan. 1251 wußte Innocenz noch nichts von Friedrichs Tod,
ep. pont, III S. 23 Nr. 30; walirscheinlich am 25. erhielt er die Nachricht,
und noch an diesem Tage stand sein Entschluß, nach Italien zurückzukehren,
fest, S. 24 Nr. 32; vgl. bes. S. 25 Nr. 33.
- Matth.Paris.Chron.Scr. XXVIII S. 326 f., v^l. Nie. de Curb. c. 31 S.51I2.
-■'' p:p. pont. 111 S. 35 Nr. 48 v. 5. Febr. 1251, wiederholt 10. Febr. 1253
S 156 Nr. 188; S. 42 Nr. 54 v. 10. Febr. 1251, wiederholt, nachdem Johann
Bischof v. Samland geworden war, 9. Febr. 1258 S. 156 Nr. 187, u. 16. Febr.
1254 S. 228 ff. Nr. 259—261 u. 265, u. nach der Versetzung Johanns nach
Lübeck 5. Apr. 1254 S. 239 Nr. 274: vgl. 13aumg. FB. S. 153 Nr. 26; Kp.
pont. III S. 80 Nr. 101 v. 31. Mai 1251.
* Kp. pont. ms. 46 ff. Nr. 59, 67—69,71, 73,84 v. 13. Febr. bis 6. März 1251.
— 7 —
Genugtuung für die Vergangenheit die Kede. Der Papst forderte
uui" eines: den Partei Wechsel, die Anerkennung Wilhehns als König.
Schreiben gleichen Inhalts ergingen an die staufisch gesinnten Städte:
Worms, Speier, Oppenheim, Frankfurt, Gelnhausen, Friedberg und
die deutschen Städte überhaupt ^ Der Eindruck der Briefe sollte
durch persönliche Unterhandlungen verstärkt werden. Zu diesem
Zweck sandte Innocenz den Magister Jakob von Laon nach dem
niederen Deutschland. Er sollte in Gemeinschaft mit dem Deutsch-
ordensmeister Dietiich von Grüningen die doiligen Fiü'steu auf-
suchen, um sie zur Anerkennung Wilhelms zu bewegen^. Den-
selben Auftrag erhielt für das südliche Deutschland der päpstHche
Pönitentiar Heinriche Endlich ernannte Lniocenz, als er Lyon
verheß, einen Kardinallegaten für Deutschland. Diese Stelle erhielt
zunächst der Kardinal Hugo von S. Sabina, ein französischer
Dominikaner von anerkannter Bedeutung als Theologe, und in
kirchenpolitischer Hinsicht völlig einig mit dem Papste. Er ging
im Gefolge König Wilhelms nach Deutschland ^. Als er im Herbst
1253 an die Kurie zurückkehrte, trat der Kardinal Peter von
St. Georg an seine Stelle''. Die päpstHchen Sendlinge kamen als
Friedensboten; sie hatten die Vollmacht, die bisherigen Anhänger
der Hohenstaulen vom Banne zu lösen. Alles in den Jahren des
Kampfes gegen die Kirche begangene Unrecht sollte bereitwiüig
verziehen werden : die einzige Voraussetzung war die Anerkennung
des von der Kirche erhobenen Königs". Zu gleichem Vorgehen
^vurden auch deutsche Prälaten ermächtigt'.
» Ep. pont. III S. 59 f. Nr. 74 f. v. 19. Febr. 1251.
- A. a. 0. S. 53 Nr. 66.
^ A. a. 0. S. 47 tf. Nr. 59, 2 u. 3; 69; 101.
* Nie. de Curb. 30; Ann. Spir. z. 1251 Scr. XVII S. 84; Ann. Krph.
fr. praed. S. 109; Math. Par. Scr. XXVIII S. 324. Eine Urkunde über seine
Ernennung i.st nicht erhalten. Sie war am 31. März 1251 noch nicht voll-
zogen; denn damals stellte Innocenz nur in Aussicht, er werde einen zu-
verlässigen Legaten «enden, Ep. pont. III S. 81 Nr. 101. Seine Abberufung
erfolgte kurz vor dem 5. Sept. 1253, a.a.O. S. 205 Anm. 6. Vgl. über ihn
Maubach, Kard., Bonn 1902 S. 20 f, und Sassen, Hugo v. St. Cher. Bonn 1908.
'' Anzeige «einer P^rnennung an die deutschen Fürsten v. 17. April
1254, Ep. pont. III S. 248 Nr. 279,2 u. 3; die Vollmachten für ihn v. 13.,
16. u. 17. April S. 245 ff. Nr. 279. Peter kehrte unter Alexander IV. im
Frühjahr 1255 nach Italien zurück, h. Ej). pont. III S. 360 Nr. 402 v.
30. Juni 1255.
• Ep. pont. III S. 62 Nr. 78, Vollmacht für Jakob u. Heinrich, 20. Febr.
1251, Ankündigung der Aufträge der KL. Peter S. 248 Nr. 279,2.
' Eberhard v. Konstanz, 19. Febr. 1251 S. 61 Nr. 76; berthold v.
St. (fallen, 12. März 1251 S. 72 Nr. 92.
— 8 —
Der Erfolpj, den Tnnocenz von seiner Friedenspolitik erwartete \
fehlte nicht: er hatte die Bedeutung Friedrichs richtig beurteilt.
In der kürzesten Zeit leiste sich die hohenstaufische Pai*tei auf.
Schon im Juli 1251 wußte der Pönitentiar Heinrich eine Ver-
ständigung zwischen den Bürgern und dem Klerus von Regensburg
zu vermitteln". Tm Frühjahr 1252 erkainiten die norddeutschen
Fürsten Wilhelm als König an; im April empfingen Wilbrand von
Magdeburg und der Markgraf von Meißen die Lehen aus seiner
Hand'\ Ottokar von Böhmen veipflichtete sich im Herbst 1253
zur Treue gegen ihn, solange er in der Gunst der Kirche stehet
Der einzige deutsche Fürst, der Konrad Treue hielt, war der
bairische Herzog Otto II '^. Aber zum Frieden mit der Kirche
suchte auch er zu gelangen". Dass er am 29. November 1253
starb, förderte nur diese Entwicklung. Denn obgleich seine Söhne
an seiner politischen Richtung festhielten, kam es zum Friedens-
schluß zwischen ihnen und dem bairischen Episkopat '. Inzwischen
hatten auch die westdeutschen Städte Ijegonnen. ihre bisherige
Haltung zu ändern. Den Anfang machte Friedberg **. Nachdem
König Konrad am 21. Mai 1254 gestorben war, traten Frankfurt.
' Bezeichnend für seine Beurteilung der Lage ist eine Äußerung in
einem Briefe an König Wilhelm: Non operum, non muneris quevis profusa
largicio tantum tuam poterit sublimare personam quam fructuosa plurimo-
rum acquisicio amicorum, Baumg. Formelbuch, Font. rer. Austr. II, Bd. 2-')
S. 542.
2 Ried, C. d. I S. 480 Nr. 453 v. 29. Juli 1251.
•'' Ann. Krph. fr. praed. S. 110 f.. vgl. ÜB. d. St. Lübeck I S. 168
Nr. 182.
* C. d. Morav. 111 S. 173 Nr. 199 v. 17. Sept. u. Nr. 201 v. 8. Nov.
1253, vgl. Ep. pont. III S. 188 Nr. 217,2.
'^ Ann, Plrph. fr. praed. S. 111: Excepto duce Bavariae; vgl. Kiezler II
S. 97 ff. Tenckhoft", Papst Alexander IV. Paderb. 1907 verwechselt ihn
S. 144 mit seinem Sohne Ludwig.
* Es fanden Verhandlungen zwischen dem Herzog und Konrad v.
Freising statt, die der Papst nicht hinderte, Briet Innoc' IV. v. 4. Juli 1258
bei Meichelbeck II, 1 S. 40. Man erfährt dabei, daß andere Bischöfe .schon
zu einem Einverständnis gekommen waren.
' Abkommen mit Philipp von Salzburg, Herm. Altah. z. 1254 S. 896,
mit Albert von Hegensburg, Ried, C. d. I S. 487 Nr. 461 v. 19. Dez. 1258.
Die Folge war die Aufhebung des Interdikts über Baiern, Herm. Altah. z.
1258 S. 896, vgl. Lang, Reg. Boic. III S. 46 v. 27. Juli 1254. Auch die
Unterhandlungen mit Konrad v. Freising hatten ihren Fortgang, Meichel-
beck S. 44.
•* Herbst 1252, Böhmer, Acta S. 302 Nr. 366.
— 9 —
Gelnhausen, Speier, Worms, Oppenheim zu Wilhelm über^, am
6. Oktober endlich sprach der ganze rheinische Städtebund dessen
Anerkennung aus'-. Es ist sicher nicht zufällig, daß am Tage
darnach der Kardinallegat Peter ein Schreiben erließ, durch dass
er seine geistliche Gewalt für die Förderung und Ausbreitung des
Bundes einsetztet
Maßregeln gegen Widerstrebende wurden nur in ganz ver-
einzelten Fällen ergi'iffen^. Aber wenn sie nötig waren, bewies
Innocenz. daß seine alte, rücksichtslose Energie nicht erlahmt war.
Daß der treffliche Christian II. von Mainz in seinen Ansichten
über die Haltung, die nach dem Tode des Kaisers einzunehmen
war. mit dem Kardinallegaten Hugo nicht übereinstimmte, genügte,
ihn als Erzbischof unmöglich zu machen, obgleich er nicht entfernt
der Hinneigung zur hohenstaufischen Partei verdächtig war. Er
mußte im Sommer 1251 aus seiner Stellung weichen^.
1 BF. 5198—5206.
■' C.I. n S. 581 Nr. 428,2.
■^ Schreiben an den Dekan Johann zu Mainz, Ennen u. Eckertz 11 S. B45
Nr. 337.
* Gegen den A.bt Hugo von Kempten, Ep. pont. III S. 168 Nr. 202 v.
23. Mai 1253, das Kloster Keinhardsbrunn, S. 34 Nr. 46 v. 3. Febr. 1251,
die Herrn v. Fleckenstein S. 111 Nr. 130 v. 19. Jan. 1252 u. 197 v. 7. April
1253. ein paar Stiftshen-en in Frankfurt, Hess. ÜB. 11,1 S. 202 Nr. 275 v.
29. Nov. 1251.
» Christ, chron. S. 699; Ann. Erph. fr. praed. S. 109; Ann. Mog. un-
richtig zu 1252 S. 2. Die Charakteristik, die Will, Reg. Mag. II S. LH f.
von Christian gibt (,, gewohnt in Ruhe zn genießen, was ihm . . seine fetten
Pfründen tn vielen Jahren geboten hatten" ,,Der alte, wohl an Körper
wie an Geist schwache EB.*') ist ohne jeden Anhalt in den Quellen. Die
Behauptung der Altersschwäche scheitert schon an dem Itinerar Christians.
Abgesehen von dem formelhaften Lob Honorius' III. (Würdtwein, N. Subsid.
IV S. 145 Nr. 59) erfahren wir über Christian, daß er zur Partei König
Wilhelm« hielt. So Innocenz IV. in einem Schreiben an EB. Gerhard, Gu-
denus I S. 645 Nr. 271, bestätigt durch Chr. reg. Col. z. 1249 S. 298. Sein
Auftreten gegen Konrad von Marburg, Ann. Worm. z. 1233 S. 39 beweist,
daß es ihm in der Jugend weder an Mut noch an Selbständigkeit des Ur-
teils fehlte. Die Charakteristik der Chr. reg. Col. z. 1249 S. 296: Provecte
eiatis, moribus et sobrietate conspicuus, u. sein entschiedenes Auftreten bei
der Visitation von St. Peter in Erfurt, Ann. Erph. fr. pr. z. 1250 S. 107,
Cron. «. Petri Erf mod. S. 243, berechtigen anzunehmen, daß er diese Eigen-
schaften auch im Alter bewahrt hatte. Bezeiclmet ihn die Cron, s. Petri
Erf. mod. z. 1249 S. 243, als h<Ie et opere cristianum, qui umnibus viribus
«uis studuit ecciesie, cui preesse debuit, pacera providere, so läßt auch diese
— 10 —
In (lieser Weise kam die Opposition gegen den Papst zu
Ende; man kann nicht sagen, daß sie gebrochen wurde, sie hörte
auf. Indem das geschah, verstummte die Feindsehgkeit gegen das
Papsttum, die in den Jahren des Kampfes so hiute Worte gefunden
hatte. Auch die Gegen maßregeln der Kurie, durch die bisher
das kirchhche Lel)en gestört wurde. Bann und Interdikt, kamen in
AVegfall. Es wurde Friede. Die Kirche konnte wieder den kirch-
lichen Grundsätzen gemäß regiert werden.
Aber die Rückkehr zu den der Regel entsprechenden Zuständen,
erwies sich als unendlich schwierig.
Es war ein dm'ch den Kampf gebotener und entschuldigter
Bruch der kirchlichen Ordnung, daß die Besetzung erledigter Bis-
tümer und Abteien den AVahlberechtigten entzogen und völlig von
dem Willen der Kurie abhängig geworden war\ Die Verhältnisse
waren zu unsicher, als daß diese Kampfmaßregel nach dem Tode
des Kaisers sofort hätte geändert werden können. Als der Kardinal-
legat Hugo in Deutschland eintraf, verwehrte er alsbald die Vor-
nahme von Bischofswahlen ohne seine Zustimmung-.
Demgemäß erhielt Kanimin nach dem Rückti'itt Wilhelms I.
im Februar 1251 in Hermann von Gleichen einen Bischof, den
der Papst für diese Stelle bestimmt hatte. Er war ein Verwandter
Ottos von Braunschweig und dadurch der Gemahlin König Wilhelms:
von dem Beifall des letzteren machte Innocenz seine Erhebung
abhängig. Er trug kein Bedenken, dabei auszusprechen, sein
Wunsch sei, daß solche Männer an die Spitze der deutschen
Kirchen gestellt würden, die gewillt und imstande seien, Wilhelms
Charakteristik nichts von Altersschwäche vermuten. Der Gegensatz zwischen
dem Eß. und dem KL. wird also in der Verschiedenheit der Ansichten über
die kirchenpolitische Haltung begründet gewesen sein. Insofern ist die
JJarßtellung in der Chronik des s. g. Christian S. 699 im Rechte, so ten-
denziös sie auch zugestutzt ist, s. über diese Quelle E. 8chwarz, Arch. f.
iioss. Gesch. N. F. 1, 1894 «. 523 tf.
' S. Bd. IV S. 838; Aldinger, Die Neubesetzung der deutschen Bis-
tümer unter Innocenz IV. Leipz. 1900.
- Von Innocenz IV. erwähnt, Ep. pont. 111 S. 274 Nr. 809. Da Ludolf
von Schiaden in der zweiten Hallte des Jahres 1252 gewählt wurde — er
war am 8. Jan. 1253 bereits bestätigt, ÜB. d. H. Halberst. II S. 186 Nr. 868
— u. die Wahl post generalem inhibitionem ab ipso legato emissam, ut
nuUa olectio in regno Alamanniae tieret eins irreijuisito assensu, Ep. pont.
a. a. 0. erfolgt war, so ist dieser Erlaß, zu dem der Legat durch ein spe-
ciale mandatum des Papstes beauftragt war, 1251 oder Anfang 1252 er-
gangen.
— 11 —
Sache zu fördern^. Diese Anweisung wurde nicht überhört. Der
im Herbst 1251 zum Bischof von Verden gewählte Graf Gerhard
von Hoya war ein Verwandter König Wilhebns selbst'. Das Erz-
bistum Mainz übertrug der Kardinallegat im Juli 1251 dem Mainzer
Domherrn Gerhard, dem Sohn des Wildgrafen Konrad. Nichts
ist bezeichnender, als daß seine Wahl auf diesen Mann fiel. Denn
Gerhard stand ursprünglich auf Seite der Hohenstaufen ; er hatte
im Heere Konrads gegen Sigfii'id III. von Mainz die Waffen
getragen und war deshalb der Exkommunikation und Degradation
verfallen. Aber als sein Vater auf die päpstliche Seite übertrat,
wechselte auch er die Partei. Erzbischof Sigfrid nahm ihn wieder
zu Gnaden an; auch Innocenz IV. wußte das Verdienst des Über-
tritts zu würdigend Wenn dieser Mann jetzt den ersten Platz
unter den deutschen Bischöfen erhielt, so empfahl ihn nur seine
rücksichtslose Energie und seine Freude am Kampf. Recht im
Gegensatz zu seinem friedlichen Vorgänger stürzte er sich denn auch
sofort in den Strudel kriegenscher Unternehmungen*. Im Jahre 1252
^ Ep. pont. III S. 62 Nr. 77 v. 19. Febr. 1251; S. 211 Nr. 248 v.
19. 3an. 1254. Der erste Brief schließt: Illos in ecclesiarum prelatos pre-
fici cupimus, qui dictum negotium velint et valeant efficaciter promovere.
- S. Aldinger S. 155.
^ Will macht Gerhard bei seiner Erhebung zu einem Jüngling, der
wohl kaum in den zwanziger Jahren stand S. LIV. Auch hier ist der Irr-
tum offenkundig. Gerhard war unter Sigfrid III. Domkantor, wurde von
ihm wegen seiner Teilnahme am Kampf im Heere Konrads exkommuniziert,
seiner Pfründen beraubt und später (postmodum) auf der Synode zu Fritzlar,
30. Mai 1244, degradiert, Ep. p. II S. 81 Nr. 113 u. III S. 82 Nr. 103.
Seine Teilnahme am Kampf wider den EB. muß also in die Jahre 1242 u.
1243, seine Exkommunikation spätestens ins Jahr 1243 fallen. Daß er da-
mals noch ein Knabe war, ist der Natur der Sache nach ausgeschlossen.
Daraus folgt aber, daß er bei seiner Erhebung ein junger Mann, etwa im
Alter von 30 Jahren, war. Der adolescens des s. g. Christian ist also nicht
geradezu unrichtig; aber er ist übertrieben. Über Gerhards Versöhnung
mit der päpstlichen Partei, s. außer d. a. Brief (Nr. 103) auch II S. 529
Nr. 715 V. 8. Mai 1249. Auch was Will über die Wahl Gerhards sagt,
läßt sich nicht aufrecht erhalten. Von einer Wahl weiß keine Quelle,
sondern die Überlieferung ist einig darin, daß Gerhard durch den KL. er-
hoben wurde: Ann. Erph. tr. pr. S. 109: Subrogando ipsi (ierharduni; Ann.
Mog. S. 709: Mediante Hugone legato substituitur; Christ. Chron. S. 699:
SubHtitutus ab eodem legato. Nur darin ist Will im Recht, daß der Vor-
wurf der Bestechung durch das Zeugnis des s. g. Christian nicht bewiesen
int. Auch was Aldinger S. 152f, über eine Postulation (lerhardH auH «l«Mn
Wort adolesceni folgert, steht auf ganz unsicherem Boden.
* Ann. Worm. Scr. XVII 8. 53.
— 12 —
kam der seit fünf Jahren spielende Streit um Worms zur Ent-
scheidung. Es ist fast selbstverständhch , daß das Urteil des
Papstes zu l^ngunstcii des kanonisch gewählten Eberhard und zu
Gunsten Richards von Dann lautete. Denn der letztere war seiner-
zeit von einem Kardinallegaten ernannt worden. Auch war ihm
König Wilhelm gewogen ^
So blieben auch nach Friedrichs Tode pohtische Erwägungen
für die Besetzung der kirchlichen Amter entscheidend. Aber im
Mai 1252 änderte Innocenz seine Haltung. Er hol) nicht nui' die
allgemeinen Verfügungen auf, durch die kirchliche Wahlen ver-
boten waren, sondern er nahm auch die einzelnen Personen erteilten
Provisionen insgesamt zurück: das kanonische Wahlverfahren
sollte bei der Besetzung der Bistümer, Abteien und Priorate wieder
in Übung treten. Ausgenommen waren nur die Orte und Land-
schaften, die sich noch im Besitz erkläi-ter Gegner befanden-.
Wir kennen die Erwägungen nicht, die zu diesem Erlasse
führten "^ Er ist vielleicht ein Zugeständnis an die friedlich ge-
sinnten Kardinäle*. Jedenfalls beweist er, daß man an der Kurie
den Kampf als siegreich beendet betrachtete. Denn wie hätte der
Papst sonst auf eine so schneidige Waffe verzichten können ? Aber
als die päpstliche Anordnung ausgeführt werden sollte, erwies sich,
daß Innocenz der eigenen Parteigenossen nicht mächtig genug war.
um das, was er als heilsam erkannte, ihnen gegenüber durch-
zusetzen. Kaum wurde sein Erlaß in Deutschland bekaimt, sc»
begannen die Beschwerden. Dem Abte Berthold von St. Gallen
war das Bistum Konstanz, dem Propst Albert die Abtei zugesagt;
beide wollten sich in den Verzicht auf ihre Hoffnungen nicht finden
und erhoben lebhafte Vorstellungen an der Kiu-ie. Innocenz wagte
nicht, sie abzuweisen; er erklärte die eben aufgehobenen Zusagen
* Über diese Vorgänge, Ann. Worin, z. 1252 S. 51; das päpstl. Urteil
wurde von Peter v. Albano gefällt, Ep. pont, lil. S. 118 Nr. 137 v. 3. Aprü
1252; vgl. S. 395 Nr. 437 v. 1. Juli 1256.
« Ep. pont. III S. 123 Nr. 141 v. 23. Mai 1252.
" Im Erlaß heiBt ea, sanius reputantes provideri ecclesiis, quam per-
sonis. Aber wer möchte auf diese Phrase Gewicht legen? Auch an die
im Frühjahr 1252 begonnenen Unterhandlungen mit Konrad wird man
schwerlich zu denken haben.
* Auf keinen Fall aber an die Franzosen, wie Maubach S. 44 annimmt.
Das bewei.st die Haltung der beiden französischen Päpste. Es ist viel
wahrscheinlicher, daB Männer wie Johann v. Toledo und der Spanier Ägi-
dius Reformen forderten.
— 13 —
für giltig ^ Denselben Erfolg hatten die Beschwerden Heinrichs
von Speier, dem längst ein bedeutenderes Bistum zugesagt war^,
und des Kölner Propstes Eberhard von Diest^. Auch Richard
von Worms wurde zugesichert, daß der neue Erlaß ihn nicht be-
treffe*. Wurde schon durch solche Zugeständnisse die Bedeutung
des Maierlasses abgeschwächt, so wurde sie vollends dadurch zer-
stört, daß Innocenz selbst sich nicht durch ihn gebunden erachtete.
Es ist verständHch, daß er bei Stellen, die sich durch Absetzung
erledigten, die Wahl nicht zuließt; aber auch in anderen Fällen
ließ er erledigt« Bistümer durch Bevollmächtigte besetzen, oder
nahm er die Ernennung in die eigene Hand^
Sichere Ordnung kehrte also nicht zurück. Die Folgen konnten
nicht ausbleiben; man erkennt sie an den Vorgängen in Würzburg
und Halberstadt. Dort ließ sich das Domkapitel, in Erwartung
des Todes des hochbejahrten Bischofs Hermann von Lobdeburg
sein Wahlrecht ausdrücklich bestätigen, ein Verlangen, das Innocenz
gerne gewährte. Zugleich aber ließ Heinrich von Speier, der in
das große ostfränkische Bistum überzugehen wünschte, gestützt auf
die ihm erteilten Zusagen, dem Kapitel im Falle von Hermanns
Tod die Vornahme einer Neuwahl verbieten. Trotzdem wählte das
1 Ep. pont. III S. 138 Nr. 161 v. 30. Aug. 1252, vgl. Berger, Reg. III
S. 104 Nr. 5947 an den Abt von St. Gallen.
2 Vgl. Bd. IV S. 839. Ep. pont. III S. 151 Nr. 178 v. 9. Jan. 1253;
S. 203 Nr. 237 v. 13. Nov. 1253; Berger III S. 208 Nr. 6474 v. 9. Apr. 1253.
' Ep. pont. III S. 151 Nr. 179 v. 9. Jan. 1253.
' Berger, Reg. III S. 118 Nr. 6021 v. 5. Okt. 1252.
•• Vgl. Ep. pont. III S. 148 Nr. 175 v. 12. Dez. 1252, anläßlich des
Zusammenstoßes zwischen König Wilhelm und Arnold v Trier, Gesta Trev.
cont. V, 4 Scr. 24 S. 412. S. 168 Nr. 202 v. 23. Mai 1253 bei Absetzung
Hugos V. Kempten.
** Am 14. Okt. 1253 erhielt Egno v. Trient den Auftrag, das Bistum
Gurk zu besetzen, Ep. pont. III S. 198 Nr. 232; der Befehl kam jedoch
nicht zur Ausführung, s. Ann. v, Rudb. Scr. IX S. 792, wonach Philipp v.
.SalzV>urg einen Bischof ernannte. Am 18. Dez. 1253 ernannte Innocenz
Beinon Kaplan Jakob v. Troyes zum B. v. Verdun, S. 207 Nr. 242; am
5. Juni 1253 ernannte er Johann v. Diest, seit 1251 B. v, Samland, zum B,
V. Lübeck, S. 171 Nr. 206; vgl. Nr. 267 u. 271, ÜB. d. St. Lübeck II S. 929
Nr. 1005. Da« Bistum Samland übertrug er am 7. Mai 1254 an Heinrich
von Strittberg, Uli. d. liist. Samland S. 11 Nr. 43. Dagegen wurden ge-
wählt: Wedekind v. Minden, Jan. 1253; er war Vetter und Kaplan König
Wilhelms, Wgtf. ÜB. VI S. 167 Nr. 583; Rudolf v. Magdeburg, Ai)ril 1253,
Ep. pont. III S. 213 Nr. 250, Volrad v. HalberHtadt. Ende 1253 oder Anf.
1254, S. 274 Nr. 309 u. Otto v. Passau, Febr. 1254, M. li. XXIX,2 S. 408.
Chiem«ee wurde 1252 vom EB. v. Salzburg besetzt, Ann. s. Rudb. S. 792.
— 14 —
Domkapitel im Vertrauen auf sein Privilegium, als Bischof Her-
mann starb, Iring von Hohenburg zu seinem Nachfolger; Gerhard
von Mainz bestätigte die Wahl und erteilte Iring die Weihe.
Dagegen betrachtete Heinrich dies alles als unrecht; er legte Ein-
sprache ein und bemächtigte sich der Stadt Wiirzburg und eines
Teils des Bistums*. Führte hier der Widerspmch zwischen den
päpstlichen Erlassen zum Zwiespalt, so zeigte sich in Halberstadt,
wie groß die Gefahr war, daß gewissenlose Kleriker mit der Bereit-
willigkeit der Kurie, von der Beobachtung des Rechts zu entbinden,
ein frevelhaftes Spiel trieben. Um Bischof zu werden, veranstaltete
der ehrgeizige Domherr Ludolf von Schiaden im Einverständnis
mit andereren Kanonikern eine angebliche Erklärung des Kardinal-
legaten Hugo, durch die dem Bischof Meinhard der Rücktritt ge-
stattet wurde. Die Täuschung des Bischofs und Domkapitels ge-
lang. Die Neuwahl fiel, wie beabsichtigt, auf Tjudolf Kiinig
Wilhelm hatte kein Bedenken: er investierte den neuen Bischof
und der Erzbischof von Mainz bestätigte die Wahl. Aber sobald
der Kardinallegat von der Neubesetzung des Bistums hörte, schritt
er natürlich gegen Ludolf ein, der inzwischen Besitz vom Bistum
genommen hatte-. Es kam auch in Halberstadt zu der übelsten
Verwirrung.
Iii dem Maierlaß war die Besetzung der niederen kirchlichen
Amter nicht berücksichtigt worden. Man verhehlte sich aber an
der Kurie nicht, daß durch die Menge der päpstlichen Provisionen
gerade hier unerträgliche Zustände geschaffen worden waren. Eine
Menge Stellen befanden sich in den Händen Auswärtiger, die zwar
die Einkünfte bezogen, aber ihre Amtspflichten nicht versahen.
Um Abhilfe zu schaffen, erließ Innocenz am 3. Nov. 1253 eine
neue Verfügung, das Seitenstück zum Maierlaß ^ Sie bestimmte,
daß diese Stellen im Falle der Erledigung durch die Geistlichen
1 Ep. pont. ms. 195 Nr. 227 v. 29. Aug. 1253; III S. 333 Nr. 368 v.
30. Jan. 1255, vgl. Reg. d'Alex. IV. I S. 334 Nr. 1115 v. 5. Febr. 1256.
Ann. Spir. /. 1254 S. 84.
- Ep. pont. III IS. 205 Nr. 240; S. 274 Nr. 309; S. 363 Nr. 405.
^ Ep. pont. III S. 200 Nr. 234. Innocenz erklärt hier, er habe von
Anfang seiner Regierung iin beabsichtigt, bei Provisionen ein solches Maß
zu halten, daß sie zum Nutzen der Kirche dienten. Dann fol^t der viel-
sagende Satz, quod autem quandoquo contrarium accidisse dinoscitur.
Hierauf die Erklärung, daß er die neue Vorschrift pro quiete mentis nostrae
erlasse u. am Schluß die Versicherung, daß dies geschehe ad nullius requi-
sitionera vel instantiam proprio motu. Aber gerade diese Versicherun e^en
beweisen, daß Innocenz Ursache hatte, Bedenken zu beruhigen, die gegen
ihn erhoben wurden.
— 15 —
oder Laien, denen das Besetzungsrecht zustand, wieder Einhei-
mischen übertragen werden sollten. Die Absicht war gut^; aber
da die Provisionen nicht aufhörten, konnte der Erfolg unmöghch
der Absicht entsprechen. Nach wie vor hatten die Kirchen allen
Anlaß, sich durch päpstliche Privilegien vor der Überschwemmung
mit päpstlichen Günstlingen zu sichern, und boten diese Privilegien
nur einen höchst ungenügenden Schutz"-.
Auch sonst hörten, nachdem der Kampf zu Ende war, die
Maßregeln nicht auf, die als Waffen im Kampfe gedient hatten:
Dispensationen von kirchhchen Vorschriften, Schutzbriefe gegen
kirchliche Strafen, Losung des Eides, der Gegnern der Kirche ge-
leistet war, Benützung der Einkünfte der Pfarreien und anderer
kirchhchen Amter zum Besten der Parteigenossen und ihrer Günst-
linge — dies alles war in den letzen Jahren Lmocenz' IV. kaum
seltener als in der Zeit des heftigsten Kampfes. Der Papst löste
die große Aufgabe nicht, die ihm dadurch gesteckt war, daß er
das Schlachtfeld behauptet hatte. Er hätte die Kirche aus der
Erschütterung des Kampfes zur klaren Herrschaft des Gesetzes
zurückführen sollen; aber nicht das Recht, sondern der Wille des
Papstes blieb entscheidend. Nui' wurde dieser jetzt nicht mehr
gebunden durch die alle anderen Erwägungen zurückdrängende
Rücksicht auf die Emngung des Sieges, sondern er wurde be-
stimmt durch tausenderlei persönliche Einflüsse und kleinliche Rück-
sichten'^ Innocenz empfand diese Zustände als unwürdig und
lästig. Daß sie üble Folgen haben mußten, verbarg sich niemand.
Aber eine durchgreifende Hilfe war unmöglich: sie hätte eine Be-
schränkung der päpstlichen Gewalt in sich geschlossen, jede solche
Beschränkung aber erschien als Unrecht, als Angrifl' auf ihr
* Analoge Erlasse ergingen am 4. Sept. 1252, Reg. d'Innoc. Bd. III
S. 106 Nr. 5957, wodurch Gerhard v. Mainz Vollmacht erhielt, Stellen zu
vergeben, deren Besetzung an Rom devolviert war, u. 22. Juli 1254 mit
ähnlichem Inhalt, P. 15465.
'^ Zwischen dem Mai 1252 und dem Nov. 1253 erhielten derartige
Schutzprivilegien: Schwerin P. 1465H, Mainz Ep. pont. III S. 132 Nr. 155,
PetershauHen P. 14742, St. Ulrich in Augsburg P. 14827, 14836, St. Blasion
P. 14884, KloHterneuburg P. 15030, 150361"., St. Paul in Lavant P. 15161.
Wie die Zustände waren, zeigt die Vorstellung des Mainzer DK., quod qui-
dam pueri et penitus idiote, aliqui vero prorsus inutiles et ignari ac alii
de pemecatoruni genere päpstliche Provisionen erlangt hätten.
•'' Innocenz entschuldigt seine Maßregeln mit der malitia temporis u.
der improbitas nimia petitoriim oder instantia importuna nonnullorum,
S. 123 Nr. 141 u 200 Nr. 234.
— 16 —
Wesen ^ Damit war die ununterbrochene Durchbrechung der Regel
zur Regel gemacht.
Innocenz IV. starb nach kurzer Krankheit am 7. Dezember
1254 in einem Palaste bei Neapel, der einstmals dem Kanzler
Friedrichs II., Peter de Vinea, gehört hatte'-. Wenn Kraft und
Schärfe des Geistes genügten, einen Mann groß zu machen, so
wäre er einer der größten Päpste. Denn die Klarheit, mit der er
Menschen und Verhältnisse durclischaute und beurteilte, wurde nur
übertroffen durch die unbeugsame Festigkeit, mit er den einmal
ergritienen Gedanken, das einmal gesteckte Ziel im Auge behielt,
und durch die wuchtige Kraft, mit der er zu handeln wußte. Man
hat an ihm als Juristen die Unmittelbarkeit der Anschauung und
den praktischen Blick gerühmt. Diese Gaben zeichneten ihn auch
als Politiker aus: er täuschte sich nie über die wirkliche Sachlage
und die Maßregeln, die er ergriff, waren stets wirksam. Aber
hiemach allein bemaß er sein Handeln. Gerade Wege zu gehen,
hielt er sich nicht für verpflichtet. Er war ein Meister in der
Kunst zu täuschen, indem er mit Worten spielte, die ihn zu ver-
pflichten schienen, während er sich durch sie nicht band. In
seinen Überzeugungen hat er, so viel wir wissen, nie geschwankt
Es stand ihm unwandelbar fest, daß die Kirche die Herrin der
Welt und daß der Papst zur Leitung der Menschheit berufen sei.
Das war die Summe seines (jlaubens. Aber man kann diese
Überzeugung kaum mehr als kirchlich bezeichnen. Denn bei Inno-
cenz IV. hatte sie den religiösen Gehalt, der ihr einstmals eig-
nete, völlig verloren. Nicht um die sittlichen und religiösen Auf-
gaben der Kirche erfüllen zu können, setzte er alles daran, Herr
in dieser Welt zu werden, sondern der Kampf, den er führte, war
nur Kampf um die Macht. Die Energie, mit der er kämpfte, war
die Kraft des Hasses, der keine Rast findet, bis er den Gegner
vernichtet sieht "^ Innocenz erlebte es, daß die Weltstellung des
Hohenstaufischen Hauses zusammenbrach; er hat sich dessen ge-
freut und hat das Seine getan, um den Folgen, die der Tod des
' Demgemäß bezeichnet Innocenz sein Statut v. 3. Nov. 1253 als iuri
oppositum S. 201,35. Der Satz ist verständlich, da die volle Unumschränkt-
heit der päpstlichen Gewalt das oberste Recht war.
- Cber seinen Tod berichtet in sehr kühlen Worten Alexander IV.
Ep. pont. lll S. 315 Nr. 347; vgl. ferner Nie. de Curb. 43 S. 592, hier die
Ortsangabe; Salimbene, Chron. Parm. S. 231, hier wenige Tage Krankheit;
Herini. Altah. S. 396; Math. Paris. S. 347, nach ihm starb er an Rippen-
iellentzündung.
' Math. Paris, z. 1248 S. 297: Nunquam invenimus aliquorum tarn in-
tensuni odium vel tam inexorabile sicuti inter dorn, papam et Frethericum.
1
— 17 —
Kaisers hatte, Dauer zu verleiheu. Aber auch die bittere Er-
fahrung bheb ihm nicht erspart, daß er sich getäuscht hatte, wenn
er wähnte, mit dem Tode Friedrichs II. sei aus dem hingen
Wettersturm, der über die Kirche hingebraust, ein Hnder Früh-
Hngswind geworden \ Der Untergang der Hohenstaufen leitete
nicht die Zeit ein, da die Päpste in Frieden ihre Herrschaft in
Welt und Kirche übten, sondern mit ihm begann der Niedergang
der päpstlichen Gewalt. Innocenz lY. war nicht ohne Schuld
dai'an. Er erkannte nicht, daß nur der herrscht, der vorwärts
führt: er, der erste Papst ohne Kaiser, wußte den Weg nicht zu
finden, auf dem das Papsttum zu einer fördernden, aufbauenden
Tätigkeit gelangen konnte.
Schon am fünften Tage nach Innocenz' Tod fiel die Entschei-
dung über seine Nachfolge. Aber die rasche Wahl war keine
glatte Wahl. Denn während die drohend anwachsende Macht
Manfi-eds dazu drängte, sofort eine Entscheidung zu treffen, ließen
es die Gegensätze, die die Kardinäle schieden, nicht zu einer Ver-
ständigung kommen. Man fand keinen anderen Ausweg, als daß
man auf die Wahl verzichtete und die Nennung des Papstes dem
Kardinal Oktavian von S. Maria in Via lata übertrug. Er nomi-
nierte den Kardinalbischof Rainald von Ostia. Auf diese Weise
wurde Alexander IV. Papst".
Er war seinem Vorgänger in keinem Zuge ähnlich. War
jener schroff und durchfahrend, so er voll Güte und Freundlich-
keit '. Wie sein Oheim Gregor IX., stand er dem Minoritenorden
nahe. Das Protektorat des Ordens, das er als Kardinal geführt
' Ep. pont. III S. 24 Nr. 82 v. 25. Jan. 12.51 an Klerus und Volk von
SiziHen.
- Bourel de la Ronciere, Loye u. Coulon, Les Registres d'Alex. IV.
Paris 1902, 1. Bd. Posse, Analecta Viiticana, Innsbruck 1878; Kp. pont. III
b. 314fl'. Salimbene, Chronicon (Monum. bist, ad i)rov. Parm. pertin. III);
H.Otto, Alex. IV. u. der deutsche Thronstreit, MIÖG. XIX S. 75 ff.; F. Tenck-
hoff, Papst Alexander IV. Paderb. 1907 ; über ihn als Kardinal, Maubach,
Die Kard. u. ihre Politik. Bonn 1902 S. 3. über die Wahl Salimbene
S. 232, Nie. de Curbio c. 43 S. 592, Die offizielle MitteiluniL? dos Papstes,
Kp. pont. III 8. 315 Nr, 347, gibt natürlich nur die Tiitsarho. Man v^r).
Maubach S. 56 f.
^ Oktavian nannte ihn bei der Walil den besten Menschen an (bu-
Kurie, Salimbene 8. 232; dieser selbst bezeichnet ihn als benignus, clemens,
piu», iustus et timoratus fiiit et Deo devotus, Herrn. Altah.: Bonus et
mansuetus ac timens dominum. Math. Paris, 8. 348: Vir, iit aiunt, satis
benignuf; er gelbst hielt ihn für einfältig.
Uaack, KircbeDgeicbicbte. V. 2
— 18 —
hatte, hohiolt er auch als Pai)st bei\ Er sah es gerne, daß
Miiiderbnider im päpstlichen Palaste aus- und eingingen; in seiner
ganzen Haltung konnte man den Einfluß der Frommen bemerken.
Alexander lebte wie ein Geistlicher, las regelmäßig die Messe und
hebte es, zu predigen-. Aber diesem Papste mangelte Verständnis
und Interesse für die politischen Dinge'*. Auch fehlte ihm die
Willensknift, die für jeden Herrscher unentbehrlich ist. Er war
wenig geneigt zu kämpfen, um einen einmal gefaßten Entschluß
durchzusetzen. Ein Zeitgenosse machte die bezeichnende Be-
merkung, daß der Träger der üniversalgewalt sich vor einer hef-
tigen Szene fürchtete *. Nicht nur Fnedensliebe. auch das Gefühl
für die Schwäche seiner Begabung mag ihn zaghaft gemacht
hiiben. Er war unsicher, weil es ihm an Menschenkenntnis fehlte.
und gerade deshalb war er zugänglich für unberechtigte Ein-
flüsse '\
Doch der Unterschied der Personen bewirkte keine Ver-
schiedenheit in der Haltung der Kurie gegenüber der großen poli-
tischen Frage. Für König Wilhelm war Alexander IV. eine
ebenso zuverlässige Stütze wie sein Vorgänger. So unbedingt wie
dieser verwarf er den Versuch, ihm durch Aufstellung eines Gegen-
königs Schwierigkeiten zu bereiten '^ Die Erhebung Konradins
zum König betrachtete er für ebenso unmöglich wie Innocenz IV.
die Anerkennung Konrads '. ITber diese Fragen brauchte Alexander
keine Entschlüsse zu fassen, hier war die päpstliche Politik durch
die Vergangenheit gebunden. Der Sprößling aus dem Hause Tnno-
cenz' III. und Gregors IX. mußte auf dem Wege seines Vor-
gängers weiter gehen. Das schließt nicht aus, daß die Ansichten
Alexanders im einzelnen mannigfach von denen Innocenz' IV. ab-
wichen. Der Gegensatz reichte bis in die ersten Jahre Innocenz' IV
zurück. Als dieser nach Lyon entwich, blieb der Kardinal von
' P. 17937. Nach Salimbene hatte ihn Gregor IX. auf Bitten der
Minoriten zum Kardinal gemacht: seine Schwoster war Klarisse, ein Nette
Minorit. Vgl. auch Cron. min. Erf. z. 1255 S. 663.
- Salimbene nennt ihn Deo devotus und bemerkt: Literatus homo
fuit et Studium theologiae diiigens et frequenter et libenter praedicabat et
celebrabat. Math. Par.: Assiduus in orationibus, in abstinentia strenuus.
^ Herrn. Altah.: Non curans de negociis principum et regnorum.
* Ann. 8. Just. Scr. XIX S. 181: Licet haberet plenitudinem potestatis
timore tarnen scandali neutram partem voluit exaudire.
•■* Math. Par.: Sibilis adulancium aeducibilis et pravis avarorum sug-
gestionibus inclinatus.
« Baumg. Formelb. S. 186 Nr. 44 u. 46 v. 28. Aug. 1255.
' Kp. pont. III S. 397 Nr. 440 v. 28. Juli 1256.
i
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Ostia in Italien^. Er machte keine Opposition, im Gegenteil, er
war, wenn sich ihm Gelegenheit bot, im Dienste der päpstlichen
Sache tätig '-. Aber sein Bleiben sprach klar aus, daß er Bedenken
gegen die Wege hatte, die Innocenz einschlug. Kein Wunder,
daß dieser kein Vertrauen zu ihm hatte. Er entzog ihm 1249 in
verletzender Weise die sizilianischen Angelegenheiten, um sie dem
Kardinal Peter von St. Georg zu übertragen. Dabei verbarg er
kaum, daß er bei dem Kardinal Tatkraft, Eifer und Klugheit ver-
mißtet Alexander war rücksichtsvoller; wie er sich als Kardinal
des offenen Widerspruchs enthalten hatte, so vermied er als Papst
jede ausdrückliche Mißbilligung der Maßregeln seines Vorgängers.
Aber wie er in der sizilianischen Frage andere Wege einschlug
als jener, so verhehlte er besonders nicht, daß ihm eine Änderung
der kirchlichen Verwaltung notwendig erschien*. Er sprach es
nicht aus, aber er deutete es an, indem er das bisherige Verfahren
als durch die üble Lage der Kirche erzwungen entschuldigte^.
Denn in der Entschuldigung liegt stets ein Tadel: man entschul-
digt nur, was man verwirft. Die Frage war nur, ob es Alexander
besser gelingen würde, zu ordnungsmäßigen Zuständen zurückzu-
lenken, als es Innocenz gelungen war.
Daß es ihm Ernst war mit der Absicht zu bessern, ist gewiß.
Eine der ersten Angelegenheiten, die er zu entscheiden hatte, war
die Würzburger Wahl. Die Entscheidung war nicht leicht; denn
die Verdienste Heinrichs von Speier um König Wilhelm waren
unleugbar. Aber Alexander blieb fest: er entschied gegen Hein-
rich und für Iring von Hohenberg''. Das war ein Einzelfall. Weit
* Maubach S. 27.
- Ep. pont. II S. 124 Nr. 164 v. Apr. 1246.
* Ep. pont. II S. 491 Nr. 681,8. Verletzend ist besonders der Ge^en-
Hatz: Quod grave tibi nimis tanti onus negotii extitisset, u, cuius diligen-
tiam, prudentiam et industriam sumus iam experti. Denn darin liegt das
im Texte ausgesprochene Urteil.
* Ep. pont. HI S. 383 Nr. 368 v. 30. Jan. 1255, es handelte sich hier
um die Provisionen; S. 341 Nr. 391 v. 5. Apr. 1255, hier um die Exspek-
tanzen; S. 367 Nr. 408 v. 18. Aug. 1255, hier um die Schutzbrieto f:^Qf;^on
kirchliche Strafen.
" S. 383 Nr. :^68; S. 351 Nr. 392; S. 355 Nr. 395; S. 367 Nr. 40S.
" Al*»x. gebot 30. Jan. 1255 dio Zurücknahme des Einspruchs gegen
die Wnrzb. Wahl, S. 333 Nr. 368. Es kam nun zu einem TroaeB an der
Kurie, in dem das Bistum Iring zugesprochen, ffoinrich aber verurteilt wurde,
Wflrzburg, und was er sonst boset/t hatte, zu rilunion, S. r82 Nr. 425 v.
23. Jan. 1256; V. 16226 v. 4. Febr. 1256. Doch wurdo ihm und der Kirch«
von Hpeier eine Entuchädigung Ton je 1000 Mark Silber zugesprochen, S. 388
2*
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wichtiger war, daß Alexander Hand anlegte, um eine durchgreifende
Besserung der Zustände herbeizuführen. Nach einer Beratung im
Kardinalskollegium eiließ er am 5. April 1255 zwei Verfügungen,
die bestimmt waren, den herrschenden Unregelmäßigkeiten ein
Ende zu machen ^. Die eine erklärte alle Erlasse, durch die Inno-
cenz IV. Bistümer, Abteien, Priorate und andere geistliche Stellen
vergeben hatte, ohne daß sie erledigt waren, für nichtig. Die
andere bestimmte, daß von den auf Grund päpstlicher Provisionen
erfolgten Aufnahmen in Stifter nur je vier in Geltung bleil)en
sollten. Das waren so einschneidende Maßregeln, daß durch sie
tausenderlei Interessen verletzt wurden. Wie schwierig ihre Durch-
führung war, läßt sich daran ermessen, daß die lange nicht so
weit gehenden Anordnungen Innocenz" IV. gescheitert waren. Um
so mehr ist anzuerkennen, daß sie jetzt nicht nur Absichten blieben.
In Deutschland trat das Wahlrecht der Domkapitel wieder in Gel-
tung. Es wurde in dieser Zeit ziemlich die Hälfte aller deutschen
Bistümer neu besetzt-, und nur in drei Fällen erfolgte die Be-
setzung durch päpstliche Verfügung. Sie aber waren Ausnahme-
fälle. In Verdun ernaimte Alexander den Kämmerer des Kardi-
nals Johann von St. Nikolaus, Namens Robert, zum Bischof, nach-
dem er dem ungewöhnlich tüchtigen Jakob von Troyes den
Patriarchat von Jerusalem übertragen hatte '. Die Ernennung
Heinrichs von Vinstingen zum Erzbischof von Trier erfolgte, da
das Domkapitel sich über die Wahl nicht zn verständigen ver-
mochte'*. Für Regensburg endhch ernannte Alexander den ersten
Theologen Deutschlands, Albert d. Gr. Nur ein Mann, dessen
Autorität so unanfechtbar war, wie die seine, schien imstande, die
unleidlichen Verhältnisse in diesem Bistum zu entwirren '.
Nr. 430 V. 17. März 1256. Sie verhel, da Heinrich sich nicht fügte, S. 417
Nr. 453 V. 31. März 1257.
' Ep. pont. III S. 851 Nr. 391 u. 392: vgl. Reg. d'Alex. I S. 90
Nr. 824 V. 11., S. 100 Nr. 834 v. 12. April, S. 144 Nr. 493 v. 18. Mai. Die
Schwierigkeiten bei der Ausführung zeigt S. 300 Nr. 1004 v. 13. Aug. 1255.
-' Durch Wahl wurden besetzt 1256 Salzburg, 1257 Bamberg, Worms
u. Hildesheim. 1258 Hamburg, Freising und Prag, 1259 Eichstätt, Lübeck.
Münster u. Trier. 1260 Magdeburg, Mainz, Metz, Straßburg, Hildesheim,
r2*)l Münster. Bei Katzeburg 1257, Meissen 1258, Osnabrück 1259 ist die
Weise der Besetzung unbekannt. Die Belege in den Bischofslisten.
' Reg. d'Alex. I S. 253 Nr. 842.
* Der erste Wahlgang vorlief erfolglos; im zweiten kam es zu einer
Doppolwahl, (lesta Heinr. ae. Trev. 1 Scr. 24 S. 414 f. Die Ernennung
Heinrichs war wenig glücklich, s. u.
'' Albert J. war infolge seiner Haltung den Hohenstaufen gegenüber
— 21 —
Wie in den Bistümern, so wurde auch in Klöstern und Stif-
tern wieder gewählt^.
Daß sich die Ausführung der päpstUchen Erlasse hinsichtUch
der niederen Stellen nicht nachweisen läßt, liegt in der Natur
der Sache. Denn das Kleine entzieht sich der historischen Kenntnis.
Sicher ist freilich auch, daß sich die Schwierigkeiten bei der Be-
freiung dieser Stellen von dem Andrang der. päpstlichen Günstlinge
häuften. Denn hierbei handelte es sich nicht mehr um einzelne,
sondern um hunderte; besonders wuchs auch die Zahl derjenigen,
die imstande und die bereit waren, die Durchführung der päpst-
lichen Absichten zu hintertreiben. Doch fehlt es nicht an Spuren,
die zu der Annahme berechtigen, daß mindestens ein Ansatz zur
Ausführung derselben gemacht wurde"-.
Einfacher lagen die Verhältnisse, wenn es galt Rechtswidrig-
keiten, die bisher geduldet worden waren, abzustellen. Die aus
pohtischen Gründen ernannten Prälaten und Pfarrer waren sehr
wenig geneigt, sich den Pflichten und den Beschränkungen zu
fügen, denen sie sich mit der Weihe unterwarfen. Sie verschoben
deshalb ihren Empfang möglichst lange. Als Innocenz IV. starb,
war Heinrich von Leiningen seit elf Jahren Bischof von Speier,
Heinrich von Geldern seit neun Jahren Bischof von Lüttich, Philipp
von Ortenburg seit sieben Jahren Erzbischof von Salzburg, Bruno
in seinem Bistum unmöglich. Das DK. bezichtete ihn der schlimmsten
Verbrechen; besonders hielt man ihn für mitschuldig an dem Mordanschlag
auf König Konrad an Weihnachten 1250, s. d. Urk. Konrads M. B. XXX
S. 811 Nr. 2S8 u. vgl. Herrn. Altah. z. 1250 S. 395, Chron. Rätisp. Scr. XXIV
S. 286. Der zu seinem Nachfolger gewählte Dompropst trat wieder zurück,
Ann. 8. Rudb. z. 1259 S. 795. Nun erfolgte die Ernennung Alberts d. Gr.
' Beispiele: St. Maria in Ansbach P. 16058, Helmwardshausen Reg.
d'Alex. 1 S. 23 Nr. 90, Korvey S 252 Nr. 838.
• Reg. d'Alex. I S. 377 Nr. 1251 v. 26. Febr. 1256; S. 422 Nr. 1879
V. 3. Juni 12.56; P. 17215 v. 18. März 1258. Verstöße gegen den Erlaß
Ep. pont. III S. 441 Nr. 475 v. 21. Febr. 1258; 8. 466 Nr. 505 v. 2. Febr.
1260, P 17787 V. 9. Febr. 1260. Am auffälligsten ist Ep. pont. III S. 452
Nr. 489 V, 25. .lan. 1259. Denn danach hatte Alex., wie er durch eine
Klage de« DK. in Beaant^on erst erfuhr, mehr als 25 Kleriker, deren Kx-
spektanzen durch den Aj)rilerlaB hinfällig geworden waren, in ihr Recht
wiederherjjestellt. Der Vor^an^ ist nur durch die mangelhafte Registrie-
rung der päpstlichen Bullen verständlich; man wußte an der Kurie nicht,
WBH man verfügt hatte, ». S. 267 Nr. 299: Licet non recolamus nos prae-
dictaH litteraH conceHHiHse. Er zeif^t aber zu^leifjh, wie unjjehouer i^roß die
Aufj^abe war, die Dinj?e zu be.s«ern. Es erklärt sich darau.s, daß Alex, eine
Menge Privilegien erließ, die gegen Provinionen Hchirmten, P. 15681, 15686,
15842, 15911a, 15931, 16097, 16168, 16832, 17221, 18043 u. a.
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von Isenburg seit vier Jahren Bischof von Osnabrück. Aber keiner
dieser Herren uar geweilit. Alexander erheß an demselben Tag,
an dem er die Provisionen und Exspektanzen seines Vorgängers
aufhob, die Verfügung, daß alle Gewählten binnen eines halben
.Jahres sich Aveihen lassen sollten; er bedrohte alle, die weiter
zögerten, mit dem Verluste der Spirituahen und Temporalien \
Auch diese Anordnung wurde ausgeführt. Bruno von Osnabrück
ließ sich alsbald die Konsekration erteilen-; daß Erzbischof Philipp
es unterließ, war einer der Gründe für seine Suspension und seine
Absetzung''. Erlaugte Heinrich von Speier mit Rücksicht auf seine
Stellung als Kanzler König Wilhelms Dispens*, und wurde Hein-
rich von Lüttich, einem Vetter des Königs, die Frist wiederholt
verlängert*, so ist klar, daß in diesen Fällen poUtische Rücksichten
dem Papste die Hand banden. Wie die Bischöfe, so mußten auch
die Kleriker, ungeachtet etwaiger Dispensationen, sich entschließen,
sich die Priesterweihe erteilen zu lassen*.
Es gehört in die Reihe dieser Maßregeln, daß Alexander
dai'auf bestand, daß die Prälaten der Verpflichtung, regelmäßig die
Kurie zu besuchen, genügten'. Denn, \venn auch die Rücksicht
auf den finanziellen Ertrag dieser Reisen für die Kurie bei seinem
Erlaß mitgewirkt ha))en mag, so ist doch unverkennbar, daß der
Besuch der Schwellen der Apostel eine gewisse Gewälir dafür bot,
daß die Bischöfe ihre geistlichen Pflichten erfüllten: er diente der
Kontrolle.
Auch die Hindernisse, durch die unter Innocenz die freie Ver-
waltung des bischöflichen Amts gehemmt worden war, sollten
fallen. Schon im April 1255 sprach Alexander in einem Einzel-
fall aus, daß die Bischöfe ihre Jurisdiktion auszuüben hätten, ohne
sich durch die Privilegien hindern zu lassen, die gegen kirchliche
Zensuren schirmten. Er bekannte sich dabei zu dem Gnnidsatz,
daß die Gewalt des ordenthchen kirchlichen Oberen durch päpst-
* Nicht registriert. Bull. Roman. III 8. 600 v. 5. April 12oö. Auch
dieser Erlaß erging nach Beratung im Kardinalskollegium.
'^ Osnabr. ÜB. III S. 102 Nr. 138 v. 23. Juni 1255 ist er noch Elekt,
S. 105 Nr. 142 v. 9. Dez. 1255 ist er episcopus. In der Zwischenzeit fand
also die Weihe statt.
* Kp. pont. III S. 199 Anm. 1; S. 428 Nr. 464.
* a. a. 0. S. 375 Nr. 418 v. S. Dez. 1255.
^ Reg. d'Alex. I S. 314 Nr. 1040 v. 8. .hin. 1256; Ep. pont. S. 420
Nr. 4;)6 v. 1. Juni 1257.
* Reg. d'Alex. I S. 55 Nr. 198 v. 23. Febr. 1255, vgl. S. 22 Nr. 85.
■ Bull. Rom. III S. 652 Nr. 41 v. 3. Aug. 1257; auch hier wird be-
merkt, daß der Erlaß ,de fratrum nostrorum consilio* erging. Math. Par.
— 23 —
liehe Privilegien nicht erschüttert werden dürfe ^. Demgemäß hob
er einige Monate später alle von Innocenz IV. oder von ihm selbst
erteilten Schutzbriefe auf, durch welche gewissen Personen Schutz
gegen Suspension, Bann und Interdikt gewährt war. Ausnahmen
ließ er nui' bezüglich der Könige und Fürsten zu "-. Mit der Rück-
sicht auf die Schonung der ordentlichen Kirchengewalt wird es ferner
zusammenhängen, daß der Papst die Aufstellung sogenannter Kon-
servatoren beschränkte. Unter Innocenz IV. war es üblich geworden,
daß zum Besten von Korporationen oder einzelnen Personen stän-
dige Kommissäre ernannt wurden, vor die etwaige Klagen gegen
die Beschützten zu bringen waren und die die Rechte derselben
zu w^ahren hatten, xllexander, der sehr ungünstig über die Tätig-
keit dieser Schützer urteilte, bestimmte, daß fernerhin die Konser-
vatoren nur dem Kreis der Bischöfe, Abte und Domherren ent-
nommen werden sollten und daß sie in der Regel nicht unter der
Jurisdiktion des Beschützten stehen dürften^.
Diesen Maßregeln zur Wiederherstellung der kirchUchen Ord-
nung fügt sich die deuthch wahrnehmbare Zurückhaltung im Ge-
brauche des Dispensationsrechts an. Die anstößigen Dispensationen
waren unter Alexanders Verwaltung seltener als vorher. Besonders
gestattete er nur in einigen wenigen Fällen, daß ein Kleriker
mehrere Pfründen zugleich besitze ^. Auch die Erlaubnis, die Ein-
künfte erledigter Stellen für irgendwelche andere Zwecke zu ver-
erwähnt den Erlaß S. 374, aber ungenau: Oportet quemlibet electum per-
sonaliter transalpinare . . et Romanorum loculos impregnare.
* Ep. pont. III S. 355 Nr. 395: Non enim videtur verisimile, quod
predeceesores nostri iurisdictionem ordinariorum per indultum huiusmodi
enervari voluerint, nee nos volumus quod indultum ipsum ad eos aliqua-
tenus extentatur.
- Ep. pont. III 8. 367 Nr. 408 v. 18. Aug. 1255, vgl. Reg. d'Alex. I
S. 396 Nr. 1.327 v. 30. März 1256. Die Indulte für den Herzog v. Braun-
ßchweig u. den Rat von Lübeck, P. 165171". u. 16952, werden als durch den
Vorbehalt bez. der Fürsten gedeckt betrachtet worden sein. Ein Verstoß
ist das Privil. für Braunschweig v. 11. Jan. 1256 ÜB. d. St. Br. I S. 194
Nr. 69.
^ Über die Konservatoren s. Lib. Hext. 1 tit. XIV c. 1. Alex. 's Erlaß
im Bull. Rom. III 8. 632 Nr. 27 v. 23. März 1256. Er urteilt: Quia ipsorum
poteatate ac proceBsibus plurima referuntur aequitati et modestiae non
amica, . . ad arcendum pro communi commodo et quiete talium immode-
rantias et exesHsuH etc. Der Erlaß de fratrum nostrorum consilio. Von
der zweiten Beschränkung waren nur die Könige auKgenommen.
* Reg. d'Alex. I ß. 139 Nr. 470 dem Propst von Donauwört, S. 201
Nr. 6«5 dem EB. v. Trier, S. 401 Nr. 1347 f. einem Netten Heinrichs v.
— 24 —
wenden, wurde mir ausnahmsweise erteilt ^ Wenn Alexander end-
lich auch dem Mißbrauch wehrte, den die Legaten mit ihrem An-
spruch auf Prokurationen trieben, so ])aßt auch dieser Zug in das
Bild seiner kirchlichen Verwaltung-.
Man versteht, daß dieser Papst sich an die Notwendigkeit
kirchlicher Reformen erinnerte. Mit seinem Erlaß gegen die Un-
sittlichkeit der Kleriker'^ traf er einen der wundesten Punkte im
kirchlichen Leben seiner Zeit. Ließ er — auch hierbei andere
Wege einschlagend als Innocenz IV. — der Seelsorgetätigkeit der
Bettelmönche alle Förderung zu teil werden*, so wird auch dies
sich nicht nur aus seiner persönhchen Zuneigung zu den Minder-
brüdern erklären. Man wird darin die Absicht erkennen dürfen,
dafür zu sorgen, daß die Kirche ihren religiösen Aufgaben wieder
gerecht werde.
Daß die mancherlei Maßregeln, die wir überblickt haben, in
sich zusammenhängen, unterliegt keinem Zweifel. Schon daß die
wichtigsten zeitlich zusammenfallen und daß sie auf Grund der
Beratungen und der Beschlüsse des Kardinalskollegiums getroft'en
wurden^, genügt zum Beweise. Man möchte fragen, ob diese Re-
aktion gegen die kirchliche Verwaltung Innocenz' IV. der eigenen
Initiative Alexanders entstammte oder ob unter seinem Namen Ge-
danken anderer ausgeführt wurden. Die Uberliefenmg bietet keine
Handhabe, um diese Frage zu entscheiden. Aber wie man sie
auch beantworten mag, klar ist, daß der Pontifikat des letzten
Papstes aus dem Hause der Grafen von Segni dadurch eine Be-
deutung gewinnt, die über die Bedeutung der Person Alexan-
ders hinausgeht, daß der ernsthche Versuch gemacht wurde, der in
Straßburg. Eigentümlich ist, daß an nichtdeiitschc Kleriker die Eilaubni>
sehr bereitwillig erteilt wurde, im ersten Jahre nahezu in hundert Fällen.
1 Ep. pont. III S. 233 Nr. 266 an Konstanz, S. 384 Nr. 427 u. S. 444
Nr. 480 an Hildesheim, Reg. d'Alex. I S. 49 Nr. 186 an Verdun, S. 333
Nr. 1111 an Lüttich, S. 431 Nr. 1416 an Straßburg, Görz MRh. Keg. ITl
S. 365 Nr. 163:) an Trier.
•^ Reg. d'Alex. I S. 395 Nr. 1323 v. 29. Apr. 1256; ebenso mit Bezug
auf die Bischöfe Ep. pont. III S. 231 Nr. 264 v. 2S. Febr. 1254.
•' Ausfertigung für Salzburg v. 13. Febr. 1259 bei Herm. Altah. z.
1260 S. 40Ü.
• Alexander hol» schon am 22. Dez. 1254 den am 21. Nov. ergangenen
Erlaß Innocenz' IV. auf, der die seelsorgerlicho Tätigkeit der Mönche be-
schränkte, P. 15 562 u. 15602; vgl. 16635 v. 28. Dez. 1256 u. 17 569 v.
13. Mai 1259, hier wird den Minoriten Predigt und Beichte gestattet, ohne
daß sie die Zustimmung des Pfarrers erholen mußten.
»* Ep. pont. III S. 350,7, 351,33.
— :^ö —
der kirchlichen Verwaltung eingerissenen Willkür zu steuern. Nur
dieS; nicht die Bildung neuen Rechtes erstrebte Alexander. Denn
daran, daß jeder Papst zu den Maßregeln berechtigt sei, deren
Folgen er beklagte \ zweifelte er so wenig wie sein Vorgänger.
In einer maßvolleren Anwendung, nicht in einer Änderung der
päpstlichen Rechte, suchte er Abhilfe. Aber auch dies war von
Wert. Wären seine Xachfolger auf der von ihm eingeschlagenen
Bahn fortgeschritten, so hätten die Mißbräuche in der Kirche
schwerhch die Höhe erreicht, die alsbald die abendländische Welt
in der Forderung kirchlicher Reformen einigte und die den Reform-
forderungen die Richtung gegen das Papsttum gab.
Fehlte es der kirchlichen Haltung Alexanders IV. weder an
Einsicht, noch an gutem Willen, so bewies er sich dagegen auf
dem politischen Gebiete als ebensowenig schlagfertig wie glücklich»
Die schwierigen unteritalienischen Verhältnisse verwirrten sich
während der Jahre seiner Regierung in steigendem Maße; im
mittleren Italien gewann die Macht Manfreds eine für das Papst-
tum höchst bedrohliche Ausdehnung, in Deutschland aber ließ es
die geringe Tatkraft Alexanders zu der Doppelwahl von 1257
kommen, die für Deutschland ein Unglück und für die päpstHchen
Interessen eine Gefahr war'-.
Als König Wilhelm am Strande des Zuidersee einen vor-
zeitigen Tod fand, erwartete in Europa jedermann, daß die Neuwahl
unter dem entscheidenden Einfluß der Kurie vollzogen werden
würde. Sie hatte nicht das Recht, die Wähler zu beeinflussen;
aber sie hatte die Macht dazu. Schon im März^ 1256 wandte
sich Heinrich III. von England an Alexander. Er dachte nicht
anders, als daß der Papst einen eigenen Legaten zur Wahl nach
Deutschland senden würde und er suchte die Abordnung eines
der englischen Politik geneigten Prälateji zu erreichen"'. Etwas
später fand sich der Bischof Martin von Leon am i)äpstlichen
Hofe ein, um im Interesse des Königs Alfons von Castilien zu
wirken*. Auch der spanische Kernig war der Meinung, daß das
' Vgl. z. ß. P. 1.5842 V. 8. Mai 125.5: Ut nullus . . vos compellere
pOMftit ad provi.Hionem clericorum . . Hpeciali mandato domini papae dun-
taxat excepto.
' A. BuBHon, über die Doppelwabl des .Jahrs 1257, Münster 1^66;
H. Otto, Alexander IV. u. der deutsche Thronstreit, möd. XIX, 1898 S. 7:)H.
=» Th. Rymer, Foedera etc. 1,2 S. 11.
* Kr war 1. Juli 1256 pro suis et . . regis Castellae ne^otÜH proiiio-
vendiH in Anaj^ni, Kp. pont. Hl S. IS94 Nr. 4S6, und weilte bin gepreu Knde
de« .lahrPR an der Kurie, vgl. Anm. .S zu S. 394,
— 26 —
entschcideiule Wort in Rom ges})rochen werden würde. Alexander
war demnach von Anfang an über die Absichten der europäischen
Mächte und über die sich bildenden Gegensätze unterrichtet: der
Knoten wurde vor seinen Augen geschürzt. Aber er zögerte, eine
klare Stellung zu nehmen. Das erste, was er tat, war, daß er am
28. Juli die drei rheinischen Erzbischöfe verpflichtete, für die Wahl
eines der Kirche ergebenen Mannes Sorge zu tragen und daß er
zugleich die Wahl Konradins für ausgeschlossen erklärtet Der
Erlaß war zwecklos; denn damals handelte es sich in Deutschland
nur noch um die Frage, ob Alfons von Castilien oder Richard
von Corn Wallis gewählt werden würde. Das Zaudern des Papstes
hatte dahin geführt, daß jeder der l)eiden Prätendenten seinen An-
hang unter den deutschen Wählern hatte. Nun erreichte zwar
Martin einen Erfolg: einige Monate nach der ersten Erklärung
richtete Alexander ein zweites Schreiben an die deutschen Wähler,
in dem er ihnen riet, Alfons ihre Stimmen zu geben -. Allein dieser
' Ep. pont. III S. 398 Nr. 440.
- Dieses Schreiben ist nicht erhalten. Wir wissen von seiner Existenz
aus einem durch Redlich in den MIÖG. XVI 1895 S. 661 veröffentlichten
Brief Eberhards v. Konstanz an den Dompropst Heinrich v. Basel v. 23. Aug.
1257. Hier berichtet Eberhard von der Audienz der deutschen (lesandten
bei Alfons und bemerkt: literis etiam domini papae lectis ibidem, quibus
monendo persuasit electoribus hunc regem in Romanorum regem prae ceteris
eligendum. Die Notiz bestätigt den Bericht der Ann. ^. Rudb. z. 1257
S. 794, wonach Alfons de consilio domini papae ac aliorum principum gewühlt
wurde; vgl. auch die spanische Denkschrift v. 1267,0.1. II S. 502 Nr. 397,26.
Otto S. 76 nimmt an, daß der verlorene Bf. im .Tuli 1256, also gleichzeitig
mit dem Schreiben an die Erzbischöfe, verfaßt wurde. Ihm fol^t Tenckhoff
S. 152. Doch zweifele ich, ob dieser Ansatz richtig ist. Denn wenn Alex,
am 28. Juli bereits für Alfons entschieden war, so läßt sich nicht absehen,
weshalb er Alfons nicht nannte, sondern nur die Wahl eines Mannes for-
derte, der lide clarus et devotione sincerus sei, S. 399,40. Diese allgemeine
Anweisung und die Nennung einer bestimmten Person verhalten sich wie
der erste und der zweite Schritt. Wann aber erfolgte der zweite Schritt?
Sicher ist 1., daß die päpstliche Empfehlung am 25. März, bezw. 1. April
1257 in Deutschland bekannt war, 2. daß sie zu einer Zeit erfolgte, in der
mehr als zwei Kandidaten einander p;egenüber standen; der Papst rät prae
ceteris Alfons zu wählen. Ein dritter Bewerber war aber erst seit dem 5. Aug.
1256, der Proklamierung des MG. Otto von Brandenburg als Thronkandi-
daten, vorhanden. Vorher kann also der päpstliche Rat nicht ausgesprochen
worden sein. Zieht man weiter in Betracht, daß die Wahl eines tüchtigen
deutschen Fürsten eine für die Kurie unerwünschte Lösung war, so ergibt
sich die Vermutung, daß die Aufstellung Ottos das Motiv für Alexander
war, aus seiner bloß zuwartenden Haltung herauszutreten. Daß er die
— 27 —
Rat kam zu spät und verhallte deshalb uugehört^. Die Parteien
hielten an ihren Kandidaten fest: so wurde denn am 13. Januar
1257 Richard und am 1. April Allbns zum römischen König
gewählt ■-.
Daß Alexander die Dinge gehen ließ, ohne seinen Einfluß in
die Wagschale zu werfen, brachte ihn in die üble Notwendigkeit,
zwischen zwei Fürsten entscheiden zu müssen, von denen er keinen
verletzen dm'fte. Sowohl Richard wie Alfons zeigte ihm seine
Wahl an; beide baten um die päpstliche Bestätigung und um die
Kaiserkrönung ^.
Alexander konnte der Entscheidung^ vor die er gestellt war,
nicht ausweichen. Er hätte dadurch alte päpstliche Ansprüche
preisgegeben.
Seitdem Gregor VII. das Recht in Anspruch genommen hatte,
die deutschen Königswahlen zu bestätigen, waren fast zweihundert
Jalii'e verflossen. Es fehlte viel, daß in dieser Zeit sein Anspruch
in Deutschland anerkanntes Recht geworden wäre. Zwar hatte
König Wilhelm seine Wahl bestätigen lassen; er hatte als die
Handlungen, auf denen der Besitz der Königsgewalt beruhe, Wahl,
Bestätigung und Krönung aufgezählt '^. Aber noch Heinrich Raspes
Wahl des spanischen Königs empfahl, wird sich daraus erklären, daß im
Spätjahr 1256 sein Verhältnis zu Heinrich von England besonders schwierig
war, B. F. 9086 f. Wenn der spanische Gesandte im Dez. die Kurie ver-
ließ, 80 ist damit ausgesprochen, daß er jetzt erst seine Aufgabe als gelöst
betrachtete. Der Brief ist also später anzusetzen, als Otto tut; er gehört
in den Spätherbst 1256.
^ Kr war offenbar — im Gegensatz zu dem Verbot der Wahl Konra-
dins — ohne jede Sti-afandrohung ausgesprochen.
- J. Loserth, Gesch. des späteren MA., München 1903 S. 127 tf.;
A. Busson, Die Doppelwahl v. 1257 u. das röm. Königtum Alfons X.,
Münbter 1866. H. Koch, Richard von Cornwall, Strßb. 1887.
^ C.I. II S. 518 u. 519, vgl. Winkelmann, Acta S. 585 Nr. 741, ano-
nymes Schreiben, das wohl dem Patriarchen v. Aquileja angehört. Die Bitte
um Bestätigung, die Engelraann verneint, Anspr. d. P. S. 58, u.Otto bezweifelt,
8. 78 Anm. 3, scheint mir auf Grund des Satzes: Utrimque duntaxat a
nobis gratiKcans favoris approbatio postulatur S. 518,4, sicher. Daß die
Gewählten eine richterliche Entscheidung der Kurie ablohnten, S. 518,2 u.
524,80, ist kein Widersprucii gogen das päpstliche BeHtätigungsrecht. Darin
liegt nur, daß jeder auf der Rechtmäßigkeit seiner Wahl bestand. Sie
lehnten ein Urteil ab, \>er <|uod electionis merita quoad factum eligentium
pandereotur.
* Vgl. die Verfügung Wilhelms 1252: Postquaui uoh clecti fuimuH a
principibuM in Rom. regem, per Kummum pontiücem contirmati, et conso-
crati ac coronati etc. C.I. II S. 466 Nr. 859.
— 2S —
Wahl war formell nicht bestätigt worden, und in dem Ausschreiben,
durch welches der Erzbischof von Köln und der Pfalzgraf Ludwig
den Bewohnern des Reichs die AVahl Richards verkündeten, war
von der Bestätigung derselben nicht die Rede; der Gewählte ist
K(inig, ihm gebührt die Regierung des Imi)eriums. die Glieder des
Reichs sind ihm zum Gehorsam verbunden^: die Wahl macht den
König. Das war Recht in Deutschland. Aber an der Kurie galt
der Anspruch Gregors als unantastbares Recht des Papstes-.
Alexander selbst hatte sich in der Zeit König Wilhelms mehrfach
in diesem Sinne geäußert". Unmöglich konnte er auf die Be-
stätigung verzichten. Aber Bestätigung hieß in diesem Fall Ent-
scheidung zwischen zwei Bewerbern.
Damit kam ein zweiter päpstlicher Ansju'uch in Frage. Denn
auch die Entscheidung bei Do])pelwahlen galt in Rom als päpst-
liches Recht. Sie war von Innocenz III. für den Papst in An-
spruch genommen worden. Nach seiner Anschauung hatte der
Pa})st sein Urteil frei, ohne Rücksicht auf Mehrheit oder Minder-
heit der Wahlstimmen, nur auf Grund der höheren Würdigkeit der
Person zu fällen^. So wenig dieser zweite Anspruch in Deutsch-
land anerkannt war'', so konnte doch kein Nachfolger Innocenz' III.
ihn fallen lassen. Alexaiuler mußte die Doppelwahl entscheiden.
Aber für wen sollte er sich entscheiden? Darin lag die
Schwierigkeit. Auf die Frage, welcher der beiden Bewerber der
Kurie genehmer war, läßt sich eine runde Antwort nicht geben.
Der Forderung, daß nur ein der Kirche ergebener Mann die Ki'one
erhalte, genügten beide. Aber Bedenken waren gegen beide vor-
handen. Um Konradin auszuschheßen. hatte der Papst den schwä-
1 CT. II S. 484 Nr. 385.
2 KL. Hugo, ÜB. d. St. Lübeck I S. 168 Nr. 182: Summus pontifex,
ad quem pertinet ipsius electionie confirmatio; Wilhelm v. Eyk, Baumg.
FB. S. 154 Nr. 26: Papa, ad quem eiusdem electioni.^ pertinet contirmacio.
Nach confirmacio ist, wie der Brief Hu^os beweist, das Wort contirmato
ausgefallen; so mit Recht Engelraann, Anspr. der Päpste S. 51 Anm. 8.
■^ Baumg. FB. S. 190 Nr. 46 v. 28. Aug. 1255 : Quem apostolicus favor
assumpsit imperiali culmine sublimandum: auch ecclesiasticae probationis
iudicium. Ebenso nach Wilhelms Tod, Ep. pont. ITI S. H90 Nr. 431 v.
28. März 12Ö6.
^ Registr. de neg. imp. 33 S. 1040; 92 S. 1098 u. ö.
^' Wenn die staufischen Städte ihre Anerkennung Richards von der
des Papstes abhängig machten, B. F. 5818 Frankfurt, 5320 Friedberg, 6322
Wetzlar, 5327 a Op))enheim, wahrscheinlich auch (Telnhausen 5324, so lag
darin nicht die Anerkennung des päpstlichen Entscheidungsrechts. Die
Städte wünschten nur weiteren Verwickelungen aus dem Wege zu gehen.
— 29 —
bischen Herren vor wenig Jahren den spanischen König als einen
HohenstaufensprößHng zum Herzog empfohlen^. Aber wenn es
sich um das Reich handelte, so sprach die Abkunft vom Hohen-
staufenhause mehr gegen ilin, als daß sie ihn empfohlen hätte.
Denn sie bot eine Handhabe für Ansprüche auf Sizilien. Daß
eine mittelitalienische Stadt 1256 Alfons zum Kaiser gewählt
hatte", mußte diese Bedenken vermehren. Sollte Alexander einen
Mann als König anerkeimen, der möglicherweise einmal das ganze
hohenstaufische Erbe im Süden und im Norden für sich forderte?
Das hieß doch den Fehler wiederholen, den Innocenz III. mit der
Erhebung Friedrichs II. begangen hatte. Wer sich zum Herzog
von Schwaben eignete, der war für die Kurie noch lange nicht
geeignet zum König. Auf der anderen Seite hatte die Verbindung,
die die Kmie mit Heinrich von England angeknüpft hatte, um
durch die Erhebung eines engUschen Prinzen die sizilianische Frage
zu lösen, den erwünschten Erfolg nicht gehabt, i^ber die Hoffnung,
auf diesem Weg zum Ziele zu kommen, hatten Alexander und
seine Ratgeber noch nicht aufgegeben. Sollten sie sie zerstören,
indem sie die Wahl Richards zurückwiesen? Daß Frankreich die
Kandidatur des spanischen Königs begünstigte, verstärkte nur die
Schwierigkeit der Lage. Denn die Kurie suchte den Frieden
zwischen beiden Mächten zu vermitteln. Wie konnte sie es, wenn
sie entweder den englischen oder den französischen Kandidaten
seiner Hoffnungen beraubte?
Wie die Dinge lagen, war keiner der beiden Bewerber um
den deutschen Thron für die Kurie unmöglich, abgr auch keiner
für sie erwünscht. Die Folge dieser Sachlage ist die Haltung
Alexanders. Er wagte nicht glatt zu entscheiden; deshalb suchte
er den Schwierigkeiten, die er durch sein Zusehen geschaffen hatte,
^ Alfons trat mit dem Anspruch auf Schwaben nach Friedrichs II.
Absetzung hervor. Insoweit er das Herzogtum betraf, war er unbegründet.
Innocenz IV. erkannte ihn nicht direkt an, aber äußerte sich entgegen-
kommend, 8. Ep. pont. II S. 186 Nr. 180 v. 3. Mai 1246. Dagegen förderte
Alexander »eine Absichten geradezu, Ep. pont. III S. 336 Nr. 372 v. 4. Febr.
1255, obgleich er zu derselben Zeit Konradin als Herzog von Schwaben
l>ezeichnete und seiner Mutter zusagte, er werde seine Rechte schützen,
Mon. Wittelsb. I S. 134 Nr. .57 v. 23. .lan. 1255.
- Die Pisaner erklärten ihn am 18, März 1256 zum König und Kaiser
B. F. 5484 ff. E» scheint mir einleuchtend, daß das Vorgehen der Stadt,
dem Hpät«r Marseille nachfolgte, H. F. 5488, an der Kurie Bedenken erregen
mußte, gerade weil der l'apst Schritte getan hatte, ihm dan Herzogtum
Schwaben zu verschaffen. Denn einen mächtigen König wollte man ge-
wiß niebt.
— 80 —
sich zu entwinden, indem er die Entscheidung, die er fällen
mußte, hinausschob und das Entgegengesetzte, wenn nicht bilHgte,
so doch ertrug. Als die Gefahr drohte, daß ein deutscher Fürst
die Krone erhielt, hatte er die Wahl des spanischen Königs an-
geraten. Aber nachdem diese Möglichkeit geschwunden war,
machte er denjenigen Fürsten, die den englischen Prinzen wählten,
keinen Vorwurf daraus, daß sie seinen Rat nicht befolgten. Mit
dem gegen seinen Rat Gewählten unterhandelte er. aber ihn an-
zuerkennen, konnte er sich nicht entschließen. Wie hätte sich dies
nach der Empfehlung der Wahl seines Gegners auch rechtfertigen
lassen? Aber ebensowenig wies er ihn zurück^. Er verzichtete
nicht darauf, daß er als Papst berechtigt sei, die Entscheidung
über die Doppel wähl zu fällen -. Aber er tat nichts, um die beiden
Gewählten zur Anerkenimng seines Gerichts zu bewegen '". Das
war nicht Neutralität, sondern es war die Vertagung einer unum-
gänglichen Entscheidung. Noch eineinhalb Jahre nach der AV.ihl
* Verhandlungen zwischen Richard und der Kurie fanden schon vor
der Wahl (13. Jan. 1257) statt. Bereits der am 9. Nov. 1256 als Legat be-
glaubigte EB. V. Messina B. F. 9086, hatte eine Botschaft für Richard.
Das erwähnt König Heinrich in einem nach der Wahl geschriebenen Brief,
Shirley, Royal . . Letters II S. 126 Nr. 516 an den Kard. Oktavian. In
demselben teilt der König zugleich mit, daß sowohl er wie Richard <ie-
sandte an den Papst abordnen würden, qui ad illa quae per Messanensem
archiepiscopum d. papa nobis mandavit, respondebunt. Für Heinrich han-
delte es sich um das negotium Apuliae, von Richards Königswahl spricht
er nicht. Aber eine Gesandtschaft Richards mußte sie berühren. Indes,
wenn sie die Anerkennung der Wahl forderte, so hatte sie keinen Erfolg.
Denn noch im Juni 1257 war Richard füi den Papst nur come« Cornubiae,
Ep. pont. III S. 421 Nr. 458. Aber gerade dieses Schreiben zeigt, daß
Richard nicht zurückgestoßen werden sollte: es ist ein Gunst beweis. Die
Verhandlungen gingen also weiter. Ende 1257 oder Anfang 1258 befand
sich eine Gesandtschaft Richards am päpstlichen Hof in Viterbo. Die an-
genommene Zeit dieser Gesandtschaft ergibt sich daraus, daß sie zugleich
mit der ersten spanischen Gesandtschaft in Viterbo weilte. Spanische
Denkschrift 34 S. 508. Diese aber kann nicht vor dem Spätjahr 1257 dort
oingetroffon sein; denn Alfons erklärte die Annahme der Wahl erst am
22. Aug. 1257, MIÖG. XVI S. 661.
- Vgl. S. 28 Anm.8 u. in dem Schreiben an Richard 8.519,27: Neque
videretur filiis indecorum, si etiam carnalis nedum spiritualis mater . . in
medias . . partes prosiliens . . per auctoritatem fieret inter eos imperiosa
placidae pacis auctrix. Das ist die Wahrung des päpstlichen Recht-s, den
Streit durch einen autoritativen Spruch zu entscheiden.
■^ Er sagt mit Bezug auf die von Alfons geforderte Kaiserkrönung:
Tutum medium eligentes responsum ad petita suspendimus S. 519.37.
— 31 —
Richards, im Sommer 1258; befand sich die Angelegenheit ganz iii
der Schwebe \
Die tatsächHchen Verhältnisse in Deutschland entwickelten
sich währenddessen ohne jede Einwirkung von Seiten der Kurie.
Daß hier Richards Anhang sich stetig vermehrte, während der
seines Gegners sich auflöste, daß Frankreich seit dem Friedens-
schluß mit England, 8. Juni 1258, das Interesse für Alfons' Er-
hebung verlor, und daß dieser, um in Italien einen Halt zu ge-
winnen, die dortigen Ghibellinen an sich zu ziehen begann-, dies
alles blieb nicht ohne Einwirkung auf die Stimmung des päpst-
lichen Hofes. Unter den Kardinälen hatte Richard ohnehin sichere
Anhänger; seine Wage begann zu sinken. Da nun auch die Er-
klärungen seiner Gesandten befriedigend erschienen'^, gewann es
den Anschein, als werde der Papst seine bisherige Zurückhaltung
aufgeben. In den Schreiben, durch die er im Frühjahr 1259 den
Minoriten Walter de Rogate als päpstlichen Nuntius beglaubigte,
gab er zum ersten Male Richard den Titel des erwählten und ge-
krönten Königs; er sprach von seiner bevorstehenden Erhebung
zum Kaiser und forderte zu seiner Unterstützung auf*. Dem
König gegenüber äußerte er sich so entgegenkommend, daß dieser
in seinen Worten das Versprechen der Kaiserkrönung finden
* S. die anonymen Briefe in den Annal. Burton. Scr. XVII S. 481 f.
Ich glaube nicht, daß das Stück Ricardus-favorem an Alexander gerichtet
ist, eher an ein Richard günstig gesinntes Mitglied der Kurie. Sodann
den Brief Alfons' an Siena v. 21. Okt. 1258, Winkelmann,, Acta 1 S. 464
Nr. 579, u. den Brief Johanns von Lübeck an den Rat der Stadt, ÜB. d.
St. Lübeck I S. 233 Nr. 254. Der Brief ist vor d. 24. Juli 1258, dem Ab-
schluß der Verständigung mit Worms geschrieben. Die beiden letzten
Briefe widersprechen einander direkt, charakterisieren aber gerade dadurch
die Haltung .\lexanders vortrefflich. Denn, wenn der Gegner Richards aus
ihr folgern konnte, die Bemühungen der englischen Gesandten um die
Gunst des Papstes seien vergeblich gewesen, und wenn der Anhänger sich
berechtigt glaubte zu erzählen, der Papst begünstige vorwiegend Richard,
so ist klar, daß Alexander ebenso peinlich eine otfene P]nt8cheidung ver-
mied, wie er die Freundlichkeit der Form nach beiden Seiten wahrte.
- Kempf S. 206 fi'., Busson S. 69 ft"., Otto S. 82 f.
' Sie kehrten im Mai 1259 nach England zurück, Baumg. FB. S. 11!*
Nr. 9 V. 30. April. Über Gesandte Heinrichs v. England, die in die.*<er
Zeit an der Kurie waren, b. Otto S. 82 f.
* Ausfertigung für den Grafen v. Burgund v. 14. März 1259 B.F. 91H9;
für den Rat zu Aachen, Quix C. d. Aquens. II S, 126 Nr. 188 v. demselben
Tag; Tgl. Baurag. FB. S. 124 Nr. 11 an den EB. von Köln, wahrscheinlich
V. 30. Apr. 1259.
— 32 —
konntet In der Tat glaubte man diesseits der Alpen, die Ent-
scheidung sei bereits zugunsten Richards getroffen-. Auch die
italienischen Parteigänger des enghschen Prinzen waren der Meinung,
er brauche nur Irisch zuzugreifen, so werde ihm die Frucht seiner
Bemühungen zufallen '. Aber so hatte der stets zaudernde Papst
seine Worte nicht gemeint: war er Richard um einen halben
Schritt entgegengekommen, so sollte dadurch Alfons nicht zurück-
gewiesen werden. In einem neuen päpstlichen Schreiben war nichts
von der Kaiserkrönung zu lesen: das Verlangen danach erschien
jetzt wie ein Unrecht, da durch seine Gewährung der Mitbewerber
verletzt würdet Kein Zweifel: ein endgültiger Beschluß war
' Baumg. FB. S. 119 Nr. 9 v. 30. Apr. 1259, auch in den Ann. Burton.
z. 1259 Scr. XXVll S. 482. Der Papst schreibt: quod circa personam
tuam . . electam dudum utique ad Romanum culmen imperii, ad inunctio-
nem et coronationem etiam iam processum, nostruin ad te totaliter direxi-
mus animum firmo intendentes proposito . . ad tui honoris culmen libenter
a«surgere, tueque promotioni tirmiter . . intendere. Daß diese Satze von
der Kaiserkrönung verstanden wurden, sieht man aus den Flores histor. z.
1259 Scr. XXVIII S. 476.
2 Math. Paris, z. 1259 S. .389; Flores histor., s. o.
' So scheint mir der Brief, Winkelmann, Acta I S. 588 Nr. 744 zu
verstehen. Der Ansatz Ende 1260 oder Anfang 1261 Kempf S. 238 ist,
wie mich dünkt, zu spät. Der Brief wird vor der zweiten Rückkehr
Richards nach England Okt. 1260 geschrieben sein. Über den Verfasser
des Briefes, Johann v. Toledo, s. Grauert, Münch. SB. 1901 S. 111 ff. Er
sieht von einer genaueren Zeitbestimmung ab u. bescheidet sich mit 1259 — 61,
S. 151. Der Satz, den Grauert nicht zu deuten wagt, Est quedam expec-
tatio in pede montis cum asina, ist, wie mich dünkt, eine Anspielung auf
1. Mos. 22,5. Ist dies richtig, dann ist der Sinn wahrscheinlich: die italien.
Förderer Richards sollen jetzt warten, bis er nach England gegangen und
zurückgekehrt ist — illuc properantes revertemur ad vos — , aber in der
Angelegenheit des Königs ist jede Schnelligkeit — auch die schnellste
Reise nach England — Verzögerung. Daraus würde sich dann auch die
Datierung, vor dem Okt. 1260, ergeben. Vgl. auch die Bfe. Gregors v.
Montelongo an Richard u. Alexander, Winkelmann S. 586 Nr. 742 f. u. den
späteren Bf. des Kard. Ottobonus an Richard N.A. XXII S. 359 f.
* C.I. II S. 517 ff. Nr. 402 undatiert, von Winkelmann, B.F. 9140 u.
von Weiland zu Anfang 1258, von Otto zu 1260 gewiesen S. 88. Ein ziem-
lich sicherer Ansatz ergibt sich daraus, daU nach der spanischen Denk-
schrift die Sendung Walters von Rogate zu Richard der Gesandtschaft des
Prinzen Emanuel vorausging (S. 504 Nr. 42), und daß nach einer Bemerkung
im Briefe selbst dieser geschrieben ist, während Emanuel an der Kurie
verweilte, S. 519,32, nunc demum." Walter v. Rogate wurde im März 1259
abgesandt, s. o. S. 'M Anm. 4. Da Emanuel schon über seine Tätigkeit Vor-
stellungen erhob, so kann er frühestens in der 2. Hälfte 1259 nach Italien
— 33 —
immer noch nicht gefaßt ^ Was die Haltung Alexanders Alfons
gegenüber anlangt, so muß er bei ihm ähnliche Hoffnungen er-
weckt haben. In den Eröffnungen, die er ihm im Herbst 1258
durch den Patriarchen von Grado machen ließ, sah Alfons die
Aufforderung, nicht länger zu zögern. Er begann seinen Romzug
ernstlich vorzubereiten-. Im Herbst 1259 forderte er rundweg die
Anberaumung eines Tages für die Krönung '^ Dies Verlangen
brachte zum erstenmal Alexander aus seiner Ruhe: jetzt schien er
genötigt zu werden das zu tun, was er nicht tun wollte und nicht
tun konnte. Mit einer Entschiedenheit, wie man sie an ihm nicht
gewöhnt ist, trat er dem König entgegen. Er ließ ihm sagen,
auch wenn er geschworen hätte, er werde kommen, so solle er
nicht kommen. Das klang wie eine schroffe Abweisung. Aber es
sollte nicht als solche verstanden werden. Alexander gab dem
König die Versicherung, es sei nichts geschehen und es werde nichts
geschehen, was seine Ehre kränken würde*. Wer möchte sagen,
abgegangen sein. Der Brief föllt also Ende 1259 oder Anfang 1260. Daß
Richard als König angeredet ist, paßt zu diesem Ansatz, wäre aber 1258
sehr aufTällig. Die Anmutungen der beiden Bewerber an den Papst werden
mit der Bemerkung abgetan : Utrimque dumtaxat a nobis gratificans fa-
voris approbatio postulatur, licet nulla dissentiat ratio equitatis, quin de
regni iure . . prius inter diseeptantes esset dirimenda contentio, quam
competitionis palma unius voto cum alterius scrupulo referenda, S. 518,4.
' Mitteilung in einem Memorandum Urbans IV. Kp. pont. III S. 541,27
Nr. 558: Cum sint littere placentia quedam, ne dicamus adulatoria, non
diffinitionem aliquam continentes; quod etiam ex eo apparet, quia licet
super hoc per ipsum predecessorem et fratres suos fuerit interdum delibe-
ratio habita, nunquam tarnen fuit aliquid diffinitum. Otto wird der Stelle
nicht gerecht, indem er sagt, Urban habe die Bedeutung des Vorgehens
Alex. 's abzuschwächen gesucht, S. 85. Vielmehr bezeichnet Urban den
Charakter der fraglichen Bfe. richtig und genau, und ist seine Mitteilung,
es sei kein endgiltiger Beschluß gefaßt worden, unanfechtbar. Wie weit
Alexander in freundlichen Briefen gehen konnte, ohne sich binden zu
wollen, lehren seine Briefe über das Herzogtum Schwaben, oben S. 29
Anm. 1. Daß die italienischen Freunde Richards die Entscheidung als noch
nicht gefallen betrachteten, zeigt der S.82 Anm. 3 angeführte Brief: ,,ubi non
est vocatio praeambula". Sie verstanden Alexander ohne Zweifel besser als
die zutraulichen Nordländer.
' Bf. an Siena v. 21. Okt. 1258, Winkolmann, Acta F S. 464 Nr. 579,
an Albert de la Tours v. 16 Juni 1259 B.F. Nr. 5503, an Ezelin, ungefähr
gleichzeitig Nr. 5.504, Spanische Denkschrift C.I. II S. .503 Nr. 397,38.
* Alex, an Richard C.I. II S. 519,30 Nr. 402.
* A. a. 0. S. 508,45: Alexander nuntiis exprosso rospondit, quod no-
lebat eum venire, dinsuadebat ei, deortabatur eum, etiam si venire promis-
H aaek , Kircb«Dgeichicbte. V. 3
— 34 —
wie Aveit Alfoiis diesen Worten traute. Aber er vertagte seinen
Plan. Die Entsclieidung war dem Papste erspart^.
So standen die Dinge, als Alexander starb, 25. Mai 1261.
Dem unpolitischen Papste folgte nach einer Sedisvakanz von drei
Monaten ein politischer, der Franzose Urban IV. '■
Er kannte Deutschland von lange her. Es mag im Jahre
1240 gewesen sein, daß der Schuhmachersohn aus Troyes die
Stelle eines Archidiakons in einem deutschen Bistum, in Lüttich,
erhielt^. Hier machte seine Tüchtigkeit sich bald bemerklich:
er wurde päpstlicher Kapellan. Dann, im Jahre 1247 sandte ihn
Innocenz IV. mit ausgedehnten Vollmachten nach Pommern,
Preußen und Polen ^. Als päpstlicher Nuntius hielt er 1248 eine
Synode in Breslau^. Als nicht lange danach, im Frühjahr 1250,
der Kardinallegat Peter von Albano nach Lüttich kam, diente das
seiner weiteren Förderung. Er wußte die besondere (xunst des
Kardinals zu erwerben. Auf dessen Empfehlung betraute ihn
Innocenz IV. im nächsten Jahr mit einer Sendung an die deutschen
Fürsten, um sie für die Anerkennung Wilhelms zu gewinnen*^.
Es war der Lohn für diese mancherlei Dienste, daß er am 18.
Dezember 1258 durch päpstliche Enienimng das Bistum Verdun
erhielt. Dadurch trat er in den Episkopat des Reichs ein; aber
der deutschen Sprache war er nicht mächtig ^ und dem deutschen
isset, etiam si iurasset. Dazu dann die wieder hinhaltende Erklärung
S. 504 Nr. 41 f.
^ Bei der hier dargelegten Anschauung über die Haltung Alexanders
ist die Annahme eines zweimaligen Gesinnungswechsels (Otto S. 89, Tenck-
hoft' S. 166) überflüssig. Sie scheint mir an sich wenig wahrscheinlich;
denn sie wäre nicht genügend motiviert. Auch als Gönner Richards,
Kempf S. 238, wird man Alexander nicht betrachten kimnen. Seine Hal-
tung war nur durch die Rücksicht auf das päpstliche Interesse bestimmt;
aber er diente ihm schlecht, da es ihm an Mut gebrach.
2 J. Guiraud, Les Registres d'ürbain IV. Paris 1901 u. 1904; MG.
Ep. pont. ms. 474 flf.; Posse S. 15 ff., S. 128 ff. Drei Biographien Urbans
bei Muratori 111,1 S. 593; in,2 S. 404. Sievert, Das Vorleben des Papstes
Urban IV. KgS. X 1896 S. 451 ff.; XU S. 527 ff. über die Wahl auch
Grauert, Münch. SB. 1901 S. 131 ff. u. Maubach S 85 f.
^ S. Sievert S. 465.
* P. 12763 ff., 12770a, 12771 f.; Reg. d'Innoc. Nr. 4075—82.
^ P. 18 553.
« Ep. pont. III S. 53 Nr. 66, S. 62 Nr. 78.
' Ep. pont. III S. 53,9. Der Papst beauftragt ihn, den Deutechordens-
meister Dietrich v. Grüningen auf seiner Gesandtschaftsreise mit sich zu
nehmen, da dieser Deutsch verstehe.
— 35 —
Volke brachte er ein volles Maß von Abneigung entgegen ^ In
der Verwaltung seines Bistums bewies er ungewöhnliches Ge-
schick. Man hat es ihm an der Kurie hoch angerechnet, daß
er die Schuldenlast, unter der es seufzte, in erstaunlich kurzer Zeit
um den dritten Teil zu vermindern wußte '^. Aus dem kleinen
lothringischen Bistum kam er denn auch nach kurzer Zeit in einen
weiteren Wirkungskreis. Wie schon erwähnt, ernannte ihn Alex-
ander IV. am 9. April 1255 zum Patriarchen von Jerusalem.
Jetzt war er Papst. Es war ebensosehr ein Beweis für die
Parteizerklüftung an der Kurie wie für das Ansehen des Patriarchen
von Jerusalem, daß nachdem die acht Kardinäle, die den Nach-
folger Alexanders zu wählen hatten, sich über einen Kandidaten
aus ihrer Mitte nicht zu einigen vermochten, die von ihnen aufge-
stellten Bevollmächtigten einheUig ihm ihre Stimme gaben *". Urban
hat das Vertrauen, das man in ihn setzte, nicht getäuscht. Er griif
mit fester Hand in alle Verhältnisse ein. Am folgenreichsten war,
daß er den Entschluß faßte, die päpstliche Politik in der siziliani-
schen Frage zu ändern. Er verzichtete auf den Plan, das König-
reich, um es den Hohenstaufen zu entreißen, einem englischen
^ Ep. pont. III S. 622,9 Nr. 630: In medio nationis perversae.
•2 Reg. d'Alex. S. 246 Nr. 815. Die Schulden betrugen 32000 Pfund
' Über die Wahl macht ürban selbst eine Bemerkung, die zeigt, daß
sie mit großen Schwierigkeiten verknüpft war: Nolentes nos infirmare scis-
aionis aut rupturae dispendio, quod superni consilii decreverat celsitudo,
electionem factam de nobia . . duximus acceptandam, Martene et Durand,
Veter. Script, ampliss. collectio II S. 1251 Nr. 1. Die Ann. s. lust. Patav.
z. 1261 Scr. XIX S. 181 berichten: Cardinales numero octo de summo pon-
tifice eligendo magnam inter se discordiam tribus mensibus habuerunt;
tandeni septiformis Spiritus gratia illustrati , . Patriarcham .Jeros. . . con-
corditer elegerunt. Hier also einmütige Wahl; aber nichts über den Wahl-
modus. Endlich berichtet der englische Gesandte Hermingford in einem
lückenhaft erhaltenen Brief über die Vorgänge im Konklave, Shirley Letters II
S. 188 Nr. 556. Beginnt sein Schreiben mit den Worten: Noverit vestrae
dominationis sublimitas, rjuod ecclesia Romana, pastoris solatio destituta
a 25. die Maii usque ad diem decoUationis St. Joh. Bapt., so scheint mir
die ?>gänzung dieses Satzes selbstverständlich: der Gesandte berichtet, daß
die Sedinvakanz beendet ist: die römische Kirche erfreut sich eines neuen
Hirten. Der nächste Satz sagt, wie sie ihn erhielt: dadurch, daß einige
Mönche den Patriarchen von Jerus. wählten. Das stobt zu losen, in der
Lücke — diese Annahme ist wieder notwendig — muß gesagt worden sein,
wie diese Mönche dazu kamen, zu wählen. Es kann aber nur dadurch ge-
ichehen sein, (Ljß die übrigen Kardinäle auf sie kompromittierten, (irauorts
Satz, daß IJrbans Wahl eine Kompromißwahl war, Hchoint mir also völlig
•icher, »eine Ergänzung des Briefes dagegen nicht ganz befriedigend.
8*
— 30 —
Prinzen zu übertragen, und bot es, wie schon Innocenz IV. eine
Zeitlang geplant, dem Bruder Ludwigs d. H., Karl von Anjou, als
Lehen an. Dadurch l)esiegelte er das Geschick der Hohenstaufen.
Der rücksichtslosen Tatkraft, dem kriegerischen und staatsmiinni-
schen Talent des französischen Prinzen sind die letzten Glieder
des schwäbischen Kaiserhauses erlegen. Der Entschluß Urbans
war von welthistorischer Bedeutung; seine Wirkungen erstreckten
sich durch die ganze Folgezeit bis in das vergangene Jahrhundert.
Aber wer möchte behaupten, daß sie irgendwann für das Papsttum
oder Italien segensreich gewesen seien?
Kam Urban hier zum Ziel, so gelang es ihm dagegen nicht,
die deutsche Thronfrage zu lösen. In einer Hinsicht stellte er sich
völlig auf den gleichen Boden wie Alexander. Auch für ihn war
die Erhebung Konradins, die jetzt viel ernstlicher drohte als vordem,
unbedingt ausgeschlossen ^ In anderer Hinsicht ging er neue
Wege. Man hat es für möglich gehalten, daß er so völlig mit
den bisherigen Anschauungen brach, daß er die Trennung des
Kaisertums von Deutschland in den Kreis seiner Erwägungen
zog-. Doch selbst, wenn er diesen Gedanken gehal)t haben sollte,
' Ep. pont. III S. 486 flF. Nr. 520 u. 521 v. 3. Juni 1262: C.I. II S. 520
Nr. 403.
- Rodenberg MIÖG. XVI S. Iff. Ich halte die Annahme, daß Urban
die Trennung des Kaisertums von der deutschen Krone plante, nicht für
erwiesen. Rodenberg baut sie auf die richtige Bemerkung, daß Urban
zwischen dem rex vel imperator Romanorum und dem rex Theotoniae
unterschied, Ep. pont. III S. 513,36 Nr. 539,13. Aber ich bezweifele, ob
diese Unterscheidung stark genug ist, die auf sie gebaute Folgerung zu
tragen. Gewiß ist es logisch richtig, daß in der Aufzählung die Voraus-
setzung liegt, daß verschiedene Personen König der Römer, König von
Deutschland, Herr der Lombardei usw. sein können. Aber hatte es irgend
einen Zweck, das hier nicht auszusprechen, sondern versteckt anzudeuten?
Das was Urban wollte, war die Verbindung Neapels mit dem Reich oder
irgend einem Teil desselben, wie sie unter den letzten Hohenstaufen be-
standen hatte, auszuschließen. Demgemäß nennt er die Bestandteile des
Reichs, ohne sich darum zu bekümmern, daß sie nicht so getrennt neben-
einander existierten, wie es die logische Voraussetzung ihrer Aufzählung
war. Ein zweiter Grund Rodenbergs sind die 8 Kronen in dem Brief an
Richard S. 551 Nr. 561. Rodenberg denkt an die deutsche, die römische
u. die Kaiserkrone. Aber das ist nicht richtig. Das M.\. pflegte die Krone
nicht wie wir, bildlich zu verstehen. Es müssen Kronen gemeint sein, mit
denen der Gewählte nachweislich gekrönt wurde. Dann ist zu denken
1. an die Krone zu Aachen, 2. an die lombardische. 3. an die Kaiserkrone.
Daß die lombardische Krone nicht vergessen war, zeigen der 6. Jan. 1311
u. der 31. Mai 1327, vgl. auch Konrad v. Megenberg, de transl. imp. 16-
— 37 —
so hat er nur mit ihm gespielt. Sein poUtisches Handeln wurde
nicht durch phantastische Pläne bestimmt, sondern nur dm-ch die
Erwägung der gegebenen Verhältnisse und durch die Absicht, den
Anspruch Koms auf die Entscheidung der deutschen Königswahl
zur klaren Anerkennung zu bringen. Darin, daß er mit dem
zaudernden Hinhalten Alexanders brach und daß er die Erreichung
eines klar erfaßten Ziels bewußt erstrebte, liegt der Unterschied
seiner Politik von der Alexanders. Es war sofort zu bemerken,
daß eine kräftigere Hand die Zügel führte. x4.1s Alfons die
Kaiserkrönung von neuem verlangte, wurde er zurückgewiesen.
Die Begründung, daß in der Erfüllung seiner Bitte eine Verletzung
der Rechte Richards liegen würde, hatte schon Alexander gegeben.
Aber ürban fügte hinzu, er könne besonders deshalb dem Wunsche
des Königs nicht genügen, weil beide Teile wiederholt das päpst-
liche Gericht abgelehnt hätten ^ . Der Satz zeigt deutlich, daß
jetzt der Herr zu reden begann. So wurde er auf beiden Seiten
verstanden. Die hadernden Könige beeilten sich zu erklären, daß
sie das römische Gericht anerkannten "■^. Die Form, in der es ge-
schah, ist ohne Zweifel von Urban bestimmt worden. Denn sie ent-
hielt die Zugeständnisse, auf die es Urban ankam: die ausdrück-
liche Anerkennung der päpstlichen Oberherrschaft überhaupt und
des Rechts auf die Entscheidung des deutschen Thron streits^. Nun
sollte es whklich zu einem Urteil kommen. Der nächste Schritt
dazu war, daß Urban die vöUige Gleichheit in der Behandlung
der beiden Streitteile herstellte. Er entzog Richard den Titel des
erwählten Königs nicht, aber er gab ihn auch Alfops, und er er-
leb glaube nicht, daß es zulässig ist, mit Wilhelm, MIÖG. Erg.-ßd. VII
S. 5 an die Kronen von Aachen, Mailand u. Arles zu denken. Denn zum
König des Arelat wurde kein deutscher Herrscher gekrönt. Von den 3 Kronen
sagt ürban, daß der Gewählte einen Rechtsanspruch auf sie hat: tali debentur.
Wie hätte er es tun können, wenn er sich mit der Absicht getragen hätte,
das Kaisertum von Deutschland zu trennen? Er hätte dadurch sich selbst
Schwierigkeiten in den Weg gelegt. Ich komme somit zu dem gleichen
Ergebnis wie Wilhelm in d. angef. Untersuchung, ohne daß ich ihm in
allen Einzelheiten zustimmen kann,
» Ep. pont. 111 S. 481 Nr. 517 v. 17. Apr. 1262.
* Über Richard S. 548fi. Nr. 560,1; über Alfons S. 549,34ff. Nr. 560,11;
über beide S. 623 Nr. 631; vgl. die spätere Erklärung der spanischen Ge-
Mandten, erwähnt im Bf. des Papstes Gregor X. v. 19. Dez. 1274, Bodmann,
Cod. epif»t. Rud. S. 20 Nr. 19.
• Vgl. S 548,13: Ipsani — die röm. K. — caput christianitatis ot fidoi
tuamque matrem et dominum recognoscons, Z. 14: In quibus lUud — das
röm. Gericht — »ubire debe« et de iure teneris.
~ 38 —
klärte zu^'leicli, daß dieser Titel rechtlich bedeutuiij^^slos sei ^ Die
Zeit war vorüber, in der die Fürsten aus höflichen Worten recht-
Hche Folgerungen ziehen konnten. Indem Urban in dieser Weise
Klarheit in die bisher absichtlich getrübte Situation brachte, ver-
mied er doch, sich in offenen Gegensatz zur Haltung seines Vor-
gängers zu stellen. Er wiederholte den von ihm vorgetragenen
Gedanken, daß eine friedliche Verständigung für alle Teile am
ersprießlichsten sein würde-. Aber er bestimmte zugleich den
beiden Bewerbern den 2. Mai 1264 als Termin, an dem ihre
Bevollmächtigten sich vor dem päpstlichen Gericht zu stellen hätten.
Man kann kaum zweifeln, daß er entschlossen war, auf diesem oder
jenem Wege die Sache zur Entscheidung zu bringen ^ Allein am
2. Mai fehlten die englischen Bevollmächtigten. Da Richards
Gesandte ihr Ausbleiben zu entschuldigen wußten, so verstand sich
Urban dazu, einen zweiten Termin für den 30. November 12(35
anzusetzend Er hat diesen Tag nicht mehr erlebt. Die deutsche
Thronfrage blieb wieder unentschieden.
Wie in der Politik, so entfernte sich Urban auch in der kirch-
lichen Verwaltung von den Richthnien seines Vorgängers. Der
Ausgangspunkt lag in beiden Fällen an der gleichen Stelle, in der
stärkeren Betonung der päpstlichen Gewalt. Er war der Über-
zeugung, daß jede Beschränkung der päpstlichen Autorität von t'bel
sei'', und daß die Besetzung der geistlichen Stellen durch die kirch-
liche Zentralgewalt Vorteile biete, auf die er nicht verzichten
könne *\ Demgemäß lenkte er auf die Wege Innocenz' IV. zurück.
^ Memorandum v. 7. Aug. 1263, Ep. pont. III S. 541 Nr. 558, Mit-
teilung an Richard S. 550 Nr. 561 v. 31. Aug. 1263.
- Ep. pont. 111 S. 548 Nr. 560 v. 27. Aug. 1263, C.I. II S. 523 Nr. 405.
Der Brief liegt in dieser doppelten Gestalt vor, einer längeren, die C I.,
u. einer kürzeren, die E. p. gedruckt ist. Die Annahme, daß der längere
Text den ursprünglichen Entwurf gibt, der für die Absendung gekürzt
wurde, ist wahrscheinlich richtig. Nur der kürzere Text ist registriert.
^ Urban forderte für die ftesandten Vollmacht ad pacis tractatura, si
dominus dederit, iueundum et ad procedendum in ipso negotio.
* Ep. pont. III S. 623f. Nr. 631 v. 27. Aug. 1264.
^ Bezeichnend ist, daß Urban den Eid des Regensb. Domdekans Leo,
er werde das dortige Bistum nicht übernehmen, für nichtig erklärte, quia
ex hoc nostra etiam auctoritas arctaretur, si sibi non possemus huiusmodi
onus imponere pro nostro libito voluntatis, Ried, C. d. I S. 465 Nr. 489.
* In einem Erlaß für Trier heißt es: Considerantes quod abbacio,
prioratus, dignitates, ])ersonatus, officia et beneficia ad collationem nostram
spectantia utilius per nos quam per electum — Heinrich v. Trier — con-
ferri poterunt, Gesta Henr. ae. Trev. addit. I Scr. XXIV S. 453.
— 39 —
Am wenigsten bemerklicli ist die Änderung der Richtung bei
der Besetzung der Bistümer. Denn bei zehn Erledigungen wurde
nur in zwei Fällen, in Basel und Metz, ohne Wahl besetzt ^. Auch
das Wahlrecht der Klöster und Stifter scheint in der Regel ge-
achtet worden zu sein-. Dagegen mehrten sich die Verfügungen
über niedere Stellen ungemein '^ ; in den drei Jahren seiner Amts-
führung hat Urban hunderte von Stellen vergeben, sei es, daß er
direkt ernannte* oder daß er Anweisungen auf bestimmte'^ oder auf
beliebige Pfründen erteilte **. Überdies erhielten einzelne Prälaten
das Recht, eine grössere oder kleinere Zahl von Stellen an Männer
ihrer Wahl zu vergeben ". Begründet waren diese Gnaden fast
immer durch persönliche Rücksichten: Empfehlungen von Prälaten
oder von weltlichen Herren, Verwandtschaft mit Kurialen oder
sonst einflußreichen Männern, das Dienstverhältnis zu solchen
Personen ^, wohl auch persönliche Freundschaft des Papstes ^. Es
mangelte nicht an Fällen, in denen Verdienste von oft recht
zweifelhafter Art belohnt wurden ^^ Die Folgen blieben nicht aus.
Die Masse der Pro vidierten erlangte wieder eine sehr bedenkliche
Höhe; wir wissen von einer Stiftskirche mit vierzehn Pfründen, an
' Vgl. Reg. d'ürb. II S. 13 Nr. 37 u. S. 245 Nr. 500. Es erledigten
sich außerdem Straßburg, Münster, KöId, Osnabrück, Regensburg, Branden-
burg, Minden, Merseburg, Eichstätt und Schwerin. Gewählt wurde in den
6 ersten Fällen, in den beiden letzten ist die Art der Besetzung fraglich.
Abgesehen habe ich von den nordöstlichen Bistümern; hier wurde in Kur-
land wie in Kulm ernannt, P. 18496 u. 19000. Auffällig ist, daß die Er-
nennungen außerhalb Deutschlands verhältnismäßig zählreicher sind.
Wirkte die Scheu vor der natio perversa?
^ Ernannt wurde z. B. in Pegau, Weißenburg u. Murbach, Reg. d'ürb.
II S. 248 Nr. 507, S. 334 Nr. 706, III S. 873 Nr. 2253.
■* Die Register enthalten für Deutschland über hundert Einträge; aber
es ist nur ein Teil der Register erhalten u. es wurden nicht alle Erlasse
regi.striert. Auch hier ist Deutschland verhältnismäßig geringer bedacht
als die übrigen Länder.
* Beispiele: Nr. 1077, 1248, 1265, 1365.
» Beispiele: Nr. 927, 1013, 1041, 1107.
* Beispiele: Nr. 922, 1304, 1554, 1745.
' Beispiele: Nr. 176, 204, 1367, 1422.
* Beispiele zu 1. Empfehlungen Nr. 1304, 1375, 1379, 1578, 2. Ver-
wandtschaft Nr. 1363, 1365, 1.546, 2061, 3. Dienstverhältnis Nr. 1837, 2100,
2219, 2644.
" Nr. 2534, für den Neffen eines Verstorbenen in Erinnerung an seinen
Oheim.
*•* Belobnu ngen von Denunziationen oder Selbstanzoigon Nr. 1155, 1682,
1854, 1870.
— 40 -
der man mehr als ein Dutzend Providierte zählte, für eine andere
mit 89 Pfründen erteilte Urhan im Lauf von nicht ganz zwei
Jahren neun Provisionen ^ Die Lage wurde dadurch noch ver-
schlechtert, daß die Ka])itel durcli maßloses Zuwählen neuer Stifts-
herren sich gegen das Eindringen der päpstlichen Günstlinge zu
schützen suchten ^. An den einen Mißstand hängte sich ein zweiter
an; denn die von Urhan mit geistlichen Stellen Bedachten hefanden
sich fast regelmäßig schon im Besitze anderer Pfründen. Es kam zur
Häufung geistlicher Stellen in einer Hand. In Folge dessen war
die Vernachlässigung der Residenzpflicht nicht zu vermeiden. Auch
die Verschiehung der Ordination wurde wieder häufiger '^
Wie Urban als unumschränkter Herr über die kirchhchen Stellen
verfügte, so auch über den kirchlichen Besitz. Auch dabei handelte
er nicht selten aus rein persönhchen Gründen. Die Benediktiner-
und Augustinerklöster der Diözese Langres mußten einem Archi-
diakon eine jährliche Pension von 100 Pfund zahlen, da er dem
Papste von früher her befreundet war. Das gewährte ihm Urban
„aus besonderer Gnade"*. Den Kardinal Wilhelm von St. Markus
belehnte er mit zwei Klosterhöfen in den Diözesen Kamerich und
Arras: er sollte darin einen persönlichen Ehrenbeweis sehen ■'^. Dem
Bischof von Metz überließ er die Erträgnisse der Klostersalinen
in seinem Bistum für ein Jahr*^. Zahlungen, die der Erzbischof
von Mainz der Kurie schuldete, legte er einfach den Klöstern und
Stiftern der Mainzer Diözese auf"^. Selbst dagegen tmg er kein
Bedenken, ein übertretendes jüdisches Ehepaar auf Kosten eines
Klosters mit einem Jahrgeld auszustatten**.
Niemand hat gegen diese Verfügungen als gegen unberechtigte
Eingriff'e Einsprache erhoben. Der Gedanke der unbeschränkten
Macht der Päpste über die Kirche beherrschte und fesselte alle.
Aber es ist doch unverkennbar, daß Urban auf einem gefährlichen
Wege wandelte. Indem er auf den Versuch Alexanders verzichtete,
die Anwendung der päpstlichen Vollgewalt so zu mäßigen, daß die
HeiTschaft der kirchlichen Regel daneben bestehen konnte, schien
er die Unumschränktheit der päpstlichen Gewalt zu sichern. Tat-
» Nr. 354f. « Beispiele Nr. 1138, 1154, 160^, 2589.
■• Abgesehen von dem unter Alexander ernannten Heinrich von Trier
verzöporten die Weihe Heinrich v. StraBburg, Kono v. Minden u. Otto v.
llildeshoim. Der letztere hatte freilich eine Entschuldigung: er war noch
nicht erwachsen. Aber Urban hatte seine Wahl trotzdem bestätigt.
* Reg. dUrb. Nr. 1655, vgl. Nr. 1998, 2202.
^ Ebenda Nr. 438 u. 442 vgl. 953. • Ebenda Nr. 1391.
~ Ep. pont. HI S. 555 Nr. 565. « Reg. d'ürb. Nr. 1955.
— 41 —
sächlich untergrub er ihren Bestand. Der Versuch, an Stelle der
Herrschaft des Rechts das Belieben zu setzen, ist noch nie geglückt.
Urban IV. starb am 2. Oktober 1264. Sein Nachfolger Cle-
mens IV., ein ge"\N^egter Jurist, gehörte zu den von ihm erhobenen
französischen Kardinälen^. Es war deshalb von Anfang an sicher,
daß der Wechsel der leitenden Personen keinen Wechsel der
Politik bedeutete. Das gilt nicht minder hinsichthch der kirch-
lichen Verwaltung. Wenn Clemens einmal erklärte, die Verfügung
über Kirchen und kirchliche Stellen komme dem römischen Bischof
zu, er sei befugt, nicht nur wirkHch erledigte Benefizien zu ver-
geben, sondern auch für den FaU der künftigen Erledigung über
sie zu bestimmen -, so war das nicht nur Rechtstheorie, sondern
es war der Grundsatz für das Handeln der Kurie. Er wurzelte
in der Überzeugung, daß der Papst über dem Rechte stehe ^. Dem-
gemäß mehrten sich die Ernennungen von Bischöfen nun auch in
Deutschland. Unter den mehr als zwanzig Bistümern, die Clemens
in seinem ersten Regierungsjahr besetzte, waren drei deutsche,
Salzburg, Passau und Seckau. Das bairische Erzbistum erhielt
aus politischen Gründen der schlesische Herzogssohn Ladislaus,
ein naher Verwandter Ottokars von Böhmen. Auch nach Passau
wurde ein Fremder, der Breslauer Domherr Peter, gesetzt; es ge-
schah ebenfalls Ottokar zu Dienste. Das kleine Seckau er-
hielt der bisherige Salzburger Erzbischof Ulrich zurück. Er
hatte es, ehe er nach Salzburg kam, innegehabt*. Später
1 E. Jordan, Les Registrea de Clement IV., Paris 1893 flf.; M.G. Ep.
pont. HI S. 627ff. Posse S. 36tt., 139fi'. Biographien bei Muratori 111,1
S. 594 u. 111,2 S. 421. Über ihn als Kardinal, Maubach S. 91, über seine
Wahl S. 111; über sein Vorleben, J. Heidemann in den kirchengesch. Stu-
dien VI,4, 1903; über die Wahl S. 174 ff. Sie fand am 5. Febr. 1265 statt.
* Bullar. Rom. III S. 743 Nr. 8 v. 27. Aug. 1265.
* C.I. II S. 537,14 Nr. 408 v. 7. Nov. 1268: Quamquam nos supra ius
Providentia divina statuerit.
* Es wurde oben S. 22 Anm. 3 erwähnt, daß Alexander IV. den Eß.
Philipp von Salzburg seiner Stelle entsetzte. Als Nachfolger postulierte
das DK. den B. Ulrich v. Seckau u. Alexander bestätigte ihn 5. Sept. 1257
als EB., Ep. pont. III S. 428 Nr. 464. Aber Ulrich besaß die Mittel nicht,
um die Kosten seiner Erhebung zu bestreiten. Obgleich er große Summen
aufnahm — 1000 Mark 15. Mai 1257, s. Lorenz in den Wiener SB. 33
8. 511, 4(J0 Mark 25. Jan. 1258 Östorr. Arch. Bd. 71 S. 278 Nr. 74 —
schuldete er den Kardinälen 1862 Mark, Ep. pout. III S. 476 Nr. 513,2,
der p&pstlichen Kammer 40()0 Mark, Österr. Arch. a. a. 0. Nr. 75 u. 78,
vgl. Annal s. Rudb. z. 1260 S. 795. bieso Schulden führten zu langwierigen
Verhandlungen, zur Exkommunikation, schließlich zum Rücktritt ülrichn,
Ann. s. Rudb. z. 1260 u. 1264f., S. 795ti". Ep. pont. ill S. 477 Nr. 514.
— 42 —
wurde das Wahlrecht besser geachtet; doch fehlte es nicht an Aus-
nahmen ^
Auch der deutschen Thronfrage gegenüber- folgte Clemens
dem Vorbilde Urbans. Es macht keinen wirklichen Unterschied,
daß er mit größerer Schärfe als jener die päpstlichen Rechte im
Reich betonte. Er sprach die Überzeugung aus, daß die Regie-
rung während der Thronerledigung und bei einer Doppelwahl in
die Hände des Papstes zurückfalle^. Er glaubte sich befugt, den
Kurfürsten ihr AVahlrecht zu entziehen ^ ; selbst die MögHchkeit
der Ernennung eines Königs ohne Wahl, lag nicht außerhalb der
Grenzen seiner Rechtsanschauung ^. Kein Wunder, daß man in
Deutschland voll Argwohn gegen den Papst und seine Absichten
Clemens nahm seinen Rücktritt am 1. Sept. 1265 an und versetzte ihn nach
Seckau zurück, 29. Nov. 1265, S. 654 Nr. 648, Reg. de Clem. S. 43 Nr. 174.
Das Erzbistum hatte er schon am 10. Nov. Ladislaus v. Schlesien übertragen,
Reg. de Clem. S. 43 Nr. 173. Über Passau s. S. 44 Nr. 175 v. 24. Nov. 1265,
Ann. .s. Rudb. z. 1265 S. 797.
^ Ernannt wurde 1267 Otto v. Minden, gewählt 1265 Wedekind v.
Osnabrück, aber de consilio et assensu einiger päpstlicher Vertrauens-
männer, Wstf. ÜB. V S. 313 Nr. 665, ebenfalls 1265 Friedrich v. Merse-
burg, 1266 Konrad v. Magdeburg. Unsicher ist die Besetzung von Meißen
1266 u. von Utrecht 1267. In Würzburg kam es Ende 1266 oder Anfang
1267 zu einer Doppelwahl. Werner v. Mainz bestätigte und konsekrierte
ßerthold V. Henneberg. Clemens hob diese Entscheidung auf, da sie ge-
fällt worden war, nachdem der zweite Gewählte, Berthold v. Trimberg,
appelliert hatte, Ep. pont. III S. 721 Nr. 689 v. 24. Mai 1268.
- Über die deutsche Nation hat sich Clemens in derselben feindseligen
Weise geäußert wie Urban IV. Kr spricht von den verfluchten Deutschen,
P. 19904, macht Deutschland den Vorwurf, quod sit magni supercilii,
P. 19606. Daß man diesseits der Alpen seine Abneigung kannte, zeigt die
Bemerkung der Wormser Annalen z. 1268 S. 76, Konradin sei nach seinem
Rat ob invidiam Theutonici nominis hingerichtet worden.
^ In bezug auf die Ernennung Karls von Anjou zum servator pacis
in Toscana, d. h. im Reichsgebiet, bemerkt er: Similia a predecessoribus
facta legimus, quae non solum vacante imperio legitime possunt fieri, sed
etiam fluctuante, d. h. nach einer Doppel wähl, Martene II S. 499 Nr. 492,
vgl. S. 587 Nr. 625: Nos qui fluctuantis imperii curam gerimus. Ep. pont.
III S. 672 Nr. 658: Tuscia cuius ad nos tuitio pertinet, isto presertim tem-
pore quo Romanum fluctuat imperium in incerto, S. 677 Nr. 662.
* C.I. II S. 583.38 Nr. 406 v. 1266.
^' In dem undatierten, wohl in das Jahr 1268 gehörenden Brief, Bod-
mann, Cod. ep. Rud. »^. 306 Nr. 1 a, verwahrt sich Clemens dagegen, daß
er beabsichtige de persona nostra iuxta nostrum beneplacitum imperio pro-
videre, iure quod vobis super hoc competit enervato. Er leugnet dabei nicht,
daß er dazu berechtigt sei, sondern nur, »biß er es tatsächlich beabsichtige.
1
— 43 —
war. Man glaubte, Clemens plane in der Tat das, was er für
rechtlich möglich hielt: die Zurückweisung beider Gewählter, die
Ernennung eines Königs unter Beiseitesetzung des Rechts der
Kurfürsten ^
Aber diese Befürchtungen waren unbegründet. Clemens war
ein alter Mann; seine Kraft zum Handeln war nicht mehr frisch.
Er war nicht immer imstande, Eigenmächtigkeiten der Kardinäle
zu verhindern und seinen Willen ihnen gegenüber zur Geltung zu
bringen"^. Dieser Mangel an Energie charakterisiert auch seine
Haltung im deutschen Thronstreit ^. Es war keine neue Wendung,
daß er versuchte, Alfons zum Verzicht auf seine Ansprüche zu
bewegen*. Denn diesen Ausweg hatte auch Urban im Auge be-
halten'^ Aber Clemens vermochte den zähen Widerstand des
Königs nicht zu überwinden. Als er sich deshalb doch zum richter-
lichen Austrag der Sache entschließen mußte, machten bald Alfons,
bald Richard Schwierigkeiten. Es kam nur zur Ansetzung und
Abhaltung fruchtloser Termine*'. Clemens selbst hat dieses Hin-
zögern einer wichtigen Sache als unangemessen und schädlich ge-
tadelt'. Aber zu dem Entschluß, ein Ende zu machen, konnteer
sich nicht aufraffen. Das entscheidende Wort blieb unausgesprochen.
Die Folge war, daß die Zügel den Händen des Papstes zu ent-
gleiten begannen. In Deutschland gewann der Gedanke, Konradin
* Ergibt sich aus dem eben angeführten Bf. u. aus dem gleichzeitigen
C.I. II S. 538 Nr. 408 v. 1268.
- An Karl v. Anjou 24. Nov. 1266: lam nobia saepe contigit . . ut
habitis fratrum nostrorum consiliis, quaraquam contrarium crederemus uti-
lius, eorum tarnen sententias sequebamur, Martene, Thes. II S. 407 Nr. 380.
* Ich halte schon deshalb für sehr unwahrscheinlich, daß er die Pläne
hegte, die Rodenberg, MlÖG. 16 S. 25 ff. bei ihm annimmt. Die Annahme
ist nur möglich, wenn sie Urban IV. gegenüber durchführbar ist. Fällt
sie dort, so auch hier.
* Reg. de Clem. 8. 350 Nr. 890 = Martene, Thes. II S. 187 Nr. 66.
Der undatierte Brief gehört sicher vor den Sept. 1265 (Befreiung Richards),
wahrscheinlich vor Nr. 896 v. 23. oder 24. Juni, also in das Frühjahr 1265.
Die Bemühungen des Papstes waren damit nicht zu Knde, s. F. 20031 v.
5. Juni 1267 u. 20051 v. 17. Juni 1267.
• Vgl. oben S. 38 Anm. 3 u. die Darstellung Clemens' IV. C.I. II S. 536
Nr. 408. Die frif;<]liche Konkord in konnte nur durch einen Verzicht herbei-
geführt werden. Kempf, S. 241, urteilt also unrichtig, wenn or sagt: So-
fort tritt unter ClemenH die Sache in ein neues Studium,
* 30. Nov. 1265, 7. Jan. 1267. 31. Okt. 1267, 26. März 1268, 1. Juni
1269, vgl. Kp. pont. ill S. 6f;2 Nr. 653, S. 675 Nr. 661, S. 681 Nr. 665,
S. 719 Nr. 68H, Heg. de Clem. 1206, B. F. 9H30, C.I. II S. 535 Nr. 40H.
^ iluwtniio nimiH hHctenuR indecenter et dHmnose dilata, P. 200'U.
— 44 —
zum König zu wählen, ersichtlich an Boden. Auch wenn man
davon ahsieht, daß die Person Konradins für die Kurie unannehm-
bar war, so lag schon in der Wahl eines neuen Königs ein
Angriff auf das päpstliche Entscheidungsrecht. Clemens erklärte
sie deshalb mit aller Entschiedenheit für unzulässig \ Die italieni-
schen Verhältnisse wurden dadurch auf das tiefste erschüttert, daß
Konradin im Herbst 1267 den Kampf um sein väterliches Erbe
aufzunehmen wagte. AVer konnte ermessen, was einti'eten würde,
wenn es ihm gelang, das Königreich dem päpstlichen Lehensmann
zu entwinden? Clemens zitterte vor diesem Gedanken. Er hat
die Schritte des jungen Helden mit dröhnenden Erklärungen wider
ihn gewissermaßen begleitet^: aber aufzuhalten vermochte er ihn
dadurch nicht. Erst Konradins jähe Niederlage bei Tagliacozzo
und der Frevel vom 29. Oktober 1268 haben das Papsttum von
der Furcht vor dem Hohenstaufennamen befreit.
Vier Wochen nach dem letzten Hohenstaufen, am 28. Novem-
ber 1268 starb Clemens IV. in Viterbo*^ Die Neuwahl eines
Papstes verzögerte sich jahrelang. Wie nach dem Tode Innocenz'
IV. vermochte das durch persönliche und politische Gegensätze
zerklüftete Kardinalskollegium '^ sich nicht zu einigen. Jetzt aber
fehlte der äußere Zwang, der damals zu einer raschen Übereinkunft
genötigt hatte. Unter den Kardinälen waren die Italiener in der
Überzahl; aber gerade sie gingen nicht zusammen. Es gab unter
ihnen eine englische Partei; sie hatte einen klugen und eifrigen
Führer an dem weisen Kardinal, dem Cisterzienser Johann von
Toledo'"*; eine Zeitlang schien sie an der Kurie maßgebend zu
sein. Aber seitdem Innocenz IV. 1244 fünf französische Prälaten
in den obersten päpstlichen Rat aufgenommen hattet hatte sich
in ihm auch eine französische Gruppe gebildet. Unter den beiden
^ C.I. 11 S. 588,39 ff. Nr. 408.
•' 18. Sept. 1266, C.I. II. S. 531 Nr. 406 = Baumg. Formelb. S. 201
Nr. 52 = Ep. pont. III S. 668—671, 18. Nov. 1266 Ep. pont. III S. 666
Nr. 657, 14. Apr. 1267 S. 673 Nr. 660, 18. Nov. 1267 S. 663 Nr. 666,
28. Febr. 1268 S. 694 Nr. 672, 5. Apr. 1268 S. 697 Nr. 674, 17. Mai 1268
S. 713 Nr. 683, 14. Juh 1268 B.F. 9923, 6. Auj?. 1268 Ep. pont. III S. 723
Nr. 690. Vgl. auch den Brief des Kard. Ottoboniis an den EB. v. Mainz,
Nov. 1266, NA. XXII S. 872, u. Cron. min. Erf. Cont. S. 677.
' S. über den Todestag die Notiz aus einer Pariser Handschrift N.A.
XXIIl S. 613.
* Zu der Parteiung im Kardinalskollegium vgl. außer Maubach auch
Wenck in den Gott. Geh. Anz. 1900 S. 148 ff.
» Über ihn Grauert, s. o. S. 82 Anm. 3. • Maubach S. 13 ff.
— 45 —
fraDzösischen Päpsten Urban und Clemens war sie erstarkt ^. Kein
Wunder, daß sie die Erhebung eines Gesinnungsgenossen erstrebte.
Aber sie stieß auf hartnäckigen Widerstand: die Kräfte der Parteien
wogen sich gegenseitig auf; die Folge war, daß die Angelegenheit
nicht von der Stelle rückte. Johann von Toledo spottete, bei dem
Wahlgeschäft komme nichts heraus als Zeitvergeudung, üble Nach-
rede und Schaden für die Welt-. Roger Bacon aber tadelte die
Kardinäle: Neid, Eifersucht und Ehrgeiz ließen sie nicht zur Wahl
kommen*. Schließlich trafen sie wieder den Ausweg einer Kom-
promißwahl. Nun wurde am 1. September 1271 der Oberitaliener
Tedald Visconti aus Piacenza zum Papste gewählt. Seine Er-
hebung war ein Mißerfolg der Franzosen, wenn auch nicht gerade-
wegs ein Sieg ihrer Gegner^.
Tedald war kein Glied der Hierarchie: er war Archidiakonus
in Lüttich. Im Dienste des Kardinals Jakob von Palestrina war
er emporgekommen ; durch dessen Einfluß hatte der Italiener jenes
Amt in einem Bistum des Reichs erhalten. Die Einkünfte, die
es ihm bot, machten ihm möglich, in Paris zu studieren. Doch
hat er sein Amt auch eine Zeitlang versehen. Aber er zerfiel
völlig mit dem Bischof Heinrich, einem Vetter König Wilhelms.
Wenn auch nur ein Teil der Anklagen, die er gegen Heinrich
ausspricht^, begründet ist, so war dieser das Muster eines in jeder
Hinsicht unwürdigen Bischofs. Tedald verließ Lüttich und ging
1 Maubach S. 91 ff, 115ff , 122f.
2 Cron. min. Erf. cont. I S. 680; ähnliche Verse N.A. XXII S. 613 f. z. B.
Vos qui papari vultis honore pari,
Mittite taxillos, dabitur fortasse per illos
Vobis patronus, vir sacer atque bonus.
' Comp stud. phil. 1, Opp. ined. ed. Brewer S. 399: Nee haec suffi-
ciunt, nisi vicarius Dei denegetur negligentia suae ecclesiae, et mundus
deßoletur rectore sicut iam accidit per multos annos, vacante sede propter
invidiam et zelum et appetitum honoris, quibus servit illa curia et quibus
nititur se et suos introducere, sicut omnes sciunt, qui volunt noscere veri-
tatem.
* .1. Guirand, Les registres de Gregoire X., Paris 1892ff.; Posse S. 52fF.
3 Biographien bei Muratori 111,1 S. 597ft". u. 111,2 S. 424f. Die auf die
Wahl bezüglichen Aktenstücke, Mansi XXIV S. 21 ff., vgl. Loserth N.A. XXI
S. 309 f.; Zisterer, Gregor X. u. Rudolf v. Ilabsburg, Froiburg 1891 ; Waltor,
Die Politik der Kurie unter Gregor X , Berl. Dissert. 1894; Otto, Die Be-
ziehungen Rudolfs V. H. zu Gregor X , Innsbr. 1895; A. Gieso, R. v H. u.
die röm. Kaiserkrone, Hallesche Dissert. 1893; Redlich in den MlÖG. X
S. 831 u. Rudolf V. Habsburg, Innsbr 1903 S. 143 ff.; Kngelmann, Der An-
spruch der Ptlpsto etc., Hresl. 1880.
* Schreiben an den Bitchof, vor dem .Mai 1274, P. 20777.
— 46 —
nach England; dort uiilun er 1267 das Kreuz *. Er befand sich
in Akkon als die Nachricht von seiner Wahl in Palästina eintraf.
Sie wurde mit Jubel aufgenommen; jedermann hofi'te, daß er mit
größerem Nachdruck für das heilige Land eintreten würde, als es
bisher geschehen war. Noch im Spätherbst 1271 schitfte er sich
ein, im Anfang des nächsten Jahres begann er seine Tätigkeit als
Papst Gregor X.
Er war ein tüchtiger Mann, nicht gerade ein Gelehrter, aber
geschäftserfahren, uneigennützig, mit klarem Blick auch für die
Schäden in der Kirche"-. Es mangelte ihm nicht an Festigkeit
und Folgerichtigkeit, aber er hatte nichts Leidenschaftliches. Er
verstand zu warten; stets galt ihm ein sicherer Erfolg mehr als
ein schneller. Auch liebte er es ganze Arbeit zu tun nnd die
Fragen, die er angrift, restlos zu lösen. Durch längeren Aufent-
halt in Frankreich war er mit den dortigen Verhältnissen vertraut
und mit den leitenden Personen bekannt. Auch in England war
er kein Fremder. In die Zustände im Reich mußte ihm seine
Tätigkeit in Lüttich manchen Einbhck geöffnet haben. So kannte
er die Verhältnisse im Abendland wie im Osten aus eigener An-
schauung. Man konnte eine von allgemeinen Gesichtspunkten
beherrschte Politik, größere Selbständigkeit als unter Clemens IV.
und eine maßvolle Haltung in allen Fragen von dem neuen Papste
erwarten.
Von der päpstlichen Stellung dachte Gregor nicht geringer
als seine Vorgänger. Jene Steigerung der alten Vorstellungen, die
den Nachfolger des Petrus direkt neben Gott rückte, wai' ihm
nicht fremd: er fühlte sich wie Gregor IX. und Innocenz IV.
als Stellvertreter Gottes auf Erden ^; als den Vikar des höchsten
1 Math. Westmon. Flor. bist. Scr. XXVIII S. 483.
2 Vita des Bernh. Guid. S. 597; Anon. Vita S. 604; Tolom. Luc. H.
eccl. 4 bei Muratori XI S. 1166.
^ Vgl. d. Bf. an Genua, Mitt. aus d. vatik. Arch. 1 Nr. 'S S. 4: Cum
simus illius vicarii qui so cogitationes pacis et non afflictiones cogitare
testatur (vgl, Jer. 29,11), tenemur et nos pacis commoda inter universos
eure nostre commissos sollicite procurare . . Licet autem ad universos fidei
Christ, cultores in liiis noster dirigatur affectus, ad vos tarnen etc. Man
vgl. auch den Protest Ottokars v. 1273, in dem natürlich die Töne ange-
schlagen sind, von denen man in Prag wußte, daß sie in Rom gerne ge-
hört werden würden: Ut sie orbis regatis et dirigatis orbitam, quod racionis
bonitas malum proscribat siulticie . . Quocirca si quando respublica pre-
mitur vol nobis int'ertur iniuria nee admittit ratio nee favet possibilitÄS vel
voluntas, ut recurramus ad alium nisi ud vos tantummodo, qui residentes
in solio . . ex ot'ticii sumpti debito in recti statera iudicii decernentes
— 47 —
Richters, der auf Erden niemand über sich hat, bezeichnete er sich
selbst ^. In diesem Bewußtsein hat er bei der großen Tat
seines Lebens, der Berufung der allgemeinen Synode von 1274, ge-
handelt: der oberste Regent der Christenheit beschied die welt-
lichen Fürsten und die geistlichen Führer des christlichen Volks
als seine Ratgeber vor seinen Thron"-. Denn im Geistlichen wie
im Weltlichen glaubte er die Christenheit seiner Fürsorge anver-
traut. Doch läßt sich nicht verkennen, daß er seine Sätze auf
einen anderen Ton stimmte, als man ihn seit Innocenz III. ge-
wöhnt war. Gregor wiederholte die Gedanken des zwölften Jahr-
hunderts von der Verschiedenheit und der Zusammengehörigkeit
der beiden höchsten Gewalten, von der Notwendigkeit für beide,
sich gegenseitig zu fördern und zu stützen ^\ Er verhehlte sich
nicht, daß die Kurie die Unterstützung der weltlichen Mächte
bedui-fte.
Der Grund lag in der neuen Richtung, die er der päpstlichen
Politik gab. Noch einmal wurde der Orient die entscheidende
Größe für die Kurie *. Greger hatte nicht umsonst das heihge Land
gesehen'^. Der Jammer der dortigen Zustände hatte ihn tief er-
griffen. Er glaubte helfen zu müssen, und nun, da er Papst war,
auch helfen zu können. Der Gedanke der Befreiung des heiligen
Landes hatte nicht mehr die ungestüme Hoffnungssicherheit, wie
einstmals, als der Ruf „Gott will es" Tausende hinriß. Aus dem
trüben Lied der gefangenen Juden, Ps. 137, 5: Vergesse ich dein,
Jerusalem, so werde meiner Rechten vergessen, hat Gregor das Ab-
schiedswort genommen, das erden Christen in Akkon vor geiner Heim-
fahrt zurieft Aber je größer die Not war, um so fester war seine Über-
zeugung, daß Hilfe für Jerusalem die oberste Pflicht des Papstes sei.
Er dachte sich persönlich an die Spitze eines großen gemein-europäi-
Hingula et figurantes iura provideque toto sparsim proniulgantos in orbe
prava tenemini linea rectitudinis exequare, C.I. III S. 19 Nr. 16.
' Reg. de Greg. S. 279 Nr. 645.
« A. a. 0. S. 55 Nr. 161, S. 67 Nr. 194.
" Bezeichnend hierfür sind die Schreiben v. 15. Febr. 1275 C.I. IH
S. 64 tt". Nr. 77 u. 78.
* Vgl. A. V. HirHch-Gereuth, Studien z. Gesch. d. Kreuzzugsidee,
Mönchen 1896, S. 5 ff.
'' Gönnt. Pro zelo fidei bei Finko, Concilienstudien S. 113: No8 (\m in
trannmariniH partibus promi.ssa non tantum audiviinu.s, sed oculis no.stris
aspeximufl.
** Marin. Sannt., Secreta fid. cruc. 111,12,13 bei BongarH, Gesta Dei per
Franc. II S. 225.
— 48 —
sehen Kreuzzugs zu stellen \. um Palästina wieder für die Christen
zu gewinnen. Der Verwirklichung dieses Planes sollte seine ganze
Amtsführung dienen.
Die Folgen machten sich überall fühlbar. Um Palästinas
willen suchte Gregor die Verständigung mit den Griechen. Er
wich dabei von den römischen Ansprüchen einen Schritt weit zu-,
rück. Von der Wiederherstellung des lateinischen Kaisertums war
keine Rede; er war sehr bereit sich mit Michael Paläologus zu
verständigen, wenn dieser nur den kirchhchen Forderungen des
Abendlandes entgegenkam. Diese Wendung der orientaHschen
Politik führt zu einem gewissen Gegensatz zu Karl von Anjou.
Schon unter Clemens IV. fehlte es unter den Kardinälen nicht an
Bedenken gegen die Haltung des päpstlichen Lehensmannes; jetzt
war das Auseinandergehen von Rom und Neapel offenkundig. Denn
Karls Ehrgeiz richtete sich auch nach dem Osten: er plante Erobe-
rungen in Epirus, Morea, auf den griechischen Inseln; er dachte
an die Wiederherstellung des lateinischen Kaisertums.
Um den Kreuzzugsplan zu fördern, berief Gregor die Synode
von Lyon. Sie war alles eher als ein voller Erfolg des Papstes.
Aber dadurch wenigstens kam sie seinen Wünschen entgegen, daß
die Erhebung eines sechsjährigen Kreuzzugszehnten beschlossen
wurde". Das große Unternehmen schien finanziell gesichert. Gregor
konnte sich dieses Erfolges freuen. Er wird sich schwerlich ge-
sagt haben, daß eine erzwungene Abgabe das nicht leisten konnte,
was einstmals die Begeisterung der christlichen Welt für die Be-
freiung des heiligen Grabes geleistet hatte'*.
Nicht zum mindesten war Gregors deutsche Politik durch die
Rücksicht auf den Orient bestimmt ^ Wenn die Zustände bheben,
wie sie waren, so war an eine ernste Beteiligung Deutschlands an
einem neuen Kreuzzuge nicht zu denken. Wir wissen aus einem
Gutachten, das der vormalige Dominikanergeneral Humbert de
' Vgl. Raynald z. 1275 i? 42 S. 362; Walter S. 57.
- Finke, Concilienstudien S. 114, vgl. Mansi XXIV S. 63; Cron. e.
Petri Erf. mod. z. 1274 S. 264 f.; Krnennung der Sammler des Zehnten in
den deutschen Diözesen, Mitt. aus dem vatik. Arch. 1 S. 64 Nr. 56, 20. Sept.
1274; Gottlob, Kreuzzugssteuern S. 94ff.; über die Organisation S. 95, 98ff.,
u. V. Hirsch-Gerouth S. 76 ff., über die finanziellen Schwierigkeiten, mit
denen Gregor von Anfang an zu kämpfen hatte, v. Hirsch-Gereuth S. 14 ff.
« In Salzburg hat der Kollektor Aliron 1282—1285 bei Laien ÖVo Kilo-
gramm Silber freiwilliger Gaben gesammelt, gegenüber 2800 kg Kreuzzugs-
zehnten, Steinherz, MIÖG. XIV S. 12.
^ Bern. Guid. S. 598: In favorem terrae s.. ad quam plurimum anhe-
labat. Joh. v. Viktr. Rec. B. S. 274,8 tt".
— 49 —
Romanis für Gregor bearbeitete ^, daß man gerade jenseits der
deutschen Grenzen mit aller Klarheit erkannte, daß die Fortdauer
der seit Friedrichs II. Tod eingetretenen Zustände zur Auflösung
des Reichs führen müßte. Humbert scheute sich nicht auszu-
sprechen: das Reich ist vernichtet. Er erwog, wie man sich mit
dieser Tatsache abfinden könnte. Und er entwickelte vor dem
Papste den Plan einer durchgreifenden Neugestaltung der politischen
Verhältnisse der bisher im Reiche verbundenen Länder: in Deutsch-
land Herstellung einer erblichen Monarchie unter Beschränkung
der Macht des Königs auf die deutschen Länder, in Italien Be-
gründung eines Königreichs, oder Teilung des Landes in zwei
Reiche unter einer gewissen Oberherrschaft des Papstes und unter
Anerkennung der Lehnshoheit des Kaisers^.
^ Humbert de Romanis, De bis quae tractaüda videbantur in conc.
gen. Lugd. celebr. 111,11 Martene, Ampi. coli. VII S. 198: Imperium quasi
ad nihilum est redactum. Humbert war ein Franzose, eine Zeitlang Domini-
kanergeneral.
- Circa imperium vacans videtur constituendus vicarius ad quem ha-
beretur recursus propter guerras et casus varios emergentes . . Quod rex
Teutoniae fieret non per electionem sed per successionem et esset deinceps
contentus regne illo et magis timeretur et magis iustitia in regno T. ser-
varetur. Item quod in Italia provideretur de rege uno vel duobus sub certis
legibus et statutis habito consensu communitatum et praelatorum. Et per
successionem regnarent in posterum ; in certis casibus possent deponi per
apoat. sedem . . Vel quod rex in Lumb. institutus esset vicarius imperii in
Tuscia vacante imperio et imperatori confirmato et coronatp per ap. sedem
ot non aliter regnum recognosceret ut vasallus. Vgl. zur Deutung des
letzten Satzes Wilhelm in den MIÖG. Erg.-Bd. VII S. 16. Er bezieht per
ap. sed. zu recognosceret und nicht zu confirmato et coronato u. gewinnt
dadurch den Gedanken: der Lorab. König erkennt den Kaiser als Lehns-
herrn durch den päpstlichen Stuhl an, d. h. Oberlehnshorr des lomb. Königs
ist der Papst. Zwingend scheint mir seine Beweisführung nicht. Gewiß
heißt et non aliter u. nicht auf andere Weise. Aber ebensogut als gesagt
werden kann: durch den päpstlichen Stuhl und nicht auf andere Weise er-
kennt er den Kaiser als Lehnsherrn an, kann auch gesagt werden: durch
den päpstlichen Stuhl und nicht auf andere Weise bestätigt und gekrönt.
Hier wie dort wird eine Weise ausgeschlossen, die die Kurie nicht an-
erkannte. Das ist logisch durchaus zulässig. Entscheidend scheint mir der
Gedankenfort.Hchritt. Humbert ontwickolt: in Italien ein oder zwei Könige.
Die letztere Möglichkeit wird nicht weiter erörtert. Bei der ersten ist an
einen Erbkönig für die F-<ombardei zu denken, der vacante imperio Reichs-
▼ikar in Toscien ist. Mit der Besetzung des Reichs hört der Vikariat auf;
auch der lombardiHche König aber erkennt den Kaiser als LohnHhorrn an,
aber nur den legitimen Kaiser, d. h. den bestätigten. Das Reich wird also
durch die Gründung der Krbkönigreiclie nicht aufgelöst. Wer von den
Haack, Kirch#)Dgeichicbte. V. ^
— 50 —
Man bemerkt leicht, daß die günstige Entwickelung der
nationalen Monarchien in Westeuroj)a Humberts Gedanken beein-
flußt hat. Was er aussprach, war deshalb schwerlich ausschließ-
lich sein Eigentum. Aber man muß doch bezweifeln, ob sein Gut-
achten geradezu ein Spiegelbild der radikalen Stimmungen an der
Kurie oder gar Gregors eigene Ansichten uns darbietet ^ Denn
wie die Dinge lagen, waren seine Gedanken unausführbar. Ein
gelehrter Mönch mochte das Zauberbild eines neuen Europa in die
Luft bauen; aber die Männer, die taglich mit den Schwierigkeiten
der wirkhchen Verhältnisse zu ringen hatten, kannten die Zähig-
keit des Bestehenden zu gut, als daß sie hätten wähnen können,
man könne das machen, was werden muß.
Am wenigsten konnte Gregor geneigt sein, auf diese Gedanken
einzugehen. Ihr kühner Radikalismus widersprach seiner Neigung zu
Vermittolungen. Aber das sagte auch er sich, daß die Lage in Deutsch-
land ein Hindernis für das geplante Kreuzzugsunternehmen war.
So lange die Thronfrage unerledigt blieb, war Deutschland nicht
handelnsfähig. Sollte die erste europäische Macht im Orient mit-
wirken, so mußte sie einen allgemein anerkannten König haben.
Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtete Gregor X. die deutschen
Verhältnisse". Er konnte ihnen nicht so teilnahmlos gegenüber
stehen, wie seine beiden Vorgänger.
Es kam ihm zugunsten, daß w^enige Monate nach seinem
Amtsantritt, am 2. April 1272, König Richard starb. Denn da-
durch w^urde die Sachlage vereinfacht. Nun glaubte allerdings
Alfons, daß durch den Tod seines Nebenbulders ihm die Wege
geebnet seien. Er hatte seine Bemühungen, in Oberitalien einen
sicheren Stützi)unkt zu gewinnen, nicht aufgegeben. Jetzt im
Sommer 1272 richtete er von neuem das Ansinnen an die Kurie,
den Tag für seine Kaiserkrönung zu bestimmen. Er forderte zu-
gleich, daß Gregor den deutschen Fürsten die Vornahme einer
Neuwahl verbiete. Aber Gregor war wenig geneigt, ihm zu will-
fahren. Er legte seine Anträge den Kardinälen vor und im Ein-
verständnis mit ihnen lehnte er sie ab. Er begründete die Zurück-
Königen Kaiser wird, sagt Humbert nicht: man mag vermuten, daß er die
Bestimmung der Kurie vorbehalten wollte. Diese Gedankenfolge scheint
mir mehr ffegon als für Wilhelms scharfsinnige Erklärung zu sprechen.
Der Oberlehnsherr träte unvermittelt ein, während der regelrecht bestätigte
Kaiser am Platze ist.
' Redlich S. 419, Rodenborg S. no, Wilhelm MlüG. XIX S. 158.
'^ Gregors Instruktion für Fredulus, Mit.t. aus d. vatik. Arch. I S. 52
Nr. 48.
— 51 —
Weisung mit der Erwägung, daß durch Richards Tod die Rechts-
lage nicht verändert worden sei; seinen Wählern könne eine
Neuwahl nicht verwehrt, einem Neugewählten Gehör nicht versagt
werden ^.
Damit war dem Rechte, das Alfons auf die Krone zu haben
behauptete, nicht präjudiziert, nur die sofortige Entscheidung zu
seinen Gunsten war abgelehnt.
In der Tat verschoben sich die Verhältnisse sofort; denn
Alfons blieb nicht lange der einzige Thronbewerber. Zwar die
phantastischen Gedanken, den jungen Friedrich von Thüringen,
einen Enkel Friedrichs II., gewissermaßen als Erben der Rechte
und Ansprüche Konradins aufzustellen, verdichteten sich nicht zu
greifbaren Plänen"-. Dagegen kam ernstlich in Betracht, daß
Ottokar von Böhmen seinen Ehrgeiz auf die Erlangung der deut-
schen Krone richtete 'l Er war der mächtigste Fürst im Reich ;
wußte er nun auch, daß er bei den Wahlfürsten wenig guten
Willen finden werde, so rechnete er um so sicherer auf die Zu-
stimmung und Unterstützung der Kurie. Er hatte ihren Interessen
gedient: nun meinte er ihren Dank ernten zu können. Schon im
Beginn des Jahres 1273 ward über seine Absichten verhandelt.
Im Sommer trat noch ein dritter Bewerber um das Kaisertum her-
vor: Philipp von Frankreich. Er war der Neffe Karls von Anjou.
Dieser große Politiker hatte ihm das Kaisertum nicht nur als er-
reichbar, sondern als unvergleichlich wertvoll für einen französischen
' Reg. de Greg. S. 65 Nr. 192 v. 16. Sept. 1272.
* Vgl. über diese Episode Grauert, Hist. IB. XIII S. lllfF.; u. Münch.
SB. 1901 S. 155; Kempf S. 254; Redlich S. 146; Busson, Hist. Aufs. f.
Waitz S. 324 if.
^ ßreßlau hat in den MIÖG. XV S. 59 ff. ein Stück aus einem Bericht
genue8. Gesandter v. 7. Febr. 1273 mitgeteilt, wonach Ottokar Anfang 1273
mit der Kurie über seine Tbronkandidatur verhandelte. Ein Kurialist er-
klärte ihnen, quod dominus papa et ecclesia Romana volunt quod impe-
rator eligatur et fiat. Breßlau erklärt den Satz gewiß richtig: Der Papst
will, daß ein Kaiser gewählt werde. Der Kurialist umgeht die Antwort
auf die Frage nach Ottokars Aussichten. Im Sommer ging eine zweite
Gesandtachaft über die Berge, s. d. Schreiben des Heinrich v. Isornia,
Reg. Bohem. H S. 1139 Nr. 2609. Daß Ottokar über die Stimmung der
deutschen Fürsten völlig klar dachte, sieht man aus der Denkschrift Bruns
von Olmütz, C.I. III S. r,mi\'. Nr. 620 v. 16. Dez. 1273. Jede Bewerbung
Ottokan um die deutgehe Krone bestreitet Goll, MFÖG. XXIII S. 487 ff.
Er nimmt an, daß 0. lediglich die Kandidatur des Königs Alfons förderte.
Aber konnten Brun v. Olmütz u. sein H«»rr in diesem wirklich den mäch-
tigen Kaiser sehen, nachdem sie ihn eben als Beispiel dafiir genannt
hatten, daß die deutachon Fürgten potentiam ipsam abhorront?
4*
— 52 -
König gezeigt: es sichere das Übergewicht Frankreichs in der
Welt K
Die Kurie stand vor neuen Entscheidungen. Mit unvergleich-
hchem politischen Takte wußte (Tregor die Alfons gegenüber aus-
gesprochene Entscheidung mit Rücksicht auf seine Mitbewerber zu
variieren. Rund zurückgewiesen wurde nur der Gedanke der
Erhebung Friedrichs von Thüringen. Ihn auszuschließen, genügte
seine Abkunft von Friedrich 11. '^ Dagegen wurde die Kandida-
tur Ottokars nicht abgelehnt, freilich auch nicht angenommen.
Gregor verbarg seine Wünsche und Absichten wieder hinter seiner
Achtung vor dem Wahlrechte der Fürsten. Aber er erinnerte
daran in einer Weise, die bei den Gesandten Ottokars den Ein-
druck machte, daß die Wahl ihres Herrn an der Kurie mit Freuden
begrüßt werden würde ^. Den Absichten Philipps von Frankreich
direkte Förderung zuzusagen, war Gregor nicht zu bewegen. Selten
ist eine Anmutung in so verbindlicher Form abgelehnt worden;
selbst auf die am weitesten gehenden Gedanken Philipps schien
Gregor mit einem gewissen Wohlwollen einzugehen*. Aber das
Nein war doch nicht zu überhören und über diesen Punkt war
Gregor nicht hinauszudrängen. Begründet hat er sein Nein mit
der Rücksicht auf den spanischen König: der Spnich über sein
Recht sei noch nicht gefällte Die Aussicht auf späteres Ent-
gegenkommen gegen Phihpp blieb also offen.
Man sieht, Gregor gab sich als Richter von peinlicher Un-
parteilichkeit. Er erreichte dadurch, daß er nicht in Gefahr kam,
sich nach irgend einer Seite hin zu binden. Daran lag ihm so
viel, daß er eine von Alfons im Herbst 1273 angeregte persönliche
Zusammenkunft ablehnte, zwar nicht für immer, aber für den
^ Gesandtschaftsbericht bei .T. J. Champollion Figeac, Documenta
histor. inedita I S. 652 if. Beigegeben eine Denkschrift Karls, Li raisons
de roi de Cesile, S. 655 f. Beide Aktenstücke nun auch C.I. III S, 585 Ö'.
Nr. 618.
^ Genuas. Bericht S. 60: Papa non vult quod Fredericus de Stufta
vel excommunicatus aliquis sit iraperator.
^ Ebenda: Nuncii regis Boemio recesserunt de curia alacriter, inter
quos est Jacobus de Roba de Creniona, qui nobis dixit, quod non displicebat
ecclesie, quod rex Boemie . . eligeretur in regem Romanorum,
* Gesandtschaftsbericht S. 586,33 ff. Der Gesandte trägt vor, daß es
für die Kirche heilsam wäre, wenn ihr Besitz in Italien von dem französ.
König regiert würde. Der Papst antwortet, es entspreche durchaus seinem
Wunsch, wenn Gott wolle, daß es geschehe, S. 587,3 ff.
•' S. 587.
53
Augenblick ^ Doch so unparteiisch wie er sich gab, war er in
Wirkhchkeit keineswegs. Der Richter war zugleich Politiker. Es
ist nun sicher, daß er Alfbns nicht als Kaiser wollte; denn dessen
italienische PoHtik bedrohte die päpstlichen Zirkel. Aber auch
Philipps Wünsche waren für die Kurie bedenklich: ein Ajnou als
Herrscher in Xeapel und der französische König Träger der
Reichsrechte im oberen und mittleren Italien — die Lage hätte
zu sehr an die Verhältnisse seit Heinrich VI. erinnert, als daß
man an der Kurie die große Gefahr, die sie in sich schloß, hätte
übersehen können -. Der scharfblickende Karl von Anjou hat sich
das nicht verborgen^. Xoch ein zweites Bedenken hegte Gregor;
er sagte den französischen Gesandten, er liebe Frankreich und
wünsche ihm den Frieden. Das war gewiß ernst gemeint. Der
Papst sah voraus, daß die Wahl eines dritten Fremden in Deutsch-
land nicht ohne Widerspruch und Widerstand sich durchsetzen
lassen würde. Dadurch aber wurde das höchste Ziel der päpst-
lichen Politik berührt. Denn, wenn PhiHpp erst in die wirren Ver-
hältnisse des Reichs verflochten war, was wurde dann aus seinem
geplanten Kreuzzug? Noch weniger als die Erhebung des spani-
schen Königs konnte Gregor die des französischen fördern. So
blieb Ottokar. Gründe von ähnlichem Gewicht, wie gegen seine
beiden Mitbewerber, sprachen gegen ihn nicht. Es ist deshalb
wohl glaublich, daß Gregor ihm die päpstliche Zustimmung hoffen
ließ, wenn er von den deutschen Fürsten gewählt werden würde.
Aber in dieser Bedingung lag die Schwierigkeit. Denn sollte man
an der Kurie sich darüber getäuscht haben, daß die einhellige Wahl
des tschechischen Fürsten ganz unwahrscheinlich war? Gewiß
nicht; und man legte mehr Gewicht auf diese Tatsache als in
Prag. Daher Gregors Zurückhaltung: er war vielleicht bereit,
Ottokar als König anzunehmen, aber er war sicher nicht geneigt,
ihn zum König zu machen.
Während die Fremden die deutsche Krone als eine jedem zu-
gängliche Beute betrachteten und die Kurie, indem sie die Ent-
scheidimg zu vermeiden schien, Bewerber ferne hielt, die ihr nicht
genelim waren, richteten sich auch in Deutschland die Gedanken
auf eine neue W.'ihl. Dem greisen Erzbischof von Mainz, Wern-
' I', 20758 V. 8, Nov. 1273; er vorwies den König auf eine mögliche
ZuHararaenkunft bei der Synode von Lyon.
' Vgl. die von Karl v, Anjou 1263 geforderton Zusagon, Ep. pont. 111
S. 513 Nr. 539,13.
' Er Htollte geinem Neftnn den Verzicht auf dio Koichsrochte in Italinn
als notwendig vor, S. 650.
— 54 —
her von Eppeiisteiii, gebührt das Verdienst, das Notwendige klar
erkannt und mit zäher Ausdauer zur Verwirkhehung geführt zu
habend AVenn er im Januar 1273 Verhandlungen mit Ludwig
von Baiern und dem Erzbischot" Engelbert von Köln über den
Zustand des Reichs plante ', so wird er an die Lösung der Thron-
frage gedacht haben. Richtete kurz darauf Ludwig das Ansuchen
an die Kurie, ihn vom Banne zu lösen, in dem er sich als Be-
schützer Komadins befand, so wird die Rücksicht auf die Neu-
wahl diesen Schritt wenigstens mit verursacht haben. Daß Gregor
des Herzogs Wunsch ohne Zögern erfüllte^, läßt vermuten, daß
ihm die Absichten Wernhers nicht unbekannt waren. Er ent-
fernte durch die Lösung Ludwigs eine der Schwierigkeiten, die
emer kirchlich unanfechtbaren Wahl im Wege standen. Brachte
er einige Wochen später die deutsche Thronfrage vor die Kardi-
näle und forderte er dann auf Grund dieser Beratungen die deut-
schen Fürsten zur Vornahme einer Königswahl auf mit der Er-
klärung, er selbst werde, wenn sie zögerten, den Thron nach dem
Rate der Kardinäle besetzen*, so kam diese Aufforderung den
Fürsten sicher nicht überraschend: sie war eine wertvolle Unter-
stützung der Bemühungen Wernhers ^
' Über ihn G. v. d. Kopp, EB. Werner v. Mainz, Gott. 1872; zur
Wahl Rudolfs, Grauert, Hist. JB. 1892 S. 19Bff.
- Urk. Wernhers v. Mainz über den Vergleich zwischen Herzog Ludwig
u. dem EB. v. Köln, v. 6. Jan. 1273 C.I. III S. 7 Nr. 1: Dom. Coloniensis
. . nuntios mittet sollempnes . . qui tam omnia supradicta, Vergleich mit
Ludwig, quam ea, que de statu imperii sunt tractanda, suo nomine tideliter
exequantur, tamquam si personaliter presens esset. Die Besprechung kam
nicht zustande.
' Die Lösung Ludwigs vom Banne erfolgte auf dessen Ansuchen, Font,
rer. Austr. II Bd. VI S. 67 Nr. 109, vgl. über den Brief v. d. Kopp S. 68.
Den Auftrag, ihn zu lösen, erhielt Heinrich v. Trier am 5. Mai 1273,
P. 20 725. Die Verhandlungen müssen also spätestens im Anfang des Früh-
jahres begonnen haben; ausgesprochen wurde die Lösung am 13. Juli 1273,
Böhmer, Wittelsb. Reg. S. 35.
^ Voraussetzung ist die seit Innocenz 111. an der Kurie herrschende
Anschauung, daß das Wahlrecht der KF. auf päpstl. Übertragung beruht,
Reg. de neg. imp. 62 S. 1065. Machen sie von ihm keinen Gebrauch, so
ernennt der Papst iure devolutionis. Vgl. oben S. 42 Anm. 5.
^ Der Wortlaut der päpstlichen Aufforderung ist nicht erhalten, die
Tatsache wird vielfach erwähnt, 8. Gottfr. v. Ensmingen, Scr. XVII S. 122,
Joh. V. Victr. 11,1 Font. I S. 299, Ann. Jan. z. 1273 Scr. XVHI S. 281, Ann.
Alderb. Scr. XVII S. 535 u. vgl. v. d. Ropp S. 72 Anm. 3. Ich zweifele,
ob die franzöR. Partei die Sache durchsetzte; für sie lagen die Verhältnisse
in Deutschland zu ungünstig; auch die Wendung, die Redlich S. 153 dem
— 55 -
So war sie gemeint und so hat sie gewirkt. Denn nun kam
es rasch zur Einigung unter den Wählern: am 1. Oktober 1273
wurde Rudolf von Habsburg einhelHg zum deutschen König ge-
wählt 1.
Wir wissen nicht, daß Gregor einen Einfluß auf die Ent-
scheidung der Personenfrage geübt hat. Es ist auch nicht wahr-
scheinlich, daß er ihn suchte. Denn die Gegensätze im Kardinals-
kollegium nötigten ihn, sich zurückzuhalten. Aber man kann nicht
zweifeln, daß die Wahl eines neuen Mannes ihm willkommen war:
sie befreite ihn von den Kandidaten, die er nicht wollte, Ottokar
aber galt ihm nicht genug, daß er um seinetwillen hätte Schwierig-
keiten machen sollen. Rudolf konnte deshalb von Anfang an auf
die Zustimmung der Kurie rechnen. Aber für die Politik Gregors X.
war doch nicht nur die Ordnung der deutschen Verhältnisse von
AVert. Ebenso wichtig war, daß sie auf eine Weise geschah, durch
die die Gewalt der Kirche über das Reich Anerkennung fand und
durch die alle im Kampfe mit den Hohenstaufen errungenen Vor-
teile gewahrt wurden. Dieser Gesichtspunkt rückte, nachdem
Rudolf gewählt war, in den Vordergrund. Und wieder hat man
Anlaß, die vorsichtige und geduldige Politik Gregors zii bewundern :
er wußte jeden Fehlgriff zu vermeiden und ohne zu drängen in
kleinen Schritten zum Ziel zu gelangen.
Der erste Schritt ging von Deutschland aus. Ende Ok-
tober 1273 gaben die Kurfürsten dem Papste Nachricht von der
Wahl und Kröimng Rudolfs und baten um seine Berufung
zum Empfang der Kaiserkrone. Offenbar war jedes AVort dieses
wichtigen Aktenstückes sorgfältig erwogen. Die deutschen Fürsten
vermieden die Bitte um Bestätigung ihrer Wahl: Rudolf ist ge-
wählter und gekrönter König. Aber hidem sie das Ansuchen um
die Kaiserkrone in die Worte kleideten, Gregor möge das Ge-
schehene, indem er ihm seine gnädige Billigung gewähre, durch
die Kaiserkrönung vollenden, kamen sie der päpstlichen Rechts-
auffassung weit entgegen: sie boten die Handhabe, in die Billigung
Gedanken gibt, macht ihn nicht annehmbarer. Die entgegengewetzte
Ansicht von Walter S, 67, daß Gregor dem unerträglichen Drängen der
Kardinäle ein Ende machen wollte, int nicht wahrHchoinlicher. Denn der
Papst mußte mit der Möglichkeit einer Wahl Philipps rechnen.
* KegeHta imperii VI, boarb. von 0. Kodlich, Innsbruck 1898. Ders.,
Rudolf V. Habsburg, Innsbr. 190:J. Th. Lindner, Deutsche Gesch. unter den
Habab. u. Lux., Stuttg. 1890; .1. Loserth, Gesch. des späteren MA., München
1903 S. 177tt., vgl. die H. 4r, Anm. 4 angef. Lit. Kine Oborsichl über die
Quellen, Reg. imp. S. 13 tt.
— 56 —
des Geschehenen die Prüfung der Person und die Bestätigung der
Walil hineinzulegen ^.
Der Papst weilte seit Ende November 1273 mit Rücksicht
auf die Vorbereitung der Synode in Lyon. Für ihn lagen die
Dinge nicht ganz einfach. Denn nicht nur hielt Alfons an seinem
Recht auf den deutschen Thron fest, sondern auch Ottokar, den
die deutschen Fürsten von der Wahl ausgeschlossen hatten, nahm
seine Niederlage nicht ruhig hin: er hatte alsbald nach der Wahl
gegen ihre Rechtsgiltigkeit au den Papst appelliert und nach der
Krönung in Aachen die Verwerfung der Wahl von Gregor ver-
langt^. Aber dadurch wurde dieser nicht unsicher. Es unterliegt
keinem Zweifel, daß er das kurfürstliche Schreiben freundlich auf-
nahm. Denn gegen Ende des Jahres eröffnete Rudolf Verhand-
lungen mit der Kurie. Sein Geschäftsträger war der Propst Otto
von Speier; er überbrachte dem Papst, dem Kardinalskollegium
und einzelnen Kardinälen könighche Schreiben^. Rudolf bat um
die Füi'bitte des Papstes, um die Kaiserkrönung, wie er sich in
dem Brief an den Kardinalbischof von Sabina ausdrückte, um das
ihm schuldige Diadem, aber auch er unterließ die Bitte um Be-
* C.I. in S. 17 Nr. 14, undatiert, nach der Krönung in Aachen,
24. Okt. 1273. Über die verschiedene Beurteilung des Schreibens s. Otto
S. 23. Das, was er den phrasenhaften Stil des Schriftstückes nennt, dient
der Absicht, den röm. Bestätigungsanspruch nicht zu bestreiten, ohne ihn
doch ausdrücklich zuzugeben. Denn entscheidend ist, daß nicht die appro-
batio electionis oder electi gefordert wird; es heißt: processum tarn rite
tarn provide . . de ipso sie habitum graciose approbacionis applausu beni-
volo prosequentes. Das Wort approb. kann in diesem Zusammenhang nicht
als term. techn. gefaßt werden. Ähnlich Redlich S. 170, wenn er das
Schreiben der KF. den Anspruch der Päpste nicht direkt anerkennen, ihm
aber entgej^enkommen laßt. Nur scheint mir dann der weitere Satz: So
gab man denn tatsächlich alles als Recht der Kurie zu, was sie ange-
sprochen hatte, zu weit gehend. Das gleichzeitige Schreiben Wernhers an
Gregor S. 18 Nr. 15 kommt neben dem Schreiben der Fürsten nur als
Empfehlungsbrief in Betracht.
^ C.I. lll S. 19 Nr. 16, undatiert; vgl. den Bericht Bruns v. Olmütz
an die Kurie v. 16. Dez. 1273 S. 589 Nr. 620.
' C.I. III S. 23 Nr. 21—25. Der Brief des Königs an den Papst ist
undatiert, der an die Kardinäle trägt das Datum v. 22. Dez. 1273. Man
hat früher den ersteren vor den Krönungstag gesetzt; so noch Walter S. 71.
Aber Otto ist sicher im Rechte, indem er die Briefe für gleichzeitig er-
klärt, S. 24. Ihre l bereinstimmung stellt das außer Frage; vgl. Reg. imp.
S. 30 Nr. r)8. Ich bemerke übrigens, daß Rudolfs Brief an den Papst nicht
vollständig erhalten ist. Ks fehlt das Stück, durch welches Otto legitimiert
wurde; das beweist die päpstliche Antwort, S. 27,5.
— 57 —
stätigung\ Wozu er seinerseits bereit war, legte Otto in einer
Sitzung des Konsistoriums mündlich dar: Förderung der Kirche,
Erhaltung des Weltfriedens, insbesondere ein Kreuzzug. Die Er-
widerung des Papstes entsprach genau dem Vorgehen des Königs:
der Gesandte brachte ein päpstliches Antwortschreiben zurück; es
enthält die Annahme der durch Otto abgegebenen Erklärungen"^,
die Antwort auf Eudolfs Begehren hatte der Gesandte mündlich
zu überbringen ^ Sie war ohne Zweifel hinhaltend. Denn noch
waren beide Teile nicht einig. Das sagt das päpstliche Schreiben,
ohne es auszusprechen. Seit dem 24. Oktober 1273 war Rudolf
gekrönt; aber das Schreiben ist an den erwählten König gerichtet.
Nach dem Sinne der Kurie war der erwählte der noch nicht be-
stätigte*. Li dem einen Wort spricht sich der Zwiespalt zwischen
dem Standpunkt der Deutschen und der Rechtsanschauung der
Kurie aus. Für die Deutschen war das Königtum Rudolfs eine
rechtliche Tatsache, für die Kurie war es ein erst zu prüfender
Anspruch. Formell stellte sich Gregor Rudolf nicht anders gegen-
über als Alfons.
Wer möchte zweifeln, daß man auf beiden Seiten sich der
Verschiedenheit der Anschauungen bewußt war? Aber man hütete
sich, daraus einen Streitpunkt zu machen. Denn auf beiden Seiten
wollte man eine Verständigung. Die Verhandlungen hatten also
ihren Fortgang. Gregor hatte die durch den Propst Otto ge-
machten Zusagen angenommen; aber er wünschte ihre ausdrück-
liche Ratifikation durch den König. Rudolf war sofort bereit dazu;
in einem Schreiben vom 27. Februar 1274 bestätigte* er alles, was
Otto versprochen hatte ^ Jetzt erst trat Gregor mit den prinzipiell
wiclitigen Anforderungen hervor: er verlangte die Bestätigung aller
von den früheren Kaisern der römischen Kirche gewährten Privi-
legien und geleisteten Eide und Sicherstellung des territorialen
* Redlich wagt deshalb zu viel, wenn er von , rückhaltlosem Eingehen
auf den .Standpunkt der Kurie* spricht, Rud. v. Habsb. S. 171.
* C.I. III S. 27 Nr. 2.'), undatiert. Da die Briefe Rudolfs erst im
Januar 1274 in Lyon angekommen sein können, so ist Ende Jan. das früheste
mögliche Datum; vgl. Reg. imp. S. 36 Nr. 97.
■' Hec et alia . . oxcellontie tue ipsius, des Propstes, fidelis relatio
exponere poterit ministerio vive vocis.
' Dhm ergibt sich aus dem Gebrauch des Titels seit Urban IV., h. o.
8. 37 f. u. vgl. Ep. pont III S. Ml Nr. 558, 8. 550 Nr. 501, S. 662 Nr. 658,
S. 675 Nr. 661, S. 681 Nr. G65, Reg. de Greg. S. 3 Nr. 3.
■^ C.I. III 8. 82 Nr. 34 v. 27. Febr. 1274. Der Überbringer wm .I.m-
oberdcutücho Minoritcnprovinxial Konrad, d(!r spätere B. v. Tou!.
— 58 —
Besitzes der nimischon Kirche in Italien^. Das war die unerläß-
liche Voraussetzung für seine Mitwirkung zur Ordnung der
deutschen Verhaltnisse: der Ertrag der Kämpfe mit den Hohen-
staufcn mußte gegen jede Erschütterung gesichert werden.
Kudolf war ein Streitgenosse der letzten Hohenstaufen ; noch
als Konradin über die Berge zog, hatte er ihm das Geleite ge-
geben. Aber schwerlich kostete es ihm einen Kampf, auf die
Forderungen Gregors einzugehen. Der entschlossene Kriegsmann
war ein besonnener Rechner, der die wirklichen Verhältnisse nie-
mals aus den Augen verlor. Daß Friedrich IT. die kirchlichen
Rechte der Päpste anerkannt hatte, mußte für ihn schwer ins Ge-
wicht fallen. Mehr als er geleistet hatte, forderte Gregor auch
jetzt nicht. Bedenkhcher war die zweite Bedingung, und es läßt
sich sehen, daß Rudolf ihre Tragweite nicht verkannte. Denn er
nahm sie nicht ohne einen Vorbehalt an: er erkannte den terri-
torialen Zustand Italiens nur soweit an, als es ohne Verlust für
das Reich möglich war'-. .
Die Kurie hat später einen solchen Vorbehalt zurückgewiesen;
im Augenblick ließ Gregor ihn außer acht. Indem er vermied,
Schwierigkeiten zu machen, folgte er seinem eigenen Impuls: zu-
^ Diese ForderiiDgen sind in Gregors Antwort v. 25. März 1274 S. 33
Nr. 35 nicht ausgesprochen; sie ist nur formell. Sie ergeben sich aber aus
der Vollmacht Rudolfs für den Kanzler Otto, S. 42 Nr. 48 v. 9. Apr. 1274:
iMandatum faciendi nomine meo b. Petro ap. . . ac vobis . . confirmationes,
concessiones, privilegia, iuramenta et cetera omnia, que mei predecessores
. . fecisse noscuntur . . necnon et alia promittendi seu faciendi, que vos . .
sine demembratione imperii secundum Deum et honestatem videritia expe-
dire. Daß die zweite F"orderung sich auf die territorialen Verhältnisse be-
zog, macht der Vorbehalt sine demembratione imperii sicher. Der Zweifel,
ob mündliche Aufträge an Rudolf kamen, Otto S. 29, ist, wie mich dünkt,
unbegründet. Die bestimmte Vollmacht setzt bestimmte Forderungen voraus.
Redlich, MIÖCt. X S. 359, rechnet zu ihnen auch die Entscheidung des Kon-
zils; aber das läßt sich aus der Vollmacht nicht entnehmen.
- Daß die Worte sine demembratione imperii als Vorbehalt zu ver-
stehen sind, ergibt sich aus dem späteren Schreiben Gregors bei Theiner,
C. d. I S. 188 Nr. 835: Plenum mandatum et liberam potestatem sine cuiue-
libet condictionis adiectione concessurus eisdem. Auch die Instruktion
Nikolaus' 111. V. 5. Juni 1278, S. 208 Nr. 360 ist zu ver^^leichen. Nach ihr
sollte Rudolf Spezialbovolimächtigte mit uneingeschränkter Vollmacht
schicken, absque conditionali adiectione „salvo iure vel demembratione im-
perir* aut alia simili, cum tales clausule captiose plurinium videantur. Es
scheint mir deshalb, daß Redlich zu viel sagt, wenn er Rudolf auf jeden
Widerspruch gegen weitergehende territoriale As^xirationen der Kurie ver-
zichten lilßt, S. 176.
— ob-
gleich kam er den Wünschen des Konzils entgegen. Denn auch
hier hatte die Beilegung des Streits um die römische Krone leb-
hafte Sympathien. So kam es denn auf Grund der Erklärungen
Rudolfs am 6. Juni 1274 zu Lyon in einem öffentlichen
Konsistorium zu der berühmten Eidesleistung durch den könig-
lichen Kanzler Otto: namens des Königs beschwor er alle von
Otto IV^. und Friedrich IL an Lmocenz III. und Honorius III.
gemachten Zusagen, ferner gelobte er, daß Rudolf die Länder der
römischen Kirche und ihrer Vasallen, besonders Karls von Sizilien,
nicht verletzen werde. Endhch sagte er zu, daß Rudolf, wenn der
Papst es wünsche, diese Eide persönhch wiederholen werde; auch
werde er nach der Kaiserkrönung seine Zusagen erneuern und
Sorge tragen, daß die deutschen Laienfürsten die Gewähr für ihre
Erfüllung übernähmen ^
Der 6. Juni 1274 war für Rudolfs Königtum bedeutungsvoll,
nicht minder auch für die päpsthche Gewalt. Sicherte er jenem
die päpstliche Unterstützung, so leistete er dieser die Gewähr, daß
die Erneuerung des deutschen Königtums nicht den Wieder-
ausbruch der kirchlichen Kämpfe bedeutete ; diese waren geschlossen ;
vom deutschen Königtum hatte die Kurie nichts mehr zu be-
fürchten.
Rudolf konnte erwarten, daß nun Gregor aus seiner bisherigen
Zurückhaltung heraustreten würde. Das war die allgemeine
Meinung-. Doch geschah es nicht sofort. Denn Gregor hielt
daran fest, daß zuvor Alfons zum Rücktritt bestimmt und der
Zwiespalt zwischen Ottokar und Rudolf beigelegt werden müsse.
Aber beide Unternehmungen rückten nicht von der Stelle'^, so daß
er schheßlich dem Drängen Rudolfs^ nachgab und die Entscheidung
zu seinen Gunsten fällte. Es geschah im September 1274. Ge-
brauchte er bei der Eröffnung seines Beschlusses an den König
die Formel: Te regem Romanorum de cardinalium consilio iiomi-
namus'*, so war nach dem ganzen Verlauf der Sache diese Formel
> C.I. Hl S. 43 Nr. 49; BeHtätigiing durch die Fürsten Nr. 50.
- Brief eine« Ungenunnten über die Synode zu Lyon : Creditur pro
certo, quod d. papa velit subito d. Kudolf'um coronare in imperatorem,
Wiener Briefaamralung S. 22 Nr. 23.
3 Vgl. über diese Verhandlungen »{odlich 8. 362, Zistorer S. 89fl\,
Otto S. 31 tt., Giese S. 10 f.
* Bf. Rudolfs an einen Kard., Wiener Briefs. S. 27 Nr. 28.
• C I. III S. 56 Nr. 66 v. 26. Sept. 1274. Gleichzeitige Eröffnung an
difj Fürsten, lieg. d(; Greg. S. 295 Nr. 679. Später sagt Gregor: Cum fra-
tribus nostris diligenti tractatu habito deuominatione [regia] tibi do ipso-
rum consilio ah* rijjta, C.I. 111 8. 05 Nr. 77 v. 15. Febr. 1275; ebenso nu die
— CO —
völlig unzweideutig. Sie enthielt nicht die Ernennung Rudolfs zum
König, aber auch nicht nur die Anerkennung der Tatsache, daß
er von Rechts wegen König war. sondern sie sprach die Ent-
scheidung aus, durch welche sein Recht zwar nicht begründet, aber
vollendet wurde. Sie entsprach sachlich der Bestätigung, die
Innocenz HJ. für den Papst in Anspruch genommen hatte, obgleich
CTregor das Wort vermied. Gregor betrachtete denn auch den
Beschluß des Konsistoriums als eine Rechtsentscheidung: Genötigt
durch die Gerechtigkeit und gezw^ungen durch unser Gewissen
halx'ji wir Rudolf den Köiiigstitel beigelegt, mit diesen Worten
teilte er Alfons die zu seinen Ungusten gefallene Entscheidung
mitV Auch in anderen Erlassen betonte er den Rechtscharakter
seines Beschlusses". An der Kurie aber sprach man unbedenkHch
von der Bestätigung der deutschen Königswahl ^
Man kann nicht sagen, daß Rudolf irgend etwas, was er
bisher gesagt oder getan hatte, zurücknahm, indem er die Kurie
über sein Recht auf den deutschen Thron entscheiden ließ. Aber
es läßt sich schwerlich leugnen, daß er sich von der Linie ent-
fernte, die er zuerst eingehalten hatte. Er ließ nicht nur ge-
schehen, w^as er zuerst nicht begehrt hatte, sondern er trieb auch
dazu an, daß es geschah. Und nachdem es geschehen war, hatte
er kein Bedenken, das Geschehene mit dem rechten Namen zu
nennen: auch er sprach von seiner Bestätigung im römischen
Reich"*. Ein neues Zugeständnis hat er damit nicht gemacht;
aber er gab jeden Vorbehalt bei der Anerkennung der Zustände
Fürsten S. 66 Nr. 7>^. Vgl. den Bf. des Kard. Ubertus, Wiener Brief-
sammlung S. 28 Nr. 29.
' Cod. opist. Rudolfi v. Bodmann S. 21 Nr. 19.
* Wiener Briefsammlung S. 52 Nr. 48: Quantum qualeve ius; Keg.
Bohem. II S. 378 Nr. 905: Cum ordinationem imperii iustitia suaderet.
^ Der Kard. Ottobonus gebraucht die Worte solompniter approbare.
Baump. Formelb. S. 402 Nr. 56. Die Ansicht von Zisterer S. 112, die An-
erkennung Rudolfs durch die Kurie habe keine andere Bedeutung gehabt,
als die Anerkennung der politisch einflußreichsten internationalen Groß-
macht des Abendlandes, wird, wie mich dünkt, weder den tati»iich liehen
Verhältnissen, noch den gebrauchten Formeln gerecht. Wie hätte Gregor
Iludolf aU , gewissermaßen das Werk seiner Hände* bezeichnen können,
Reg. Boh. II S. 385 Nr. 919 v. 13. Dez. 1274, wenn er ihm gegenüber nichts
anderes getan hätte als Eduard VII. gegenüber Peter v. Serbien?
* C.I. ms. 69 Nr. 88, März 1275: Confirmatos in regno Romano a
s. patro nostro. Auch Johann v. Victring spricht von der Bestätigung der
Wahl; nur läßt er sie irrig in Lausanne geschehen, 11,3 S. 307.
~ 61 —
auf, die sich seit der Niederlage und dem Untergang des liohen-
staufischen Hauses gebildet hatten.
Daß jetzt Alfons sich zu dem so lange abgelehnten Verzicht
auf die deutsche Krone entschloß, war ein Erfolg der zuwartenden
Politik Gregors. Es mochte ihm zur Befriedigung gereichen, daß
der König bei einer Zusammenkunft in Beaucaire im Sommer 1275
ihm pei*sönlich seinen Verzicht erklärte. Aber dadurch wurde im
Grunde nur noch eine formelle Schwierigkeit beseitigt; die Er-
eignisse hatten längst die Aussicht zerstört, daß der Gewählte von
1257 seine Absichten erreichen würde. Gregor trug Sorge, daß
die Tatsache seines Verzichts nicht dadurch verhüllt wurde, daß
er den Titel eines römischen Königs weiter führte: nachdem er auf
die Sache verzichtet hatte, mußte er sich entschließen, auch dem
Wort zu entsagend
Nachdem Gregor die Anerkennung Rudolfs ausgesprochen
hatte, lag es in seinem Interesse, die ganze Angelegenheit durch
die Kaiserkrönung auch äußerlich zum Abschluß zu bringen. Er
ließ keinen Zweifel daran, daß er dazu entschlossen war-. Wie
Rudolf wünschte, setzte er im Februar 1275 den Krönungstag
fest. Er bestimmte dafür den 1. November 1275 '^. Im Oktober
vorher fand eine persönliche Zusammenkunft des Königs und
Papstes in Lausanne statt: sie bekundete vor aller Welt das voll-
kommene Einvernehmen beider. Im neuerbauten, vom Papste eben
geweihten Dom wiederholte Rudolf am 20. Oktober vor einer
glänzenden Versammlung geistlicher und weltlicher Großer die Zu-
sagen seines Kanzlers. Wie einstmals Otto IV. und Eriedrich II.
gelobte er, die Besitzungen, Ehren und Rechte der römischen
Kirche zu schützen, und versprach er Gehorsam und Ehrerbietung
gegen Gregor und seine Nachfolger. Dann nahm er aus seiner
' Bf. Gregors an Alfons v. 11. Juni 1274, P. 20845, Instrukt. für den
Nuntius Fredulus, Mitt. aus d. Vat. Arch. I S. 52tf. Nr. 48 u. 49 v. 11. Juni
1274, S. 99 Nr. 88 v. 28. Juli 1275; Gregor an den deutschen Episkopat
13. Sept. 1275 C.I. III S. 596 Nr. 622, an den EB. v. Sevüla P. 21 072 f. v.
13. Sept. 1275, an dens. 28. Sept. 21080, Vita Greg. S. 603; vgl. Otto, MIÖG.
XVI S. 128 ff.
' Vgl. seinen Brief an Rudolf v. 1. Dez. 1LJ74 Baumg. Form. buch 2
Font. rer. Auntr. 2. Abt. XXV S. 110, auch Wiener Briofsainnilung 8. 57
Nr. 51 f. Über die Verhandlungen mit Karl v. Anjou, die eine Schwierigkeit
bildeten, s. Redlich, Rudolf S. 183 ff.
' CI. 111 S. 6i Nr. 77 v. 15. Febr. 1275. Rudolf hatte den 23. Mai
1275 gewünncbt. Der Termin wurde «püter auf den 2. P'ebr. 1276 vor-
schoben.
— 62 —
Hand das Kreuz. Seinem Beispiel folgte eine große Zahl von
Fürst(Mi und Herren*.
Als Kudolf vom Papste schied, konnte er glauben, daß alle
Hindernisse, die dem Empfang der Kaiserkrone im Wege standen.
ül)erwunden seien ^. Wenn es gleichwohl nicht zur Krönung kam.
80 traf die Schuld nicht Gregor. Für das gegenseitige Verhältnis
der beiden Gewalten bheb deshalb die uneingelöste Zusage ohne
Folgen. Rudolf brachte der Kurie alle Rücksicht entgegen, die
sie beanspruchte, und er wußte dabei die Achtung des päpstlichen
Hofes zu gewinnen. Noch Jahrzehnte später hat man in Rom von
seiner unbedingten Zuverlässigkeit wie von etwas Sprichwörtlichem
geredet "^ Auf der anderen Seite war ihm Gregor bei der Be-
setzung der deutschen Bistümer zu Willen. Daß er Sigfrid von
Westerburg den Kölner Erzstuhl verlieh, geschah auf den Wunsch
Rudolfs*. Nicht minder war die Erhebung des Protonotars
Heinrich auf den bischöflichen Stuhl von Trient^ und die Ernennung
des Minoriten Heinrich von Isny zum Bischof von Basel ^ ein Be-
weis von entgegenkommender Freundlichkeit. Der Friedensstand.
der sich auf diese Weise bildete, entsprach den Wünschen und den
Bedürfnissen Deutschlands. Als Rudolf dem Erzbischof Friedrich
1 C.I. ITT S. 80 ff. Nr. 89—92; Nr. 89 ist der Eid des Königs: er
wiederholt den Eid Friedrichs II. v. 12. JuH 1213, der wieder auf dem Eide
Ottos IV. von 1201 beruht. Der einzige Unterschied ist, daß Rudolf nur
dem Papst und seinen Nachfolgern schwur, während die Formel früher
hieß: dem Papst, seinen Nachfolgern u. der röm. Kirche. Das Privilegium
Nr. 90 wiederholt in seinem Hauptstück das Hagenauer Versprechen
Friedrichs II. v. 19. Sept. 1219, bezw. das von P^ger v. 12. Juli 1213; dazu
tritt die Wiederholung der Zusagen v. 6. .luni 1274. Nr. 91 bestätigt die
wörtlich eingerückte Erneuerung der früheren Privilegien v. d. T. Nr. 92
endlich wiederholt die Zustimmung der Fürsten zu den Abmachungen
zwischen Friedrich II. u. Innocenz III. über Sizilien. Über die Vorgänge
8. V. Greg. S. 603, Cron. 8. Petri Erf. mod. S 273, Ann. Basil. Scr. XVII
S. 198, Ann. Suev. Scr. XVII S. 283. Job. v. Victring 11,6 Roc. A. S. 22S
Rec. B. S. 274 läßt Rudolf Kaiserkrönung u. Krouzzug ablehnen. Der Irr-
tum erklärt sich wohl daraus, daß Johann aus den Ereignissen auf die Ver-
abredung geschlossen hat.
^ Vgl. so. Hfe. Wiener Bfsammlg. S. 66 Nr. 58—60.
•■' Ronifaz VITI. 1303: Vulgariter dicobatur . . Non habet veritatem
dictum istius, sicut dictum Radulphi comitis, C.I. IV" S. 140,29 f.
* Reg. de Greg. S. 187 Nr. 468, vgl. Rudolfs Brief, Wiener Bfsammlg.
S. 304 Nr. 245.
^ P. 20924 Wiener Briefsamml. S. 304 Nr. 243.
" Wiener Briefsammlg. S. 40 Nr. 87. Vgl. über ihn Eubel, H.IB. IX
S. 393 iV.
von Salzburg den für die Krönung festgesetzten Tag mitteilte, er-
widerte dieser mit dem Ausdruck der Freude über die nun be-
stehende Eintracht zwischen Königtum und Priestertum ^ Aber die
Voraussetzung des Friedens war die vorbehaltlose Anerkennung
der kirchlichen und der politischen Obergewalt des Papstes in
Deutschland. Gregor hatte sie ohne jede Einbuße oder Verdunke-
lung zu behaupten gewußt. Wenn es schwerer ist, einen großen
Erfolg festzuhalten, als ihn zu erringen, so kann Gregor X. der
Ruhm nicht versagt werden, daß ihm das Schwerere gelang.
Und doch muß man fragen, ob er die Aufgaben, die sich aus
seiner Stellung ergaben, wirklich erkannt hat. Die Ideen, denen
er diente, gehörten einer Zeit an, die im Vergehen begriffen war:
päpstliche Weltherrschaft war ein Gedanke, der Gehalt hatte für
die Welt, die im Imperium geeinigt war. Aber die Zeit des Im-
periimis war vorbei, mächtig drängte die Entwickelung dem natio-
nalen Staat entgegen. Auch in Deutschland gehörte die Zukunft
nicht mehr dem Kaisertum, sondern der Fürstenmacht und der
städtischen Freiheit. Die Befreiung des heiHgen Grabes war ein
Gedanke, der Gehalt hatte für die Welt des Rittertums. Aber
die Zeit des Rittertums war vorbei, die Zeit des Bürgertums war
schon vorhanden. Die Begeisterung für vergangene Ideale verleiht
den Persönlichkeiten, die sie erfüllt, einen gewissen Glanz: es um-
spielt sie der Zauber der Romantik. Etwas von diesem Schimmer
liegt auf der Persönlichkeit Gregors X. Aber diese Begeisterung
ist unfruchtbar, denn sie übersieht die Aufgabeo, die die neue Zeit
mit sich bringt. Das war bei Gregor der Fall. Wäiirend er sich
mit dem Gedanken trug, an der Spitze eines europäischen Kreuz-
heeres in den Orient zu ziehen, bemerkte er nicht, daß in der
Heimat eine weit wichtigere und schwierigere Arbeit zu leisten war.
Die vielen Mißstände, die unter dem päpstlichen Regiment und
zum Teil durch das päpstliche Regiment in der Kirche um sich
fraßen, forderten Abhilfe; aber sie wurden nicht beseitigt, kaum
ernstlich l)ekämpft. Was man ursprüngHch als Ausnahmemaß-
regel entscliuldigt hatte, wurde je länger, je mehr Regel. Die
Besetzung der Bistiimor ohne Wahl", die Reservation und die
» BaumK-, FB. S. 346 Nr. 1.
* Orejfor hat nach dorn Rej^ister in den vi(»r Jiilircn seinor Ii(';^n(»riin^''
zwamit^ lÜHchöfe ornjinnt: I27'2 Lyon, Urado, 12?:^ Compostolla, Voltorra,
Vercelli, Aix, 1274 Aquileja, Lüttich, UpHala, Würzburj?, 1275 Köln, Münster,
Caatello, lira^a, Sogovia, Valence, HnrgOH, Ciicnza, Oviedo. Dan Verzoichnift
iit abor nicht vollHtändi^; au« Doutüchhin«! fohlt (iorhard v. Vordnn, 1275
«mannt. Von doutöchon lÜHchotMWulilon 1272 — 76 KJnd bokannt. 127:i Straß-
— 64 —
Vergebung von erledigten oder nicht erledigten Pfründen*, die
anstößigen Dispensationen von der Ordination, von der Residenz-
pfiicht, von dem Verbot der Pluralität der Benefizien -, dies alles
war unter (irogor X. so wenig Ausnahme wie unter Innocenz IV.
Aber dies alles war, mit kirchlichem Maß gemessen, Unrecht. Zu
einer Quelle neuer Mißbräuche wurde Gregors eigenstes Werk,
der Lyoner Kreuzzugszehnte. Daß Gregor die Hälfte des erst-
jährigen Zehnten Philipp von Frankreich zusprach ^, rief mit Recht
allgemeinen Widerspruch hervor*. Aber war es besser, daß er
Rudolf von Habsburg für seinen Romzug 12000 Mark aus dem
Zehnten bewilligte''? Selbst die richterlichen Entscheidungen der
Kurie unter Gregor waren nicht einwandfrei. Ich bezweifele nicht,
daß Heinrich von Geldern wirklich so unwürdig war, wie Gregor
ihn schilderte. Aber die Verurteilung des Lütticher Bischofs
durch seinen einstigen Archidiakon ", steht doch erst dann im
rechten Licht, wenn man sie neben die Restitution Heinrichs von
Trier stellt. Gegen diesen hatte Urban IV. auf Grund schwerer An-
klagen 1:^61 eine Untersuchung angeordnet, Clemens IV. hatte seine
bürg, Salzburg, Riga, 1274 Konstanz, Hamburg, 1275 Verden. Unbekannt
ist die Art der Besetzung bei Chur u. Speier 1272 u. Naumburg 1273.
' Reg. 92, 112; 377, 401, 464, 590, 622; 75—78, 225, 230, 235, 256,
298, 301, 411, 619; 101, 115, 131, 240, 413, 424ft"., 460, 463, 617. Auch
hier ist das Register nicht vollständig.
" Reg. 133; 97, 288, 579, 582; 73, 74, 370, 406, 440, 606, 612—622.
■' P. 20875 V. 31. Juli 1274, vgl. Mitt. aus d. vat. Arcb. 1 S. 118
Nr. 108 f.; S. 225 Nr. 232 u. S. 268 Nr. 238
^ Für den Widerspruch in Deutschland kommt in Betracht die Ent»
Scheidung Nikolaus' III. gegen den Protest von 6 Domkapiteln der Mainzer
Erzdiözese, Mitt. aus dem vat. Arch. I S. 116 Nr. 107 v. 23. Jan. 1278.
Appellation dos Würzburger Klerus v. 14. Sept. 1277 M. B. XXXVII S. 480
Nr. 415. Magdeb. Syn. unter Konrad IL, Posse S. 89 Nr. 1078f. Auch Sig-
frid von Köln verweigerte den Zehnten, Mitt. aus d. vat. Arch. I S 268
Nr. 237 v. 13. Mai 1282. Die Bischöfe von Utrecht u. Osnabrück nahmen
die bereits gesammelten Zehnten an sich und verwendeten sie für andere
Zwecke, a. a. 0. S. 144 Nr. 130 v. 5. Sept. 1278 u. S. 280 Nr. 246 v. 10. Aug.
1282. Der Hildesheimer Bischof Sigfrid bezahlte mit den eingegangenen
Geldern seine Schulden. Das Kl. Stedernburg hatte als Zehnten 27 Mark
bezahlt. Gesta praep. Stedornb. Scr. XXV S. 730. Über die Erhebung
im EB. Salzburg s. d. Libellus decim. v. 1285, herausgegeb. v. Hauthaler
1887 u. Steinherz, MlÖG. XIV S. Itt".
^» Gerbert, Cod. ep. Rud. S. 87 Nr. 22; vgl. Annal. ßasil. z. 1275
Scr. XVII S. 198.
« Vgl. oben S. 45 Mansi XXIV S. 65 u. Ann. s. Jac. Leod. S. 642 be-
richten von dem erzwungenen Rücktritt des B. zu Lyon, 3. Juli 1274.
— 65 —
Suspension ausgesprochen. Unter Gregor wurde ihm die Ver-
waltung des Erzbistums zurückgegeben, ohne daß die begonnene
Untersuchung zu einem Abschluß gekommen wäre. Er hatte an
die päpsthche Kammer 33000 Mark Silber bezahlt ^
Es ist nicht ungerecht, wenn man sagt, daß die päpstliche
Verwaltung unter Gregor X. nicht besser war als unter seinen
Vorgängern. Man hat ihn gerühmt, weil die großen Aufgaben
der allgemeinen Kirche ihn gefesselt hätten. Aber es ist ein billiges
Verdienst sich für glänzende und unausführbare Gedanken zu be-
geistern. Wirklich Ersprießliches leistet nur der Mann, der die
nächsten, wenn auch beschwerlichen und undankbaren Aufgaben
löst. Das hat Gregor X. nicht getan. Unter den Nachfolgern
Innocenz' IV. war er der bedeutendste Mann. Aber was er leistete,
war vergeblich: die Kreuzzugsidee war tot, die Vereinigung mit
den Griechen war Schein, die päpstliche Weltherrschaft war ein
Gedankending. Aber wirklich und wirksam waren die Mißstände
in der Kirche: sie nagten an dem Fundament der päpstlichen Ge-
w^alt Da ihnen nicht gewehrt wurde, so lange es möglich war,
ging das Geschick seinen Weg.
* Der Prozeß Heinrichs ist ausführlich, aber in sehr feindlichem Sinn
dargestellt in den Gesta Heinr. ae. Trev. 5 ff. Scr. XXIV S. 416ff. Zur Er-
gänzung dienen die Briefe u. Akten bei Martene, Ampi, coli IV S. 324 ff.,
469ff. u. Reg. de Greg. S. 30ff. Nr. 90, 91, 95 v. 25. Okt. u. 9. Dez. 1272.
Haack, KirohengMchicbte. V
Zweites Kapitel.
Die geistliche Landesherrschaft.
In einem Rechtsspruch, der von Fürsten. Freiherren und
Edehi vor Friedrichs II. Sohn, dem König Konrad, erlassen wurde,
Hest man, daß die Bischöfe die beiden Schwerter, das geistliche
und das weltliche, führten ^ In der Tat unterschied sich dadurch
der Episkopat des Reiches von dem Episkopat in den übrigen
christhchen Ländern. Dort waren die Bischöfe die Leiter der
Kirche, hier waren sie zugleich Fürsteir-. Das deutsche Fürsten-
tum aber war im Mittelalter keine konstante Größe: aus dem Be-
amten- und Lehnsfürstentum wurde allmählich das Landesfürsten-
tum. Dieser Wandel traf auch die geistlichen Großen. Auch sie
wurden schließlich zu Landesherren.
Diese Tatsache hat einen außerordentlich großen Einfluß auf
die Entwicklung Deutschlands gehabt. Schon unter König Rudoh^
war die Haltung der geistlichen Fürsten König und Papst gegen-
über nicht so sehr durch kirchliche Überzeugungen als durch die
' C.l. II S. 444 Nr. 333 v. 1240.
- Demgemäß schreibt Albert von Sachsen 1231 an die Bischöfe: Cum
non tantum episcopi sed et principes et domini sitis, Chron. Albr. r. 1231
Scr. XXI II S. 928 f. Albrich selbst bemerkt, quod in Alemannia omnes
archiepiscopi et opiscopi et quidam excellentiores nigri abbates et omnes
duces et quidam marchiones et lantgravius Thoringie et palatinus comes
de Rliono. omnes isti vocantur principes. Dasselbe wird im Vertrage
Friodricha I. mit Borthold IV. von Zäringen bez. der burgundischen Bischöfe
vorausgesetzt; doch ist dabei bemerkt: Si quos autem episcopos comes
Wilholmus vel alii principe« eiusdem terrae investierunt, eosdem dux in-
vestiat, C.l. I 8. 199 Nr. 141. Der H. von Basel wurde unbestritten zu
den Reichsfürsten gerechnet.
— 67 —
Rücksicht auf ihre territoriale Politik bedingt. Unter seinen Nach-
folgern, besonders unter Ludwig d. B., war das in noch stärkerem
Maße der Fall. Vollends der Gang der Reformation ist, wenn
man die Territorialgewalt der geistUchen Fürsten außer acht läßt,
nicht zu verstehen. Als das deutsche Volk sich vom Papsttum
abwandte, war es die geistliche Landesherrschaft, die im westlichen
und im mittleren Deutschland den Katholizismus rettete.
Wir vergegenAvärtigen uns die Entwickelung des geistlichen
Fürstentums zum Territorialf ürstentum ^.
Fürstentum und Landesherrschaft fielen in Deutschland nicht
zusammen. Das erstere ist älter; es war die Voraussetzung für
die Bildung der letzteren. Wie früher dargelegt, hatte das geist-
liche Fürstentum seinen Ursprung im Erwerb staatlicher Rechte,
besonders der gräflichen Gerichtsbarkeit, durch die geistlichen
Großen -. Die Bischöfe und die Abte der königlichen Klöster
waren Fürsten, da sie Inhaber von Regalien waren. Dann griff
die Entwickelung des Lehnswesens ein. Man beurteilte den Besitz
der Regalien von den Gesichtspunkten des Lehnsrechtes aus. Im
Zusammenhang damit stand, daß man sich gewöhnte, das gesamte
weltliche Gut und alle daran haftenden Rechte der geistlichen
Fürsten als eine einheitliche Masse zu betrachten. So verschieden
der L^rsprung dieses Besitzes und so ungleich die Art war, wie er
im Laufe der Jahrhunderte zusammenkam, so wurde er dennoch
als gleichartig betrachtet: er bildete das Lehn des betreffenden
Bischofs oder Abtes. Seitdem diese Anschauung sich durchgesetzt
hatte, w^aren die Inhaber der Reichskirchen Fürsten, da sie zu den
Lehnsträgern des Königs, zu den großen Vasallen des Reiches ge-
hörten ^.
* Vgl. zum Folgenden Ficker, Vom Reichsfürstenstande S. 94 ff , 270ff.
Brunner, Grundzüge 2. Aufl. S. 140 fl". Schröder, RG. 5. Aufl. S. 599 ff.
Werminghoff, Gesch. der Kirchenverfassung T S. 206 ff. Hier ausführliche
Literaturangaben. Ich verweise außerdem auf meine Abhandlung in d. Abb.
der Sachs. Ges. d. W. 1909 S. 647 fl'.
2 S. Bd. III S. 3 ff.
' Die Erteilung der Investitur ist die Erhebung des Belehnten in den
Reichefürstenstand. So schon Konrad III, 1150, Stumpf 3569: In consortium
principuni nostrorum suscepimus. SpJlter Kftnij,' Wilhelm, Westf. ÜB. VI
S. 167 Nr. 583 v. 8. Febr. 1253: Ut de cetoro tanquam princnps imporii
bona ipsiuH ecclesie adminiHtret, u. Rudolf v. Habsburg, Bainiigart. Foruiol-
buch S. 233 Nr. 23; Mittimus tibi rogalia feoda tua et administrationom
temporalium eorundem, tarn iiirisdictionem vidolicet quam omnia illustra
cionem principaleni romplectencia ezercenda. Vgl. aurh Cont. fiorl. /,. 1 1H2
Scr. XVII S. 693 n. z. 1197 S. 708.
.■>♦
— 68 -
Diesem Ursprung des geistlichen Fürsteutums gemäß galten
die Tiihaher der alten Diözesen sämtlich als Fürsten. Sie alle
wurden vom Konig belehnt, waren, wie man zu sagen pflegte,
Träger von Szepterlehen. Dagegen kam es hinsichtlich der jüngeren
Bistümer zu keinem einheitlichen Ergebnis, auch schwankte da und
dort die Rechtslage. Wie bekannt, überließ Friedrich I. die In-
vestitur der Bischöfe von Oldenburg. Ratzeburg und Mecklenburg
Heinrich d. L. ^. Die Folge war, daß sie aufhörten, Reichsfürsten
zu sein; sie wurden Vasallen des sächsischen Herzogs. Aber diese
Änderung des Rechts ging vorüber: der Sturz Heinrichs und die
Auflösung des sächsischen Herzogtums gaben ihnen die frühere
Würde zurück. Es wurde wieder Rechtens, daß die drei Bischöfe
die Regalien vom König empfingen-. Seitdem behaupteten sie den
Fürstenrang. Zwar wurde er noch einmal bedroht, da König
Wilhelm dem Herzog Albrecht von Sachsen dasselbe Recht ge-
währte, das Heinrich d. L. gehabt hatte. Aber die Bischöfe er-
hoben Einsprache^, und da sie, wie es scheint, die Unterstützung
der übrigen Fürsten fanden, so wurde die Maßregel Wilhelms ent-
weder zurückgenommen oder sie blieb unwirksam. Schon bei der
Erledigung des Ratzeburger Bistums i. J. 1257 trat das alte Recht
wieder in Geltung; der neue Bischof erhielt die Regalien aus der
Hand des Königs Richard*. So wurde auch später verfahren''.
Von den Bischöfen des Nordostens waren der Erzbischof von
Riga und seine Suffragane von Kurland, Dorpat, Reval und ( )sel
Reichsfürsten"; dagegen scheinen die preußischen Bischöfe von
Ermland, Samland, Pomesanien und Kulm nie unmittelbar vom
Reich abhängig gewesen zu sein'.
Gleich ihnen gehörten die Bischöfe der jüngeren Diözesen in
der Salzburger Kirchenprovinz: Gurk, Chiemsee, Seckau und La-
vant, nicht zu den Reichsfürsten. Diese Bistümer waren von den
Salzburger Erzbischöfen gegründet und aus Salzburger Besitz aus-
' S. Bd. IV S. 197.
* Vortrag über die Freilassung des Königs Waldemar v. 4. Juli 1224
C.I. II S. 128 Nr. 101,2.
•' Mkl. ÜB. II S. 22 Nr. 694-696.
* S. Mkl. ÜB. II S. 122 Nr. 824 v. 1. Juni 1258.
* Belehnung der B. Johann u. Burchard v. Lübeck 1274 u. 1279, ÜB.
d. B Lübeck S. 233 Nr. 242 u. S. 266 Nr. 271; 1274 des B. Ulrich v. Katze-
burg, Mkl. ÜB. II S. 482 Nr. 1323.
« Über Kiga s. Bd. IV S. 632 u. \<r\. H. Br. II S. 865, über Dorpat
S. 866; über Osel BF. 4122. Über Kurland u. Reval .s. Ficker S. 281.
* S. Ficker S. 281.
— 69 —
gestattet ^. Sie waren gewissermaßen Eigenbistümer der Salzburger
Kirche. Demgemäß stand den Erzbischöfen die Ernennung und
Einsetzung der Bischöfe zu"-. Vergebhch suchten der Bischof und
das Kapitel von Gurk in Jahrzehnte langem Ringen die Selbstän-
digkeit zu erlangen '\ In diesem Falle gereichte die Sohdarität
des Reichsfürstentums dem Bistum zum Nachteil: auf Grund
wiederholter Fürstensprüche behauptete Salzburg sein Investitur-
recht*. Seit 1227 ist es kaum mehr angefochten worden^.
Endlich mag erwähnt werden, daß auch die Bischöfe von
Schleswig, Breslau, Lebus und Kamin nicht zu den Reichsfürsten
gezählt wui'den. Hier war der Grund, daß ihre Bistümer außer-
halb des Reichsgebiets lagen. Was Schleswig anlangt, so war die
Stellung, die die dortigen Bischöfe hatten, ursprünglich nicht ganz
klar. Aber sie wurde durch die Abtretung der Mark an der Eider
von selten Konrads II. dauernd geregelt: seitdem war Schleswig
ein dänisches Bistum". Breslau war polnisch. Wahrscheinlich von
Herzog Boleslaus I. gegründet, wurde es bei der Stiftung des Erz-
bistums Gnesen diesem zugewiesen "'. Kirchlich blieb es in dieser
Verbindung, auch als die seh lesischen Herzoge sich von Polen
lösten und den böhmischen König als Lehensherrn anerkannten.
Aber politisch wurde Breslau jetzt von Böhmen abhängig : die
Bischöfe hatten dem böhmischen König den Treueid zu leisten;
* Über die Gründung von Gurk s. Bd. III S. 748, Chiemsee Bd. IV
S. 924, Seckau S. 927, Lavant S. 925. Über den Reichsfiirstentitel der B.
V. Chiemsee. .s. Schrötter in d. Festgabe für Th. Heigel, München 190B
S. 125 ff.
- Päpatl. Genehmigung für Gurk J.W. 4673, königliche Bestätigung
St. 2755, für Chiemsee H.Br. I S. 256, 367, 570, für Seckau S. 569 f. u.
ÜB. V. Steiermark II S. 226 Nr. 154, für Lavant S. 818 Nr. 227.
■' Vgl. Sudendorf, Reg. II S. 151 Nr. 66 f. Die erste Erschütterung
der Rechtslage ging von der Kurie aus, indem Alexander III. entgegen
dem Rechte Salzburgs dem Kapitel die Wahl gestattete. Er nahm diese
Befugnis 1179 zurück, ÜB. v. Steiermark I S. 565 Nr. 599.
' Friedrich I., Hoftag zu Augsburg 1179, C.I. I S. 383 Nr. 278; wieder-
holt von König Philipp 29. Sept. 1199, B.F. 32; Hoftag zu Nürnberg unter
Otto IV. 1209, Böhmer, Acta S. 209 Nr. 284; neue Bestätigung durch Frie-
drich II. 19. Febr. 1214, Meiller S. 206 Nr. 157, durch König Heinrich
29. März 1227 S. 238 Nr. 804 u. Friedrich II. Sept. 1227 S. 289 Nr. 810;
vgl. auch S. 240 Nr. 314 v. 1228 u. S. 250 Nr. 858—860 v. 1280.
* Doch 1. Ficker 8. 288 über die Belehnung des B. v. Gurk durch
Karl IV.
•* über die ursprünglichen Verhältnisse s. Bd. III S. 100; iilxu- die
Abtretung, Adam Gesta 11,54 S. 78.
' S. Bd. III S. 272.
— 70 —
sie gehöi-ten von nun an zur böhmischen Aristokratie^. Die Ver-
hältnisse von Lebus waren hinge unsicher'-. Über den Ursprung
dieses Bistums mangelt es an allen Nachrichten; aber nach der
Lage der Dinge im Osten kann man nur annehmen, daß es eine
polnische Gründung war. Sie fällt ziemlich sicher in das elfte
Jahrhundert '^ Im dreizehnten wurden die Verhältnisse durch das
Vordringen des deutschen Elements geändert. Nun schenkten
Philii)p und Friedrich II. Bistum, Schloß und Stadt Lebus an
Magdeburg^. Dadurch wurde zunächst nur ein Anspruch be-
gründet; aber es dauerte nicht lange, so setzten sich Erzbischof
Wilbrand und Markgraf Otto von Brandenburg gemeinsam in den
wirklichen Besitz des Landes •\ Erst durch diese Eroberung ist
Lebus ein deutsches Bistum geworden. In der nächsten Zeit
wurden die Bischöfe, wie es scheint, als Reichsfürsten betrachtet.
Man weiß wenigstens, daß Ludwig d. B. den Bischof Stefan zum
Reichstage lud*'. Aber die märkische Politik Karls IV. und
Wenzels verdrängte die Bischöfe alsbald aus dieser Stellung '. Auch
die späteren Markgrafen betrachteten sie als landsässig; sie ver-
weigerten ihnen den FürstentiteP. Das Bistum Kamin war
ponmierisch. Erst dadurch, daß das Herzogtmn Pommern im
vierzehnten Jahrhundert in den Reichslehensverband eintrat, kam
» Stenzel, ürk. z. Gesch. d. B. Breslau S. 309 Nr. 281. Hiernach ist
Karl IV. als böhmischer König principalis patronus et dominus racione
Wratisl. ecclesie et bonorum ipsius. Der B. ist zur Huldigung beim Thron-
wechsel verpflichtet. Wird er als princeps bezeichnet, S. 308 Nr. 280, so
liegt darin also nicht Anerkennung des Reichsfürstenstandes.
'^ Wohlbrück, Gesch. des ehenial. B. Lebus, Berlin 1829.
^ Daß Lebus bei der Gründung von Gnesen nicht genannt wird, ist
ein sicherer Grund dafür, daß es erst nach d. J. 1000 gegründet wurde.
Zum erstenmal genannt, ist es, wenn man von den polnischen Nachrichten
absieht, i. J. 1133. Innocenz II. überließ in seiner Urk. v. 4. Juni d. J.,
J.W. 7629, vgl. Bd. IV S. 584, auch Lobus an Magdeburg.
» H.Br. II S. 602 aus d. Juni 1226. Von einer Schenkung Heinrichs V.
wissen nur i)olnische Nachrichten.
» Gesta ae. Mgdb. 33 Scr. XIV S. 422, vgl. Ann. Siles. comp. z. 1248
Scr. XXX S. 540; Chr. Pol. Sil. Scr. XIX S. 565. Diesen Zustand bezeugt
die Urk. Wilbrands v. 7. März 1252, C. d. Brand. XX S. 183 Nr. 10.
•» Oefelo, Scr. ror. Boic. I S. 758.
' Daß Karl IV., 4. Sept. 1347, von B. Apezko als princeps noster,
Wohlbrück I S. 468, Wenzel, 18. Okt. 1395, von B. Johann als unserem
Kürston spricht, Pelzel, Lebensgesch. des K. Wenceslaus II. ÜB. S. 7 Nr. 120,
ist kein Widerspruch; der Titel ist wie bei Breslau (s. Anm. 1) gemeint.
« S. z. B. C. d. Brand. XX S. 248 Nr. 85; S. 250 Nr. 87, v. 1407
u. 1410.
— 71 —
es in Beziehung zum Reich. Seitdem erhielt der Bischof den
Fürstentitel \
Eine Verminderung der Zahl der Fürstbischöfe trat am Ende
des zwölften und noch einmal im vierzehnten Jahrhundert ein. Sie
betraf die Bischöfe von Prag und Olmütz, von Brandenburg und
Havelberg. Die beiden ei*steren gehörten seit der Grründung ihrer
Bistümer zu den Fürsten. Noch der Hoftag zu Regensburg im
Jahre 1187 trat dafür ein, daß der Prager Bischof von jeder
Unterordnimg unter den böhmischen Herzog frei sei^. Aber
schon zehn Jahi'e später nahm Daniel II. die Lehen von Herzog
Ladislaus "'^. Was damals als eine Rechtsverletzung erschien'^, wurde
durch die Gründung des böhmischen Königreichs Rechtens.
Friedrich II. überließ, wahrscheinlich dem Vorgange König PhiHpps
folgend, das Recht und die Befugnis, die Bischöfe des neuen
Königreichs zu investieren, dem König ^. Dadurch verloren sie den
Fürstenstand.
Die Bischöfe von Brandenburg und Havelberg" wurden bis
zum letzten Viertel des vierzehnten Jahrhunderts unbestritten zu
den Reichsfürsten gerechnet. Es ist bezeichnend, daß Gernand von
Brandenburg i. J. 1223 eine Rechtsfrage, welche die nicht reichst
unmittelbaren Prälaten betraf, als Fürst des Reichs gemeinsam mit
andern geistlichen und weltlichen Großen entschied'. Im J. 1298
nahm der Bischof von Brandenburg als Fürst an einem Hoftage
König Albrechts zu Nürnberg teiP, und noch Ludwig d. B. hat
ihn als Fürst zum Reichstag geladen^. Die bischötiiche Gerichts-
barkeit wurde im Löwen berger Vergleich von 1304 und seiner Be-
stätigung von 1324 ausdrücklich anerkannt; ebenso die Freiheit
der Stiftsleute von Bede und Einlager^^. Es entsprach dieser
» Schreiben Karle IV. v. 10. Juni 1352, Sudendorf, ÜB. des H. Braun-
schweij? II S. 214 Nr. 411. Sigmund belehnte am 26. Mai 1417 den B.
Magnus, Keg. imp. XI S. 162 Nr. 2338a. Über das Verhältnis Pommerns
zum Reich, s. Ficker, Reichsfürstenstand S. 218 ff,
- Contin. Gerl. z. 1182 Scr. XVll S. 693 u. z. 1187 S. 706.
^ Da«. S. 708.
• Vgl. auch den Bf. Innocen// 111. an das Prager Kapitel v. 5. Mai
1202, Reg. V,29 S. 981.
•'• C.I. II S. r,4 Nr. 43 v. 26. Sept. 1202.
• H.Hädicke, D. Reichsunniittelbarkeit u. Liunlsässigkeit der B. v. Bran-
denborg u. Havelborg. Progr. v. Pforta 1882.
' C.I. II S. 117 Nr. 94.
• C. d. Brand. II, 1 S. 226 Nr. 292; vgl. I, II S. 206 Nr. 4
• ()fele, Scr. rer. Boic. I S. 75 f.
»• C. d. Brand. 1,8 S. 198 Nr. 142; S. 226 Nr. 187.
— 72 —
Rechtslage, daß die beiden Bischöfe bei dem Übergang der Mark
von den Witteisbachern an das Haus Luxemburg i. J. 1373 nicht
unter den markgräflichen Vasallen aufgezählt wurden \ Doch das
war der letzte Beweis ihrer Reichsunmittelbarkeit. Mit diesem
Jahre trat der Umschwung ein. Karl TV. ging von der An-
schauung aus, daß die Bischöfe die Regalien vom Markgrafen, nicht
vom König zu Lehen hätten-. Daran hielten auch die späteren
Markgrafen fest. Sie rechneten die Bischöfe zu ihren Vasallen ''
und die Bischöfe fügten sich. Sie nahmen an den Landtagen der
Mark Anteil^. Ihre Gerichtshoheit hörte auf; mit päpstlicher Zu-
stimmung wurde sie auf das geistliche Gericht beschränkt''. Ihr
Land wurde den Markgrafen Steuer- und kriegsdienstpflichtig.
Schließlich galt es als anerkannt, daß die Bistümer in der Herr-
schaft des Markgrafen lägen *^. Der neugewählte Bischof huldigte
ihm': der Markgraf war der Herr des Bischofs geworden^.
Daß das politische Ziel, das die Markgi-afen seit Karl IV.
verfolgten, erreicht wurde, entsprach den gegebenen Verhältnissen.
Al)er auff'ällig ist, daß die Bischöfe keinen Widerstand leisteten.
Gewiß hätten sie bei dem Versuche, ihren Fürstenstand zu be-
haupten, nicht auf Erfolg rechnen können; auch erlitten sie durch
die Änderung ihrer Stellung kaum einen Verlust an nutzbaren
Rechten. Aber der Verzicht auf jeden Widerspruch zeigt doch,
wie gering die ideelle Einbuße, die im Verluste der Reichsunmittel-
barkeit lag, am Ausgang des INIittelalters gewertet wurde.
Zählt man die ursprünglich burgundischen Bistümer Basel und
Sitten und die auf Reichsgebiet gelegenen nichtdeutschen Bistümer
Aquileja, Trient, Besanfjon, Lausanne, Genf und Kammerich hinzu,
so gab es im Beginn des dreizehnten Jahrhunderts 48, am Aus-
gange des Mittelalters 51 reichsunmittelbare Bistümer.
AVie die Mehrzahl der Bischöfe, so gehörte auch ein Teil der
Abte und Äbtissinnen zum Reichsfürstenstande. Doch war dies
lange nicht bei allen Vorstehern ursprünglich königlicher Klöster
der P^all. Der Grund hig darin, daß ein nicht unbedeutender
' C. (1. Brand. T. 3 S. 398 Nr. 103; 11,2 S. 47 Nr. 648.
- 1,8 S. :304 Nr. 297; 1,2 S. 467 Nr. 41.
» 11,3 S. 19 Nr. 1148 v. 1373; S. 40 Nr. 1161 v. 1374; S. 67 Nr. 1187
V. 1378; 87 Nr. 1201 v. 1382.
« 11,3 S. 95 Nr. 1211 v. 1388; S. 157 Nr. 1271 v. 1402.
•• 11,5 S. 5 Nr. 1768 v. 1447; S. 7 Nr. 1770 v. 1448; 111,1 S. 273
Nr. 166 V. 1445.
'' 1,2 S. 476 Nr. 55 v. 1401; I, 1 S. 48 Nr. 27 v. 1506.
" Dio HuldJKrunK fol^H aus 11,3 S. 40 Nr. 1161 v. 1374.
-* Vgl. 1,2 S. 487 Nr. 63 v. 1427; S. 492 Nr. 66 v. 1430.
— 73 —
Teil der alten Reichsabteien im Laufe der Zeit an die Bistümer
gekommen war, andere waren an Klöster vergeben oder in
Kanonikate verwandelt. Die Ausdehnung der bischöflichen Herr-
schaft über königliche Klöster begann schon im neunten Jahr-
hundert ^, schwoll in der zweiten Hälfte des zehnten stark an - und
ließ erst seit dem Ende des elften nach^. Doch sind noch im
zwölften Jahrhundert die mächtigen Abteien St. Maximin und
Niederaltaich ihrer Selbständigkeit zugunsten von Trier und
1 Im J. 788 Herrenchiemsee an Metz, Dpi. Kar. I S. 219 Nr. 162. Vor
814 St. Maria in Ansbach an Würzburg s. Bd. II S. 571,5; 833 Mondsee
an Regensburg, B.M. 1310; 844 Schwarzach a. M. an Würzburg II S. 571,6;
858 Bergh an Utrecht II S. 566,6; 876 Mattsee an Ötting, B.M. 1479; 881
Tufers an Chur, B.M. 1566; 888 Herrieden an Eichstätt, B.M. 1735; 889
Ebersheimmünster an Straßburg, B.M. 1768; 895 Auhausen an Eichstätt,
B.M. 1858, und Süstern an Prüm, B.M. 1905; 895 Mosburg an Freising, B.M.
1859; vor 898 Ötting an Passau, s. B.M. 1888. Gunzenhausen kam 823 an
die Abtei Ellwangen, B.M. 75, und ging wohl infolgedessen ein.
- 908 Herbitzheim an Lüttich, B.M. 1985, 1991; 950 Thiel an Utrecht,
Dipl. I S. 206 Nr. 124; 952 Alden Eyck an Lüttich, Dipl. I S. 236 Nr. 154;
vor 963 Moyen-möutier an Toul, Gesta ep. Tüll. 33 Scr. VIII S. 640, vgl.
Dipl. II S. 72 Nr. 62 V. 973; um 966 Öhren an Trier, Dipl. I S. 436 Nr. 322,
vgl. II S. 797 Nr. 368; 966 Kesselheim an Magdeburg, Dipl. I S. 445 Nr. 331;
968 Engern und Bibra an Magdeburg, Dipl. I S. 497 Nr. 361 u. S. 499
Nr. 363; 969 Chiemsee an Salzburg, Dipl. I S. 521 Nr. 380; 975 St. Die an
Toni, Dipl. II S. 112 Nr. 99; 975 Kremsmünster an Passau, Dipl. 11 S. 124
Nr. 111: 976 Mosbach an Worms, Dipl. 11 S. 160 Nr. 143; ^76 Niedernburg
an Passau, Dipl. II S. 153 Nr. 136; 981 Pöhlde an Magdeburg, Dipl. II
S. 300 Nr. 259; 993 Weilburg an Worms, Dipl. II S. 532 Nr. 120; 993 Amor-
bach, Murrhart, Neustadt a. M. u. Schlüchtern an Würzburg, Dipl. II S. 550
Nr. 140; 999 Granfelden an Basel, Schweiz. UR. I S. 281 Nr. 1183 u. 1186.
' 1000 Ödingen an Köln, Dipl. II S. 792 Nr. 363; 1003 St. Stefan in
Straßburg an d. Bistum Dipl. fll S. 37 Nr. 34; 1007 Bergen, Neuburg a. D.,
Gengenbach, Haslach, Kitzingen, Stein a. Rh. u. um dieselbe Zeit Deggingen
u. Schuttern an Bamberg, s. Bd. III S. 425,4; 1017 Helmershausen an Pader-
born, Dipl. III S. 474 Nr. 371; 1019 Liesborn an Münster u. Schildescho an
I'aderbom, Dipl. III S. 516 Nr. 402 f.; 1032 Schwarzach, D. Straßb., an Speior,
Stumpf 2030; vor 1042 Meschede an Köln, s. Seibort/ ÜB. I S. 29 Nr. 27;
1058 Drübeck an Halberatadt, Uß. v. H. 1 S. 58 Nr. 79; 1062 Frauen-
chiemHee an Salzburg, St. 2016 vgl. BF. 59; 1063 SoligenHtadt an Mainz,
St. 2620 vgl. zur Vorgesch. Dipl. III S. 5f. Nr. 5. 1064 Egmont an Mtroclit,
St. 2644; 1065 Polling an Brixen, St. 2671; 1065 Limburg u. St. Lambrecht
an Speier, St. 2680f.; vor 1085 St. Mihiel an Toul, vgl. (;e8ta ep. Vird. 9
Scr. X 8. 496: 10^7 Efichwege, Kanfungen u. Hornbach an Spoier, vgl.
Winkelmann, Acta I S. 469 Nr. 5H2; Memleben kam 1015 :in HoiHtold,
Dipl. 111 S. 418 Nr. 331.
— 74 -
Bamberg beraubt worden'. So erklärt es sich, daß im Anfang
des dreizehnten Jahrhunderts nur noch 42 könighche Klöster vor-
handen waren. Damals hatten den Fiirstenrang die Abte der
alten königlichen Klöster aus der fränkischen Zeit: Fulda-, Hers-
feld, Lorsch, Weißenburg, Werden, Stablo, Inden, Prüm, Echter-
nach, St. Gallen, Keichenau, Kempten, Rheinau, Ellwangen, Bene-
diktbeuern, Ottenbeuern, Disentis, Pfäfers, Murbach, St. Emmeram,
Tegernsee, Wessobrunn und Korvey, die Äbtissinnen von Essen.
Nivelles, Remiromont, Hohenburg, Andlau, Zürich, Seckingen, Buchau,
Lindau, Herford, Ober- und Niedermünster in Regensburg, von den
Klöstern des zehnten Jahrhunderts die Abte von Selz, Einsiedeln
und Ebersberg und die Äbtissinnen von Quedlinburg, Gernode,
Gandersheim und Elten. Ein vereinzelter Ausnahmefall war. daß
der Propst von Berchtesgaden zu den Fürsten gezählt wurde*'*.
Die meisten dieser Klöster bewahrten den fürstlichen Rang
bis zum Ausgang des Mittelalters. Verloren wurde er von Lorsch,
da Friedrich II. diese alte Abtei an Mainz* schenkte, und von
den bairischen Klöstern Tegernsee, Benediktbeuern. Wessobrunn
und Ebersberg, die ihn seit Ludwig d. B. einbüßten'*.
1 1121 Vitzenburg an Bamberg, M.B. 29,1 S. 240 Nr. 445; 1131 Als-
leben, magdeb., C. d. Sax. reg. 1,2 S. 67 Nr. 85; 1133 Münchsmünster, bam-
bergisch, M.B. 29,1 S. 2590". Nr. 458 f. 466; 1139 St. Maximin an Trier. St.
3392f., J.W. 8111; 1150 Ringelheim an Hildesheim, St. 3571; 1152 Nieder-
altaich an Bamberg, St. 3618; 1166 M.Nienburg an Magdeburg, St. 4075;
1191 Erstein an Straßburg, St. 4696; die Übertragung wurde im nächsten
Jahre zAirückgenommen, St. 4739; doch scheint das Kloster seine ünab«
hängigkeit nicht wieder erlangt zu haben; vor 1198 Vreden an Köln; die
Abtei sollte in diesem Jahre zurückgetauscht werden, NRh. ÜB. 1 S. 392
Nr. 562; der Vertrag scheint nicht ausgeführt worden zusein; 1241 ist der
EB. im Besitz der Abtei, Wstf. ÜB. III S. 208 Nr. 384. Diese unterwirft
sich aber 1261 regimini, custodiae et tutelae des B. v. Münster S. 356
Nr. 680; 1201 Seeon an Salzburg, B.F. 59. Feuchtwangen wurde im 11.
oder 12. Jhrh. Stift; Hildewartshausen kam 1142 an die Prämonstratenser,
St. 3444; Fischbeck u. Kemnade 1147 an Korvey St. 3:)43 u. 3544; Burt-
Bcheid 1222 an Cisterziensernonnen, H.Br. II S. 232 f.
- Fulda war stiftungsgemäß römisch, s. Bd. 1 S. 581, galt aber stets
als Reichsabtei; vgl. z. B. Ann. Fuld. z. 856 S. 47: Per electionem fratrum
et auctoritatem regiam ordinatus est Thioto. Ebenso Andlau s. J.W, 4195
u. Lib. ccns. (^ Fahre) I S. 158, diandersheim, Gernrode S. 160, Quedlinburg S. 161.
^ Ich verweise auf die Nachweise Fickers S. 331tf.
* H.Br. lll S. 377 v. 1232; IV S. 326; Winkelmann, Acta 11 S. 22
Nr. 23; Main/.er Reg. 11 S. 214fl\ Nr. 24, 34, 50, 84, 162.
^ Der Abt von Benediktbeuern ist unter Rudolf 1. noch princeps nost^r
M.B. VII S. 139 Nr. 58 v. 1275, vgl. C.I. HI S. 73 Nr. 186 v. 1278. Er er-
— 75 —
Eine Anzahl anderer Klöster wurde als reichsunmittelbar be-
trachtet, ohne daß ihre Abte Fürstenrang hatten \ Eigenartig war
die Stellung, die die römischen Klöster einnahmen. Sie standen
im Eigentum, wenigstens im Schutze des Papstes '^j waren also
weder dem Kaiser noch einem Landesherrn Untertan^. Ebenso
waren sie entweder von der Yogtei ganz befreit, oder sie hatten
die freie Wahl des Yogts*. Man nannte sie deshalb wohl schlecht-
weg freie Klöster'^. In Rom zählte man ihrer weit über hundert^.
hält die Lehen vom König, M.B. VII S. 140 Nr. 59 v. 1275, S. 146 Nr. 66
V. 1286. Dagegen zählt K. Ludwig B. zu den baierischen Klöstern S. 162
Nr. 85. Die Herzoge Stephan u. Johann bezeichnen es 1378 als ^unser
Gozhaus und Cluster" S. 179 Nr. 98. Ebenso erging es Tegernsee u. Ebers-
berg M.B. VI S. 248 Nr. 82 v. 1330; auch Wessobrunn, das Friedrich IL
als königlich anerkannt hatte, H.Br. 11,1 S. 49, ist hier als bairisch ge-
nannt; ebenso Seeon, Rott, Scheiern, Steingaden, Diessen, Scheftlarn, Vogta-
reut, Rottenbuch, Zell, Attel, Fölling, Indersdorf, Bernried, Beiharting. Küh-
bach, das der Stilter 1011 dem König übergeben hatte, Dipl. III S. 265
Nr. 230, wurde spätestens im ersten Drittel des 13. Jhrh.s bairisch, s. die
Crk. des PG. Otto v. 1235 M.B. XI S. 534 Nr. 5. Nicht nachweisbar ist,
wann Metten die Reichsunmittelbarkeit verlor.
^ Vgl. Ficker S. 334 tf. In der Reichsmatrikel v. 1422 sind als reichs-
unmittelbar, von den fürstlichen Klöstern abgesehen, genannt: Maulbronn,
Bebenhausen, Salem, Herrenalb, Schaffhausen, Petershausen, Kreuzlingen,
Weingarten, Elchingen, St. Blasien, Blaubeuern, Zwiefalten, Isny, St. Georg,
St. Johann im Thurtal, Königsbronn, Schussenried, Reichstagsakten 1,8
S. 192. In der Matrikel v. 1431 findet man auch Heilsbronn, Kaisheim,
Waldeassen, Kastei, Roth, Marchtal, Walkenried, Zinna, Riddagshausen,
1,9 S. 530.
- Vgl. z. B. Urban II. für Neresheim: Petro ap. princips in alodium
proprium . . obtulerunt, J.W. 5765 u. Paschal II. für Backnang: Quam
ecclesiam 8ub apost. sedia tutelam postulas confoveri, J.W. 6535.
• Konrad IV. für Schussenried, 1240: Ut idem claustrum, sicut et alia
cenobia immediate pertinentia Rom. sedi, privilegiata libertate gaudeat in
eo, quod iure advocatitio nee nobis nee alteri cuiquam sit obnoxium, H.H. V
S. 1202. Freiheit der Vogtswahl z. B. in St. Blasien, Wirt. ÜB. II S. 111
Nr. 360 V. 1157.
• Heinrich VI. für Weissenau 1192: Praedictum monasterium libertate
privilegiatum hicut et alia clauHtra 8. Rom. et apost. sedi pertinentia, noc
noM nee quempiam alium quicquam iuris aut potestatis in eo habere, proter-
quam quod no8 illud . . in tuitioneiii nostraju recepiraus, Wirt. UI5. 11
S. 277 Nr. 471.
•"• Ca«, mon. Petrinh. 3>S Scr. XX S. 636: „monanteria quae libora vo-
cantnr'. Sie zahlten in der Regel eine kleine Abgabe an die Kurie.
• Im Liber censuum de« Kard, CenciiiK v. 1192 sind folgondo g«»nannt,
(Aufgabe von P. P'abre I S. 152), wobei aber zu bemerken iHt, daU oinigo
— 76 —
Ahnlich war das Verhältnis der Cisterzienserklöster zum Reiche.
Nach den Grundsätzen ihres Ordens sollten sie von aller weltlichen
Herrschaft frei sein*. Noch konsequenter als die römischen
Klöster lehnten sie jede besondere Schirmvogtei ab: als der Vogt
aller Cisterzienserklöster wurde der Kaiser betrachtet-'. Es kenn-
doppelt vorkommen, bei anderen der Name so entstellt ist, daß er nicht
erkannt werden kann, und einige später zugesetzt sind: P]B. Mainz: Sel-
bold, Paulinzelle, Reinhardsbrunn, Flonheim, Werben, Wetter, St. Jakob in
Krfurt, eccl. s. Mar. in Pontebahc (?). B. Eichstätt: Kastei, Auhausen.
B. Würzburo^: Bronnbach. B. Konstanz: Blaubeuren, Peterszell, Wiblingen,
Zwielalten, Beuron, Engelberg, Weissenau, Reichenau, Roth, Meherau, Isny,
Weingarten, St. Georg im Schw., Alpirsbach, Breisach, St. Blasien, Schaff-
hausen, Muri, Hospital in Zürich, St. Amand in Urach (nicht zu bestimmen:
Asnebeum, eccl. s. Benedicti, eccl. s. Martini de Butro. Die eccl. de Guivi-
dilin ist natürlich Wiblingen). B. Chur: Mariaberg. B. Straßburg: St. Wal-
burg im Heil. Forst, .\ndlau, Hugshofen. B. Speier: Odenheim, Hirschau.
Gottesau, Backnang, ß. Worms: Höningen. B. Hildesheim: Gandersheim.
B. Halberstadt: Gernrode, Stendal, Quedlinburg, Hecklingen. B. Pader-
born: Helmwardshausen. B. Bamberg: Weissennohe, Hospital in Pegnitz.
B. Augsburg; Donauwört, St. Ulrich u. H. Kreuz, Rottenbuch, Anhausen
a. B,, Steingaden, Neresheim, Lorch, Echenbrunn, Diessen, Bernried, Roggen-
burg, Klchingen. EB. Köln: Romersdorf. B. Lüttich: S, Jansberg, Puble-
mont in Lüttich, Hospital in Wanze, Villers, Florett". B. Utrecht: Egmond,
St. Agatha in Delft, St. Ursula in Schiedani, St. Maria de Vere auf Wal-
ehern, St. Pancraz zu Leiden. EB. Bremen: Rosefeld, Rastedt, St. Kath.
in Bremen. EB, Magdeburg: Petersberg. B. Meissen: St. Maria in Chem-
nitz. B. Merseburg: Pegau, St. Peter u. Paul in Merseb. B. Naumburg:
Lausnitz, Bürgel. Salzburg: Berchtesgaden, Lavant, St. Lambert, Millstett,
Baumburg, !Michaelbeuren Goß, Viktring, St. Florian, Rosegg, (mon. de Go-
doxia ist wohl = Goß). B. Passau: Klein Mariazell, Klosterneuburg, St,
Peter in Friesach, Melk, St. Andrä, Schotten in Wien (nicht zu bestimmen
Nudiltch, St. Bened. de Conversano, eccl. s. Petri, (|uani M. de Humperc
construxit). B, Regensburg: St. Jacob, St. Emmeram, Reichenbach, Spainshart,
Oberaltaich. ß. Freising: Rott, Beuerberg, Fischbach, Indersdorf, Scheiern, St.
Maria in Frei.sing. B. ßrixen: eccl. Raten8is(V). EB. Trier: Romersdorf, Liixem-
burg. B.Metz: St. Pierremont, Freistorff. B. Toul: Juvigny, St, Die, Chaumou-
zey, Heiligenkreuz (gehört jedoch zu Basel), Reinireniont, Pont ä-Mousson. B.
Verdun: St. Vanne, eccl. s. Petri Mo. (?). B. Basel: St. Peter, Olenberg, Beinwil.
' Stiftungsurk. des Kl. Georgenthal v. 1143: Ut a modo et per futura
tempora ipso libor et devotus secundum Cistorcionsium fratrum observan-
tia.s pormaneat, nuUiusque torrene persone potestati vel domiuio subditus
tiat et nullura ponitus tarn nobis quam successoribus nostris seculare ser-
vitium debeat.
- Friedrich II, für Wilhoring 1*287 : Sicut ordo C'istercionsis ab exordio
institutionis sue nulluni un<|uam preter Rom. imperatoroni habuit advoca-
tum etc. H.Br. V S. 21 f.
— 77 —
zeichnet den Aufschwung der landesfürsthchen Macht, daß in
(Österreich schon im Beginn des dreizehnten Jahrhunderts der
Herzog an die Stelle des Kaisers als Vogt der Cisterzienserklöster
trat\ Im Verlauf sind die meisten von ihnen den geistlichen oder
weltlichen Territorien eingegliedert worden.
Daß die gesamte Ausstattung der Bistümer und Reichsabteien
als einheithche Masse betrachtet wurde, führte dazu, daß sich die
Vorstellung von einem diu^ch die geistlichen Fürsten beherrschten
Gebiet bildete. Man begegnet ihr nicht selten seit der zweiten
Hälfte des elften Jahrhundeits '-. Im Jahre 1134 nennt Werner
von Münster Rudolf von Steinfurt einen Edelherrn seines Landes^.
Um dieselbe Zeit spricht König Konrad von der Größe des Kölner
Fürstentums''. Man kann sagen, daß die Vorstellung den wirk-
lichen Verhältnissen vorausgeeilt war; aber es ist unverkennbar,
daß sie je länger je mehr in ihnen einen festen Halt gewann.
Denn in der Tat begann in dieser Zeit die Zersplitterung des
Reichs in fürsthche Territorien. Sie war die Folge der Durch-
führung des Lehnswesens. Seitdem das Amt zum Lehn geworden
war, wurden die meisten Hoheitsrechte nicht mehr vom König und
seinen Beamten gehandhabt, sondern ihre Träger waren die Va-
sallen des Reichs. Indem diese die Erblichkeit der Lehen errangen,
entstand eine dauernde Verbindung zwischen dem Grafenhaus und
der Grafschaft. Sie führte dazu, daß der Allodial- und der Lehns-
besitz zusammenwuchsen. Um so mehr erschien der jeweilige Graf
als der Dominus terrae. Er war es nicht als Grundherr, sondern
als der erbliche Inhaber vom König stammender Rechte, die sich
schließlich zur Landeshoheit erweiteilen. Auf diese Weise entstand
die neue (Grafschaft, das neue Herzogtum, die Markgrafschaft. Die
dem König eignende Staatsgewalt zog sich gewissermaßen in die
Lehnsherrlichkeit zusammen.
Da auch das geistliche Fürstentum als Lehn betrachtet wurde,
» ÜB. d. Landes o. K. II S. 518 Nr. 360 v. 1209, Herz. Leopold V[L:
Constat et in placito noatro Mutarn ex sententia perqiiisitum at(iao in-
ventum est, omnes cysteroienBis ordiniH monachos tale ius ex anti([uo ha-
bere, ut nee ipsi nee ipsorum predia ulli advocato quiequam solvere debeant,
«ed neqiie advocatum eis habere liceat, nisi defensorem principem ip.su m,
«jiii Caput e«t terre, in qua quique oorum degunt, et hunc solani Doi rotri-
butionem jiro ipsorum dofenHionf? deboie exposcere.
« 8. die von Waitz, V(4. V S. 1H2 Anra. 3 peBammelten Stellen.
« OHnabr. ÜB. I 8. 209 Nr. 255.
* Knnon u. Kckerfz I 8. 534 Nr. 62; etwas später Phili|)p von K<iln,
Nobile« terrae .MHh. Uli. II S. 41 Nr. 5 v. 1171; Arnold v. Trier: Ad tui-
lionem terra« nostrae, Hontheim. H. Trov. 1 8. 609 Nr. 423 v. 1181.
— 78 —
so betraf diese Entwickelung die geistlichen Fürsten ebeoso wie die
weltlichen. Doch lagen die Verhältnisse nicht ganz gleich. Der
Unterschied war, daß die Grafschaft, die Markgrafschaft und das
Territorialherzogtum von Hause aus geschlossene Bezirke bildeten,
daß dagegen den geistlichen Fürstentümern solche mangelten. Die
Bildung des weltlichen Fürstentums ging vom ursprünglichen Amts-
sprengel aus; aber für das Territorium der geistlichen Fürsten war
eine solche Grundlage nicht gegeben. Weder die Diözese noch
der Grundbesitz der Kirche konnten den Ausgangspunkt bilden.
Die erstere nicht; denn sie hatte nur für die geistliche Gewalt der
Bischöfe Bedeutung. Auch der letztere nicht; denn er entbehrte
jeder Geschlossenheit. Er war als Streubesitz in unübersehbaren
Gebieten verbreitet. Das Territorium der weltlichen Fürsten war
somit im Amtssprengel gewissermaßen präformiert. Dagegen
nmßten die Territorien der geistlichen Fürsten erst geschahen
werden. Das Land des Markgrafen von Brandenburg oder des
Grafen von Stade konnte jedermann nachweisen; aber die (grenzen
des Kölner Fürstentums würde i. J. 1150 wohl niemand haben
aufzeigen können. Denn dieses Fürstentum bestand aus einer
Summe der mannigfaltigsten und verschiedenartigsten Rechte ; eret
allmählich und während des Mittelalters, nie vollständig, erhielt es
eine geographische Umgrenzung.
Die geistUchen Großen sind durch die Könige zu Füi'sten ge-
worden. Nicht in derselben Weise wurden ihre Territorien von den
Herrschern des Reichs gebildet und wurde ihre Landesherrschaft
zur Landeshoheit entwickelt. Diese duldeten mehr, daß sich die Kon-
se(|uenzen der Verhältnisse vollzogen, als daß sie dieselben herbei-
geführt hätten. Aber das, was ohne sie geschah, erhielt die An-
erkennung der Krone und kam dadurch zu rechtlichem Bestand.
Entscheidend war die Regierung Friedrichs IL Die elften Hoheii-
staufen, Konrad IIL, Friedrich I., auch Heinrich VI. stützten die
Macht des geistlichen Fürstentums im älteren Sinne: sie trugen
Sorge, daß der Grundbesitz nicht durch übermäßige Verleihung
aufgelöst, daß Lehen nicht entfremdet wurden, daß die Kirchen die
Verfügung über die Vogtei zurückgewannen*. Dagegen führte die
' Hescbrilnkun^ der Verleihung: Fürstenspruch unter Konrad III. auf
einem Hofta«.,' zu Köln, Anordnungen Friedrichs 1. zu Dortmund 1152 u.
Worms 1158, C.I. I S. 204 Nr. 146; Fürstenspruch v. 1157, I S. 235 Nr. 169;
vgl. die Constit. de iure feudoruni dos roncalischen Reichstags v. 1158, I
S. 247 Nr. 177; Heinrich VI. 1191, 1 S. 479 Nr. 836, Verfügungsrecht des
Bischofs über heimfallende Voj^teien, I S. 887 Nr. 280; ^egen die Entfrem-
dung der Lehen der Ministerialen, Heinrich VI. 1192 I S. 501 Nr. 352.
— 79 —
Gesetzgebung unter Friedrich II. weit über diese Linie hinaus.
Jetzt wurde der Bestand des geistUchen Fürstentums auch dem
König gegenüber gesichert. Das geschah, indem auf dem Würz-
bm'ger Hoftag im Mai 1216 als Reichsrecht anerkannt ward, daß
der König kein Fürstentum dem Reiche enttremden, demgemäß
auch keinem andern Fürsten übertragen dürfe ohne Zustimmung
des betroffenen Füi'sten und seiner Ministerialen ^ Eine weitere
Beschränkung der königlichen Gewalt dem Fürstentum gegenüber
brachte das Privilegium von 1220. In demselben versprach
Friedrich, neue Zölle oder Münzstätten in den geistlichen Gebieten
nicht ohne die Zustimmung oder gegen den Willen der Fürsten
zu errichten und gewährte er ihnen das ausschließliche ßefestigungs-
recht in ihren Ländern'-. Er erkaimte dadurch an, daß das Recht
des Königs an der Gewalt des Landesherrn seine Schranke finde.
Erlitt die Herrschaft der geisthchen Fürsten dadurch eine kleine
Einschränkung, daß die Regalien in den bischöflichen Städten,
wenn ein Hoftag daselbst stattfand, während seiner Dauer und je
acht Tage vorher und nachher dem König ledig wurden, so kam
dieser Vorbehalt gegenüber Friedrichs Verzicht auf das Spolien- und
Regalienrecht im Falle der Erledigung der Bistümer^ kaum in
Betracht, ^och weiter führte das Statut Heinrichs VII. von 1231,
das Friedrich IL im nächsten Jahr bestätigte*. Es sicherte den
Fürsten den Besitz des Geleites, ihrer Gerichte und Grafschaften
und bestimmte demgemäß, daß der Centgraf die Cent vom Landes-
herrn zu empfingen hätte und daß ohne dessen Zustimmung Ge-
richtsstätten nicht verlegt werden dürften. Das -ganze Statut
ist von dem Gedanken beherrscht, daß es dem König nicht zu-
steht, die Herrschaflsrechte der Fürsten durch Geltendmachung
seiner Gewalt zu stören oder zu hemmen. AVurde in der nächsten
' C.I. II S. 70 Nr. 57.
- S. 89 Nr. 73. Friedrich verpflichtete seine Nachfolger ausdrücklich
zur Beobachtung^ seines PrivilegiumH. Über Kchtheit u. Inhalt, Weiland in
den Hist. AufHÜtzen für Waitz 8. 249 tf.
' S. 68 Nr. 56, 11.— 13. Mai 1216; vgl. Band IV S. 741. Der Verzicht
auf das Spolienrecht ist 1220 wiederholt, S. 89 Nr. 73,1. Bezüglich deH
Regalienrecht» ist der Sinn der Zusage nicht klar. Den Worten nach kann
man an vollständigen Verzicht denken; aber dem widernpricht, daß 1238
als zu Recht bestehend anerkannt wird, daß in erledigten Bistümern Zoll,
Mänze usw. bis zur Wiederbesetzung dein König zustehen, S. 285 Nr. 212.
Eh wird also nur auf die Ausdehnung ])or totius prinii aiini circuliitii zu
denken sein.
. C.I. II 8. 418 Nr. 804 u. S. 211 Nr. 171 ; vgl. ferner II S. 22h Nr. 187
u. S. 285 Nr. 212.
— 80 —
Zeit nach Friodrich II. den Fürsten das Recht auf den Waffen-
dienst der Ik'wohner ihres Teiritoriums zugesprochen*, wurde all-
niilhhch die Verleihung des Bkitbaniis an die fürsthchen Richter
unterlassen und betrachtete man die hohe Gerichtsbarkeit einfach
als Annex des Fürstentums^, so herrscht in diesen Bestimmungen
bereits der Gedanke der Landeshoheit der Fürsten.
Ich verfolge diese Entwickelung nicht weiter; für die Kirchen-
geschichte genügt es, dargetan zu haben, daß die geistlichen
Großen seit dem Ausgang des dreizehnten Jahrhunderts Fürsten in
anderem Sinne waren als in der Zeit Ottos I. oder Heinrichs III.
Dagegen versuche ich eine Vorstellung von dem Bestand des
geistlichen Gebiets in dieser Zeit zu geben. Die Schwierigkeit
dieses Versuchs verberge ich mir nicht. Ich weiß, daß Irrtümer
nicht zu vermeiden sind, da vieles einzelne nur durch die Lokal-
forschung festgestellt werden kann. Und ich zweifele nicht, daß
ich den einen zu viel und den anderen zu wenig tun werde. Aber
der Einfluß, den der Bestand des geisthchen Territoriums gehabt
hat und der in seinen Nachwirkungen noch fortdauert, ist so gi'oß,
daß die Kirchengeschichte der Aufgabe nicht aus dem Wege gehen
darf, auf die Frage Antwort zu geben: Was war geisthches
(Tebiet?
Die Bildung der geistlichen Gebiete war ein ungemein viel-
gestaltiger Prozeß. Wie sie nicht auf allgemeine Anordnungen
zurückging, so bildete sich jedes einzelne Territorium in seiner
Weise: die allgemeinen Macht- und Rechtsverhältnisse, der Einfluß
der fiiiheren Zustände, das Wirken und Gegenwirken einzelner
Persönlichkeiten, die Folgen von Siegen und Niederlagen, Rechts-
verträge und rechtswidrige Gewalt: dies alles wirkte überall; aber
es wirkte nirgends gleich. Das Bild ändert sich für jeden einzelnen
Fall. Das zufällige Moment tritt um so stärker hervor, je weniger
man lange Zeit von einer territorialen Politik der geistlichen
Fürsten reden kann. Das letztere ist nicht auftallig. Denn die
Macht der Bischöfe und Rcichsäbte beruhte noch im zwölften
Jahrhundert mehr auf der Zahl und dem Ansehen ihrer I^ehens-
leute und Dienstinannen als auf dem Territorium. Man gewinnt
eine Voi-stellung von der Bedeutung dieser Gefolgschaft der geist-
lichen Herren, wenn man hört, daß der Krzbischof von Köln zum
Mainzer Hoftag von 1184 mit 1700 Gefolgsmannen zog, der von
Mainz mit 1000, der von Magdeburg mit 600, der Abt von Fulda
» König Wilhelm 8. .Jan. 1254, C.I. II .^. 472 Nr. 369.
- C.I. III S. 190 Nr. 205 v. 1278: . . quin merum imperium tuo prin-
cipatui sit annexum.
— 81 —
mit 500, während dem König von Böhmen 2000, dem rheinischen
Pfalzgrafen und dem Landgrafen von Thüringen je 1000, den Her-
zogen von Sachsen und von Osterreich 700 und 500 Mann folgten^.
Aber Verleihung und Territorialbildung standen sich gegenseitig
im Wege. Man konnte nicht die eine ohne Schädigung der an-
deren ibrdern. Deshalb wird die territoriale Politik der geistUchen
Fürsten erst im dreizehnten Jahrhundert ein Moment der allge-
meinen Entwickelung. Aber dieser Satz erleidet an einem wich-
tigen Punkte eine Einschränkung: in bezug auf die Städte. Schon
sehr frühzeitig war es das bewußt und konsequent verfolgte Ziel
der Bischöfe, die Städte, in denen sie ihren Sitz hatten, ihrer Herr-
schaft zu unterwerfen. Sie haben ihr Ziel fast überall erreicht;
mit der Herrschaft in den Städten beginnt die Bildung der geist-
lichen Territorien"-.
Dabei war der Ausgangspunkt und deshalb auch der Weg
im einzelnen verschieden. Im Westen und Süden des Reichs
stammten die Städte und die Bistümer aus der römischen Zeit:
die ersteren waren älter als die letzteren. Nun hatte zwar überall
die Kirche Grundbesitz in den Städten; zum Teil war er sehr
groß. Aber nirgends war der Bischof Grundherr der Stadt. Die
Stadt war königlich. Das war die Lage der Dinge in allen rhei-
nischen Bischofssitzen, in Lothringen und in dem einzigen alten
Bischofssitz außerhalb des Rheingebiets in Augsburg. Mit ganz
anderen Verhältnissen mußte man bei der Begründung neuer Bis-
tümer rechts des Rheins rechnen: hier fehlten die Städte. Zwar
suchte Bonifatius dem kirchlichen Grundsatz zu genügen, daß Bis-
tümer nicht in Dcirfern oder kleinen Orten errichtet werden sollten;
Regensburg und I-*assau, die durch ihn Bischofssitze wurden, waren
Hümerorte, Würzburg und P^rfurt ältere deutsche Ansiedelungen.
Aber schon er mußte sich entschließen, die Bistümer Eichstätt,
Salzburg und Freising in Klöstern zu begründen, die entweder
noch ganz in der Waldeinsamkeit lagen oder bei denen es doch
an jedem städtischen Leben ff^hltc So geschah es auch später.
Karl d. Gr. und Ludwig d. Fr. gründeten die sächsischen Bistümer
im flachen Lande: hier ein Königshof, dort ein Bauern- oder
Fischerdorf, die Malstätte einer Bauernschaft, oder eine Burg am
Wassfjr wurden als Sitz für die neuen Bistümer gewählt. Aber
regelmäßig folgte der (Gründung des Bistums die Entstehung einer
gnißeren Niederlassung. Das machte sich von selbst. .fcder
« Owleb. Chr. Han. S 1411
' Vffl. meine S. 07 Anm. 1 anj(ol". Al>handlung. Ich wiedorholo die
dort gegebenen Belege hier nicht.
Haack, KircbenKfiscbicbte. V. A
— 82 —
Bischofssitz war ein A^Tkehrsmittelpunkt. Wie viele Leute gingen
Tag für Tag im Haus des Bischofs aus und ein ! Nehen der Dom-
kirche wurde das J)omstift gebaut. Dort hauste eine vornehme,
reiche Korporation; mancherlei Bedürfnisse forderten Befriedigung.
Zum Domstift gesellten sich fast überall andere Klöster und Stifter.
Infolgedessen wurde unablässig gebaut. Handwerker aller Art
fanden Arbeit und Verdienst. Überdies waren Stift und Kirche
gegen feindlichen Angriff geschirmt. Durch das alles waren die
Bedingungen geschaffen, unter denen eine neue Ansiedelung nicht
ausschließlich bäuerlicher Bevölkerung entstehen und sich günstig
entwickeln konnte. Alsbald griffen auch die Bischöfe ein: sie
wußten durch Marktgründung das Werdende zu fördern und zu
gestalten, sie machten die Ansiedelung zur Stadt».
Es ist verständlich, daß ihr Verhältnis zur Stadt anders war,
als das der älteren Bischöfe. Noch in Würzburg, liegensburg und
Passau waren die Bischöfe nicht Grundherren; dagegen wurden
sie es in Erfurt und waren sie es in Eichstätt, Freising und in
allen sächsischen Bistümern: hier überall erwuchsen die Städte auf
kirchlichem Grund und Boden. Daß in Salzburg bei der Trennung
des Erzbistums von der Abtei der Grund und Boden dem Peters-
kloster verbHeb, machte keinen großen Unterschied, da das Kloster
selbst bischöflich war.
Ein neuer Vorstoß der Kirche erfolgte unter Otto I. Auch
er hat seine Eigenart; denn jetzt wurden die Bistümer mitten in
Feindesland gegründet. Dem entsprach, daß sie ihre Sitze in
Burgen erhielten. Das wiederholte sich bei der Erneuerung der
Wendenbistümer an der Ostsee im zwölften Jahrhundert. Es lag
in der Natur der Sache, daß diese Burgen nicht in den Besitz
der Bischöfe kamen. Nur die Domimmunität wurde ihnen zu eigen,
nicht aber die Burg und die um die Burg entstehende Stadt.
Dagegen sind die jüngsten Bischofsstädte im altdeutschen Land,
Brixen und Bamberg, \Nieder auf bischöflichem Grund und Boden
erbaut. Auch im Kolonialland wurde bei der Verlegung des Bis-
tums von Zeitz nach Nauml)urg die letztere Burg der Kirche zu
Eigentum gegeben.
Die Verhältnisse waren also von Anfang an verschieden; auch
das Ergebnis der weiteren Entwickelung war nicht gleich: das
Kolonialland und das übrige lleich traten auseinander. Dort ge-
langten die Bischöfe nicht zur Herrschaft über die allmählich ent-
stehenden Städte: Meißen, Brandenburg, Havelberg, Schwerin
» S. Kietschel, Markt u. Stadt. Lpz. 1897. F. Philippi, Z. Verfaösungs-
gesch. der Westf. Bischofsstädte. O.^nabr. 1894.
— 83 —
wurden landesfürstlich, Lübeck wurde Reichsstadt. Hier dagegen
wußten die Bischöfe die alten und die neuen Städte ihrer Herr-
schaft zu unterwerfen. Es machte dabei keinen Unterschied, ob
sie Grundherren waren oder nicht.
Nur glatter vollzog sich die Entwickelung in den Städten der
bischöfUchen Grundherrschaft. Da hier die Gesamtbewohnerschaft aus
Immunitätsleuten bestand, hatte sie einen sichern Ausgangspunkt.
Die Erhebung der Immunität zur vollen Gerichtsgewalt über die
Hintersassen führte von selbst dazu, daß die geistlichen Fürsten
die gesamte Gerichtsbarkeit in der Stadt erlangten. Dadui'ch war
ihnen der Erwerb der öffentlichen Gewalt überhaupt gesichert.
Auf diese Weise wurde die Herrschaft des Erzbischofs über
Salzburg, der Bischöfe über Freising und Eichstätt begründet.
Die Stadt Salzburg scheint schon am Ausgang des zehnten Jahr-
hunderts eine nicht mehr ganz unansehnliche Ansiedelung gewesen
zu sein \ Bedeutend langsamer entwickelten sich Freising und Eich-
stätt. Der erstere Ort wird seit der Mitte des 12. Jahrhunderts
als Stadt bezeichnet; den letzteren findet man erst gegen Ende
desselben erwähnt. In allen drei Orten hatten die Bischöfe die
Gerichtsbarkeit'-, nicht minder die militärische Gewalt^: die Städte
gehörten zum unveräußerlichen Bestand des Fürstentums. Als
Bischof Gerold von Freising sich bestimmen ließ, die Stadt dem
* Erzbischof Friedrich, 958 — 991, schenkte die Michaelskirche in porta
urbia sita an das Peterskloster, Meiller S. 27 Nr. 152. Da die Kirche keine
Stiftskirche war, kann sie nur die Pfarrkirche für die bei der Domimmuni-
tät, der urbs, entstandene Niederlassung gewesen sein. Das Marktprivi-
legium V. 996, Dipl. II S. 619 Nr. 208 setzt ebenfalls den Bestand des Ortes
Salzburg voraus ; es förderte also nur die P]ntwicklung desselben zur Stadt.
Ist 1085 von der urbs cum locis ad eam pertinentibus die Rede, Ann. Ratisb.
mai. Scr. XIII S. 50, so gibt das ebenfalls die Vorstellung, daß die An-
siedelung bei der urbs, der Domimmunität, bereits eine gewisse Bedeutung
hatte. Sie war seit EB. Gebhard 1060—88 und Konrad I. 1106—47 durch
die Feste Hohensalzburg geschützt, Vit. Chunr. 20 Scr. XI S. 74. Die
Stadt selbst ist wohl erst im 13. Jhrii. befestigt worden, Zillner, Gesch. d.
Stadt Sal/b. I S. 18.
* Für Salzburg u. Freising s. Rietschel, Burggrafenamt S. 79 f. In Eich-
stätt beruhte die bischöfliche Gerichtsbarkeit auf der in die Karolingerzeit
zaHlckreichenden Immunität, Dipl. I S. 4 Nr. 4. Daß in dem Abkommen
von 1245 der Vogt anerkennt, daß das (ioricht in der engeren Immunität
dem Bischof ausschließlich zukommt, Eichst. Reg. II S. 13 Nr. 489, zeigt,
daß er es in der Stadt Übte.
' Befestigung von Hohensalzburg, s. o. Anmerk. 1; Eichstllttor l*riv.
V. 908 MB. XXXI S. 179 Nr. 90: Ttbom oonntniore. Für Froining CM. II
8.421 Nr. '.',()€} V. 1231 : Libora aiictoritas edilicandi (;ivitat<'m et niont«!m Fris.
6»
— 84 —
Herzog Ludwig von Baierii zu Lehn zu geben, scheiterte die Maß-
regel an dem Widers})ruch des Kapitels und der Ministerialen ^.
Auch die sächsischen Städte sind nicht gleichalterig. Am
raschesten scheint sich Bremen entwickelt zu haben. Die dortige
Marktansiedelung war schon in den ersten Jahrzehnten des elften
Jahrhunderts so bedeutend, daß sie eine eigene Kirche erhielt,
hundert Jahre später war eine zweite notwendig". Kaum später
als in Bremen wurde die Marktkirche in Minden erbaut"^. Auch
der Aufschwung von Paderborn, Halberstadt und Hildesheim fällt
noch in das elfte .Jahrhundert^. Dagegen kamen Münster und
Osnabrück erst im zwölften Jahrhundert empor ^] das wird auch
von Naumburg anzunehmen sein ". Am langsamsten entwickelte
sich, wie es scheint, Verden '.
1 C.I. 11 S. 184 Nr. 150 v. 1230, vgl. Meichelbeck, H.Fr. II, 1 S. 7.
* Unwan erbaut die Veitskirche extra oppidura, Adam 11,46 S. 73; über
die 2. Pfarrkirche auf dem Stephansberg, s. Bremer ÜB. I S. 37 Nr. 32 v. 1139.
^ Marktprivilegien v. 977 u. 1009, Dipl. II S. 165 Nr. 147 u. III S. 224
Nr. 189. Die Johanniskirche, die Marktkirche, bestand unter Bischof Sigi-
bert, 1022—36, s. Würdtwein, Subs. Dipl. VI S. 309 Nr. 98 v. 1075.
'' In Paderborn stand nach der Biographie Meinwerks 1009 — 36, c. 157
Scr. XI S. 139 die Marktkirche schon zu dessen Zeit. Die Halberstadter
Marktansiedelung beruht auf einem Privilegium v. 989, Dipl. II S. 460
Nr. 55. Schon B. Arnulf (996 — 1023) gewährte den dort wohnenden Kauf-
leuten eine Weidegerechtigkeit, ÜB. d. St. H. I S. 1 Nr. 1. Heinrich IV.
bestätigte 1068 ihre Privilegien, S. 2 Nr. 3; B. Friedrich spricht 1105 von
den incole loci nostri, cives videlicet forenses S. 3 Nr. 4. In Hildesheim
war St. Andreas Marktkirche, ÜB. I S. 552 Nr. 577; sie bestand schon zu
Lebzeiten Godehards, also vor 1038, Vita 11 Godeh. 31 Scr. XI S. 215. Die
civitas wird 1145 genannt, S. 215 Nr. 235, und 1167 beteihgen sich die
Bürger an der Stadtbefestigung S. 327 Nr. 342.
^ Die Marktkirche, St. Lambert, in Münster, ist unter B. Hermann
1173 — 1203 nachweislich; sie bestand aber schon längere Zeit, und reichte
für die cura tantae plebis nicht mehr aus, Westf. ÜB. II S. 213 Nr. 507.
Nach den Mirac. Liudg. 1 Scr. II S. 424 hatte schon B. Burchard 1104— 1120
die Absicht civitatem dilatare, pluresque in ea parochias facere. In Osna-
brück worden die Marienkirche und ein Steinhaus am Markt 1177 erwähnt,
ÜB. 1 S. 276 Nr, 345. Aber schon 1171 erhält die Bürgerschaft ein Privi-
legium de non evocando, ÜB. I S. 264 Nr. 328.
" Die Entstehung der Stadt Naumburg geht auf die Übersiedelung der
Kaufleuto von Gena nach Naumburg zurü''k, die Bischof Kadalus ver-
anlaßte, Lepsius S. 198 Nr. 11, wahr.scheinlich 1033. Im J. 1162 hört man
von dem forum Nuenburgense, S. 252 Nr. 42, die Marktkircbe, St. Wenzel,
wird erst 1270 genannt, S. 308 Nr. 72; um dieselbe Zeit heißt Naumburg
civitas S. 310 Nr. 73 v. 1278.
' Otto 111. gewährte 985 Markt, Münze u. Zoll in loco Verdensi,
— 85 —
Doch so oder so, alle Städte kamen unter die Herrschaft der
Bischöfe: wie die Erzbischöfe von Bremen^ und die Bischöfe von
Minden- von ihrer Stadt sprachen, so die Bischöfe von Hildes-
heim ■" und Halberstadt * von ihren Bürgern. Solche Worte waren
berechtigt, nicht nur weil die Bischöfe Grrundherren waren, sondern
auch weil sie die Gerichtsbarkeit besaßen ^ sei es, daß sie ihnen
ausdrücklich eingeräumt war, wie in Bremen und Minden^ oder
daß sie auf dem Besitz der Grafschaft beruhte '^, oder aus der Im-
munität erwuchs ^. Wie überall wurde das Gericht durch die Vögte
geübt. Dadurch, daß es den Bischöfen gelang, die Vogtei zurück-
zugewinnen '^, sicherten sie sich die Herrschaft in den Städten. Sie
haben sie fast überall behauptet, wenn sie auch überall durch die
Befugnisse, die allmählich der Bat erlangte, beschränkt wurde. Nur
in Bremen errang die Bürgerschaft nach und nach die Unab-
hängigkeit^^.
In denjenigen Städten, in denen die Bischöfe nicht Grund-
Dipl. II S. 422 Nr. 23. Aber die Stadt wird erst 1192 erwähnt, Verdener
Gesch. Quell. II S. 58 Nr. 34, vgl. S. 72 Nr. 45: ecclesia ac civitas Verdensis
1223. B. Gerhard ordnete 1259 das Gerichtswesen, S. 117 Nr. 74.
^ EB, Sigfrid 1181: universitas civitatis nostrae, Brem. ÜB. I S. 66
Nr. 58 V. 1181.
- B. Widekind 1256, Westf. Uß. VI S. 191 Nr. 660. In Osnabrück
spricht 1217 das Kapitel von civitas nostra, ÜB. II S. 57 Nr. 77.
' B. Adelog 1170—1190: Civium nostrorum universitas, ÜB. d. St. H. I
S. 17 Nr. 43.
» S. 84 Anm. 4.
■^ Vgl. S. Rietschel, Burggrafenamt S. 279 fi',; Lövinson, Beiträge zur
Verf.Gesch. der Westfäl. Reichsstiftsstädte, Paderb. 1889.
« Dipl. 1 S. 422 Nr. 307 v. 965; II S. 165 Nr. 147 v. 977.
■ Vermutlich in Paderborn, Dipl. II S. 817 Nr. 387.
* Friedrich I. gab 1171 den Osnabr. Bürgern ein Privilegium de non
evocando, ÜB. I S. 264 Nr. 328. Im J. 1236 resignierte der Osnabr. Stifts-
vogt Otto V. Tecklenburg dem B. die Vogtei in der Stadt, ÜB. II S. 272
Nr. 351. Er übte also bis dahin das Gericht. Da Osnabrück, so viel wir
wiüBen, die Grafschaft nicht besaß, so kann die Gerichtsbarkeit nur auf
der Immunität beruhen.
» Münster vor llßH, «. Kais.ürk. II S. 328 Nr. 237 v. 1173. Paderborn
1193 S. 349 Nr. 251. Hiidesheim 1194—1198, Chr. Hild. 25 Scr. VII S. 858;
v;fl. VU. I S. 560 Nr. 583. Bremen 1219, TJB. \ S. MO Nr. 118. Halber-
Htadt 1226, TB. I S. 521 Nr. 584. Verden 12.30, Verd. Gesch.Q. II S. 84
Nr. 51. Osnabrück 1236, UM. 11 S. 271 Nr. 351. In Ma^dobur^ beschloß
EB. Erich 1294 dan von Albroclit von Sach.sen zurück^enoinmono Hurpf-
grafenamt nicht, mehr auHZutun, .Magd. Uo^. 111 S. 309 Nr 814.
'• v. Bippen, (icHch. d. St. Bremen I, 1892 S. 212 H.
— 86 —
herren waren, hatte ihre Gerichtsbarkeit eine schmalere Basis. Denn
sie erstreckte sich zunächst nur auf die Immunitätsleute. Aher sie
wurde in» Verlauf zur Gerichtsgewalt über die Stadt entweder da-
durch, daß die Biscliöfe die Grafschaft erhielten oder dadurch, daß
ihre Gerichtsbarkeit auf die sämtlichen Bewohner erstreckt und so
ein eigener städtischer Hochgerichtsbezirk gebildet wurde.
Das erstere war in Köln, Trier und Würzburg, auch in Toul
und Verdun der Fall. Zwar ist weder in Köln noch in Trier die
Verleihung der Grafschaft überliefert. Doch muß man sie an-
nehmen ^: denn der Burggraf von Köln war der Graf des Köln-
gaus'": Als solcher handhabte er die hohe Gerichtsbarkeit in der
Stadt und vor ihr^. In Trier lag sie in den Händen des Vogts*:
ihm werden die Bischöfe die Grafschaft in Stadt und Umgebung
übertragen haben. AVürzburg lag im Gau Waldsassen; die dortige
Grafschaft erhielt das Bistum von Otto III.''; man wird annehmen
dürfen, daß der Würzburger Burggraf von den Bischöfen mit dem
Grafenamt in der Stadt und ihrer Umgebung belehnt war und daß
darauf der Besitz der hohen Gerichtsbarkeit beruhte*^. In Toul und
Verdun hatten die Bischöfe die Grafenrechte". Wenn nun nicht
die Grafen, sondern die Vögte die Gerichtsbarkeit hatten ^, so wird
das, ähnlich wie in Trier dadurch herbeigeführt worden sein, daß
die Bischöfe ihnen die Gerichtsbarkeit in der Stadt übertrugen;
sie sonderten sie dadurch aus der Gaugrafschaft aus.
Weit gewöhnlicher war die Bildung eines städtischen Hoch-
gerichtsbezirks durch Exemtion der Stadt von der Grafengewalt.
Sie läßt sich für Mainz, Speier, AVorms, Straßburg, Passau. Magde-
* Vgl. die augef. Abhandlung S. 664.
- Oppermann, Westd. Ztschr. XXI S. 4 ff. Rietschel, Burggrafenamt
5. 143 ff.
' Schiedsspruch des ER. Philipp v. 1169, Keutgen S. 9 Nr. 17 ff.
* Stadtrecht, Trier. Arch. VII S. 78 ff.
•• Dipl. II S. 795 Nr. 366 v. 1000.
" Anders Rietechel S. 135 ff'. Daß Konrad 11. 1030 dem Bietum totius
civitatis districtum, sieut fuerat ante nostra tempora constituni, bestätigt,
M.B. 29,1 S. 30 Nr. 333, wird auf die Verleihung der Grafschaft zurück-
gehen. Wenn der Burggraf (laugraf war, erklärt sich auch am einfachsten,
daß er den Centgrafen bestellte.
' Toul, Dipl. 1 S. 52 Nr. 16; vgl. die interpolierte Urk. II S. 72 Nr. 62.
Über die Schenkung der (irafMch. Verdun ist keine Urk. erhalten. Sie ge-
hörte aber dem Bistum mindestens seit der ersten Hiilfte des 11. Jahrh.'ß,
6. Laur. Gesta ep. Vird. c. 2 Scr. X S. 492, c. 12 S. 498.
" S. Rietschel S. 181 ff.
— 87 —
bürg nachweisen^, und ist überall da anzunehmen, wo das höbe
Gericht durch den bischöflichen Vogt gehalten wurde.
Alle diese königlichen Städte kamen durch den Besitz der
Gerichtsbarkeit unter die Herrschaft der Bischöfe. Eine Ausnahme
machte nur Regensburg. Dort waren die Verhältnisse dadurch be-
sonders verwickelt, daß neben dem Domstift drei fürstliche Klöster
in der Stadt bestanden: St. Emmeram, Ober- und Niedermünster.
Es gab also vier Immunitäten innerhalb der Mauer. Die Stadt
selbst gehörte zum Donaugau. Die hohe Gerichtsbarkeit hatte der
Gaugraf, der als Befehlshaber der Reichsburg den Titel Burggraf
führte'"^. Auch der Zoll und das Geleite gehörte zui' Grafschaft.
In Regensburg blieben also länger als irgendwo sonst die sämt-
hchen Hoheitsrechte in Laienhänden. Als gegen Ende des zwölften
Jahrhunderts das Burggrafenhaus ausstarb, versuchte Bischof Kon-
rad III. vergeblich die grätliche Gewalt zu erlangen; sein Nach-
folger Konrad IV. mußte sich dazu verstehen, sie mit dem Herzog
Ludwig von Baiern zu teilen '^. Schließlich wurde die Stadt weder
herzoglich noch bischöflich: sie wurde Reichsstadt.
In den übrigen Städten schlössen sich mit dem Besitz der
Gerichtsbarkeit weitere Hoheitsrechte zusammen. Markt, Münze
und Zoll gehörte den Bischöfen zum Teil schon seit der fränkischen
Zeit*. Ihre Tätigkeit für die Stadtbefestigung setzte im zehnten
und elften Jahrhundert ein: Ulrich von Augsburg, Burkhard von
Worms, Gero von Magdeburg gingen dabei vorauf Auch in
Köln und Mainz waren die Erzbischöfe spätestens im elften Jahr-
^ Mainz, nicht überliefert; aber bei der Verleihung der vollen Ge-
richt-ibarkeit an den B. v. Worms verweist Otto IL als vorbildlich auf die
Zustände in Mainz u. Köln, Dipl. II S. 226 Nr. 199 v. 979. Speier: Dipl. I
S. 520 Nr. 379 v. 969; 11 S. 462 Nr. 57: Infra civitatem . . aut in circuitu
extra civitatem i. e. in villa Spira et in marca quae eidem urbi adiacens
est. Worms: s. o. Straßburg: Dipl. II S. 311 Nr. 267: Infra civitatem vel
in auburbio. Passau: Dipl. II S. 733 Nr. 306 v. 999, vgl. die Fälschung
ÜB. d. Landes o. E. II 8. 40 Nr. 30. Magdeburg: Dipl. I S. 415 Nr. 300
V. 965. Schließlich galt es als anerkanntes Recht, daß, wer an einem Orte
du« Marktrecht hat, dort auch im Besitze der (jlericht«barkeit ist, C.l. 11
S. 74 Nr. 61 v. 1218.
- S. Rietschel, Burggrafenamt S. 88 tf.
* Quellen u. Krörter. V S. 4ff. Nr. 2 u. 5 v. 1205 u. 1213.
* S. Bd. HI 8. 61 f.
» Vita Oudalr. 3 Scr. IV S. 390 ii. 12 S. 401; Vita Biuch. 7 S. 835.
Kr befestigte den Bischofshof in der Stadt. Ann. Magdb. z. 1U23 Scr. XVI
S. 168. Wormser Muuerbauordnung des 10. Jahrb., Boos, Quellen z. (lOsch.
der St. Worms III S. 223f.
— 88 —
hundert Herren der Mauer ^ Im zwölften Jahrhundert wird ihr
ausschlioßhches Befestigungsrecht vom König anerkannt'-. Inder-
seihen Zeit })eginnen die Äußerungen, in denen die einstmals
königlichen Städte als hischöflich bezeichnet werden ^
Inzwischen hatte jedoch der große wirtschaftliche Aufschwung
der deutschen Städte begonnen. Durch ihn gewannen sie solche
Bedeutung, daß die Bischöfe den Bürgern Teilnahme an der
Stadtverwaltung einräumen mußten. Daraus entwickelte sich die
Selbstverwaltung der Kommunen, die bei nicht wenigen dazu führte,
daß die bischöfhche Landeshoheit nicht behauptet werden konnte.
Straßburg, Basel Speier, Worms, Mainz*, Köln, Konstanz, Augs-
burg, Metz und Magdeburg wurden freie Städte; sie kamen damit
wieder direkt unter das Reich.
Dasselbe war bei einzelnen der auf Klosterbesitz entstandenen
Städte der Fall, während andere unter der Herrschaft der geist-
Uchen Fürsten blieben. Das letztere gilt von Fulda, Hersfeld,
Herford, Höxter u. a., das erstere von Weißenburg, Kempten und
St. Gallen.
In derselben Zeit, in der die geistlichen Fürsten die volle
Herrschaft in ihren Sitzen erlangten, begann auch die Bildung des
Landgebiets. Doch vollzog sie sich langsamer: sie kam kaum
irgendwo vor dem dreizehnten Jahrhundert zu einem gewissen
Abschluß.
' Vgl. meine Abhandlung S. 660.
- Friedrich I. 1180, CT. 1 S. 387 Nr. 280. Friedrich 11. 1231, TI S. 421
Nr. 306.
■^ 1099 EB, Ruthard v. Mainz: Omnes burgenses nostri. .loannis, Kes.
Mog. II S. 518, vgl. Cod. Udalr. 123 S. 234; 177 S. 810. 1132 B. Hermann
V. Augsburg: Civitas nostra, Udal. cod. 260 S. 444ff. 1169 EB. Philipp v.
Köln: Cives nostri Colonienses, Keutgen S. 10 Nr. 17,4; 1188 Friedrich I.
für den B. v. Merseburg: Forum in civitate sua, ÜB. 1 S. 112 Nr. 132.
Das Domkap. von Basel 1190, Trouillat I S. 419 Nr. 273: Civitas nostra.
1202 König Philipp : Cives ecclesiae Trevirensis attinentea, C.I. II S. 239
Nr. 202; derselbe 1207: die Kölner haben dem EB. zu dienen, tamquam
domino, S. 14 Nr. 11. Die völlig ausgebildete Herrschaft zeigen die Er-
lasse Friedrichs II. für Straßburg 1214 H. Br. I S. 292 u. für Basel C.I. II
S. 75 No. 62, wodurch die Einsetzung des Rates an die Zustimmung der
Bischöfe gebunden wird, und der Erlaß Heinrichs VII. v. 6. Apr. 1227, durch
den er die der Stadt Vordun vorliehcno Freiheit zurücknimmt, da er sie nach
dem Spruch der Fürsten irroquisito episcopo nicht erteilen konnte, C.I. II
S. 410 No. 295.
* Mainz kam seit der Eroberung vom 28. Okt. 1462 wieder unter die
erzbischöfliche Regierung.
— 89 —
Überall ist das Landgebiet aus sebr verscbiedenen Bestandteilen
zusammengewachsen. Bot die Grundberrschaft, wie bemerkt, im
allgemeinen nicht die unmittelbare Grundlage, so war sie doch
wertvoll. Vor allem wuchs der an die Dienstmannen verliehene
Grund und Boden in der Regel dem Territorium zu. Sodann
kommt in Betracht, daß an den Grundbesitz mancherlei Herrschafts-
rechte geknüpft waren, deren Behauptung und Erw^eiterung zur
Landeshen-schaft führte. Doch wichtiger als die Grundherrschaft
war der Besitz der Grafschaft. Aber es wäre irrig anzunehmen,
daß die \ielen Grafschaften, die seit Otto I. an die Kirche kamen,
den festen Grundstock für die Bildung des geistlichen Gebiets in
Deutschland dargeboten hätten. Sie hörten ja infolge der Schenkung
nicht auf; sie wurden lediglich aus königlichen, bischöfliche Lehen.
Solange die alten Gaugrafschaften bestanden, wurden sie nur da
die Grundlage für das Territorium, wo es den geistlichen Fürsten
gelang, die Grafschaft oder abgetrennte Stücke derselben in eigene
Verwaltung zu nehmen. Erst die Erwerbung der jüngeren, terri-
torialen Grafschaften führte unmittelbar zur Erweiterung des Terri-
toriums. Von ähnlicher Wichtigkeit, wie der Besitz der Grafschaft,
war der Erwerb des Gerichts in bestimmten Bezirken, der Cent-
gerichte und Gogerichte, dann der Besitz von Markt, Zoll und
Münze und besonders das Recht des Wildbanns in den großen
Forsten, die einen Teil Deutschlands bedeckten. Aber auch hier
muß man im Auge behalten, daß die Territorialgewalt auf diese
Rechte gebaut werden konnte, aber keineswegs immer auf sie ge-
baut worden ist. Da die Besitzer von Klöstern und Stiftern In-
haber der politischen Rechte derselben waren, so kam ftir die Terri-
torialbildung endlich auch der größere oder geringere Besitz der
Bistümer an solchen geistlichen Stiftungen in Betracht.
Die Summe von Besitzungen und Rechten, auf die die geist-
liclien Fürsten ihre Herrschaften begründeten, ist fast unül^erschau-
bar. Aber ein großer Teil ist ungenutzt verloren gegangen : Ver-
leihung und Verpfändung, die Vogtei und fremde Okkupation wirkten
dabei zusammen. Anderes wurde festgehalten. Entfremdetes durch
Heimfall oder sonstwie zurückerworben, der Besitz durch Gewalt,
durch Kauf, durch Pfandnahme, auch durch Usurpation erweitert.
Kibfall und Sclicnkungc^n anderer Art felilten auch in der späteren
Zeit nicht ganz. Die Folge von dein allen war, daß das r^and-
gebiet der geistlichen Fürsten in gewissem Sinn als (icbildc des
Zufalls entstand. Die Gcsclii(;lit(; kennt kaum willkürlichere
Grenzen als die der bischötiicbcn Territorien. .Ja vielfacb kann
man von (irenzen im strengen Sinn des Wortes ül)erhaui)t nicht
red^'n. Es war nicht selten, (h\\\ Untertanen verschiedener Herren
— 90 -
in denselben Orten oder nebeneinander in den gleiclien Bezirken
wohnten. Nur sein- jdlinählich. zum Teil erst in der späteren Zeit
haben sich die Gebiete klar f^eschieden.
Die Verteilung der geistlichen Gebiete im Reich w^r nicht
gleichmäßig ^ Am mächtigsten Avar das geistliche Fürstentum im
Nordwesten. Tm Südwesten und im mittleren Deutschland über-
wogen die weltlichen Herrschaften. Und das Kolonialgebiet des
Nordostens war für die Entwickelung der geistlichen Territorien
ebenso ungünstig, wie der bairisch-üsterreichische Südosten.
Im Nordwesten nahm das Kölner Erzstift die erste Stelle ein'-.
Den Kern seines Gebietes bildete die Stadt mit dem alten Köhigau,
in dem die Erzbischöfe von lange her die Grafengewalt hatten ^
Südwärts schloß sich das spätere Amt Bonn an. Dort besaß das
Erzbistum schon seit dem achten Jahrhundert das reiche Stift
St. Cassius und Florentius"*. Später erhielt es den Zoll"''. Dem-
gemäß stand der Ort im dreizehnten Jahrhundert unter der erz-
bischciflichen Landesherrschaft. Der Erzbischof hatte die Gerichts-
barkeit und die städtische Steuer; er befestigte die Stadt". Am
Rheine aufwärts reichte das Kölner Gebiet bis zur erzbischöflichen
Burg Rolandseck". AVestlich dehnte es sicli bis Lechenich aus;
der dortige Bezirk wird 1171 als kölnisch bezeichnet''.
Jm Norden des Kölngaus war Neuß schon am Ende des
1 H. Leo, Die Territorien des d. Reichs im MA., 2 Bde., Halle 1865
u. 67; K. Kretschmer, Hist. Geographie von Mitteleuropa, München 1904.
'2 Leo I S. 923 ff., Kretschmer S. 248; Hecker, Die territoriale Politik
des EB. Philipp v. Köln, Lpz. 1883; Cardauns, Konrad v. Hochstaden. Köln
1880. Den Umfang des Territ. i. J. 1794 gibt Walter, D. alte Erzstift Cöln, I
S. 105 ff. ; vgl. auch die anonyme Historisch-geograph. Beschreibung des
Erzstiftes Köln. Frkf. 1783.
■' JS. oben S. 86.
* N.A. XIII S. 150 ff. Nr. 9—14. Brühl zwischen Bonn n. Köln ist
1285 als kölnisch genannt, NRh. ÜB. II S. 473 Nr. 802.
•^ NRh. ÜB. I S. 111 Nr. 179. Die Echtheit der Urkunde ist bestritten;
doch wird man sie als Beleg für den Besitz des Zolls verwenden dürfen.
" NRh. ÜB. II S. 148 Nr. 284 v. 1243. Die Steuer ist 1221 erwähnt
S. 51 Nr. 94. Die Vogtei nahm EB. Konrad zurück 1247, Chr. reg. Col.
S. 290. Als Kölner Feste erscheint Bonn 1114, Chr. reg. Col. S. 54.
-> NRh. ÜB. III S. 182 Nr. 215 v. 1326. Die Burg ist nach dem frei-
lich jungen Nekrol. des Kl. Rolands werth von EB. Friedrich gebaut, NRh.
Annal. XIX S. 218. fiodesberg winl 1289 als kölnische Feste genannt,
NRh. ÜB. II S. 514 Nr. 868.
"^ l S. 307 Nr. 440: in territorio nostro Leggenich. EB. Philipp zog
1185 die freigewordene Vogtei ein, S. 352 Nr. 501.
— 91 —
zwölften Jahrhunderts erzbischöfliche Städte Das zwischen Neuß
und Kohl gelegene Zons wird im nächsten Jahrhundert als solche
erwähnt'-. Abwärts von Neuß lag das Schloß Meer; es war unter
Rainald von Dassel 1166 an das Erzbistum gekommen. Mit dert
zahlreichen Gütern, die dazu gehörten, wurde das Kloster Meel'.
ausgestattet. Aber da dieses bischöflich blieb, so kam der ganze
Besitz unter die Landesherrschaft der Erzbischöfe ^. Ihr unterstand
auch das Kempener Land, wo die Kölner Kirche schon unter
Anno II. begütert war*. Die westliche Ausdehnung des Landes,
bezeichnet die Burg Odenkirchen^
Am linken Rheinufer erstreckte sich somit Kölner Gebiet von
Rolandseck bis Ürdingen, in einer Länge von ungefähr 100 Kilo-
meter. Doch war die Breitenausdehnung nur gering; sie wird
kaum irgendwo 25 Kilometer überschritten haben.
Dem Hauptland waren kleinere Stücke vorgelagert. Im Süden
Andeniach. Den dortigen Königshof mit dem Gericht, der Münze
und dem Zoll übergab Friedrich I. dem Erzbischof Rainald^.
Die nahe Abtei Laach stand schon einige Jahrzehnte vorher im
Eigentum des Erzbistums '. Jenseits des Ahrgebirges gehörte ihm
die Abtei Steinfeld, die Erzbischof Friedrich 1121 erwarbt Die
Verbindung zwischen Andernach-Laach und Steinfeld wurde durch
die Erwerbungen Philipps von Heinsberg hergestellt'*. Weiter auf-
wäi-ts am Rhein besaß das Erzbistum Rhens und an der Mosel
Zeltingen und Rachtig^'*.
^ Heinrich VI. 1190: liurgenaes de civitate Colonia et Nussia et aliis
uppidis que Colon, archiep. libere tenet, I S, 365 Nr. 524.
- S. u. S. 92 Anm. 3.
' I S. 286 Nr. 415; II S. 1 Nr. 1; IV S. 781 Nr. 632 v. 1169.
* I S. 141 Nr. 217; S. 153 Nr. 236.
-' I S. 259 Nr. 375 v. 1153: Castellum udenkircken cum ministorialibus
cum aervis et ancillis et oninibus appendiciis suis. Kleinere Erwerbungen
in diesen Gegenden zählt Hecker S. 82 auf.
« I S. 296 Nr. 426 v. 1107. Zugleich erhielt Rainald den Königshof
?k'kenhagen. Die Gerichtsbarkeit daselbst ist später im liesit/ der Grafen
von Sponheim, dann der von Herg, II S. 239 Nr. 440.
' MRh. ÜB. H S. 106 Nr. 66 v. 1184. Danach besaß Köln die, wie
Andernach in der Diözoae Trier gelegene Abtei seit EB. Friedrich I.
(1100—1131). Eh verfügte auch über die Vogtei.
" NKh. ÜB. I S. 191 Nr. 292. " S. Hocker 8. 80.
'• Besitz zu Khenn ist schon sehr früh nachwijislich, s. Nllh. IIB. 1
8. 51 Nr. 93 v. 941. Itachtig u. Zeltingen werden 1185 als erzbisch. Höfe
erwähnt, 8. 351 Nr. 600.
— 92 —
Von Jülichischeni Gebiet umgeben war Zülpich. Die Herr-
schaft beruhte auf dem Besitz des Zolls und der Burg\
Abwärts von Neuß gehörte dem Erzbistum der Hof Rhein-
berg, die Grundlage des späteren Amtes dieses Namens"-. Es war
durch die Grafschaft Mors vom Hauptland getrennt. Die alte
8tiidt Xanten, die noch 1B27 als kölnische Stadt bezeichnet wird,
vermochte das Erzstift nicht zu behaupten; sie kam an Cleve*^.
]m größten Teil dieses Gebietes hat sich die Landesherrschaft
langsam entwickelt auf Grund alten Besitzes an mancherlei Rechten
und am Grund und Boden. Erweitert wurde das Territorium
durch den Übergang der Grafschaft Hochstaden mit den Burgen
Ahr, Hart und Hochstaden an das Erzbistum* und durch den
Erwerb der Prümischen Lehn: Rheinbach, Ahrweiler u. a.'^. Beides
verdankte das Erzstift dem Erzbischof Konrad. Im Anfang des
vierzehnten Jahrhunderts führte der Kauf der Grafschaft Hülchrat.
südlich von Neuß, zu einer weiteren Ausdehnung". Im Jähe li^TH
endlich wurden Stadt und Land Linn durch Verpfändung erworben ".
Weit geringer war das Gebiet Kölns am rechten Ufer des
Rheins. Es beschränkte sich auf Rees'*, Deutz^ einen kleinen
Strich im Siebengebirg, der durch die AVolkenburg und den
Drachenfels geschirmt war^^ und eine Anzahl Orte stromaufwärts:
» NRh. ÜB. I S. 111 Nr. 179 v. 1043 (s. o. S. 90 Anm. 5\ S. 195
Nr. 299 V. 1124, vgl. II S. 222 Nr. 410. Über die Vogtei a. Leo S. 927 f.
^ I S. 194 Nr. 297 v. 1122. Ä.uch die Abtei Kamp war erzbischöflich;
sie ist auf Grund u. Boden von Kheinberg gebaut, s. d. a. ürk.
^ Xanten ist neben Andernach, Bonn, Neuß, Rheinberg, Rees, Zons
und Recklinghausen 1263 als köln. Stadt genannt, II S. 306 Nr. ö37. Als
solche bezeichnet sie noch 1327 der Bonner Propst Heidenreich, s. Quellen
u. Forsch, aus ital. Archiven XI S. 74. Wenig später ist sie verpfändet.
NRh. ÜB. 111 S. 209 Nr. 258 v. 1331. Die Vogtei hatten die Grafen von
Cleve, S. 206 Nr. 255; sie wußten sich die Stadt zu unterwerfen.
•» II S. 155 Nr. 297. Die Grafsch. bildete das spätere Amt Altenahr.
•• MRh. ÜB. 111 S. 677 Nr. 907 v. 1247. Auch Münstereifcl gehörte
dazu; es kam aber später an Jülich, s. Leo I S. 1024; Schorn, Eifflia sacra
II S. 201.
•' NRh. ÜB. III S. 99 Nr. 134 v. 1314.
' III S. 714 Nr. 811, Linn bei Krefeld. Der Übergang wurde durch
den Vertrag v. 1392 definitiv, S. 851 Nr. 968.
'^ Vgl. oben Anmerk. 'S. Der Besitz von Rees wird sich an den
Krwerb des dortigen Stiftes anschließen, I S. 144 Nr. 222, 1056—1075. Die
I^andschaft erscheint 1238 als erzbischöflich, Chr. reg. Col. S. 272; vgl.
NRh. ÜB. II S. 145 Nr. 279.
" Das Kastell und die Abtei waren bischöflich, s. l S. 85 Nr. 137.
'" Beide als kölnische Schlösser, III S. 189 Nr. 224: S. 183 Nr. 215.
— 93 —
Unkel, Rheinbreitbach; Linz u. a.i. Dazu kam im fünfzehnten
Jahrhundert die alte Reichsburg Kaiserswert-.
Die Macht Kölns diesseits des Rheins beruhte auf seinem
westfähschen Territorium^. Hier scheint Recklinghausen alter
kölnischer Besitz gewesen zu sein; schon Erzbischof Hildolf urkun-
dete daselbst; später rühmte Heinrich I. die vielen Dienste, die die
Bürger ihm und der Kölner Kirche erzeigt hätten*. Sodann faßte
Köln frühzeitig in Soest festen Fuß; die Stadt wird 1198 zu den
Stittsstädten gezählt ^ Besonders aber war der Osten der Kölner
Diözese Stiltsland. Um das Jahr 1300 gehörten zu ihm Siegen,
Waidenburg, Meinerzhagen, Attendorn, Schmallenberg, Winterberg,
Hallenberg, Medebach, Marsberg, Ruthen, Erwitte, Kruckenberg,
Osterfelde (Kallenhardt), Belecke, Gesike, Soest, Werle, Herford,
Vlotho, Lude, Wiedenbrügg, Lüdinghausen, Freden, Menden, Roden-
berg, Volkmai-sen, Kogelnberg, Volmestein, Raffenberg. Doch ist dabei
zu beiücksichtigen, daß es sich vielfach nur um Teilbesitz handeltet
Daß die Kölner Herrschaft in Westfalen einen so bedeuten-
den Umfang erhielt, verdankte das Erzstift dem Besitz des Herzog-
tums seit dem Stm'ze Heinrichs d. L. Denn mit der herzoglichen
Gewalt gingen der Grundbesitz, die Gerichtsbarkeit, die Lehen und
Ministerialen der früheren Herzoge an die Erzbischöfe über''.
Die Wolkenburg ist von EB. Friedrich I. also vor 1131 erbaut, s. Catal.
Scr. XXIV S. 341; über Drachenfels, Günther, Cod. dipl. Rheno-Mosell. I
S. 318 Nr. 148 v. 1149.
' II S. 425 Nr. 725 v. 1279; Cod. dipl. Rheno-Mosell. II S. 239 Nr. 137
V. 1250 u. S. 320 Nr. 203 v. 1263.
- 1424 u. 1440 gekauft, NRh. ÜB. IV S. 183 Nr. 160 u. S. 283 Nr. 239;
Erblandsvereinigung v, 1463, Art. 9 bei Walter S. 390. Dabei mag er-
wähnt werden, daß an dieser Vereinigung 13 Stiftsstädte mitwirkten: Bonn,
Andernach, Neuß, Ahrweiler, Linz, Rheinberg, Kaiserswert, Zonz, Urdingen,
Kempen, Rheinbach, Zütfen u. Lechenich.
' Haeften, Ztschr. d. Berg. Gesch. Vereins III S. 239 tf. Der spätere
umfang bei Leo I S. 980 tf.
* Seibertz, ÜB. I S. 37 Nr. 32 v. 1077; NRh. ÜB. II S. 106 Nr. 204
V. 1235.
•' Von Otto IV., NRh. ÜB. I S. 392 Nr. 562. Der Ort soll schon unter
Kunibert an da« EB. gekommen sein, s. Bd. I 8. 328. Die Stadt fiel, wie
bekannt, 1444 zu Clove ab.
•* Seibertz I'B. 1 S. 598 Nr. 484. Chor die Erwerbung der einzelnen
Htno.ka «. Seibertz im Arch, f. Gesch. u. Altort.Kundo Westfalens II S. 2291f.
Wentf. ÜB. II 8. 150 Nr. 407 v. 1180; vgl. Grauert, Die Herzogsgewalt
in Westfalen, 1H77 S. 2 Anm. 2. M. Jansen, Die Herzogsgewalt der EB. v.
Köln in Wentfalen. Münrhen 1895, (bor einzelne Erwerbungen i'hilippH
V. Köln in Westfalen, n. Ilecker S. 83f.
— 94 —
Damit waren die Bedingungen für die Ausbildung der Landes-
herrschaft gegeben. Nun feldte zwar viel daran, daß sie sich im
ganzen Herzogtum durchgesetzt liätte: sowohl das Bistum Pader-
born, wie die Abteien Korvey, Essen und Herford, die Grafschaften
Berg, Arnsberg, Mark, Waldeck u. a. blieben selbständig. Aber
der Gewinn, den Köln aus dem Erwerb des Herzogtums hatte,
war dennoch sehr beträchthch: aus den zerstreuten Landstücken
und Burgen, die die Kölner Kirche im Jahre 1180 besaß, war
allmählich ein wohl abgerundetes Gebiet geworden, das an Umfang
wenig hinter dem rheinischen Stiftsbesitz zurückstand. Durch den
Ankauf der Grafschaft Arnsberg i. J. 13()8 gelang es. das Gebiet
zu erweitern und abzurunden \ Im fünfzehnten Jahrhundert kam
die Herrschaft Bilstein hinzu-.
Die niederländischen Suffraganbistümer Kölns, Utrecht und
Lüttich, waren, was die räumliche Ausdehnung ihrer Gebiete an-
langt, der IVIutterkirche fast ebenbürtig.
Das Utrechtische Territorium*' zerfiel in zwei durch die Graf-
schaft Geldern getrennte Teile, Das südwestliche Gebiet lag um
Utrecht zwischen Rhein und Zuidersee; es ist das spätere Nieder-
stift. Das ausgedehntere nordcistliche Stück reichte von Deventer
bis Groningen. Dort ging die Herrschaft auf die Schenkungen
Karl Martells, Karls d. Gr. und Ottos I. zurück^. Da die Kirchen-
leute seit der Gründung des Bistums von der Grafschaft eximiert
waren'*, so kam die öffentliche Gewalt in die Hände der Bischöfe.
Hier legte Otto 1. den Grund zur bischöflichen Herrschaft, indem
er den bischöflichen Forst in der Grafschaft Drenthe unter Wild-
bann stelltet Die Grafschaft selbst schenkte Heinrich IT.'. Das
1 Seibertz II S. 512 Nr. 793; vgl. Nr. 800—803; NRh. ÜB. III S. 589
Nr. 689 V. 1369.
- Seibertz III S. 104 Nr. 950 v. 1445.
' Leo II S. 366 ff., P. J. ßlok, Gesch. der Niederlande I, 1902 S. 165 f.
* B.M. 34, Fiskalgut in u. außer Utrecht, Dipl. Kar. I S. 164 Nr. 117
V. 777, Dipl. I S. 140 Nr. 58 v. 944 Königsgut im Gau Leck u. Yasel, S. 245
Nr. 164 V. 953.
'• Pippin bestätigte die Immunität, Dipl. Kar. I S. 7 Nr. 5. weitere
BestätigUHKon der Exemption durch Ludwig d. Fr. B.M. 558, Zwentibold
B.M. 1913, Konrad I, Dipl. I S. 23 Nr. 24, Heinrich I., S. 62 Nr. 27.
« Dipl. I S. 143 Nr. 62 v. 944; vgl. die Urk. Heinrichs IV. Muller.
Cartul. S. 95 Nr. 58. Besitz in Groningen S. 84 Nr. 49 v. 1040; vgl. Gesta
ep. Trai. 2 S. 402 über B. Hartbert 1139—1150: Covordiam et Trentam et
(ironinghe in multa pace possedit, vgl. c. 3.
' Dipl. III S. 645 Nr. 504. Die Grafschaft kam in den Besitz des
Herzogs Gozolo, wurde aber nach dessen Tod von Heinrich III. 1046 an
Utrecht zurückgegeben, Muller, Cartul. S. 89 Nr. 52.
— 95 —
so gewonnene Jurisdiktion sgebiet wurde 1042 durch die Grafschaft
Ambalaha, zwischen Drenthe und Zuidersee^, 1046 durch Deventer
mit der Grafschaft im Hamaland erweitert". In derselben Zeit er-
hielt das Bistum die Herrschaft Goor im Gau Twenthe'^.
Während das Utrechter Stift zwei große geschlossene Bezirke
bildete, war das Territorium von Lüttich vielfach zersplittert *. Wir
kennen den Bestand des Stiftsbesitzes in der Zeit, als die Bildung
der Territorien einsetzte, aus der großen Besitzbestätigung von 1155 -\
Schon sie zeigt, daß für die bischöfliche Herrschaft der Umstand
von besonderer Bedeutung war, daß eine ungewöhnlich große Zahl
der alten Klöster der Diözese im Eigentum des Bistums stand*'.
Zum Teil erklärt sich aus dieser Tatsache die Zersplitterung des
Gebiets. Denn diese Klöster lagen in den verschiedensten Teilen
der Diözese.
Ein größeres zusammenhängendes Gebiet lag an der mittleren
Maas um Lüttich'. Es erwuchs aus dem alten Grundbesitz des
Bistums und den Grafschaftsrechten im Hasbengau, die Bischof
Nithard 1040 erhalten hatten Aufwärts am Flusse schloß sich
die Grafschaft Huy an, in der das Bistum die königUchen Rechte
seit 985 besaß '^. Die Burg Clairemont mit dem dazu gehörigen
Land zwischen Lüttich und Huy brachte Bischof Otbert an das
Bistum. Sie sicherte die freie Schiffahrt auf der Maas^^. Im
Lütticligau, dem Waldgebiet zwischen Lüttich und der Hohen Venn,
lag der Königshof Theux, der seit 898 dem Bistum gehörte ^^
' Muller, Cartularium S. 90 Nr. 53. 2 Dag. s. 87 Nr. 51.
■ Das. S. 92 Nr. 56.
' Blök S. 186 ff.; H. Pirenne, Gesch. Belgiens I, 1899 S. 139ff.
• Stumpf 8725 = Gall. ehr. III Instr. S. 153 Nr. 12, vgl. Aegid. Geeta
111,30 S. 104 t.
** E« sind hier genannt: Lobbes, Aulne, Florennes, Brogne, Malonne,
8t. Maria in Namur, Moutier s. Sambre, Gembloux mit der Vogtei, Heli-
chem, f>erbode, Turne, Eyck, Beika, St. Hubert mit der Vogtei, Flone mit
-der Vogtei, St. Agidius de nionte publico, die Abteien in der Stadt Lüttich,
Dann unter den Burgen: Tuin mit der Abtei u. Vogtei, Fosses mit der
Abt«i u. Vogtei, Dinant mit der Abtei u. dem Ort.
" Lüttich wurde 971 — 1006 v. B. Notger befestigt, Anselm, Gesta 25
Scr. VII S. 203, der Burggraf gehörte zu den bischöÜichen Beamten, C.I. II
8. 411 Nr. 296. 1254 war die HerrHchafl des B. über die Stadt eine an-
erkannte TaUache, da«. 8. 482 Nr. 369.
• Oall. ehr. III Instr. 8. 150 Nr. 9.
^ Diy)l. 11 8. 413 Nr. 16; dabei wird erwähnt, daß Liitticli die Graf-
•cbafUirecbte in MaHtricht, Huy, Namur u. Dinant bereits besaß.
»0 Chr. s, Hub. 78 8. 612, Aegid. Go8ta 111,18 8. 94. " B.M. 1927.
— 96 —
Durcli die Grafschaft Namiir war von diesem Teile des Stifts
das Ijütticher Gebiet an der Somrae getrennt. Es entstand aus
dem Besitz der Klöster Lobbes, Aulne, Fosses, Malonne, Florennes,
Gembloux^ und dehnte sich bis an die Maas oberhalb Namur aus;
dort war Dinant alter bischöflicher Besitz'-. Er wurde dadurch er-
weitert, daß Metz 1227 die Klöster Waussor und Hastieres an
Lüttich überließ'^. Bischof Otbert erwai'b zum Schutz dieses Land-
strichs von dem Grafen Balduin von Hennegau die Burg Couvin*.
In den Ardennen lag das Lüttichische Kloster St Hubert.
Bischof Otbert schirmte es durch die Erbauung der Burg Mirwart''.
Zugleich erweiteile er das bischöfliche Gebiet in diesem Waldge-
birge durch den Erwerb des Dukats von Bouillon, den Herzog
(Totfrid ihm überließt
Nördlich und westlich von Lüttich bildeten Alten Eyk an der
Maas ^, St. Truijen'^, Hougarde, Mecheln und Heiste^ kleine
Lüttichische Enklaven im weltlichen Gebiet.
Kleinere geistliche Gebiete in der Kölner Erz-Diözese links
des Rheins gehörten der Abtei Inden südlich von Aachen und den
Klöstern Stablo und Malmedy südöstlich von Lüttich, rechts des
Rheins den Abteien Werden und Essen.
Unter den sächsischen Sutfraganbistümeru Kölns hatte Münster
das ansehnlichste Fürstentum ^°. Im sächsischen Teil der Diözese
deckte es sich beinahe mit dem Umfang derselben; nur die Graf-
' 889 Lobbes B.M. 1783; 907 Fosses B.M. 1990; 988 Gembloux, Dipl. II
S. 445 Nr. 45 vgl. Gesta abb. Gemblac. 23 S. 534; 1015 Florennes, Vita
Bald. 5 Scr. IV S. 726. Malonne und Namur in der Bestätigung Hein-
richs II. Dipl. III S. 142 Nr. 115 genannt, ebenso 1155, hier auch Aulne.
- Dipl. II S. 414 Nr. 16 v. 985, vgl. oben S. 95 Anm. 6.
* Vgl. unten Anm. 8.
' Chr. s. Hub. 73 S. 607, vgl. Aegid. 111,30 S. 104.
^ Von Heinrich II. 1008 als bischöHich bestätigt, Dipl. III S. 142
Nr. 115, vgl. Vita Theod. Scr. XXV S. 51 f.; Chr. s. Hub 88 S. 618.
« Chr. 8. Hub. 82 f. S. 616; Hein., Triuni. Bulon. I Scr. XX S. S. 584.
' Seit 952, Dipl. I S. 236 Nr. 154.
" Die Abtei gehörte dem Bist. Metz u. wurde von ihm 1227 mit der
Stadt u. den Klöstern Waussor u. Hastieres an Lüttich überlassen, Aeg.
Gesta 111,96 S. 120; Gest. abb. Trud., Gest. Joh. 4 S. 393.
" Alle drei 1155 genannt. Mecheln v.ar schon 980 lüttichisch, Dipl. II
S. 238 Nr. 210; eine Forstschenkung bei Mecheln 1008, Dipl. III S. 221
Nr. 186.
»0 Haeften 8. 242 ff.; Leo II S. 535 if.; Hechelraann im 49. Jahresber.
des Gymn. in Münster 1868. Das Territorium umfaßte im wesentlichen die
jetzigen Kreise Münster, Coesfeld, Lüdinghausen, Beckum u. Warendorf,
— 97 —
Schäften Lon^ und Ahaus ^ und Teile von Bentheim, Geldern und
Tecklenbiu"g schieden aus. Man war sich in Münster dessen be-
wußt: stolz nannte sich der Bischof Dux per terminos nostrae
dioecesis ^.
Aber die Bildung des Territoriums im einzelnen ist schwerer
zu verfolgen als in vielen anderen Fällen. Sie setzte früh ein.
Schon in der ersten Hälfte des zwölften Jahrhunderts sprach man
von dem Land des Bischofs ^. Die Annahme geht deshalb schwer-
lich fehl, daß das Territorium im Anfang des dreizehnten bereits
eine einigermaßen feste Größe war. Als Hermann II. 1201 Boch-
holt das Weichbildrecht verlieh, konnte er schon von seinen Städten :
Münster, Koesf eld und anderen sprechen ^ Daß die weltliche Ge-
walt der Bischöfe auf dem Besitz der Grafschaftsrechte beruhte,
ist wenig wahrscheinlich^'. Es ist vielmehr zu vermuten, daß es
der Sturz Heinrichs d. L. war, der die bischöfliche Landesherr-
schaft im Münsterland ebenso rasch wie in der benachbarten Kölner
Diözese emporkommen ließ. Münster gehörte zu dem Teile des
sächsischen Herzogtums, der an die Askanier kam '^. Daß das Bis-
tum von ihrer Gewalt eximiert wurde, ist nicht wahrscheinHch.
Aber das neue Herzogshaus bereitete der Begründung und Aus-
dehnung des bischöflichen Fürstentums keine Schwierigkeiten. Denn
die Macht der Askanier ist in Westfalen nie erstarkt. Da auch keines
der großen sächsischen Grafenhäuser in der Diözese Münster seinen
Sitz hatte, und da überdies durch die zahlreichen Klöster und
Stifter der Diözese der adelige Besitz in großem Maße absorbiert
war, so war der Raum frei für das Hervortreten der Bischöfe. Die
Gewalt der Stiftsvögte hinderte sie dabei nicht. Denn schon
Bischof Friedrich I. hatte mit den Grafen von Tecklenburg als
» Die Verhältnisse waren strittig, s. Wstf. ÜB. II S. 66 Nr. 284 v.
1152. Ludwig V. Münster kaufte 1316 einen Teil der Herrschaft, Kind-
linger, Beiträge 111,1 S. 311 Nr. 117.
» 1406 vom Bistum gekauft, Kindlinger 111,2 S. 267.
' Wstf. ÜB. III S. 437 Nr. 907 v. 1271; nostrae civitatis et dyooosis
dnx et Bupremus nichilominus liber comes S. 576 Nr. 1103 v. 1280; dux et
terrae dominus S. 667 Nr. 1273 v. 1285; S. 700 Nr. 1344 v. 1288. S. 840
Nr. 1615 V, 129W; vgl. trauert, Die Herzogsgowalt in Westfalen, 1877, S. 74ff.
*B. Werner 1134: Nobilis quidam terre nostre, Osnabr.dB. I S.209Nr. 255.
'' Wgtf. 1:B. III S. 4 Nr. 3; vgl. auch S. 93 Nr. 174.
" Die alteren Urkunden des Bistums sind fast alle zugrunde gegangen,
wahrscheinlich im Brande v. 1121; doch ist nicht anzunehmen, daß Münster
ahnlich wie Padcrhorn mit ^irafschaftcn auHgestattot war, wenn os auch
im 12. Jahrh. da u. dort Grafschaftsrechte hatte, Lindnor, Vonie 8.5,21,28.
' Grauert, H. 20 ff.
Uaack, Kircbeiiffeachicbte. V. 7
— 98 —
Stiftsvögteu ein Ahkoninien getroffen, das ihre Macht nicht auf-
konnnen heß\ Die kleinen Vogteieii aber wußten die Bischöfe
zum großen Teil zu beseitigen'-. Sie waren unl)estritteii die mäch-
tigsten Herren in der Diözese. Indem sie nach und nach einen
Teil der Freistühle erwarben, die Inhaber anderer nötigten, sie vom
Bistum zu Lehen zu nehmen*', auch zahlreiche Gogerichte sich
unterwarfen \ wurden sie die Inhaber des Gerichts im größten
Teil der Diözese ^ Die so gewonnene Gewalt befestigten sie
durch einsichtige Förderung des Städtewesens. Außer den vorhin
genannten Orten waren Warendorf, Beckum, Ahlen, Borken,
Telgte, Lünen, Dülmen bischöfhche Stüdte''. Auf diese AVeise
wurden die Bischöfe Landesherren, ohne daß man ein einzelnes
Ereignis angeben kann, das ihre Gewalt begründete.
Der friesische Teil der münsterischen Diözese stand nie unter
der Landesherrschaft der Bischöfe. Dagegen gelang es ihnen in
der Diözese Osnabrück ein ziemhch ausgedehntes Gebiet zu er-
werben. Bischof Otto II. kaulte 1252 die Grafschaft Vechta nebst
Besitzungen an der Ems bei Mei)pen. Dies ist die Grundlage des
späteren Niederstifts \
Geringer als das münsterische Territorium w\ar das von Osna-
brücks Das Bistum hatte die Immunität seit der KaroUngerzeit**,
' Kais.Urk. II S. 329 Nr. 237. B. Friedrich I. starb 1168.
• Wstf. ÜB. III S. 202 ff. Nr. 373, 536, 546, 745, 747 u. ö.
« S. z. B. Wstf. ÜB. III S.580 Nr. 1109; S. 632 Nr. 1202; vgl. v. Lede-
bur, Allg. Arch. X S. 42 ff., 145 ö\ u. 248 ff.
' S. z. B. Wstf. ÜB. II S. 66 Nr. 284; S. 142 Nr. 396; III S. 295 Nr. 550;
S. 517 Nr. 995; S. 811 Nr. 1553 u. ö.
•'' Rudolf V. Habsburg investierte 1275 Bischof Eberhard mit der ad-
ministratio temporalium et iurisdictio plenaria principatus eiusdem ecclesie,
Wstf. ÜB. III S. 497 Nr. 966.
" S. HecheJmann S. 13.
' Wstf. ÜB. III S. 289 Nr. 540f. v. 1252; S. 296 Nr. 552 v. 1253;
S. 346 Nr. 658 v. 1260; S. 920 Nr. 1759 v. 1271. Der Besitz wurde er-
weitert durch die Abtretung von Cloppenburg von Seiten der Grafen von
Tocklenburg, 1400, s. Niemann, Das Oldenb. Münsterland, Oldenb. o. J. (1889)
S. 890'.
** Stüvo, Geschichte dos Hochstifts Osnabrück 1853; Philippi, Zur
Oanabr. Verfassungsgesch., Mitth. des Hist. Ver. zu Osnabr. 22, 1897 S. 64ff. ;
Sopp, Die Entwickelung der Landesherrlichk. im Fürstent. Osnabr. Tüb.
Dissert. 1902; Wcrminghoff I S. 241 ff. Über die Osnabr. Fälschungen
Brandi, Westd. Z. XIX S. 120.
" Die älteren Urkunden fehlen; Bestätigung Ottos 1. Dipl. I S. lOö
Nr. 20.
— 99 —
erhielt aber niemals Grafschaftsre^hte. Die Stiftsvogtei war seit
dem Sturze Heinrichs d. L. in den Händen der Tecklenburger ^.
Erst jetzt, da ein mächtiges Herzogtum ihnen nicht mehr im Wege
stand, scheinen die Bischöfe ihr xA.ugenmerk auf den Erwerb der
Landesherrschaft gerichtet zu haben: sie suchten zunächst die Ge-
richtsbarkeit zu erlangen -. Den ersten bedeutenden Erfolg hatte
Bischof Engelbert L, dem Heinrich YII. 1225 das Recht gab, die
Gogerichte zu Osnabrück, Iburg, Melle, Ankum, Bramsche, Damme
und Wiedenbrück zu besetzen'^. Zwar wurde dieses Recht nicht
in vollem Umfang verwirklicht^; aber der erste Schritt war ge-
schehen. Der zweite gelang durch die Erwerbung der Stiftsvogtei
im Jahre 1236 ^ Die Zurücknahme der kleinen Vogteien folgte
im Lauf der nächsten Jahrzehnte ^\ Auch daß ein Teil der Klöster
und Stifter bischöflich war, wirkte günstig ". So bildete sich all-
mählich ein bischöfliches Gebiet zwischen dem Münsterischen Ober-
und Xiederstift, den Grafschaften Tecklenburg und Ravensberg und
dem Bistum Minden. Aber von einem geschlossenen Territorium
kann man zunächst nicht reden. Denn zwischen den Ministerialen
und Kirchenleuten von Osnabrück wohnten Adelige und Freie,
auch Ministerialen der benachbarten Herren^. Es dauerte lange,
bis die Gesamtbewohnerschaft sich gewöhnte, den Bischof als
LandesheiTii zu betrachten. Die Ausdehnung des Gebiets läßt sich
an den von den Bischöfen errichteten Befestigungen ermessen. Im
Süden hatte Benno II. 1077 Iburg gebaut. Um den Besitz der
Veste mußten die Bischöfe eine Zeitlang mit den Grafen von
Tecklenburg kämpfen; es gelang ihnen sie für das Bistum zu be-
haupten '**. Sie wurde später die Residenz der Bischöfe. Den nörd-
lichsten Punkt bezeichnet Quackenbrück, das um 1230 befestigt
* Simon v. Tecklenburg unterschreibt 1182 eine bisch. Urk. Symon
comes et summus advocatus, ÜB. I S. 285 Nr. 365.
"^ Philipp! S. 79 f. erinnert, daß in Wiedenbrück seit 1201 ein Gograf
nachweislich ist; vgl. Sopp S. 29 f.
•■' ÜB. II S. 151 Nr. 200. Über die geograph. Ausdehnung der Go-
gerichte, s. Stüve I S. 80 ff.
* Stüve I S. 142; Philippi S. 81 ft".
•• ÜB. II S. 271 Nr. 351, vgl. S. 282 Nr. 362. Als der Gorichtsgewalt
dea Vogt« unterworfen, erscheinen hier die hominea pertincntes conventua-
liViUs eccleHÜH, homines ministerialium u. burgenses civitatis.
« Aufgeziihlt bei Sopp S. 37-42.
' St. Johann in Osnabr., Gertruden berg, Itullo, Ösedo, (,|iiiickenbrück.
" Stüve S. 45 f.
* Ann. Yburg. Scr. XVI S. 437; ÜB. l S. 303 Nr. 385.
7*
— 100 —
wurdet Den Osten schirmte Grönberg bei Melle'- und die jüngere
Hunteburg ^.
\"oni H.auptJaiHle getrennt lag Wiedenbrück. Dort gehörten
Markt, Münze und Zoll doni Bistum seit (Jtto 1.^ Darauf gründete
sich die Landesherrschaft. Zum Schutz des Ortes bauten die
Bischöfe im dreizehnten Jahrhundert die Burg Reckenberg''*.
(jßtlich grenzte an das Osnabrücker Stilt das kleine Gebiet
des Bistums Minden**. Es bestand aus einem Streifen Landes im
Süden der Diözese zwischen AVeser und Hunte mit den Städten
Minden und Lübbeke "% nebst einem schmalen Strich auf dem
rechten Weserufer. Der Ausgangspunkt für die Territorialbildung
wird die Forstschenkung Ottos ]II. von 991 gewesen sein, welche
den AVald Suntel auf dem westlichen Weserufer in den Besitz
des Bistums brachte ^. AVie so häufig, wurde der Forstherr zum
Landesherrn. In der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts wurde
das Gebiet durch die Erwerbung von Wunstorf " und der Freigraf-
schaft Stemwede am Stemmer Berg erweitert. Bischof Wedekind
wußte die Freien der Grafschaft zur Anerkennung der bischötiichen
Herrschaft zu bestimmen ^^.
Die territoriale Entwickelnng des Bistums hielt sich also in
engen Schranken. Sie war von Anfang an dadurch gehemmt,
daß es des Besitzes der Grafschaften entbehrte. Auch daß es den
Bischöfen nicht gelang die Stiftsvogtei zu beseitigen, hinderte sie.
^ Die Burgraänner zuerst erwähnt um 1250, ÜB. II S. 444 Nr. 567;
eine junge Nachricht über die Gründung in Ertmanns Chronik, Osuabr.
GQ. I S. 71.
- Zuerst erwähnt 1251, ÜB. 111 S. 10 Nr. 13.
' Stüve S. 185 Anm. 2. Über jüngere Burgen, Philippi S. 66.
^ Dipl. I S. 230 Nr. 150.
' ÜB, II S. 444 Nr. 570 v. 1250: Acta in Castro Redekenberg.
" .Terra domini Mindensis" Wstf. ÜB. VI S. 506 Nr. 1581 v. 1296.
' Konrad IV. gestattete 1242 die Gründung zweier Städte in der Diö-
zese, Kais.Urk. II S. 387 Nr. 277. Wohl seitdem begannen die Bischöfe
die Befestigung Lübbeckes; das Unternehmen ging aber langsam vorwärts,
s. Wstf. ÜB. VI S. 362 Nr. 1145 v. 1279; doch ist L. 1295 als .oppidum«
genannt, Wstf. ÜB. VI S. 491 Nr. 1547, 1281 noch als ,curtis* IV S. 1197
Nr. 1617 a. Potorshagen an der Weser, die spätere Residenz, entstand erst
im 14. .lahrli.
" Dipl. II S. 480 Nr. 73.
^' Wstf. ÜB. VI 8. 135 Nr. 475f. v. 1247; vgl. S. 521 Nr. 1632 v. 1299.
Im .1. 1261 erhielt Wunstorf Stadtrecht S. 227 Nr. 762.
'0 Wstf. ÜB. VI S. 172 Nr. 597 v. 1253; S. 177 Nr. 612 v. 1254;
S. 198 Nr. 684 v. 1258 u. S. 223 1^\ Nr. 747—751 v. 1261; das über-
einkommen mit den Frnirn S V'^A i'Iri TPjji- 1263.
— 101 —
Die Vogtei befand sich im zwölften Jahrhundert im Besitz der
Herrn von Schalksberg ^ und fiel erst am Ende des vierzehnten mit
dem Aussterben dieses Geschlechts an das Bistum zurück. Über-
dies war das Bistum durch die Macht der w^eltlichen Territorial-
herren ringsum eingeengt. Bischof Wedekind suchte diese
Schranke zu durchbrechen, indem er Stift und Stadt Hameln er-
warb; aber sein Unternehmen schlug gänzlich fehl".
So der Nordwesten. Wenden wir uns zum Südwesten und
beginnen wir mit dem oberen Lothringen. Hier hatten Trier und
Metz verhältnismäßig umlängliche Gebiete, während Toul, Verdun
und die Abtei Prüm sich mit kleineren Bezirken begnügten.
Die erste Grundlage für das Trierer Territorium^ bildeten die
Stadt und Grafschaft Trier ^ und ein ausgedehnter Bannforst auf
dem rechten Ufer der Saar und Mosel von Merzig bis Trittenheim'^.
Dazu kam der Kyllwald zwischen Mosel und Sauer, den Otto H.
dem Bistum schenkte und den es, wenn auch nicht ganz, so doch
zum großen Teil behauptete^. Aus diesen Stücken bildete sich
das spätere Oberstift. Dabei kommt endlich noch in Betracht, daß
1 Wstf. ÜB. VI S. 418 Nr. 1314 vgl. S. 57 Nr. 209.
- Oppidum H. cum iure patronatus ecclesie coUegiate ibidem et mini-
sterialibus ac mancipiis . . et omnibus suis attinentiis, ÜB. v. Hameln S. 33 ff.
Nr. 44—52 v. 1259—60; S. 42 Nr. 57 f. v. 1265. Aber Minden konnte die
Herrschaft nicht behaupten; die Stadt stellte sich 1400 unter den Schutz
der Herzoge von Braunschweig, S. 520 Nr. 745.
^ F. Rudolph, Die Entwickelung der Landeshoheit in Kurtrier, Trie-
risches Arch. Erg.helt V, 1905; A. Lennarz, D. Territorialstaat des EB. v,
Trier, NRh. Annalen 1900 69 S. Iff.; F. Rörig, Die Entstehung der Landes-
hoheit des Trierer EB. zwischen Saar, Mosel und Ruwer. Wstd. Ztschr.
Erg. Heft 13, Trier 1906. Eine Übersicht über das spätere Territorium
bei Marx, Gesch. des Erzst. Trier I S. 239 flf. Vgl. auch K. Lamprecht,
Wirtschaftsleben II S. 676 ff.; 1251 ff.
* Leipz. Abh. S. 665.
'' Trier besaß keine Urk. für diesen Besitz. Deshalb wurden im 10
Jhrh. Urkunden Karl«, Dipl. Kar. I S. 392 No. 268, Zwentibolds, MRh. ÜB.
1 8. 205 No. 140, u. Ottos I., Dipl. I S. 193 No. 110 gefälscht. Doch nimmt
Rörig die Echtheit der Urk. Ottos an, S. 2. Nach MRh. ÜB. 11 S. XXXIX
bedeckte der Forst etwa 10 Quadr. Meilen. Rörig legt S. 42 ff. dar, daß
die (irundiage «ler Landeshoheit die durch Usurpation erworbene go-
•chloiHene Gerichtahoheit bildete.
" Dipl. 11 S. 49 Nr. 39 v. 973, ungef. 8 Quadr. Meilen zwischen Lieser,
Mosel u. Sauer von Manderscboid bis Echiernach. Vergleich über den
Beiiitz MRh. IJB. I S. 34^^ Nr 299. Besitzbestätigung Heinrichs U., Dipl. IN
8. 628 Nr. 493.
— 102 —
das Erzbistum zahlreiche Klöster besaß, andere wie Ohren und
St. Maximin ^ erwarb.
Die Bildung der Niederstifts schloß sich an den Besitz von
Koblenz an, den das Erzbistum Heinrich II. verdankte'-.
Der Verzicht des Pfalzgrafen Heinrich auf die Stiftsvogtei im
Jahre 1197"^ und die nach und nach durchgeftihrte Erwerbung der
kleinen Vogteien* erleichterten die Bildung der Landesherrschaft
Die Ausdehnung des Gebiets im ersten Viertel des dreizehnten
Jahrhunderts läßt sich annähernd aus dem Einkünfteverzeichnis
von 1220 entnehmen^. Danach war der alte Umfang vielfach
überschritten. Im Saailal reichte das Gebiet aufwärt bis Bous;
Saarburg erscheint als Hauptpunkt. Im Kylltal waren AVelsch-
billig, Sülm, Röhl, Mohn trierisch. Nach Osten war der Idarforst
bei Birkenfeld erreicht. Besonders aber hatte der Besitz zwischen dem
oberen und unteren Territorium zugenommen"; er konzentrierte sich
um AVittlich und Bernkastei. Zum unteren Gebiet gehörten außer
Koblenz (Jchtendunk, Retterath, Münstermaifeld mit zahlreichen
Höfen und dem Forste Fach. Auf dem rechten Rheinufer lag der
Besitz im Einrieb und bei Himbach, dem späteren Montabaur.
Das obere Gebiet war durch die Grimburg bei Trier, Saar-
burg und AVelschbillig geschützt, das mittlere durch die Burgen
Arras bei Alf, Manderscheid und Neuerburg bei AVittlich. das
untere durch den Ehrenbreitstein.
Im 13. und 14. Jahrhundert nahm das Trierer Gebiet noch
weiter zu: Kochem, Klotten, Boppard, Oberwesel, nebst vielen
kleineren (Jrten kamen nach und nach an das Erzbistum ". Beson-
ders Erzbischof Balduin wußte eine Menge Orte zu gewinnend
' Dipl. I S. 436 Nr. 322 o. J.; II S. 796 No. 368 v. 1000; MRh. ÜB. I
S. 565 Nr. 510 f. v. 1139.
- Dipl. III S. 509 Nr. 397 v. 1018.
' MRh. ÜB. II S. 207 Nr. 165.
4 Zusammengoatellt v. Kudoph S. 24 ff.
• MRh. ÜB. II S. 391 Nr. 15; vgl. dazu Lennarz a.a.O.
^ Die Noaerwerbungen begannen schon unter EB. Eberhard, MRh. ÜB. I
S. 393 Nr. 338. Über Heinrichs II. Torritorialpolitik: F. Caspar, Heinrich II.
Marb. Diss. 1899 S. 67 ft*. Heinrich erwarb manches durch Kauf.
' Kochem u. Klotten wurden 1294 von König Adolf an Trier verpfiindet,
C.I. III S. 499 Nr. 522. Die Vogtei in Boppard u. Oberwesel erhielt Baldewin
1309 von Heinrich VII. a.a.O. IV S. 286 Nr. 331; 1312 wurden beide Orte
an Trier vor])filndet, S. 834 Nr. 833.
* Vgl. A. Dominicus, Baldewin v. Lützolburg, Cobl. 1862 S. 83 f., 193 tf.,
276 u. ö.
— 103 —
Doch bedeutete das alles mehr eme Verdichtung als eine Aus-
dehnung des Territoriums^.
Für die Bildung des Metzer Territoriums '^ scheint besonders
die Schenkung des AVildbannes in den Forsten bei der Stadt am
rechten Ufer der Mosel und Seille bis zur ßott und Nied wichtig
geworden zu sein. Das Bistum verdankte sie Heinrich 11.^. Später
war von Bedeutung, daß Herzog Matthäus von Lothringen auf
Sierck und die Vogtei von Epinal verzichtete: damit ist der nörd-
hchste und südlichste Punkt genannt, der zur bischöflichen Herr-
schaft gehörte ^. Der östlichste war schon vorher durch den Erwerb
der Burg und Herrschaft Lützelburg bei Pfalzburg erreicht^.
Westhch ging das Tenitorium nur wenig über Metz hinaus. Das
durch diese Punkte bezeichnete Gebiet hat eine große Ausdehnung;
aber es stand nur zum geringen Teil unter bischöflicher Herr-
schaft. Denn das geistliche Gebiet war überall von welthchem
durchsetzt. Der Anfall der Dagsburgischen Lehen im Jahre 1225
gewährte eine bedeutende Erweiterung. Er brachte Saarburg,
Saaralben, Türkstein, Hernestein und die Vogtei von Marsal an
das Bistum ^
Die Ausdehnung des Territoriums in der Mitte des drei-
zehnten Jahrhunderts lassen die von Bischof Jakob angelegten
Befestigungen erkennen: Saarburg, Vic, Marsal, Remberwiller,
Epinal, Conflans, Homburg. Auch wußte er das Gebiet durch
eine Anzahl neuer Erwerbungen abzurunden. Blamont, Mörsberg,
Ripingen, Pierre-percee und andere Orte sind durch ihn an das
Bistum gekommen. Endlich kommt in Betracht, daß er die Vogtei
^ Den Besitzstand i. J. 1332 zeigt die Besitzbestätigung Ludwigs d. B.
bei Hontheim, H. Dipl. II S. 118f. Hier sind außer Trier genannt: Saar-
burg, Merzig, Griuiburg, Wolschbillig, Kyllburg, Malberg, Manderscheid,
Wittlicb, Bernkaetel, Baldenau, Haidoneck, Zell, Kochern, Klotten, Esch,
Treis, Karden, Alken, Maien, Münstermaifeld, Koblenz, Kapellen, Stolzen-
lelg, Niederlahnstcin, Baldenstein, Montabaur, Hartenfels, Leusdorf, St.
Wendel, Schraidburg. Den Besitzstand v. 1346 zeigt die BesitzbesUltigung
Karls IV., ('..L VIII S. 11^ Nr. 110. Hier sind u.a. neu genannt Pfalzel,
Khrang, Neuerb\irg, Simmern, Baldenelz, Kährlich, Ehrenbroitstein, Stern-
berg, Limburg, Vilmar, Schadeck, Dierdorf, Hönningen, .lobannisberg im
Kbeingau.
« Da« KeichHland ElHaß-Lothringen, Straßburg 1898—1901, 1. S. 287ft'.
^ Dipl. III S. 483 Nr. 379 v. 1018.
• Oesta ep. Mett. Cont. I, 4 S. 54« unter B. Dietrich IV. 1173—1197.
'• Dan. Cont. I. 1 S. r,44.
* Cont. II, 2 H. 648.
— 104 —
von Metz einzog ^. Aber er ist der letzte Bischof, dem es gelang,
das Metzer Territoriuni ausziidehiieii. IJas Bistum hat in der
Folgezeit bedeutend an Gebiet eingebüßt.
Die Gebiete von Toul und Verdun lehnten sich an die Städte
an. Der Ausgangspunkt für die Bildung der Herrschaft war wohl
hier wie dort der Besitz der Grafschaft.
Unter den deutschen Erzbistümern war Mainz weitaus das be-
deutendste. Aber was sein weltliches Territorium anlangt, so konnte
es nicht mit Köln wetteifern. Dasselbe war kleiner und noch mehr
als dem Kölner fehlte ihm die Geschlossenheit. Die Si)litter, aus
denen es sich zusammensetzte, lagen zerstreut in Franken, Hessen und
Thüringen, vom linken Rheinufer bis jenseits des Thüringer Waldes'-.
Auffälhg ist, daß die nächste Umgebung der Stadt nicht zum
Erzstift gehörte: Weißenau besaßen die von Hohenfels'^, selbst
Kastei wurde erst kurz vor 1243 von Siegried lll. okkupiert*.
Dagegen war der Unterrheingau mainzisch ; die Ei-zbischöfe
hatten dort die Grafschaft. Einen wertvollen Bestandteil der
Mainzer Herrschaft am Kheine bildete sodann Bingen und Um-
gebung, am linken Ufer von Ingelheim bis Heimbach, am rechten
von Elzbach bis Kaub. Bingen war alter Besitz; schon Adalbertl.
hat die Stadt befestigt ^ Rheinabwärts war Oberlahnstein eine
erzbibchöfliche Burg^ Oberhalb von Mainz erhielt das Erzbistum
erst dadurch ein ansehnliches Fürstentum, daß Friedrich IL die
Reichsabtei Lorsch mit ihm vereinigte^. Die Hauptorte des Ge-
biets waren Gernsheim, Bensheim und Heppenheim; geschirmt war
es durch die Starkenburg.
Am untern Maine gehörte von alters her die Abtei Seligen-
stadt zu Mainz ^. Im 14. Jahrhundert wurde Höchst eine Stadt des
' Cont. II, 3 S. 549 f.
* G. Scholz, De Conradi I. ae. Mag. principatu territor. Bonner Dissert.
1870; E. Fink, Sigfrid III. Rost. Diss. 1892, bes. S. 80ff.
" Gud. I S. 631 Nr. 2ß3 v. 1253.
* Ann. Worm. z. 1243 Scr. XVII S. 48. •' Entst. d. g. Teirit. S. 668.
•» Dipl. II S. 168 Nr. 150; die Vogtei u. den Zoll erhielt Gerhard II.
1292; C. I III S. 469 Nr. 481; vgl. auch Guden. III S. 215 Nr. 156 v. 1324.
Verleihung des Rechts von Franfurt an Lahnstein.
" 8. oben S. 74 Anm. 4. Die Zwistigkeiten mit den Pfalzgrafen
über den Lorscher Besitz legte EB, Peter 1308 bei, Quellen u. P^rört. VI
S. 154 Nr. 231.
"* Ursprünglich Roichsabtei kam sie räch 1018 durch Heinrich II. an
Mainz, vgl. Breslau, Dipl. III S. 5 f. Zwar fiel sie wieder an das Reich
zurück; aber Heinrich IV. gab sie dauernd an Mainz, Stumpf 2620; vgl.
Böhmer, Acta S. 370 Nr. 490 u. C. I. IV. S. 14 Nr. 16.
— 105 —
Erzstifts ^; der Eppeiisteinische Besitz am Taunus fiel ihm erst
im 16. Jahrhundert zu.
Am mittleren Main wurde Aschaffenburg im zwölften Jahr-
hundert eine mainzische Stadt. Das Erzbistum hatte längst an-
sehnlichen Grundbesitz daselbst zu eigen- Auch der Zoll gehörte
ihm'^ Aber der Ort war könighch; daß ihn Adalbert I. befestigte,
war in den Augen Heinrichs V. ein Übergriff*. Jedoch die Befes-
tigung blieb bestehen und sie blieb erzbischöflich *. Völlig gesichert
wurde die erzbischöfliche Herrschaft dadurch, daß Graf Ludwig
von E-ieneck 1222 die Vogtei in Aschaffenburg dem dortigen erz-
bischöflichen Yicedom zu Lehn gab^. Der Besitz der Stadt war
für das Erzstift wertvoll. Denn sie ist der Schlüssel zum Spessart;
Mainz aber erhob Anspruch auf das schöne Waldgebirg. Es war
für die Ausdehnung seines Territoriums am mittleren Main von
großem Weit, daß Erzbischof Werner 1260 die Anerkennung dieses
Anspruchs erreichte ^.
Etwas später wurde die Grafschaft Bachgau am linken Ufer
des Main für Mainz gewonnen '. Doch kam es nicht dazu, daß
das Erzstift den ganzen Lauf des Flusses von Aschaffenburg auf-
wärts bis zur Grafschaft Wertheim erwarb. Die Herrschaft KHngen-
berg ist erst im Beginn des sechzehnten Jahrhunderts in seinen
Besitz gelangt \
An der Tauber war Bischofsheim mainzisch. Friedrich II.
besaß den Ort als erzbischöfliches Lehn. Als er ihn 1237 an Sieg-
fried III. zurückgab^, wurde er nicht wieder ausgetan. Gegen den
Odenwald und den Neckar hin erweiterte sich der Mainzer Besitz
durch den Ankauf von Amorbach, Waltdürn und Külsheim^^.
Während das Mainzer Gebiet am Rhein und Main sich über
* EB. Gerlach erhielt durch Karl IV. 1356 Befestigungs- u. Stadtrecht
für Höchst, Reg. d. EB. II S 123 Nr. 509.
- Den Beweis gibt der Brückenbau des EB. Willigis, Reg. Mag. I
S. 144 Nr. 173.
=» II S. 437 Nr. 105.
* Kkkeh. ehr. z. 1122 S. 259. Daß im 13. Jahrh. AschaÖenburg erz-
biach. FcHte war, zeigt Reg. Mag. II S. 396 Nr. 399.
» Gud. I S. 051. « Gud. I S. 674 Nr. 295 u. S. 683 Nr. 301 f.
' Hess. ÜB. 11,1 S. 400 Nr. 560 v. 1278. Der Zoll in Miltenbor^r war
erzbischöflich, Reg. d. EB. I S. 42 Nr. 255 v. 1292; Böhinnr, Acta S. 432
Nr. 617 V. 1310.
•• K. Dahl, Gesch der Herrschaft Klingenberg, Bamb. 1823 S. V.K
" Gud. I S. 542 Nr. 219 v. 1237.
'ö Reg. Mag. 11 S. 380 Nr. 264 v. 1272. Reg. d. EB. I S. 42 Nr. 254 v.
1292, vgl. Nr. 298, 342, 352 v. 1294.
— 106 —
die Grenzen der Diözese liinaus erstreckte, blieb es im Hessischen
iin})edeutend. Es hescliriinkte sich auf Amöneburg und Fritzlar^.
In Thüringen stand die Stadt Erfurt seit den Tagen des
Bouifatius in engen Beziehungen zu Mainz. Die Erzlnschöfe waren
— es läßt sich nicht sagen, seit wann — die Grundherren der
Stadt. Es ist verständlich, daß schon Adalbert I. von der Haupt-
stadt Thüringens als von einer bischöflichen Stadt sprach*. Daß
Siegfried III. die Vogtei von den Grafen von Gleichen zurück-
kaufte, sicherte die kirchliche Herrschaft für die Zukunft"''. Man
hätte erwarten können, daß sie sich über die Umgebung der Stadt
ausbreitete. Sie blieb jedoch auf Erfurt beschränkt. Weiteres Vor-
dringen war durch die sichere Macht der Landgrafen gehindert.
Auch im benachbarten Eichsfeld scheint Mainz alten Besitz
gehabt zu haben. Das Stift Heiligenstadt war wahrscheinlich eine
erzbischöfliche Gründung **. Außer ihm besaß die Mainzer Kirche
das Kloster Gerode ^ und die Schlösser Husteberg und Harburg ^
Durch den Kauf der Burgen Gleichenstein, Scharfenstein und
Birkenstein mit ihrem Zubehör wurde dieser Besitz gegen Ende des
dreizehnten Jahrhunderts bedeutend erweitert ". Man hat wohl von
dem Ervverb des ganzen Eichsfelds gesprochen. Jm vierzehnten
Jahrhundert kamen Duderstadt im Norden des Eichsfelds und
Worbis hinzu ^.
Von den fränkischen Suflfraganbistümern von Mainz hatte
Worms das kleinste Gebiet^. Man könnte darüber erstaunen. Denn
' Amöneburg war Erwerb Adalberts I., (jucL 1 S. 397, wurde 1223 als
Lehen vergeben, war aber 1237 wieder mainzisch, Reg. II S. 184 Nr. 442,
S. 248 Nr. 271; über die Gerichtsbarkeit s. S. 399 Nr. 424. Wann Fritzlar
mainzisch wurde, laßt sich, soviel ich sehe, nicht feststellen. Es wird 1232
als erzbisch. Stadt genannt, S. 220 Nr. 65, vgl. S. 370 Nr. 176. Vielleicht
hangt die Mainzer Herrschaft mit der Umwandlung des Klosters in ein
Stift zusammen.
- Reg. Ma^r. I S. 262 Nr. 102; S. 2JI6 Nr. 296.
' II S. 234 Nr. 148 v. 1234. Über die Streitigkeiten zwischen der Stadt
u. dem EB. Sigfrid III. 1234 f. s. Ann. Erph. fr. pr. S. 87 f. Die Herrsch,
des EB. über die Stadt ist dabei Voraussetzung.
' S. Bd. III S. 1012. •' God. I S. 60 Nr. 26.
" Vpl. Ann. s. Ptri. Erf. z. 1165 S. 183. Harburg gehörte zu den Er-
werbungen Adalberts I., Gud. I S. 896.
' Reg. d. EB. I S. 66 Nr. 379 ff.
-^ Duderstadt 1342 u. 1358, s. Wenk II ÜB. S. 354 Nr. 346f. u. S. 390
Nr. 380; Worbis 1350, .loannis, Res. Mop. I S. 663.
♦* Lechner in den Mitt. d. Inst. XXII S. 361ff., bes. 550ff.: XXV
S. 91tL
— 107 —
Worms hatte die Immunität seit der Merowiiigerzeit^. Seit 1011
besaß es die Grafschaft im Gau Wingarteiba und im Lobdengau^.
Ihm gehörten die Kirchen zu Wimpfen und Ladenburg und die
Abtei Mosbach, dazu der Forstbann in den Wäldern um Wimpfen
und Neckarbischofsheim ^ und ein Teil des Zolls in Wimpfen und
Ladenburg ^. Alle Bedingungen für die Territorialbildung waren
in dieser Verbindung von wichtigen Herrschaftsrechten mit altem
Grundbesitz gegeben. Aber es gelang den Bischöfen nicht, ein
Fürstentum zu schaffen'^. Ihre Herrschaft beschränkte sich auf die
nächste Umgebung der Stadt an beiden Ufern des Kheins, auf
Ladeuburg und einige andere Orte. Aber auch in Ladenburg
mußte das Bistum die Landeshoheit schließlich mit der Kurpfalz
teilen ^.
Besser glückte es den Bischöfen von Speier. Karl IV. be-
stätigte 1366 als weltliche Herrschaft des Bistums 72 Orte mit
17 Burgen". Dies Gebiet ist bis zum Ausgang des Mittelalters
unter bischöflicher Herrschaft geblieben, ohne daß es wesenthche
Erweiterungen oder Beschränkungen erfahren hätte ^. Es bestand
aus einem mit mancherlei fremdem Besitz durchsetzten Landstrich
auf dem linken Rheinufer südlich und nördhch von Speier mit
einer westlichen Ausdehnung bis Deidesheim, ferner aus dem süd-
^ Von Pippin bestätigt, Dipl. Kar. I S. 28 Nr. 20, vgl. über diese Urk.
Lechner S. 383.
•^ Dipl. lll S. 262 Nr. 226 f.
■■' Dipl. 1 S. 424 Nr. 310; II S. 160 Nr. 143; S. 443 Nr. 43; vgl. auch
III S. 1 Nr. 1.
' I S. 242 Nr. 161. Was die Wormser Bischöfe über den ersten Be-
sitz hinaus erstrebten, zeigen, wie Lechner scharfsinnig bewiesen hat, die
Fälschungen unter Hildibald.
•'' Das meiste wurde wohl durch Verleihung entfremdet; Wimpfen z. B.
kam dadurch an das Reich, daß es Friedrich II. 1220 zu Lehen erhielt,
Winkelmann, .\cta II 8. 680 Nr. 1012; vgl. auch Schannat II S. 107 Nr. 117.
Heidelberg u. Umgebung kam 1225 an den Pfalzgrafen als Lehen, Schannat I
8. 232. Über andere Lehen, die an Fürsten und Herren vergeben waren,
s. Schannat S. 237 ff.
'* Daa Bist, verpfändete Ladenburg u. die Feste Stein mit ihren Zu-
gehörungen zur Hälfte an die Sponheim; von diesen kam die Pfandsch. an
die K.Pfalz, Schannat II S. 203 Nr. 229 v. 1387.
-> ÜB. 1 S. 645 Nr. 638.
" Nicht genannt ist die Herrschaft Dahn an der oberen Lautor; sie
war 1365 an Walram von Sponheim verliehen, S. 63i) Nr. 634, vgl. S. 699
Nr. 671, Kreuznufh, dan ebenfaiJH ;in ili(« S|)f)nheiiii vorliolinn war, blieb
fiponhei misch.
— 108 —
östlichen Teil der jetzigen Rheinpfalz zwischen dem Strom und
den Vogesen vom Tal des Klingenhachs bis zu dem der Lauter mit dem
Hauptort Lauterburg. Dazu kam rechts des Rheines das Land
um Rnichsal; es reichte abwärts bis zum Strom und über den
Kraichbach hinaus. Außerdem etliche zersplitterte Stücke;
Neckarsteinach — gemeinsam mit Worms — , Waibstadt u. a. .
Der linksrheinische Resitz wird zum Teil altes Immunitäts-
gebiet gewesen sein \ Der rechtsrheinische entstammte der Schenkung
von Rruchsal mit dem Walde Lußhart durch Heinrich ill.-. Die
Rildung des an der Lauter gelegeneii Gebietsteils schloß sich an
den Erw^erb von Lauterburg an ■'.
Städtischen Charakter trugen außer Speier Rruchsal, Lauter-
burg und Utenheim, das jetzige Philippsburg^.
An das Gebiet von Speier grenzte das Land der Abtei
AVeißenburg an*''. Sie gehörte zu den reichsten Klöstern. Aber der
zerstreute Grundbesitz war zum größten Teil verliehen. Die Herr-
schaft erstreckte sich nur auf die Mark Weißenburg, die seit 993
^ Besitzungen im Speiergau sind vielfach erwähnt; die Immunität
hatte Speier seit der Merowingerzeit, s. Dipl. Kar. I S. 195 Nr. 143 v. 782,
erneuert durch Otto I., Dipl. I S. 520 Nr. 379 v. 969.
- ÜB. I S. 44 Nr. 43 v, 1056; der Umfang des Forstes wurde durch
Heinrich IV. 1063 erweitert; er erstreckte sich auch auf das linke Rhein-
ufer hinüber, S. 51 Nr. 51, Der Erwerb der Grafschaft im Lutramsforst
und za Vorchheim, S. 62 Nr. 63 v. 1086, schließt sich an. Die Vogtei in
Bruchsal erwarb B. Ulrich II. vor 1190, S. 125 Nr. 109.
" Sie vollzog sich allmählich seit 1046; den Anfang machte eine
Schenkung Heinrichs III., ÜB. I S. 35 Nr. 35; durch Heinrich IV. kam der
Besitz der MG. Mathilde in L. hinzu, S. 58 Nr. 58 v. 1103, vgl. S. 84
Nr. 77. 1252 erhielt das Bistum das Marktrecht, S. 253 Nr. 272, 1264 kam
L. durch Vergleich ganz an Speier, S. 303 Nr. 338. Den Wald am südl.
Ufer des Klingen erhielt das Bistum vom Grafen Kuono, 982 von Otto 11.
bestätigt, Dipl. II S. 324 Nr. 279. Die Schenkung des Wildbannes im Bien-
walde zwischen Klingen u. Lauter 1387 bildet den Ab.^chluß, ÜB. I S. 528
Nr. 550.
* Utenheim wurde 138S Stadt, I S. 537 Nr. 560.
^' Das Kl. hatte die Immunität seit der Karolinger/eit, s. d. Bestätigung
durch Otto II. 967, Dipl. 11 S. 22 Nr. 15. In der Urkunde Ottos III. v. 993
S. 537 Nr. 125 ist die Immunität auf die von seinen Vorfahren abgegrenzte
Mark ausgedehnt, und wird der Umfang der letzteren angegeben: wieder-
holt von Heinrich II. 1003. III S. 39 Nr. 35, Konrad II., Heinrich III. und
IV., St. 2003, 2191, 2708. Da viele Namen sich nicht identiHzieren lassen,
sind die Grenzen nicht mehr genau festzustellen. Aber die sicheren Namen
Obei*secbach, Ingolsheim, Bäronbach, P^rlenbach, Otterbach zeigen, daß die
Mark dos 10. .Tahrh.'s sich mit dem Territorium des ausgehenden MA.
deckte. Im IG. .lahrh. kam Weißenburg an Speior.
— 109 —
Immunitätsgebiet war. Noch unbedeutender war das südlich an-
grenzende Gebiet der Reichsabtei Selz^.
ZiemHch groß aber stark zerspHttert war die Herrschaft des
Straßburger Bistums l
Straßburg zunächst, an der III und dem Rhein, lag das Riet,
eine Anzahl Orte, die wahrscheinlich aus dem Besitz des bischöf-
hchen Klosters Honau stammten ^. Wes tlichfolgte das Amt Zabern
mit 28 Dörfern, in denen ursprünglich der Bischof die Herrschaft
mit dem König teilte, die ihm aber 1236 ausschließlich überlassen
wurden^. Südwestlich gehörte der große Distrikt von Molsheim
mit mehr als 50 Orten dem Bistum. Die bischöfhche Herrschaft
beruhte zum Teil auf einer Waldschenkung am Stillbach und an
der Breusch% zum Teil auf Okkupation von Reichsgut und stau-
lischem Besitze ^. Südlich von Straßburg auf beiden Ufern der 111
lag der Distrikt Bernestein mit 27 Orten, die halb oder ganz zum
Stifte gehörten. Die bischöfliche Herrschaft war hier großenteils
auf dem Besitz des Klosters Ebersheimmünster begründet^. Das
Besitzrecht des Bistums an der Burg und Herrschaft Bernestein
bei Dambach wurde 1228 anerkannt^, das Städtlein Rheinau nach
1219 vom Bistum erworben^; Markolsheim kam 1294 durch Kauf hin-
zu^°. Doch ist auch alter bischöfhcher Besitz in dieser Gegend nach-
' Es gehörte dazu besonders die Stadt Selz, Dipl. I S. 504 Nr. 367 f.;
Markt u. Münze erhielt das Kloster 993 von Otto IIL, Dipl. II S. 541 Nr. 130.
- Schöpflin, Alsatia illustrata II, Kolmar 1761; Das Reichsland Elsaß-
Lothringen. Straßb. 1898 ff. S. 279 ff. Fritz, Das Territorium des B. Straß-
burg um die Mitte des 14. Jahrhunderts, Köthen 1885. Fritz berechnet die
Größe des Gebiets in dieser Zeit auf etwa 1400 qkm.
"» Fritz S. 94 ff.
* Alsat. illustr. II S. 135 ff. Alsat. dipl. I S. 375 Nr. 480, das wich-
tige Übereinkommen zwischen Friedrich 11. u. B. Berthold v. 1236.
•' ÜB. d, St. Straßb. I S. 6 Nr. 11 v. 773, S. 18 Nr. 22 v. 816.
* Ann. Marb. z. 1197 f. S. 71; Alsat. dipl. I S. 336 Nr. 412 v. 1219;
S. 374 Nr. 480 v. 1236, vgl. II S. 58 Nr. 780 v. 1293 u. C.I. IV S. 232
Nr. 263 a v. 1308.
' S. oben S. 73 Anm. 1. Der Kücktall der Vogtei an das Bistum
wurde 1219 festgesetzt, Alsat. dipl. I S. 337 Nr. 413.
^ Grandidier, Oeuvres 111 S. 315 Nr. 307 v. 5. Juli 1228; vgl. Alsat.
dipl. 1 S. 375 Nr. 480.
* Aluat. dipl. I H. 837 Nr. 413 v. 1219 bestimmt den Rückfall an das
liiHtum beim Tode de« Vogts.
'** Fritz, H. 111; Königshofen erwähnt, «laß Johann 1. Miukolt/hoiin
zur Stadt machte, StChr. IX S. 667.
— 110 —
weislich ^ Weiter südlich, im Bistum Basel, erstreckte sich der
Mundat von Ruffach an der 111, Thur uud Lauch aufwärts. Zu
ihm gehörten die Orte Pfaffenheim, Egisheim, Heiligenkueuz, Sulz
u. ii. '■^. Kuffach seihst war schon im neunten Jahrhundert im
bischöflichen Eigen''. Egisheim, Woffenheim und Heiligenkreuz
stammten aus der Dachsburgischen Erbschaft ^ Für die bischöf-
liche Landeshoheit war entscheidend, daß Heinrich von Geroldseck
1269 die Vogtei im Mundat von Rudolf von Habsburg kaufte'*.
Eine ansehnliche Erweiterung des bischöflichen Territoriums wurde
durch den Erwerb der Rechte und Güter der öttingischen Landgrafschaft
in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts erreicht. Zu ihr ge-
hörten Wörth, St. Pilt, Königsburg, Frankenburg, Erstein u. a.*^.
Auf der rechten Rheinseite war das Kloster Ettenheimmünster
bischöflich '; die Mark Ettenheim gehörte dem Bistum seit dem
achten Jahrhundert^; das Kloster war aus bischöflichem Besitze
ausgestattet. Sodann besaß das Bistum ein ziemlich ausgedehntes
Gebiet an der Kintzig, Rench und Acher. Im Kintzigtal liegen
Offenburg, Ortenberg und Gengenbach. Sie gehcirten dem Bistum
Bamberg und waren von diesem an die Hohenstaufen verliehen.
Heinrich von Stahleck hat sie 1247 erobert". Später wurden sie
vom Reich an die Markgrafen von Baden verpfändet; aber 1351
vom Bistum zurückgekauft ^^ An der Rench setzte sich das Bis-
tum seit dem Erwerb der Feste Ullemburg fest^^ Der Besitz
wurde im vierzehnten Jahrhundert durch den Kauf von Fürsteneck.
^ Durch da.s Testament Heddos, nach dem die Kirchen in Epfich und
Benfelden im Besitz de.s Bistums waren, Als. dipl. I S. 39 Nr. 34. Über
spätere Erweiterungen des Gebiets, s. Fritz S. 116 f.
"- Schöpflin II S. 78 ft".
^ Salomo V. Konstanz an Regenhard v. Straßburg (876 — 881): In vico
vestrae potest.atis Ruvacha, Coli. Sang. 33, Form. S. 417. Der Hof ist an-
geblich von König Dagobert II. geschenkt, 8. die Fälschg., Dipl. Merov.
S. 186 Nr. 70.
* Alsat. dipl. 1 S. 875 Nr. 480 v. 1236; S. 406 Nr. 544.
^ Alsat. dipl. I S. 463 Nr. 655.
^ Alsat. dipl. II S. 223 tt". Nr. 1083, 1087—1089, 1091 f. v. 1358 f., S. 283
Nr. 1207 V. 1384 (Investitur des B. mit der Landgrafach.): Chronik Closeners,
StChr. VIII S. 94, Königshofen StChr. IX S. 673.
• S. Bd. I S. 305. •* Vgl. Nova Subsid. ill S. 348 Nr. 80.
" Closener S. 38, Kimigshofen S. 446 f.; Innocenz IV. bestätigte Hein-
rich im Besitz, bis ihm Bamberg die Kosten ersetze, Ep. pont. II S. 403
Nr. 572.
>ö Closener S. 93: Königshofen S. 668.
>' Alsat. dipl. I S. 174 Nr. 221 v. 1070.
I
— 111 —
Oberkirch u. a. bedeutend erweitert^. Endlich kaufte Bischof
Konrad im Jahre 1200 von dem Grafen Berthold die Grafschaft
Neuburg ^ Die Hauptorte lagen am Glotter. Zwar wurde sie
1236 Friedrich II. zu Lehen gegeben '^ Aber nach seinem Tod
scheint das Bistum sie zurückgenommen zu haben. Denn König
Adolf erkannte sie als im bischöflichen Besitze stehend an und
Heiniich VII. verzichtete auf alle Rechte, die das Reich an ihr
hatte ^.
In den südlichen Yogesen lagen die kleinen Territorien der
Abteien Murbach und Masmünster ■^.
Die Gebiete der übrigen schwäbischen Bistümer blieben sämt-
hch hinter dem Straßburger zurück. So ausgedehnt die Diözese
Konstanz war, so gelang es den Bischöfen doch nicht, eine welt-
Uche Herrschaft von einiger Bedeutung zu erwerben^. Ihr Gebiet
umspannte nur eine Anzahl Orte am Südufer des Bodensees, be-
sonders Arbon, am üntersee Schloß und Amt Gottlieben mit Täger-
weilen, weiter aufwärts das Tanneggeramt mit dem Kloster Fischingen
und Bischofszeil mit Schönenberg '^. Am Nordufer des Sees war
das Schloß Meersburg mit einigen Weilern bischöflich. Es wurde
später die Residenz der Bischöfe. Der um das Schloß entstehende
Ort erhielt 1299 Stadtrecht ^
Die Bildung des Augsburger Territoriums setzte spät ein, erst
nach der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts. Von grundlegender
Bedeutung war die große Schenkung des Bischofs Hartmann, eines
Grafen von Dillingen, vom 29. Dez. 1258. Sie umfaßte Burg und
Stadt Dillingen mit der nächsten Umgebung, die Vogtei über das
^ Förstenberger, Uß. II S. 6 Nr. 11 v. 1303.
- Ann. Marbac. z. 1200 S. 75 f.
' Alsat. dipl. I S. 374 Nr. 480 v. 1236.
* Alsat. dipl. II S. 58 Nr. 786 v. 1293 u. S. 87 Nr. 842 v. 1308.
•' Schöpflin, Alsat. illuatr. II S. 92 ff. über das Murb. Territorium und
seine 3 Vogteien Gebweiler, Watweiler und St. Amarin; S. 63 ff. über das
von Masmünster.
" über die Konat. Herrsch, im .1. 1800, s. Baumann in den Bad. Neu-
jahrsblättern IV S. 13ff'. Sie war größer als im MA.
' Puppikofer, Gesch. des Thurgaus II S. 29. Die ganze thurgauische
Herrechaft kam seit 1477 unter die Landeshoheit der Kidgonossenschaft.
- Moersburg war unter B. Diothelm verliehen, ZGOKh. XXVII 8. 29,
muU aber bald nach seinem Tode heimgefallcn sein, s. Thurg. ÜB. II
S. 317 Nr. 92 v. 1211. Das Stadtrecht erhielt es von König Albrecht
ZGOKh. XI S. 437 Nr. 53, nachdoiu der Bischof schon 1233 das Marktrecht
«•rhaiton hatte, XXVll S. 32. Erweitert wurde die Herrschaft durch don
Krwerb von Markdorf 1354, Reg. Const. II. S. 249 Nr. 5133.
— 112 —
Kloster Neresheim. auch alle Dienstmaiinen und Eigenleute des
Bischofs ^ Dadurch entstand ein kleines augsburgisches Gebiet im
Norden der Diözese an der Donau. Tni Süden derselben, im Alpen-
vorland hatte das Bistum viel eigenen Besitz, außerdem gehörte
ihm das Kloster Füssen samt der Vogtei '-. Daraus entstand ein
zweites kleines bischöfliches Gebiet. Es wurde am Ende des drei-
zehnten und im vierzehnten Jahrhundert durch Neuerwerbungen
erweitert. Nun kamen Pfronten, Nesselwang samt Zubehör, Burg
und Herrschaft Rettenberg, die Vogtei über Sonthofen u. a. an das
Bistum ". Die Herrschaft in der näheren Umgebung der Stadt
scheint darauf zurückzugehen, daß das Bistum seit 1059 den Wild-
bann zwischen Lech und Wertach besaß. Sie kam dadurch zu
festem Bestand, daß Ludwig IV. ihm die Vogtei über die Kirchen-
leute in der Landvogtei Augsburg überließt.
Was endlich Basel und Chur anlangt, so hatte Basel ein
kleines Gebiet im südlichen Breisgau: Istein, Huttingen, Schliengen,
Manchen, Steinenstatt. Die Herrschaft beruhte auf dem Besitz
der Gerichtsbarkeit^. Die Hauptmasse des Baseler Territoriums
lag im französischen Sprachgebiet*', kann also hier außer Betracht
bleiben. Zu Chur gehörte außer der Stadt zerstreuter Besitz in
Kurrätien und im Vintschgau, und das Engadin '.
Waren die bischöflichen Territorien in Alamannien nicht von
besonderer Ausdehnung, so erhielt die geistliche Herrschaft da-
durch eine gewisse Bedeutung, daß eine verhältnismäßig große
Zahl der gefürsteten Abteien dem alamannischen Lande ange-
hörte. Zwar ist es nicht bei allen zur Bildung einer eigenen
' Wirt. ÜB. V S. 278 Nr. 1512.
- Über Augsburger Grundbesitz im Allgäu, s. Baumann, Gescb. des
Allgilu 1 S. 460 f. Die Vogtei von Füssen wurde dem Bistum 1313 ver-
pfändet, M. B. XXXIII, 1 S. 381 Nr. 305; die Burg erhielt es 1322 S. 456
Nr. 360. Über den Umfang des Besitzes Baumann II S. 176f. 182 f.
• Pfronten 1290 M. B. XXXIII, 1 S. 199 Nr. 178; Nesselwang 1332,
XXXIII, 2 S. 13 Nr. 12; Sonthofen 1335 S. 46 Nr. 47; Rettenberg 1351 u.
1368, S. 182 Nr. 180; S. 419 Nr. 370; vo]. auch Baumann II S. 173ft".. 21M.
* M. B. XXXIII, 2 S. 61 Nr. 62 v. 1336; vgl. S. 149 Nr. 151 v. 1348
u. S. 336 Nr. 285 v. 1363.
'^ Fehr, Die FiOtstehung der Landeshoheit im Breisgau, Lpz. 1904 S. 98 f.
•* Es mag nur erinnert werden, daß B. Heinrich, der spätere EB. von
.Mainz, Pruntrut von den Grafen v. Mömpelgart zurückgewann und durch
die Erbauung der Schlösser Goldenfeisund Schloßberg sich die Okkupation
weiteren (Gebiets (Biel) möglich machte, s. Math. v. Nenburg, Chr. S. 162.
' Gekauft 1139, Th. v. Mohr I S. 160 Nr. 117f: vgl. C. v. Moor, Gesch.
V. Currätien I S. 208 f.
— 113 —
Herrschaft gekommen. Alte Klöster wie Reichenau^ und Lindau
entbehrten des Gebietes. Aber die Territorien von St. Gallen-,
Kempten"', Ottenbeuern ^, Ellwangen ^ Disentis^ waren mehr oder
weniger beträchtlich. Auch Glarus war bis zu seinem Eintritt io
die Eidgenossenschaft geistliches Land; es gehörte der Abtei
Säckingen '.
Unter den ostfränkischen Bistümern war Eichstätt das unbe-
deutendste^. Auch sein Gebiet war beschränkt. Es besaß seit
Ludwig d. K. den Wald rings um Eichstätt auf beiden Seiten der
Altmühl ''^. Dieser Besitz wurde die Grundlage eines kleinen Terri-
toriums. Dasselbe wurde 1159 durch den Erwerb des Königshofs
Rebdorf erweitert ^°. Stiftsvögte waren die Graten von Hirschberg.
Sie waren schier mehr als die Bischöfe Herren im Stift ^^. Daraus
erklärt sich, daß die Territorialbildung spät begann und keinen
rechten Fortgang hatte. Ein bedeutenderer Schritt geschah erst
1283 durch die Zurücknahme der leuchtenbergischen Lehen ^2. Am
wichtigsten wurde der Erwerb der Grafschaft Hirschberg beim Aus-
^ Reichenau hatte ein paar Orte im Thurgau, Puppikofer, Gesch. des
Thurgaus II S. 140.
- Die Grunclherrschaft von St. Gallen war, wie bekannt, ungewöhnlich
groß. Aber für die Bildung des Territoriums wurde erst die Urk. Lud-
wigs d. B. V. 1. Mai 1345 entscheidend, die die Einlösung der Vogtei in
Appenzell, Hundwil, Teufen, Urnäsch, Wittenbach, Engelswil und Rot-
raonten dem Abt Hermann bestätigte, ÜB. III S. 552 Nr. 1425 vgl. Nr. 1428
n. die Bestätigung durch Karl IV. S. 580 Nr. 1454 v. 16. F£br. 1348.
' Kempten hatte die Immunität seit Karl d. Gr. (verloren, v. Ludwig
d. Fr. bestätigt ölo B.M. 562). Die Bildung der Territorialherrschaft
scheint doch erst auf der Übergabe der Grafschaft durch Friedrich IL 1213
zu beruhen, M.B. XXX, 1 S. 14 Nr. 605 vgl. S. 69 Nr. 635. Über die all-
mähliche Erweiterung, s. Baumann II S. 131 ff.
* Die Herrschaft bestand aus dem Dorf 0., dem Geu u. dem Tann,
.M.B. XXXIII, 2 S. 458 Nr. 417, vgl. über die Gerichtsbarkeit S. 463. Die
Vogtei war Reichslehen XXXIII, 1 S. 344 Nr. 279, wurde aber 1359 von
B. Markward von Augsburg gekauft XXXIll, 2 S. 263 Nr. 238. über das
Gebiet im späteren MA., s. Baumann II S. 127 f.
'' Chr. i\ Stalin, Wirtcmbcrg. Gesch. II S. 692.
* C V. Moor, (beschichte von Currätien 1 S. 209 f.
' G. Heer, Geachichte des Lande« (jllarus S. 14 ti".
•* J. Sax, Die Bischöfe u, Reichsfürsten von Eichstädt, 2 Bdo. Lands-
hut 1884.
" B.M. 1992. '" .MB. XXXI, 1 8.413 Nr. 219.
»» Lefflad, Reg. 11 S. 13 Nr. 4ö9 v. 1245.
•« Falkenstein, Cod. Dipl. S. 77 Nr. 81.
H aook , KircheDf?«;ichichte. V. 8
— lli —
sterben dieses Hauses ^ Dadurch kam der Landstrich im Nord-
osten von Eichstiitt bis oberhall) Berching unter die bischöHiche
Hen'schaft, außerdem einige Orte im Süden der Altmiihl. Durch
Kauf und Schenkung kleinerer Stücke wuide das Gebiet weiter
abgerundet-'. Aber abgelegen von den Verkehi-swegen . besondei's
von schiffbaren Flüssen ist es nie zur Bedeutung gelangt.
Dagegen hatte das Würzburger Territorium eine ansehnliche
Ausdehnung. In offener, an Korn und Wein reicher Landschaft
gelegen, von dem schönen Flusse durchströmt, verlieh es den Bischöfen
eine hervorragende Stellung unter den Reichs fürsten.
l^ber seiner Entstehung schwebt ein gewisses Dunkel. Das
Bistum besaß seit Pippin die Immunität und erhielt durch Ottoll I.
die Grafschaft in den großen Gauen Waldsassen und Rangau '^
Aber dieser Besitz führte nicht zur Bildung der Landesherrschaft.
Gerade der Rangau gehörte nicht zum Würzburger Territorium,
und von Waldsassen kam nur (bis kleine Stück um Würzburg zu
ihm. Das bischöfliche Gebiet umfaßte das Land zwischen der ersten
Mainbiegung, den Steigerwald mit dem vorliegenden Gelände bis
zum Fluß und einen Landstrich an der fränkischen Saale und der
Werra, d. h. die alten Gaue Gozfeld und Volkfeld, sowie ein Stück
des Grabfelds.
Daß die Umgebung von Würzburg unter die bisch(ifliche Herr-
schaft kam, ist verständlich. Denn die Bischöfe besaßen seit Kon-
rad II. die Gerichtsgewalt in der sehr ausgedehnten Würzburger
Mark*. Das Gebiet an der Saale läßt sich auf die Schenkung
der Salzburg mit dem Salzgau durch Otto III. zurückführen. Dieser
alte Besitz wurde erweitert durch den Erwerb von Obersalz, der
Herrschaft Botenlauben u. a.'. Auch die Schenkung des Wild-
^ Vorbereitet seit 1291, Falkenstein S. 91 Nr. 101. vgl. S. lOH Nr. 116 f.
V. 1296, S. 124 Nr. 146 v. 1304, S. 129 Nr. 158 v. 180r>.
- Am wichtigsten sind Spalt u. Umgebung, welche der Hurggraf
Konrad v. Nürnberg als regensburg. Lehen hatte, Mon. Zoller. 11 S. 220
Nr. 388 u. 403, v. 1294 u. 1295, Abenberg S. 241 Nr. 411 v. 1296, Kipfenberg.
Falkenstein S. 111 Nr. 127 f. v, 1301. t'ber die Hestitution von Herrieden.
Arberg, Greding u. Zell bei Dietfurt, s, die von W. Füsslein aus dem Eichst.
Kopialbuch mitgeteilten Urk. v. 1313, N. A. XXX [I S. 636 f.
» M.B. XXX VII S. 4 Nr. 5; Dipl. II S. 795 Nr. 366 v. 1000.
' Konrad II. gab dem Bistum Münze, Markt, Zoll et totius civitatis
districtum, MB. XXIX, 1 S. 30 Nr. 333. Der Bann erstreckte sich vermut-
lich auch über die Mark; über ihren Umfang, s. die Markbeschreibung bei
Müllenhofl' u. Scherer I S. 224 Nr. 64.
-• Dipl. II S. 790 Nr. 361 v. 1000; MB. XXXVIl S. 25 Nr. 67 v. 1057;
S. 260 Nr. 239 v. 1234.
— 11.5 —
baiins in den Haßbergen durch Friedrich I. war von Bedeutung^.
Die Landesherrschaft im Steigerwald hatte an dem von Heinrich II.
geschenkten AVildbann ihre Grundlage '-.
Aber worin wurzelte die Herrschaft über die übrigen Teile
des Temtoriums? Es ist nicht unwahrscheinlich, daß das fränkische
Herzogtum der Würzburger Bischöfe die Grundh^ge für sie bildete.
Mag sein Ursprung echt oder unecht sein, so steht doch fest, daß
es in der zweiten Hälfte des elften Jahrhunderts als Tatsache galt.
Im nächsten Jahrhundert hat es Friedrich I. dem Bischof Herold
bestätigt ". Das Herzogtum gewährte den Bischöfen das Hochgericht
in der Diözese. Darauf gestützt scheinen sie die Beseitigung der
Grafschaften erstrebt zu haben. Sie erreichten sie nicht überall:
die Henneberger. die Absberger im Rangau u. a. behaupteten sich.
Sie selbst verzichteten darauf, ihre Gerichtsgewalt im hohen-
stautischen Besitz um Rothenburg, im Fuldischen Territorium und
in den Bamberger Besitzungen in der Würzburger Diözese geltend
zu machen. Aber wo es ihnen gelang, das Gericht an sich zu
bringen, da kam es zur Aufrichtung ihrer Landesherrschaft. Sie
stützten sich dadurch, daß sie auch die Ernennung der Centgrafen
an sich brachten'*. Das so entstehende Herrschaftsgebiet wußten
sie durch immer neue Erwerbungen abzurunden^.
Der Umfang des Würzburger Territoriums im vierzehnten
Jahrhundert ergibt sich aus den Aufzeichnungen über die Steuer-
leistungen der bischöflichen Städte. Es waren außer Würzburg :
Karlstadt, Ochsenfurt. Iphofen. Gerolzhofen, Arnstein, Haßfurt,
Ebern, Seßlach, Neustadt a. S.. Bischofsheini, Merrichstadt. Fla-
" M.B. XXIX,1 S. 40G Nr. 528.
■' Dipl. III S. 632 Nr. 496 v. 1028.
"^ Adam, Gesta H. e. p. 111,45 S. 127. Friedrich I. 10. .luli 1168 M.B.
XXIX, 1 S. 385 Nr. 515f., vgl. Breßlau, Forsch, z. d. G. XIII S. 87ff.;
Henner, Die herzogliche Gewalt der B. v. Wirzburg, W. 1874 S. 125ft'. ;
Zallinger, Mitt. den Inst. XI 8. 528ff.; E. Mayer, Dtsche Zt.schr. f. Gesch.
WiisenBch., N. F. 1 S. 180ff".
» Vgl. E. Mayer S. 19811.
'' Durch die Einigung v. 1230 kamen Stadtfcchwarzach, Gerlachshauson
u. a. an da« BiHtuni, M.B. XXXVII S. 227 Nr. 217; im gleichen .luhro die
HerrHchaft Hildenhurg bei Fladungen, S. 285 Nr. 221, vgl. S. 225 Nr. 215;
1279 Trimberg, S. 498 Nr. 427 u. KisHingen, S. 515 Nr. 437; 1292 ist Arn-
«tein als oppidum nostrum genannt, XX XVI II S. 60 Nr. 87. 1842 verHtän-
digte «ich daH B, mit Ludwig d. B. über Kothontels u. (iemündon, M.B. XL
S. 429 ff. Nr. 195; 1858 erwarb oh die HorrRch. KbeuluiuHen durch K;iuf
XLII S. 59 Nr. 24.
8*
— llf) —
(limgen. Köiiigshoi'eii und Meiningen \ Die meisten sind l)is zum
vorigen Jahrhundert würzburgisch gebHeben.
An das Würzburger Gebiet an der Saale grenzte das Land
der Abtei Fulda, an dieses das Territorium von Hersfeld. Hier
wie dort schloß sich die Bildung der Landesherrschaft an den Be-
sitz des Wild])anns in den ausgedehnten Waldungen rings um die
beiden Klöster an. Fulda besaß seit Otto IL den Bramfoi*st nörd-
lich des Klosters, seit Heinrich IL den Zunderhai*t rings um das
Kloster. Dazu kam eine große Waldschenkung Heinrichs IV. v.
L Dez. 1059 ■-. Damit ist das spätere Gebiet im wesentlichen um-
schrieben. Zum Schutze des Landes baute Abt Markward die
Festen Bieberstein und Haselstein; auch Fulda selbst wurde be-
festigt •'. Im vierzehnten Jahrhundert erhielten die fuldischen Orte
Hammelburg, Hiinfeld und Zellingen Stadtrecht ^ Hersfeld hatte
einen außerordentlich großen Gnindbesitz im mittleren Deutsch-
land. Aber seine zerstreute Lage Avar für die Bildung eines Terri-
toriums sehr ungünstig. Dagegen wurde sie durch die Verleihung
des Wildbanns in den großen Wäldern um Hersfeld durch Hein-
rich IL 1003 und 1016 erinüghcht. Die erstere Schenkung brachte
den Wald auf beiden Ufern der Fulda vom Eintluß der Aula auf-
Avärts bis in die Gegend von Rothenburg in den Besitz der Abtei,
die letztere den Wald an der Werra und ihren Nebenflüssen Ulster
und Felda''. In diesem Waldgebiet wurde der Abt Landesherr.
Das dritte der ostfränkischen Bistümer, Bamberg, hatte von
seiner Stiftung her eine ungewöhnlich große Ausstattung.
' Vgl. M.B. XLII Nr. 115, 192, 235; XLIV Nr. 63, 68, 176; XLV
Nr. 278—284, 3«)0; XLYI Nr. 143. 1387 sind ferner genannt Eltmann,
Höttingen, Hoenburg, Kothenfels, Gemünden, Bibert, Henneb. ÜB. V S. 195
Nr. 335. Röttingen war 1345 gekauft, M.B. XLI S. 148 Nr. 56. Meiniiiijen
kam durch die Honneberger, denen es seit 1330 verpfändet war, Henneb. ül^
V S. 72 Nr. 127; S. 106 Nr. 193, und an die es 1434 verkauft wurde, VII
8. 19 Nr. 25; S. 25 Nr. 31, an die Wettiner.
'' Dipl. II S. 250 Nr. 221 v. 980; III S. 291 Nr. 253 v. 1012; C. d.
Fuld. S. 367 Nr. 760.
•'• Trad. Fuld. S. 154 f. Münze, Markt, Zoll u. Gerichtsbarkeit in Fulda
hatte da.s Kloster seit 1019, Dipl. III S. 528 Nr. 413. .\uf die Vogt«i über
Stadt u. Zent Fulda verzichtete der (iraf v. Ziegenhain 1338. Arnd, Gesch.
des Hochstifts Fulda S. 81.
* C. d. Fuld. S. 428 Nr. 854 v. 1310, S. 430 Nr. 859. Hammelburg
und Hünfeld nebst Umgebung waren seit Karl d. Gr. fuldisch, Dipl. Kar. 1
S. 162 Nr. 116 u. S. 190 Nr. 139.
f' Dipl. lll S. 60 Nr. 51 u. S. 44S Nr. 350.
— 117 —
Sie lag im Rednitzgau von Bamberg aufwärts bis Fürth, dann
im bambergischen Teile des Volkfeldes und zerstreut im übrigen
Franken, in Baiern und Schwaben ^. Weitaus der größte Teil des
bairischen und schwäbischen Besitzes wurde nach und nach zu
Lehen ausgetan, verkauft oder sonst entfremdet; nur Yilseck in
der Oberpfalz blieb dem Bistum bis zur Säkularisation. Das Terri-
torium des Bistums beschränkte sich demnach im wesentlichen auf
den westlichen und südlichen Teil des jetzigen Oberfranken. Wir
kenneji die einzelnen Bestandteile desselben in der Mitte des vier-
zehnten Jahrhunderts aus dem Rechtsbuch Friedrichs von Hohen-
lohe"-. Die Ausdehnung des unmittelbaren bischöflichen Besitzes
zweihundert Jahre vorher kann man annähernd aus dem Verzeichnis
der bischöflichen Burgen um 1160 ermessen^. Während dieser
zweihundert Jahre hat danach nur eine mäßige Ausdehnung statt-
gefunden: am wichtigsten war der Anfall eines Teils der meranr-
schen Güter, der durch den Vergleich von 1260 geregelt wurde*;
1349 erfolgte die letzte größere Erweiterung des Territoriums durch
die Schlüsselburgische Erbschaft''.
Von den entfernteren Besitzungen blieben unter der bischöf-
lichen Landesherrschaft nur die Güter in Kärnten, Villach, Dietrich-
stein. St. Veit u. a.^
Wenden wir uns schließlich zu den sächsischen Bistümern
der Mainzer Kirchenj)rovinz. Unter ihnen hatte Verden das
geringste Gebiet. Es bestand aus der Stadt mit einer Anzahl
» S. Bd. III S. 418 tf.
- C. Höfler, Friedrichs v. Hohenlohe, Bisch, v. Bamberg, Rechtsbucb.
Bamb. 1852, S. 42. Hier sind genannt: Das Kamnieramt (Hallstadt), die
Ämter Memmelsdorf, Weisraain, Lichtenfels, Brunn, Kundstadt, Wildenberg,
Kronach, Waidenfels, Kadeck, Stadtsteinach, Ludw. Schorgast, Markt-Schor-
gast, Hollfeld, Greifenstein, Blankenstein, Gößweinstein, Pottenstein, Velden-
Htein, Vilseck, Reut, Marioffstein, Herzogenaurach, Höchstadt a. A., Ober-
höchstadt, Scheinfeld, Wachenroth, Neideck, Ebersberg, Zeil. Tiichersfeld,
.Senftenberg.
•' Pottenstein, GöBweinstein, Giech, Lichtenfels, Nordeck bei 8tadt-
Steinach, Burgkundstadt, Nordhalben, Höchstadt a. A., M. B. XXI X,l
8. 354 Nr. 501. Die übrigen, die hier genannt sind, liegen nicht in
Franken.
' Usbermann, S. 105 Nr. 188. Der Hauptort war Waischenfeld.
• Mon. Zoller. HI S. 190 Nr. 224.
•* (ber die KntHtehung des Besitzes hat zurrst A. v. .laksch, Carinthia
l'JOT 8. 109 ff. Licht verbreitet. Erst 1074 wurde dio LiindoHhohoit an
Österreich abgetreten. Stein I S. 304 f.
— HS —
Dörfer in der Umgebung \ und der Herrschaft Hothenlmrg. Das
dortige Schloß wurde 1195 von Bischof Rudolf erbaut'-.
Ansehnlicher \\i\v das Gebiet von l^aderborn". Aus einer
Vorstellung an die Baseler Synode keimen wir seine Ausdehnung
in der Mitte des fünfzehnten Jahrhundeits ziemlich genau ^ Da-
mals waren stiftische Städte: Pader))orn , Warburg, Brackel,
Borgentrich, Nieheini, Steinheim, Salzkotten, Lichtenau, Büren.
Peckelsheim, Liebenau, Lügde, Dringenberg. Beverungen, Kleinen-
berg, AVihnienberg, Bredenborn, Vörden, AVillebodessen, Geerden.
Trendelburg und Helmershausen. Das Gebiet erstreckte sich also
von der Senner Heide im Norden bis Warberg im Süden und bis
zur Weser ober! i all) Höxter im Osten. Die W^estgrenze gegen
das Kölner Gebiet war durch den Frieden von 1256 und das Ab-
kommen von 1294 festgelegt worden. Darnach wiu'den Brilon.
Erwitte und Gesecke kölnisch, Salzkotten ])aderbornisch '*. Die
Herrschaft mag zum Teil auf altem immunen Besitz beruhen *\
entscheidend wurde doch erst die Schenkung einiger Grafschaften '.
Der Padergau mit dem Treveresgau und Sorethfeld bildete den
Kern des si)äteren Territoriums. Die Grafschaft in diesen Bezirken
gehörte' I^aderborn seit den ersten Ottonen. Durch Heinrich II.
* Die Grundlage war möghchenveise die Schenkung der Hirschjagd
im Gau Sturmi, in dem Verden lag, durch Otto III.. Dipl. II S. 422 Nr. 23
V. 985. Otto gewährte zugleich die Immunität. Die Stitisvogtei kam
1223 an das Bistum, Verden. Gesch.Quell. 11 S. 72tf. Nr. 45 u. 46. Über
die einzelnen Orte s. Kunstdenkmäler d. Pr. Hannover V,l, 1908.
- Eine (Jeschichto von Rothenburg a. a. 0. S. 154 tt'.-. nach Chr. ep.
Verd. 30 Leibniz, Scr. II S. 218 ist die Burg unter ß. Rudolf gebaut.
B. Konrad 1275 — 1300 erwarb die Gografschaften Verden. Dörverden, Snewer-
dinge, Stesle, Vislehovede, Chr. 34 S. 219.
' G. .1. Bessen, Gesch. d. B. Paderborn, 2 Bde. Päd. 1820; F. Schultz,
Beiträge z. Gesch. der Landeshoheit im B. Paderborn, Münster 1908.
* Schaten, Ann. Paderbr., 16. Buch, II S. 600—602.
•' Wostf. ÜB. IV S. 373 Nr. 666; S. 1046 Nr. 2312.
" Doch lag der aus den Urk. Heinrichs II. nachweisliche (irundbesitz
nicht im späteren Territorium. Die Immunität bestätigteLudwig in.881,Westf.
ÜB. I S. 24 Nr. 30. Die Stiftsvogtei kam 1193 an das Bistum, Kais.Urk. 11
S. 349 Nr. 251,vgl.Wstf. ÜB. 11 S. 203 Nr. 490 v. 1189. Über die herzogl. Rechte
Kölns im Bist. Paderb., s. Schultz S. 30 tl". Über die Paderb. Klöster S. 43 tl.
" Dipl. II S. 817 Nr. 387 v. 1001: Otto III. bestätigt den Besitz der
(tralschaft in den Gauen Padergn, Aga, Treverosgn, Auga, Sorethfeld:
Dipl. ms. 262 Nr. 225 v. 1011 u. S. 561 Nr. 439 u. 440 v. 1021: Hein-
rich II. verleiht die (irafschaften Haholts, Dodicos u. Liudolfs; Kais.Urk. II
S. 226 Nr. 181 v. Iu32: Konrad II. schenkt die «irafengewalt Hermanns in
den Gauen Auga, Netega u. Hessiga.
I
— 119 —
kam die (Grafschaft Dodikos mit dem Hauptorte Warburg hinzu:
Paderborn behauptete sie, obgleich Mainz Ansprüche darauf erhobt
Nach Osten scheint der Besitz zuerst in der Gegend von Iburg
aufgehört zu haben. Daß das ehemahge Kloster zu einer bischöf-
lichen Feste ausgebaut wurde', führt auf diese Vermutung. Vor-
gerückt wurde die Herrschaft durch den Erwerb von Brakel und
Vörden'\
Die beiden ostfälischen Bistümer Hildesheim und Halberstadt
waren sehr reich ausgestattet, sowohl mit Grundbesitz als mit Graf-
schaften. Hildesheim^ erhielt von Heinrich III. und Heinrich IV.
die Grafenrechte so ziemlich im ganzen Umfang der Diözese und dar-
über hinaus '\ Aber die Entwickelung der welfischeil Macht*^ ließ eine
ähnliche Entfaltung der bischöflichen Herrschaft wie in Westfalen
nicht zu. Überdies hinderten im Süden die Grafschaften Wohl-
denberg und Poppenburg das Wachstum des bischöfhchen Gebiets.
Es beschränkte sich im dreizehnten Jahrhundert auf die Stadt
und einen mäßigen Landstrich ringsum. Daß der letztere unter
Ijischöf liehe Herrschaft kam, wird dadurch ermöglicht sein, daß das
Bistum hier ausgedehnten Besitz hatte und daß ihm Heinrich IV.
den Forstbann auf beiden Ufern der Leine verlieh '. Die Schenkung
des Klosters Ringelheim mit großem Besitz i. J. 1150 schuf die
Grundlage des bischöflichen Gebiets am Nordharz ^. Die Einlösung
zahlreicher Vogteien durch Bischof Konrad 11.^, die Erbauung der
' Vgl. Kais.Urk. II S. 237 Nr. 187 v. 1033. Daß Warbuvg zur Grafsch.
DodikoB gehörte, zeigt Y. Meinw. 13 S. 113; vgl. 169 S. 144.
- Wstf. Uß. IV S. 367 Nr. 649 v. 1256.
^ Wstf. ÜB. IV S. 939 Nr. 2034f. v. 1289; Asaeh. ÜB. II S. 134 Nr. 872
von 1323. Vörden gehörte dem Marienmünster, das sich 1324 unter
die Herrschaft des Bischofs stellte. Zeitschr. f. vaterl. Gesch. XLV11,2 S. 139
Nr. 101. Die Freigrafschaft über Dringen u. die benachbarten Dörfer
kaufte das Bistum 1292, Wstf. ÜB. IV S. 999 Nr. 2186, vgl. S. 1000 Anm.
' Lüntzel, Gesch. d. Diözese und Stadt H. 1858, 2 Bde.; Bertram,
Gesch. d. B. Hilde.slieim 1899; A. Peters, Die p]ntstehung der Amtsver-
faaaung im Höchst. Hildosheim in d. Z. d. Hist. Ver. f. Niedereachson 1905
S. 215 tf.
» ÜB. I S. 85 f. Nr. 86 v. 1051; S. 10« Nr. 111 v. 106«.
• Tgurpation von Besitzungen u. Hechten wurde von Otto IV. zuge-
».tanden, I S. 073 Nr. 70h.
' I;B. I S. 101 Nr. 103 V, 1062; S. 106 Nr. 108 v. 1065.
" CB. I S. 243 Nr. 264 u. 271; Besitz in dieser (tagend liatto das
Bistum «chon vorher, S. 207 Nr. 229.
" Chr. Hild. r. 28 S. 860, Sie lagen im Westen dor Diözese liin^'s
der I/«ine und um die Stadt HildeHheim, h. I'eters 8. 225.
— 120 —
Feste 8arste(lt\ die Erwerbung der Burgen Rosental bei Peine-,
Depenau bei Steinwedel' und der Poppenburg bei Nordstenimen \
die Einlösung der Winzenburg'' bezeichnen den Anfang einer
bischünichen Territorialpolitik. Der Kauf von Peine'' und Lütter
am Barenl)erg'. der Erwerb des Schlosses Wohldenberg ^, der
Stadt Bockenem"' u. a. führten sie weiter, ohne daß es doch gelang
das Gebiet bedeutend auszudehnen.
Ebenso reich an Grafschaften wie Hildesheini war Hallx-r-
stadt^". Doch ist auch hier nur ein mäßiger Landstrich im Norden
des Harzes zur Herrschaft des Bistums geworden. Entscheidend
war der Besitz der Münze in (^sterwieck und der Erwerb des
Wildbanns in den Wäldern Hackel. Hui und Fallstein ^\ Daß die
große Grafschaft Seehausen durch das Aussterben des Somerschen-
burger Hauses an das Bistum zurückfiel, war fast ohne Folgen,
da Bischof Volrad sie 1257 an das Erzbistum Magdeburg ver-
kaufte; doch blieb dem Bistum das Gogericht in 10 Orten, darunter
Oschersleben, Hornhausen und Hamersleben ^'-. Wegeleben erwarb
1 B. Konrad IL, 1222—25, üB. II 8. 29 Nr. 57, o. J.
2 ÜB. II S. 39 Nr. 90 v. 1223. "• Chr. Hilcl. c. 2i< S. 860.
•A ÜB. II S. 15 Nr. 25 um 1225.
^ Sie galt als besonders wichtig. Die B. Bernhard u. Brun bauten an
ihr, Chr. Hild. c. 20 f. S. 855 f. Die WahlkajDituhition Sigfrids verbot die
Veräußerung, ÜB. I S. 650 Nr. 683: doch mußte B. Konrad II. sie ein-
lösen, s. ÜB. der Stadt Hildesh. I S. 49 Nr. 91; vgl. Chron. Hild. c. 28
S. 860.
« Sudendorf, VB. d. H. v. Braunschweig I S. 33 Nr. 49 v. 125cS; Chr.
Hild. 30 S. 862; 31 S. 864.
- ÜB. d. H. V. f. Niedersachsen IV S. 40 Nr. 24 v. 1259. Lutter l)lieb
im Besitz der Herzoge v. Braunschweig, von denen es 1323 gekauft wurde,
IV S. 394 Nr. 718.
'^ Wohldenberg von B. Otto gekauft, Chr. Hild. 31 S. 868. soll
1286—87 eingelöst werden, ÜB. III S. 401 Nr. 777: 1313 verpfändet B. Hein-
rich ,unse hus to Woldenberch*, IV S. 106 Nr. 204; 1329 belehnte B. Otto
den Herz. Heinrich v. Braunschweig mit dem Schloß W. u. dem Amt Söhlde.
Sudendorf, ÜB. d. IL v. Braun.^^chweig I S. 249 Nr. 471—475. Die Güter der
Grafschaft Wohldenberg kamen l>oini Krlö.'^chen des irrüflichen Hauses 1384
an das Bistum, VI S. 100 Nr. 93.
» Von Gandersheim 1314 gekauft. ÜB. IV S. llö Nr. 218ft".
'" Schlemm in v. Ledeburs Allg. Arch. \'l S. 97If.: Frantz. Ge.sch. des
Bist. Hulberstadt 1853. Schenkung der Grafschaften durch Heinrich III.
1051 u. 1052, ÜB. 1 S. 55 f. Nr. 57 f. Die Grafschaft im Harzgau usw blieb
verliehen, die Bischöfe hatten also nur die Lehensherrlichkeit.
" Dipl. II S. 84 Nr. 70 v. 974; S. 660 Nr. 243 v. 997: vi?l. III ^. 15
Nr. 13. 1- ÜB. II S. 173ff. Nr. 929—636.
— 121 —
1288 Bischof Yolrad durch Verpfändung \ Unter Bischof Albrecht
kam 1322 Aschersleben und 1326 die Yogtei über die Altstadt
Quedlinburg an das Stift-. Das Gebiet gewann dadurch eine
größere Ausdehnung nach Osten und Süden.
Nui' erwähnt mag werden, daß im sächsischen Teil der Mainzer
Erzdiözese die kleinen Gebiete von Korvey^, Gandersheim, Herford
und Quedhnburg lagen.
Im Norden und Nordosten Deutschlands waren nur die Ge-
biete der beiden Erzbistümer Hamburg-Bremen und Magdeburg
von größerer Ausdehnung, die der sämtlichen Bistümer gering;
füi'stliche Abteien fehlten ganz.
Für Hamburg-Bremen* erstrebte und erreichte Erzbischof
Adelbert den Erwerb aller Grafschaften im süd-elbischen Teile des
Bistums "^ Aber da die Grafschaften verliehen blieben, so war
dieser ungewöhnliche Erfolg für die Territorialbildung fruchtlos.
Die Grundlage für sie wurde, abgesehen vom Immunitätsgebiet,
erst dadurch geschaffen, daß der letzte der Stader Grafen, der
Dompropst, dann Erzbischof Hartwig I., die Grafschaft Stade dem
Erzbistum vermachte''. Zwar hinderte Heinrich d. L. den Anfall;
und auch nach seinem Sturze blieben die Verhältnisse zunächst
schwankend". Aber der Vertrag, den Erzbischof Gerhard II. 1219
mit dem Pfalzgrafen Heinrich abschloß, brachte nicht nur die
Grafschaft Stade, sondern auch den Weifischen Besitz in der
Bremer Diözese an die Bremer Kirche, überdies das Stift Wildes-
hausen in der Diözese Osnabrück^.
» ÜB. II S. 504 Nr. 1512; vgl. 111 S. 115 Nr. 1937.
- ÜB III S. 214 Nr. 2073, vgl. Nr. 2085; 2140; 2142-2146 v. 1325.
Die Verhandlungen hatten damit noch kein Ende. Quedlinb. ÜB. I S. 75ft'.
Nr. 102 f.
' Graf Bocholtz-Asseburg, Beitrilgo z. Gesch. der Ortscli. . . des Cor-
veyer Landes, Ztschr. f. vaterl. Gesch. LIV,2 1896 S. 1 tt'.
' Dehio, Geschichte des EB. Hamburg-Bremen, 1877. Die Karolinger-
diplome de« EB. sind unecht. Otto l. erteilte der Hamb. Kirche u. den yai
ihr gehörigen Stiftern Rameslo, Bremen, Bassum u. Bücken die Immunität
u. den königlichen Besitz in den genannten Orten, Dipl. I S. 98 Nr. 11 u.
13 V. 937. Otto in. fügte Heslingen n. Repesholt hinzu, II S. 439 Nr. 40,
vgl. S. 357 Nr. 302 u. S. 422 Nr. 24.
'' Adam 111,45 S. 127, vgl. dazu Dehio, S. 232. Hamb. VH. 1 8.7011.
Nr. 69, 79, 88 f., 121.
• Ann. 8tad. z. 1144 S. 324.
' Einen ersten Erfolg des EB. bezeiciinet die Urk. v. UHO oder IlSl,
Hamb. IJB. I S. 225«. Nr. 247
" Hamb. r:B. 1 S. 37511. Nr. 432—434. ilcinricli erhielt Stadt und
UrafHchaft Stade für Lelizeiten zu Lehen; mit «einem Tode sollten sie an
— 122 —
über Lübeck, Katzeburg und Schwerin geniigen ein paar
Worte. Das Gebiet von Lübeck ging auf die Ausstattung des
Bistums zurück \ Der Hauptoii war Eutin. Es wurde im Lauf
des 14. Jalnhundorts durch Käufe langsam vergnißert. ohne je
wii'khche Bo(l('utung zu erlangen '. Ebenso l)liel) dem Bistum
Ratzelmrg das Land Hoitin. mit dem es 1158 dotiert wurde *^ als Terri-
torium. Friedrich IL l)estätigte es samt der Vogtei 1236 dem
Bischof Peter"*; Bischof Ulrich erlangte 1261. daß die Herzogin
Helene mit ihren Söhnen ausdrücklich auf die Vogtei veiv>ichtete'\
Schwerin endlich hatte von seiner Gründung her Burg und Land
Bützow''. Dadurch, daß die Herrn von Rostock 1232 auf alle
Ans])rüche auf das Land verzichteten, war ihre Hen-schnft sicher
gestellt '.
Das Fürstentum Magdeburg "" lag zum Teil auf dem linken,
zum Teil auf dem rechten Elbeufer in deutschem und in slavischem
Land. Zu dem deutschen Teil gehörte die niichste Umgebung der
Stadt: hier ging die HeiTschaft auf die erste Ausstattun«x des
(.las EB. fallen. Das führte zu neuen Schwierigkeiten, .s. Dehio S. 14511.
11. vgl. Hamb. ÜB. I S. 423 Nr. 491 v. 1228 u. S. 428 Nr. 497 v. 1232.
Den Abschluß bildete der Vertrag v. 1236, Sudendorf ÜB. I S. 17 Nr. 19!
vgl. Ann. Stad z. 1236 S. 362. Über den Umfang der s. g. Stader Graf-
schaft, s. Dehio, Bremisches Jahrbuch VI 1871 S. 125 ff. Danach unter-
standen den Stader Grafen 1. Ditmarschen, 2. die Bremer Gaue zwischen
Elbe und Weser, 3. die Gaue Mosdi u. Waltsati in d. I). Verden. 4. süd-
lich der Weser ein Teil des Largaus u. der Ammergau. Was Wildeshausen
anlangt, so hatten die Oldenburger, wahrscheinlich als Lehen von den
Weifen, die Vogtei, s. Orig. Guelf. II S. 521 Nr. 69. Das Stift selbst kam
durch den Vertrag v. 1219 an Bremen, Hamb. üB. S. 375 Nr. 432. Durch
den Tod des Grafen Heinrich 1270 fiel die Vogtei dem Stifte Bremen heim,
Sudendorf 11 S. 173 Anm. Darauf beruhte die Landesherrschaft. Sie blieb
ihm bis zum Ausgang des MA.; damals kam sie an Münster.
1 S. Bd. IV S. 619. In den Urkunden Uß. 1 S. 35 Nr. 30 u. 31 v.
1215 u. 1216 sind 31, bezw. 34 Orte und Mühlen genannt. Die Vogtei in
Etitin u. den dazu gehörigen Dörfern wurde 1256, das Gericht in 8 anderen
Dörfern 1262 erworben, S. 114 Nr. 123 f. u. S. 146 Nr. 155.
•-• ÜB. I S. 565 Nr. 466 ff. u. a.
' S. Bd. IV S. 621. Über die Begrenzung dos Landes Boitin, s. Maseh.
(iesch. des B. Ratzeburg S. 54 ff.
* Meklenb. L^B. I S. 444 Nr. 448.
• II S. 180 Nr. 916 u. 917; vgl. S. 188 Nr. 926 u. 928, u. S. 408 Nr. 1224.
<* Mklenb. ÜB. 1 S. 120 Nr. 124.
' S. 402 Nr. 398. Hier Angabe der (»renzen des Landes, über die
Hechtsverhältnisse, s. die Festsetzung v. 1282 HI S. 51 Nr. 1633.
"> Winter in der Forsch. XIII S. 111 ff.
— 123 —
Moritzklosters zurück. Otto I. hatte seiner Liebliiigsstiftung das
Königsgut im Burgward Magdeburg übergeben. Daraus erwuchs
die Herrschaft in einem ziemlich weiten Kreise um die Stadt ^. An
der Elbe aufwärts faßte das Moritzkloster schon unter ihm in
Frohse und Barby Fuß-. Auch der Besitz von Kalbe a. S. und
Gibichenstein ist alt^. Dagegen wurde Alsleben erst durch Norbert
für das Erzbistum erworben^; seine Nachfolger wußten diesen Be-
sitz dadurch zu mehren, daß sie Freckleben und Könnern erwarben^.
Aus dem Besitze Heinrich d. L. erhielt das Erzbistum Haldens-
leben*^ u. a. Endlich ging, wie oben erwähnt, durch Kauf die
Grafschaft Seehausen von Halberstadt an Magdeburg überl
Im Wendenland hatte Magdeburg von Anfang an Hoheits-
rechte in den wendischen Gauen an der Elbe^. Neuen Halt ge-
wann dieser Besitz durch den Erwerb von Jericho w u. a.'\ Dazu
kam das Land Jüterbogk, das von Erzbischof Wichmann koloni-
siert wurde ^^
Was die (Tcbiete der magdeburgischen Suffragane in Merse-
Ijurg, Naumburg und Meißen anlangt, so beschränkte sich das von
Merseburg auf die Umgebung der Stadt und den Rest des großen
Waldbesitzes zwischen Saale und Mulde: Schkeuditz und Zwenkau
bezeichnen die Endpunkte ^^. Die Bischöfe von Naumburg hatten
die Herrschaft über Naumburg und Umgebung, über Zeitz und
1 S. Bd. III S. llOff. 2 Dipl, I s. 304 Nr. 222 v. 961.
' S. 395 Nr. 278 v. 965 Königshof in Kalbe; II S. 433 Nr. 34 v. 987
Zoll. Bann u. Münze in Gibichenstein.
* Über das Kloster, s. oben S. 74 Anm. ]. Den Ort Aisleben kaufte
Norbert von der MGin. Irmgard, Gest. ae. Mgdb. 26 Scr. XIV S. 413 f.
■'' Besitz in Freckleben erhielt das EB, von Erzb. Konrad, Magdeb.
Reg. 1 S. 456 Nr. 1160; den Ort als solchen erwarb Wichmann, durch den
auch Löbejün b. Halle, Beier-Naumburg, 8eeburg, Somerschenburg u.
München-Nienburg an das Erzbistum kamen, Schöppenchronik S, 117 f.,
Gesta ae. Mgdb. Cont. T Zusatz zu c. 29 S. 416. Könnern erscheint um
1165 als erzbisch. Meierhof, Magdeb. Reg. I S. 576 Nr. 1411.
" Magdeb. Reg. III S. 564 Nr. 267 v. 1. Juni 1192. Die Schenkung
Vietraf außer Haldensleben, den Hof u. die Abtei Königslutter mit Zubehör
u. die Eigengüter dee Herzogs zwischen Magdeburg, Lutter, dem Wald
Drömling und der Bode, Saale u. VAhpi.
' S. o. S. 120. "^ Bd. IM S. 110 u. IUI
» Hamb. TB. I S. 165«. Nr. 177 v. 1145.
'" Schöppenchron. S. 117; Lucius III. 25. Okt. 11H4, v. l'Hugk-Haritung,
Acta pont. I S. 818 Nr. 362. Über den Umfang, s. Winter S. 122.
*' S. die angef. Abb. 8. 668. Der alte Besitz befand sich als Lehen
zuuieint in den Hunden der .M^}. v. .Meißen. -. die Mcsfiitigungsnrk. Ifn-
dolf« ]., Böhmer, .^cta .S. 'M4 Nr. 14:{
— 124 —
Krossen \ Die von Meißen kamen durch den Besitz des Stiftes
Würzen - zu einem kleinen Herrschaftsgebiet. Der Erwerb von
Stolpen und Umgebung, Oschatz und JMügehi vergrößerte es*^.
Ahnhch wie im Nordosten war es im Südosten. Auch liier
mußten sich die Bistümer mit kleinen Gebieten begnügen, wiihrend
das Erzbistum zu einer ansehnlichen Herrschaft gelangte.
Daß es den Regensburger Bischöfen ^ nicht gelang, die Herr-
schaft über die Stadt zu gewinnen, ist bereits erwähnt. Seit dem
zehnten Jahrhundert besaß die Regensburger Kirche unterhalb der
Stadt bei Sulzbach an der Donau einen ausgedehnten Forst''. Zu
seinem Schutz wird die Burg Stauf auf einer AnlKihe am Strom
errichtet worden sein". Sie blieb die Sehutzwehr des Stiftsbesitzes
und diente später vielfach als bischöfliche Residenz. Das bischöf-
liche Gebiet wurde allmählich abgerundet; am Ausgang des drei-
zehnten Jahrhunderts erscheint der ganze liezirk um Donaustauf
als die bischöfliche Grafschaft '. In derselben Zeit erwarb das
Bistum die Herrschaft Lupburg an der Laber \ Weit bedeuten-
der waren die Besitzungen, die dem Bistum verloren gingen. Zu
^ Schenkung von Zeitz 976, Dipl. II S. 156 Nr. 139, von Krossen mit
dem Gau Puonzowa 995, S. 575 Nr. 163. Der Umfang des Stiftsgebietes
ergibt sich iius dem Vergleich zwischen dem Markgrafen Dietrich und dem
Bischof Meinher v. 22. Sept. 1278, s. Lepsius, (resch. der Bisch, des Hoch-
stifts Naumburg S. 104.
- Die Parochie Würzen gehörte seit 1017 dem Bistum, Thietm. \'I1I..">J
S. 225; das Stift war eine bischöfliche Gründung.
•' Das Castellum Stolp wurde 1227, C. d. Sax. 11,1 S. 95 Nr. lOo.
Oschatz 1360 gekauft, 11,2 S. 73 Nr. 566. In Mügeln hatte das Bist, im
13. .Ihrh. den Zoll, 11,1 S. 133 Nr. 153, die Vogtei hatten als bi.sch. Lehen
die Grafen v. Brena, S. 188 Nr. 245. Vgl. S. 199 Nr. 256 v. 10. Sept. 1283
den Streit über die r4ericht8barkeit in Würzen. Mügeln, Meißen u. Stolpon
zwischen dem MG. Heinrich u. B. Witego.
' S. Janner, Gesch. d. B. v. Regensburg, 2 Bde. 1883 u. 84.
» Dipl. I S. 21 Nr. 22 v. 914. Der Forst ist dem Emmeramsklostor
geschenkt, dessen Vorsteher damals der Bischof war.
•* Die Burg Stauf wird schon unter B. Tuto, also vor 930, erwähnt
Pez, Thes. nov. 1,3 S. 50. Als bischöfiiche Feste ist sie 1132 genannt,
Hi.st. Weif. Weing. c. 19 S. 27.
" B. Leo erwirbt 1270 die Burg Falkenstein, n.ö. von Stauf, damit
nicht districtns nostri comitatu."^ scissuram pateretur ot iurisdictio turbaro-
tur, Ried C d. 1 S. 51.') Nr. 544. Einige .'ahre später wurde die zwischen Stauf
u. Falkenstein gelegene Brennburg, ein regensburger Lehn, dem Bistum
resigniert, S. 540 Nr. 571 v. 1276. Ruilolf I. bestätigte 1285 dem Bistun»
die Grafschaft l)onau.stauf, S. 60(i Nr. 634.
■^ Ried I S. 727 Nr. 75U v. 1300, vgl. Cont. Rati.'^p. z. 130l Scr. XVll S. 420.
— 125 —
ihnen gehörten die Grafschaft am rechten Ufer des Inn um Kuf-
stein, die 1133 dem Herzog Heinrich von Baiern zu Lehn gege-
ben wurde ^. die meisten österreichischen Güter, die als Lehn an
die Habsburger kamen-, der alte Besitz am Mondsee, den Bischof
Baturich einstmals mit dem Kloster gegen Obermünster ertauscht
hatte, der aber im letzten Viertel des dreizehnten Jahrhunderts an
Salzburg überlassen wurde ^.
Kaum bedeutender als das Regensburger Gebiet war das des
benachbarten Bistums Passau. Es bestand aus der Stadt mit der
nächsten Umgebung^ und der Grafschaft an der Hz. Diese
stammte aus dem Besitz des ehemaligen Reichsklosters Niedernburg,
das Otto II. 976 und Fi-iedrich I. 11(31 dem Bistum übergaben ^
Das reiche Stiftsgut in Osterreich erhielten 1277 die Habsburger
zu Lehn. Dem Bistum blieben nur der Markt Treben, einige
Dörfer und das Gericht in St. Polten. Mautern und etlichen an-
deren Orten". Auch Passau besaß eines der Klöster in den
1 Hist. Weif. Weing. 22 S. 31. Der Besitz der Grafschaft wird bei
diesem AnlaB zuerst erwähnt, vgl. Riezler I S. 612 ff.
■' Ried I S. 546 Nr. 575 v. 13. Juni 1277. Hinzu kam 1287 Burg u.
Herrsch. Windeck, S. 623 Nr. 553 f.
'^ Die Urk. Ludwigs d. D. v. 14. Febr. 833, M.B. XXXr,l S. 68 Nr. 30
ist unecht, .s. Mühlbacher 1310. Die Tatsache des Tausches ist aber richtig;
schon 837 war Baturich nachweislich im Besitz von Mondsee, ÜB. d. L. o.
Enns. I S. 12 Nr. 20. Der Regensburger Besitz um Mondsee wurde 1278
von B. Heinrich an Salzburg verkauft, 111 S. 483 Nr. 526; 128,6 trat er auch
Schloß und Herrschaft Wildeneck tauschweise an Salzburg ab, IV S. 43
Nr. 48: vgl. aber Juvavia S. 369. Die Abhängigkeit des Klosters selbst
war dadurch erschüttert, daß Innocenz IJ. es 1142 in päpstlichen Schutz
genommen hatte, II S. 200 Nr. 135. Dem Bischof blieb das Recht, den
Abt zu präsentieren, III S. 485.
^ Otto III. verlieh 999 Markt, Münze, Bann, Zoll et totius publice rei
districtum in der Stadt, Dipl. 11 S. 733 Nr. 306. Herz. Heinrich v. Baiern
verzichtete 1262 auf die Vogtei und das Gericht in der Stadt u. der nächsten
Umgebung und auf das Burgrecht in Obernburg, ÜB. d. L, o. P]nns III
S. 294 Nr. 312.
• Dipl. II S. 153 Nr. 136; M.B. XXIX.l S. 359 Nr. 503; vgl. S. 469
Nr. 554. Das Kloster war seit Heinrich II. im Il/gau begütert, Dipl. III
S. 253 Nr. 217 v. 1010. Friedrich II. verlieh 1217 dem Bistum die (^rafschafts-
rechte im kirchlichen Besitz im Ilzgau, ÜB. d. L. o. Euns, II S. 587 Nr. 396.
Sie blieben /.unächst als Kirchonlehen im Besitz dos Herz. Ludwig, kamen
aber 5. Sept. 1220 an die Kirche. M.B. XXVIII,2 S. 297 Nr. 69. (Tber das
Anwachsen de« BesitseH vgl. .1. Strnadt, Arrh. f. «'»Hterr. Gesch., IM. Bd .
1907, S. 205ff.
• C.I. III S. 640 Nr. 651.
— 126 —
Voralpoii : Mattsee ^ Noch unter Heinrich III. wurde dieser
Besitz vergntßerf-. Aber am Ausgang des vierzehnten Jahrhun-
derts verkaufte das Bistum die Herrschaft an Salzburt; '.
Kein geistliches Territorium in Oberdeutschland war so zer-
splittert wie das Froisinger: es bestand aus einer Anzahl unzu-
sannnenhiingender Stücke in Baiern. Osterreich und den Alpen-
ländern, in Baiern blieb dem Bistum, dank dem Eingreifen der
Reichsgewalt, die Stadt Freising erhalten^; außerdem besaß es seit
alter Zeit Isen'* und erwarb es im dreizehnten Jahrhundert die
Herrschaft Werdenfels, das von dem mächtigen Wettei"steingebirg
überragte Alpenländchen '\ Im Pustertal lag das alte Freisinger
Kloster Innichen mit seinem ausgedehnten Besitz ', in (Österreich
die Enklaven Enzersdorf, Aschbach, Waidhofen u. a."^, in der Steier-
mark die ausgedehntere Herrschaft Kothenfels'', in Krain die Herr-
schaft Laakio.
Ein ganz anderes Bild als die territoriale Entwickelung Frei-
' Von Otto III. 993 als pass. bestätigt. Dipl. II S. Ö24 Nr. 112,
- Vgl. ÜB. d. L. 0. Enns II S. 82 Nr. 64.
^ .Tuvavia S. 370 Anm. c, Richter, Mitt. des Inst., EB. I S. 6931.
■* B. CTerold verlieh die Stadt an Baiern, Friedrich II. hob die Ver-
leihung 1230 als rechtswidrig auf. C.I. II 8. 184 Nr. 150.
^ Das Kloster, später Stift, war alter bischöfl. Besitz, s. Tradit. 1
S. 30 Nr. 4.
*' 1249 wurde Garmisch, 1294 die Grafschaft Partenkirchen u. Mitten-
wald gekauft ,Meichelbcck TI,1 S. 33 u. S.99f. Die Burg AVerdenfels liegt
unterhalb Partenkirchen.
' Vgl. Bd. II 8. 459 Anm. 1. 1254: Yticinensis prouintia que ad ip-
sam Frisingensem ecclesiam iure proprietario noscitur pertinere, Zahn. ('.
d. Austr. Fris. S. 174 Nr. 175.
^ Das Bist, erhielt 1189 von Friedrich I. Marktrocht u, Landgericht
auf seinen Gütern Enzersdorf, Ollern, Holenburg und Kbersdorf, Zahn I
S. 121 Nr. 122; von Rudolf 1277 bestätigt, S. 359 Nr. 337. Aschbach war
Freisinger Lehen und wurde dem Bistum 1236 von Herzog P'riedrich ver-
pfändet. S. 132 Nr. 135; 1277 erhielt Rudolf den Ort zu Lehen. S. 356
Nr. 335; er wurde aber mit andern Orten 1298 wieder an das Bistum ver-
pfändet. 8. 463 Nr. 424. Über Waidhofen, s. S. 283 Nr. 263.
® Der Steiermark. Besitz Freisings geht auf Heinrich II. zurück, der
10i>7 Oberwölz, Lind u. Katsch dem Bistum schenkte, S. 55f. Nr. 54 u. 55.
Die bischöH. Gerichtsgowalt erkannte Herz. Ulrich 1265 an, S. 260 Nr. 244.
vgl. Nr. 286 u. 305.
^" Laak u. Umgebung ist Schenkung der Ottonen, S. 36 Nr. 37 f.
Urbar v. 1160, III S. 12 f. 1275 erwarb das Bistum das Landgericht auf
seinen Krainer Gütern, I S. 194 Nr. 188. vgl. Nr. 306 u. 366. Zur Ab-
rundung des Territoriums, s. 8. 264 Nr. 247.
— 127 —
siugs gibt die Brixens\ Das Bistum besaß seit dein elften Jahr-
hundert die Grafschaftsrechte im größten Teil der Diözese: von
der Trientiner Grrenze über das Wipp- und Eisaktal bis ins untere
Inntal und im Pustertal. Dazu erhielt es im dreizehnten Jahr-
hundert das Bergregal in der ganzen Diözese '^. In dieser Zeit
wurde der Bischof Herzog des Landes genannt "^ Allein die wirk-
liche Territorial bildung blieb weit hinter der möghchen Ent Wicke-
lung zurück. Die Bischöfe vermochten mit den tatkräftigen Adels-
geschlechtern des Landes nicht Schritt zu halten. Besonders die
Grafen von Andechs-Meran und von Tirol kamen ihnen voran : die
ersteren besaßen die Grafschaft im Pustertal und unteren Inntal ^,
die letzteren die Grafschaft im Eisaktal als bischöfliche Lehen ''^;
wie bekannt haben sie schließlich die Landesherrschaft in Tirol er-
rungen. Die Folge war, daß sich das unmittelbar bischöfliche
Territorium auf Brixen, Brunneck und Umgebung beschränkte,
wozu noch die Herrschaft Veldes in Krain kam*\
Das Salzburger Gebiet " ist auf sehr verschiedenen Wegen zu-
sammengekommen. Zum Teil beruhte die Herrschaft auf altem
Forstbesitz, so in den späteren Gerichten Wartenfeld und Hütten-
stein ^, zum Teil auf dem Erwerb der Grafschaft, so in den Ge-
richten Neuhaus und Neumarkt'', oder auf dem Besitz der Im-
^ A. Huber, Arch. f. österr. Gesch. 63 S. 626.
■^ Von Konrad IL 1027 die Grfsch. in dem im Text angegebenen um-
fang, abgesehen vom Pustertal, M.B. XXIX, 1 S. 20 Nr. 328, vgl. zum Um-
tang. Huber a. a. 0.; von Heinrich IV. 1091 die Grfsch. in valle Bustrissa,
a. 216 Nr. 434, d. h. im Pustertal; das Bergregal 1207 von König Philipp,
Böhmer, Acta imp. S. 202 Nr. 226, wiederholt von Friedrich II. 1217 H.Br. 1
S. 526.
" B.F. 21i^8 v. 1236; 441« v. 1240.
* Die Brixener Lehen der Andechs-Meraner sind genannt in einer Urk.
des B. Heinrich v. 1232, in L'bersetzung bei Sinnacher IV S. 237 f.; zur
»Sache vgl. Huber S. 637.
•• Vgl. .T. Egger, Gesch. Tirols I 1872 S. 622 ö".
" Ober Brunneck als bischöfliche Stadt, s. Sinnacher IV S. 405, V
S. 104; Veldes kam durch Heinrich II. an das Bist., Schumi, Frk. u. Reg.-
buch de.s H. Krain, I S. 23 Nr. 14 f. Der Besitz wurde durch Heinrich lll.
1040 vergrößert, S. 35 Nr. 28f., vgl. S. 59 Nr. 49 v. 1073.
' Nachrichten vom Zustande der Gegenden u. Stadt .luvavia, Salzb.
17H4 S. 347 tt'. K. Richter, Lutersuchgon. z. hi.st. Geographie d. H. Salz-
burg, Mitt. des Instit. KB. I, 1885 S. 590«. Ders. Archiv f. österr. (lesch.
Bd. 94, 1907 S. 43«.
" Von Otto IL 977be8tätigt,Dipl.lIS.185Nr. 165, s.KichterS. 713f.u.S.r)2.
^ Vermutung von Richter S. 698 ff. NachweiHÜch iat der Krwerb von
Grafttcbaften nicht.
— 128 —
niunitiit, so im Pongaii^. \v()hl .'lucli im Lungau". Bei audereii
Stücken des Territoriums läßt sich der Erwerb sicher nachweisen.
Im Jahre 1207 kam die hinge vorbereitete Abtretung der Be-
sitzungen des Grafen Heinrich v. Lechsgemünd an das Erzbistum
zum Vollzug; der Hanpt])unkt war Schloß und Herrschaft Win-
disch-Matrei ■': 1228 wurde El)erhard IJ. mit der Grafschaft im
oberen und unteren Pinzgau belehnt ^ Um dieselbe Zeit erkannte
Herzog Ludwig von Baiern das Recht des Erzstifts auf die Graf-
schaft Lebenau an '': sie umfaßte den nördlichen Teil des Stifts-
gebietes. 1241 wurde Gastein dem Erzbistum verpfändet '^. 1260
fiel ihm die Plainer Grafschaft zu", 1281 verständigte es sich mit
Baiern über die Herrschaft im ZillertaP. Schon vorher, 1278.
hatte es den Regensburger Besitz am Mondsee gekauft; auf die-
selbe Weise erwarb es das Gericht Mattsee von Passau.
Zu dem geschlossenen Gebiete kamen noch einzelne zerfeplit-
tej'te Stücke in Baiern, Kärnten, Steiermark und Krain, besonders
Mühldorf ^*, Friesach ^°, Landsberg ^^ und die 1246 von den Grafen
von Bozen erworbene Herrschaft Gurkfeld ^2.
In dieser Weise war das geistliche Gebiet über Deutschland
verteilt. Es wird etwa den sechsten bis siebenten Teil der Ge-
samtfläche des Reichs eingenommen haben.
Der Besitz der Landesherrschaft gab den deutschen Bischöfen
eine Fülle von Macht und Einfluß, (^b die Entwickelung Deutsch-
lands davon Gewinn hatte, mag man bezweifeln, so sicher es ist.
' Richter S. 682 f.
- Hier war das EB., besonders auch das Domkapitel begütert. Daß
die Vogtei über die Kapitelsgüter 1241 an das EB. kam, Meiller S. 278
Nr. 503, wird die Ausbildung der Laudosherrschaft ermöglicht haben.
'^ Meiller S. 190 f. Nr. 96—99, dazu Anm. 41 S. 515f.
* Meiller S. 242 Nr. 322. » Quellen u. Enht.- V S. 130 Nr. 54.
« Meiller S. 279 Nr. 508.
" Quellen u. Erört. V S. 2H3 Nr. 117, vgl. Richter S. 688
^ MIÖ(^. XXV S. 460.
" Mühldorf wird von Eberhard II. 1242 neben Salzburg, Laufen. Ditt-
maning u. Werfen als bischöfliches oppidum genannt, Meiller S. 283 Nr. 519.
Das burgum Muoldorf war schon 1190 in erzbisch. Besitz. Das damals von
Hoinricli VI. erteilte Privilegium für den Salzhandel, Meiller S. 153 Nr. 60.
wird die Entstehung der Stadt aus dem Burgflecken erklären. Der Ort ist
uralt, s. z. B. Salzb. ÜB. 1 S. 81 Nr. 14.
><^ Alter Besitz, EB. Konrad I. befestigte den Ort, um 1125. Vit.
Chunr. 20 S. 74.
'* Die Burg Lonesberch mit den umliegenden Wäldern erscheint um
1185 als Salzburgisch, ÜB. v. Steiermark I S. 632 Nr. 652.
12 Trk. M. Heg.B. v. Krain II S. 105 Nr. 138.
— 129 —
daß nicht wenige Bischöfe als Landesherren treffliches leisteten.
Unbestreitbar aber scheint mir. daß die geistliche Herrschaft
f üi' die Lösung der kirchlichen Aufgaben des Episkopats ungünstig
war. Denn indem die Bischöfe zu Landesherren wurden, hörten
sie auf ihren Untertanen als Seelsorger gegenüberzustehen. An die
Stelle eines religiösen Verhältnisses trat ein Rechtsverhältnis. Die
Tendenz des mittelalterlichen Katholizismus, das Eeligiöse über-
haupt unter dem Gesichtspunkt des Rechtes zu betrachten, mußte
dadurch mächtig verstärkt werden.
Nirgends tritt diese Tendenz schärfer an den Tag als in der
Art und Weise, wie die geisthche Leitung der Diözesen durch die
Bischöfe geregelt wurde. Wir wenden uns zur Untersuchung dieser
Verhältnisse.
Uaaek, Kirchen^etcbicbt«. Y.
Drittes Kapitel,
Die bischöfliche Kirchenleitung.
Die Erhebung der Päpste zur unumschränkten Gewalt in der
Kirche erfolgte nicht minder auf Kosten des Ei)iskopats als auf
Kosten der Krone. Aber die Folgen waren nach beiden Seiten
hin nicht gleichartig. Denn während das Königtum eine uner-
setzliche Einbuße an wirklicher Macht erlitt, verlor der Episkopat
zwar seine frühere Selbständigkeit; aber der Kreis seiner Pflichten
und der Bereich seines Einflusses wurde nicht wesentlich verändert.
Gewiß hatten die Prälaten, die stolz darauf waren, sich Bischöfe
von des apostolischen Stuhles Gnaden zu nennen, eine andere
Stellung in der Kirche als die alten Kirchen türsten, die ebensogut
summi pontifices zu sein glaubten wie der Papst. Aber ihre täg-
liche Arbeit war keine andere als die ihrer Vorgänger. Die Be-
deutung, nicht der Beruf des bischöflichen Amtes war durch die
neue Stellung der Päpste verändert.
Der Bischof war nach wie vor der ordentliche Inhaber der
gesamten geistlichen Gewalt in seinem Sprengel ^ Alles kirchliche
Handeln mußte durch ihn autorisiert sein'- und wurde durch ihn
' Adolf V. Lüttich bezeichnet den B. als in sua dioecesi personam
Christi repraesentans, Hartzh. IV S. 277. Dabei war natürlich anerkannt,
daß der priniiiro Inhaber der geistlichen Gewalt der Papst ist, vgl. du»
Würzb. Syn. v. 1298 c. 5 S. 28: Licet sacerdos in sua ordinatione potestateni
ligandi et solvendi recipiat, executioneni t^imen non recipit, nisi sibi a papa
vel suo e]>iscopo conforatur.
- DemgeiuäL» wurde nicht nur der Pfarrer vom Bischof oder seinem
Stellvertreter eingesetzt, sondern selbst der Schloßkaplan konnte nur am-
tieren, wenn er ihm Gehorsam gelobte, Fritzlar P244 (-- 1261 c. 38 S. 605;.
wiederholt Main/. 1310 c. 28 S. 180, Würzburg 1829 S. 254. Darauf bo-
ruhte ferner, daß fremde Priester ohne die si»eziello Erlaubnis des Diözeaan-
— 131 —
beaufsichtigt \ Er hatte ein durch die allgemeine kirchliche Gesetz-
gebung zwar beschränktes, aber immerhin noch sehr ausgedehntes
Verordnungsrecht. Er war der Träger der kirchlichen Straf- und
Disziplinargewalt, und konnte als solcher gewisse Handlungen mit
Strafe bedrohen- und die Strafen bestimmen". Ausgerüstet mit
dieser Fülle von Gewalt hatte er dafür Sorge zu tragen, daß die
Aufgabe der Kirche am christlichen Volke gelöst und dieses da-
durch des ewigen Heils teilhaftig werde. Das Avar sein Beruf.
Mißt man daran die Lage der Dinge in der ersten Hälfte
des dreizehnten Jahrhunderts, so kann man nicht umhin zu urteilen,
daß das Ist und das Soll sich nicht deckten.
Die langen Jahrzehnte des Kampfes zwischen der Krone und
dem Priestertum waren für die kirchliche Tätigkeit wenig förderlich.
Zugleich steckte die Bildung der bischöflichen Territorialgewalt,
die sich nicht ohne Zusammenhang mit diesen Kämpfen vollzog,
den Bischöfen eine Fülle neuer Aufgaben, die sie der Arbeit an
den geistlichen Pflichten ihrer Stellung vollends entfremdete.
Diese aber waren gewachsen. Besonders die Zustände im geist-
lichen Stande waren, zum Teil unter der Einwirkung der kirch-
lichen Kämpfe, zum Teil infolge anderer Verhältnisse: des
Patronatswesens, des Anwachsens der Zahl der geistlichen Stellen,
der Veränderung in dei' Heranbildung der Geistlichen u. dgl. so
wenig befriedigend, daß kirchliche Reformen notwendig waren.
Von wem aber sollten sie ausgehen als vom Episkopate? und war
dieser dazu geeignet?
bischof« keine priesterliche Hundlungen vollziehen durften, Trier 1310 c. Sfi
S. 14Ö. Hier ist in der Begründung hervorgehoben, daß ohne diese Er-
laubnis die von ihnen erteilte Absolution nichtig sei, tamquam a non suo
iudice facta; vgl. c. ö der Würzb. Syn. v. 1298 oben Anm. 1; Würzb. 1329
S. 247. Ebenso schloß die Diözesangewalt die Tätigkeit fremder Bischöfe
aus. Otto V. Paderborn rechnete zu seiner auctoritas ordinaria das Recht
festa transferro, indulgentias ratificare et easdem adunare u. dgl., Wstf. ÜB.
IV S. 1038 Nr. 2289.
* Daß das bisch. Aufsichtsrecht sich in Deutschi, auf die Errichtung
neuer Kirchen, Kapellen und Altäre und auf die Verlegung von Kirchen
erstreckte. Mainz 1283 c. 25 8. 138; 12.39 ( 1261 c. 14f. S. 599); 1261
c. 49 S. 613; 1310 c. 105—107 S. 204: Utrecht 1293 c. 27 S. 18; Trier
1810 c. 62 8. 141 u. i'K, war partikularrechtlich, s. Hinschius V 8. 218.
Mit dem Aufeichtsrecht hängt das Dispensationsrecht zusammen; es war
in dieser Zeit sehr ausgedehnt, vgl. das Verzeichnis der Fälle in den
Würzb. Statuten v. 129^< c 21 S. 35.
■' Das ist der bischfifliche Bann, vgl. Hinschius V 8. 295.
Hinschius S. 296; ein Beispiel bieten dio oft wiederholt«'!! Erlasse
der .Mainzer Erzbischrtfe gegen die Schädiger des Klerus, 1261 c 1 S. 259.
9*
— i:^2 —
Es ist unverkennbar, dal) so gefestigt und unangreifl)ai- äußer-
lich und rechtlich die Stellung der Bischöfe war, für die kirchliche
Bedeutung ihres Amtes im dreizehnten Jahrhundert ein entschei-
dungsvoller Moment eintrat. Denn gelaug es ihnen nicht, ihren
kirchlichen Aufgaben wenigstens einigermaßen gerecht zu werden,
so war unvermeidlich, daß sich das kirchliche Leben ihrer Leitung
entzog. Das ist nicht eingetreten. Der deutsche Episkopat hat
sich bis zum Ausgang des Mittelalters ohne wesentliche Einbuße
in seiner Stellung behauptet. Die Frage ist, woraus es sich
erklärt.
Hier kommen, wie mich dünkt, drei Punktf^ in Betracht: die
Wiederaufnahme der gesetzgeberischen Tätigkeit der Kirche, die
Neuorganisation der bischöfhchea Diözesan Verwaltung und die
Regelung der Amtstätigkeit der Pfarrer.
Li dieser dreifachen Reform liegt die Leistung des Epis-
kopats für die Kirche seit dem Ausgang der kirchlichen Streitig-
keiten. Wir werden den Wert des Geleisteten nicht unterschätzen.
Aber der schwache Punkt liegt doch zu Tage. Auch durch diese
Reform wurde jene Umsetzung des Religiösen ins Rechtliche, an
die ich vorhin erinnerte, gefördert
Es ist eigentümlich, daß sich die Reformen nirgends an die
Tätigkeit großer kirchlicher Persönlichkeiten anknüpften. Der
deutsche Episkoi)at war in der zweiten Hälfte des dreizehnten
Jahrhundei'ts ebenso arm an solchen, wie in der ei*sten. ^lan
kann in dieser Hinsicht Engelbert II. oder Sigfrid von Köln nicht
über Engelbert I. oder Konrad von Hostaden stellen. Auch
Wernher und Gerhard von Mainz unterscheiden sich wenig von
ihren Vorgängern Sigfrid II. und Sigfrid III. Für alle diese
Prälaten standen die politischen Ziele den kirchlichen voran. Und
es war nirgends in Deutschland anders als in den zwei gi'oßen
Erzbistümern. Aber wir täuschen uns, wenn wir glauben, daß
folgenreiche T-mbildungen stets durch das AVirken i)edeutender
Männer bedingt sind. Die Geschichte kennt keine Regel. Nicht
selten vollziehen sie sich so. daß durch eine Summe vereinzelter
kleiner Maßregeln, die da und dort im Gefühl ihrer Notwendigkeit
getroffen werden, eine einheitliche große Wirkung einsetzt wird.
Man spricht dann nicht von Reformatoren und Reformation. Aber
die eintretende Beruhigung der Zustände beweist, daß fruchtbare
Reformen vollzogen sind.
Wenden wir uns zum einzelnen, so hängt die Wiederauf-
nahme der kirchlichen (-Jesetzgebung mit der Neubelebung des
Synodal Wesens zusammen.
AVir haben früher bemerkt. da(» die Biovin/ialsvnodeu mit
— 133 —
dem elften Jahrhundert ihre Bedeutung für das Gesamtleben der
deutschen Kirche einbüßten. Es war eine seltene Ausnahme,
daß der eine oder andere Erzbischof seine Suffragane zu einer
gemeinsamen Beratung berief. Und wenn es geschah, so hatten
diese feierlichen Versammlungen keine große Wichtigkeit. Sie
dienten fast nur der Erledigung einzelner Gerichts- oder Yerwal-
tungssachen. Ihre Tätigkeit für die kirchliche Gesetzgebung hörte
seit der Seligenstadter Synode i. J. 1023 fast völlig auf. Aus
dem zwölften Jahrhundert wissen wir von mehr als zwanzig Pro-
vinzialsynoden der sechs deutschen Erzbistümer. Davon treffen auf
Mainz sechs oder sieben ^. drei auf Köln'-, drei oder vier auf Trier %
^ Ich stelle die Nachrichten kurz zusammen; EB. Rudhard: 1. Dez.
1102 „in Villa nostra% Ep. Mog. 31 S. 376; 1105 oder 1106 Erfurt, Suden-
dorf, Reg. II S. 116 Nr. 40. In beiden Fällen wissen wir nur von der Be-
rufung, aber nichts über den Verlauf. Die Synode zu Nordhausen, Pfingsten
1105, kommt hier nicht in Betracht; sie war eine königliche Synode, s.
Bd. III S. 887 Anm. 1. — EB. Adalbert I.: 25. Sept. 1121 zur Erfurt, Be-
stimmung über die praebenda cotidiana in St. Severus zu Erfurt, Hartz-
heim IV S. 613, schwerlich als Provinzialvsynode zu betrachten; 18. Okt.
1125 zu Mainz, Berufungsschreiben an Otto v. Bamberg, Udalr. cod. 226
S. 398; eine Notiz über die Verhandlungen in einem Briefe Gebhard« v.
Würzburg, das. Nr. 233 S. 408, s. Bd. IV S. 123 Anm. 3, vgl. auch Reg.
Mag. I S. 282 Nr. 168. — EB. Heinrich I.: 20. März 1143 zu Mainz, Kloster-
sachen, Reg. Mag. I S. 320 f. Nr. 6—8; 1148 zu Erfurt, Klostersachen u. dgl.,
B. Wib. ep. 178 S. 299. Die hier als bevorstehend erwähnte Synode zu
Mainz am 16. Mai 1149 war vermutlich eine Diözesansynode. — EB. Arnold:
14. März 1154 zu Mainz, Vit. Arnolds S. 612; über die Beschlüsse, s. S. 134
Anm. 4.
- EB. Arnold I. 1138 zu Köln, Rangstreit der Pröpste von St. Gereon,
Bonn u. Xanten, Hartzh. III S. 338. Man kann bezweifeln, ob die Synode
im strengen Sinn als Provinzialsynode zu l)otrachten ist, da der Legat
Dietwin u, die B. von Würzburg u. Kamerich Anteil nahmen. — EB.
Arnold II. 29. Juni 1152 Köln, Anklage gegen B. Heinrich v. Minden,
H. Wib. ep. Nr. 381 S. 512, 385 S. 517 u. 400 S. 533. — EB. Philipp: März
1187 zu Köln, Klostersachen, Hartzh. Hl S. 438. Die von Hinschius III
S. 487 als Prov.Syn. gezählte Kölner Syn. v. 1182 scheint eine Diözesan-
Mjnode geweHen zu sein: es ist durch nichts angedeutet, daß neben Philipp
noch andere Bischöfe anwesend waren.
•^ EB. Albero: 1135 Metz, h. Hontheim, Hist. Trev. I S. 529 Nr. 354.
Die bei Görz, Keg. I S. .504 Nr. 1852 f. zu 1132 genannte Provinzialsynode
in Diedenhofen war keine Synode, sondern ein Ftirstentag, s. Honthoini I
S. 519f. Nr. 345 f. Auch der Konvent in Retei, Hartzh. III S. 332 kann
nicht aln Synode gölten. EB. Hillin: 1152 zu Trier, Angelegenheiten von
K<»rairemont, Hartzh. IV S. 571; dio Versammlung be/.eichnet sich Hellnt
nicht aU Synode; 1163 zu Trier, Zehntstroit zwischen Stoinfeld und
— 134 —
sieben auf Sal/biiig ^ und t'üut" auf Magdeburg-, wälueud Ham-
burg ganz fehlt''. Ujiter allen diesen Synoden ist eine einzige, von
der berichtet wird, daß sie Maf^regehi traf, um bessernd auf
die herrschenden Zustande einzuwirken: die Synode Arnolds von
Selenhofen v. 1154'. Ihre Heschlüsse haben sich lange in An-
sehen erhalten; noch im dreizehnten Jahrhundert hat man sie als
die alten Statuten der Mainzer Synode zitiert''. Aber Nachfolge
fand Arnold bei keinem seiner Zeitgenossen und bei keinem Erz-
bischof der nächsten Jahrzehnte. In der Wirksamkeit der Sync»-
den trat also gerade die Seite völlig zurück, auf der vordem ihr
dauernder Einfluß beruht hatte.
St. Kastor, Hartzh. 111 S. 393. — EH. Folmar: 15. Febr. 1187 zu Mouzoik
s. Bd. IV S. 309 Anm. 4.
^ EB. Konrad I : 1. Aug. 1129 zu Lautten, Eberhard von Freising
wird als in der Gemeinschaft der Kirche verstorben anerkannt. Hartzh. 111
S. 308; 1145 zu Hall, Streit zwischen Benediktbeuern u. Admont. Dalham
S. 69; 1145 zu Paasau, Streit zw. St. Peter u. Admont, Dalham 8. 70:
27. Sept. 1146 zu Hall, Stiftung der Propstei Seckau u. a., Meiller, Keg.
Salisb. S. 54 Nr. 281 f.; 11. ^Jov. 1146 zu Passau, Klostersachen, das.
Nr. 284 f. — EB. Eberhard: 13. Dez. 1150 zu Salzburg, Klostersachen.
Annal. s. Rudb. S. 775, vgl. Meiller S. 63 Nr. 40. — EB. Konrad 111.:
1. Febr. 1178, Hohenau, Restitution einer Pfarrei an Gar.s. Chr. Magni ]»resb.
S. 506, vgl. Meiller S. 131 Nr. 14.
- EB. Norbert: 1129 wahrscheinlich zu Magdeburg, Gründung von
Ammersleben, s. die Urk. Konrads I. v. 1. Jan. 1140, Hartzh. 111 S. 342. —
EB. Konrad: 4. März 1135 zu Magdeburg, wenn man aus der Zeugenreihe
der Gründungsurk. von (rottesgnaden, Hartzh. 111 S. 328, auf eine Provin-
zialsynode schließen darf; 1. Jan. 1140 zu Magdeburg, bezeugt durch die
in der eben angef. Urk. Konrads 1. erwähnte Anwesenheit Wigger.«; v.
Brandenburg und die Wendung coram omni ecclesia Magdeburgensi. —
EB. Wichmann: 23. Jan. 1157 zu Merseburg, Streit zw. Philipp v. Osna-
brück u. Wibald v. Korvey, s. Wib. ep. 455 S. 586f.; 1175 zu Halle a. S..
Verhandlungsgegenstand unbekannt, Chr. Mont. Scr. S. 155.
^ Doch nimmt das Statut Hartwigs v. 1160 jährliche Provinzialsynoden
an, Hartzh. IV S. 573.
^ Die Beschlüsse sind nicht orhalten. In der Vita .Vrn. S. ()12 ist
über sie bemerkt: Manifesta.m hominum suspectionera Arnoldus »juantum
potuit per se et ven. episcopos, qui präsentes et cooperatores aderant, ca-
nonicis edictis et legibus a cleri oliminavit consortio, aliaque. »jue ad domus
Dei decorem «luecpie ad religionis Studium caritatisque fervorem conduce-
rent modis omnibus conciliabat. Die Beschlüsse dienten also der Reform
des Klerus, der Förderung des (»ottesdienstes u. der Pflege der Frömmig-
keit. Sie liegen wahr.schoinlich den Statuten v. 1233 zugrunde, s. meine
Abhan«llung in der Festschrift für Zahn S. 80 tt".
"' Mainz. Syn.v. 1239 ( 1261c. 11): Antiquumstatutum Moguntini concilii.
— 135 —
Dieser Niedergang wahrte noch in den ersten Jahrzehnten
des dreizehnten Jahrhnnderts fort. Zwar hielt Sigfrid II. von Mainz
in den Jahren 1209, 1221, vielleicht auch 1227 Provinzialsynoden^;
andere fanden 1216 und 1219 in Salzburg-, 1220 in Köln statte
Aber was über die Beschlüsse dieser Versammlungen bekannt ist,
läßt ihre Tätigkeit nicht bedeutender erscheinen als die der Synoden
des zwölften Jahrhunderts: sie erledigten Verwaltungsgeschäfte und
trafen richterHche Entscheidungen. Während das Synodalwesen
in Deutschland in dieser Weise mehr vegetierte als lebte, griff die
päpstliche Gesetzgel)ung die Sache an. Innocenz III. erneuerte
auf der vierten Lateransynode die alte Bestimmung, welche die
jährliche Wiederkehr der Provinzialsynoden forderte, er ging dabei
1 Wir wissen von 4 Synoden unter Sigfrid II. 1209, 1221, 1223, 1227.
Die erste, im Febr. 1209, ist als Provinzialsynode zu betrachten; denn Otto
von Würzburg war Teilnehmer, s. dessen Urkunde in concilio habito apud
Moguntiam, ÜB. d. Abtei Eberbach I S. 128 Nr. 64. Die Syn. vermittelte
einen Vergleich über Zehnten des Kl. Eberbach, a. a, 0. Nr. 65. Die zweite
fand im Sommer 1221 statt, Teilnehmer waren die B. von Worms, Halber-
stadt, Augsb., Chur u. Verden. Wir wissen von ihr aus dem Schreiben der
Bischöfe an den Kaiser bei Grandidier, Oeuvres bist. III S. 304 Nr. 294,
hier unrichtig datiert; die Zeit ergibt sich aus der Urk. Winkelmann, Acta I
S. 483 Nr. 603 vom 25. Aug. 1221. Über die Verhandlungen der Synode
i.st nichts bekannt. Die dritte fand im Okt. 1223 in Erfurt statt, Ann.
Erph. fr. pr. S. 80 u. Cron. s. Petr. Erf. S. 226. Dagegen, daß sie als Provin-
zialsynode zu betrachten ist, spricht der Ort. Sigfrid traf auf ihr die An-
ordnung, daß jedes Fest, das eigene Landes habe, mit 9 Lektionen gefeiert
werde. Von der 4. Synode, 1227 zu Mainz, ist ein Weistum erhalten, daß
Laien Kirchengüter, deren Vogtei sie haben, nicht erblich besitzen können,
Hartzh. IV S. 615. Die Fassung entscheidet nicht, ob es sich um eine
Provinzial- oder Diözesansyn. handelte. Für das erstere kann man auf die
Worte per archiepiscopatum nostrum verweisen. Aber beweisend sind sie nicht.
- Die .Synode v. 1216 ist erwähnt Ann. s. Rudb. S. 780, Chr. Mag.
Iteich, cont. ö. 527 u. Ann. Schir. S. 632. Anwesend waren die BB. v.
Passau, Freising, dxirk, Chiemsee, dagegen hielten die Äbte sich fern. Die
Synode forderte die Präsentation von Priestern auf die Klostorpfarreien,
.Meiller S. 215 Nr. 195; Vermutungen über andere Verhandlungsgogensiände
darf, S. 527. Die Synode v. 1219 ist in den angef. annal. Quellen u. bei
Hermann v, Altaich, Scr. XVII S. 387 genannt. Anwesend waren die HB,
V. Pafwau, Freising, <^7urk, Chiemsee, Seckau.
' Bezeugt durch die Datierung der Lrk., Westf. ÜB. IV S, 60 Nr, 87.
Cäharius v, Heirtterbach erwähnt, Dial. mir. 11,25 S, 96, eine Kölner Synode,
die eine Anklage gegen den B. v, liiittich beschied und deuigemäL^ als
l'rovinzialHynode zu betrachten int. Hofele-Knöptler vorlegon sio ins Jahr
1222, dagegen macht Finke, Konzilionstud. .S, 47 f. wahrKcheinlith, diiL'. -io
1220 stattfand. Dann ist Hie mit der Synode der Urk. identisch.
— 13() —
von dem (ledankcn aus. daß sie die Aufgabe Latten, das kirchliche
Leben und die Beobachtung des kirchHchen Rechts zu kontrolheren^
Aber an Deutschhuid ging, wie das Gesagte zeigt, seine Anordnung
zunächst wirkungsk^s vorüber: sie hat so wenig die Häufigkeit der
Prozinzialsyiioden gesteigert, als den Gehalt ihrer Verhandlungen
vertieft.
Im Gegenteil griff nun ein neues Moment ein, das die Tätig-
keit der Erzbischöfe vollends in den Hintergrund zu drängen
schien. Die von 1224 — 12.')1 schier ununterbrochen in Deutsch-
land weilenden Kardinallegaten" betrachteten es als ihr Recht,
deutsche Synoden abzuhalten. In diesen acht Jahren fanden nicht
weniger als sieben in den verschiedenen Gegenden des Reiches
statt. Besonders der energische und ernstgesinnte Konrad von
Porto nahm immer von neuem Anlaß, die deutschen Bischöfe in
größerer oder kleinerer Zahl um sich zu versammeln. Schon im
Jahr seiner Ankunft in Deutschland hielt er zwei Synoden, die
erste Ende September 1224 gelegenthch eines Hoftags in Barde-
wiek, die zweite einige Wochen später, am 22, Oktober, in Hildes-
heim. Im nächsten Jahre versammelte er am 26. September eine
Synode zu Magdeburg, an der außer Erzbischof Albrecht die
Bischöfe von Merseburg und Hildesheim Anteil nahmen. Auf diese
kleineren \ ersammlungen folgte zu Advent 1225 eine große National-
synode zu Mainz, deren Beratungen über eine Woche lang
dauerten. Seine letzte Synode hielt Konrad am 3. Februar 1226
zu Lüttich in Gegenwart von neun Bischöfen. Im März oder
April 1226 tagte an der äußersten Nordgrenze des Reichs, zu
Riga, eine Synode unter der Leitung Wilhelms von Modena.
Endlich berief Otto von St. Nikolaus nach einer längeren Pause
eine große Legatensynode für den Februar 1231 nach Würzburg.
Doch sah er sich genötigt, sie ohne Ergebnis wieder aufzulösen ■".
Diese von den Stellvertretern des Papstes geleiteten Kon-
zilien hatten im Vergleich zu den Provinzialsynoden übergreifende
Bedeutung. Kein Wunder, daß die letzteren während dieser .Jahre
ganz aufhörten. Von besonderer Wichtigkeit war. daß Konrad
von Porto auf die Gedanken Innocenz' fIT. über die Aufgaben der
^ C. 6 S. 991, in die Dekr. Gregors IX. aufgenommen: V, 1,25.
- Konrad v. Porto, Frühjahr 1224— Mai 1226, Wilhelm v. Modena,
Dez. 1224— Sommer 1226, Otto v. St. Nikol. Febr. 1229— April 1231, s. B. F.
10003 ft.
» Synode zu Bardewiek, Hartzh. III S. 795, vgl. B.F. 3941; Hildesheim,
8. Bd. IV S. 767 Anm. 3 u. S. 871 f.; Magdeburg, Hartzh. III S. 518; Mainz.
s. Bd. IV S. 767 Anm. 3; Lüttich, s. Bd. IV S. 767 Anm. 3: Riga, s. Bd. IV
8. 638; Würzburg, s. Bd. IV S. 767 Anm. 3.
— 137 —
Synoden einging. Die von ihm geleitete Mainzer Xationalsynode
V. 1225 traf eine Anzahl Anordnungen zur Besserung kirchlicher
Mißstände \ Das war in Deutschland seit der Mainzer Synode
V. 1154 nicht mehr geschehen. Aber die Neuerung bedeutete
doch nur die Rückkehr zu der ursprünglichen Aufgabe der
Synoden.
Mit dem Jahr 1231 trat eine Pause in der Tätigkeit der
Kardinallegaten in Deutschland ein. Dadurch erhielten die Erz-
bischöfe freiere Hand. Wenn nun seitdem das Synodalwesen an
Leben und Gehalt offenkundig gewinnt, so wird man kaum irren,
wenn man diesen Fortschritt mit der Wirksamkeit Konrads von
Porto in Zusammenhang bringt. An dem Beispiel, das er gegeben
hatte, lernten die Führer der deutschen Kirche den Wert größerer
Synoden wieder verstehen. Allerdings blieben die Zustände auch
jetzt hinter der kirchhchen Regel weit zurück. In keinem Erz-
bistum wurde die jährliche Abhaltung von Provinzialkonzilien er-
reicht, oder auch nur ernstlich ins Auge gefaßt. Vielmehr lagen
überall Jahre zwischen den einzelnen Tagungen; in den nordöst-
liclien Kirchenprovinzen kam man überhaupt über vereinzelte Ver-
sammlungen nicht hinaus"-. Aber faßt man die Gesamtzahl der
^ Die 14 Kap. der Synode bei Haitzh. III S. 520 betreft'en die Durch-
führung des Zölibats, die Handhabung der Exkomm., die Besetzung der
geistlichen Stellen. Ihre Beschlüsse wurden von späteren Synoden wieder-
holt und gingen so in die Mainzer Statuten v. 1310 über (c. 1 u. 2 = Mainz
1310 c. 49; c. 3 = M. c. 51 : c. 4 -= M. 155; c. 5 -^ M. 76; c. 6 = M. 138;
c. 8 - M. 156; c. 9f. = M. 60; c. 11 = M. 54; c. 12*= M. 18). Sie
wirkten also bis zum Ausgang des MA.
- Ich glaube nicht, daß die Vermutung berechtigt ist, es seien viele
Provinzialsynoden abgehalten worden, von denen keine Spur auf uns ge-
kommen ist. Denn von der Salzburger Keihe wenigstens läßt sich beweisen,
daß sie geschlossen ist. Von der Synode des KL. Guido an, 1267 Wien,
fand bis 1274 keine Synode statt. Das ergibt sich aus der Vorrede der
Syn, V. 1274. Denn sie erwähnt als verpflichtende Statuten nur die der
14. allg. Syn. zu Lyon, die Guidos und die eigenen. Dazwischen sind also
keine erlassen. Nach 1274 folgt die Syn. v. 1281. In der Zwischenzeit
»atzten die Synoden wieder aus; denn die von 1274 ist provinciale conci-
lium proxirae celebratum, s. c. 10 S. 655. Nun wieder eine Pause-, denn
im Berufungsschreiben des KB. Rudolf zur Syn. v. 1288 ist bemerkt, daß
seit 6 Jahren eine Salzb. Syn. nicht stattgelundon hatte, Mansi 24 S. 947.
Ob zwiachen 1288 und 1310 außer den bekannten Synoden v. 1292 u. 1300
noch solche stattfanden, von denen wir nichts wissen, läßt sich nicht fest-
stellen. AVjer wahrscheinlich ist es nicht; denn die Synode von 1310, die
ältere Beschlüsse revidierte, erwähnt nur solche von 1274 u. 1292. Die
Halzburger Reihe ist also v. 1207 — 1288 sicher, und vcn 1288—1310 wahr-
— 138 —
Provinzialsynodeii ins Auge, so erweist sich doch, daß sie weit
größer ist als im zwcillteu Jahrliiiiidert. Dies gilt hesonders vom
Erzbistum Main/. Hier wurden in den achtzig Jahren von 1 230 — 1310
zehn Provinzialsynoden gehalten. Sie lallen in die .fahre 1283.
1289, 1243, 1244, 1247, 1261, 1269, 1282, 1292 und 1310 und
landen mit Ausnahme der Synode von 1244, die in Fi'itzlar tagte,
un<l der von 1282 und 1292, die sich in Aschaffenburg ver-
sammelten, sämtlich in Mainz statt \ Wie man sieht, waren die
scheinlich geschlossen. Man wird demnach gut tun, mit der Annahme un-
bekannter Prov. Synoden vorsichtig zu sein.
' Am 25. Juli 1233 zu Mainz, s. Bd. IV S. 883 Anm. 2 u. über das
Datum die angeführte Abhandlung S. 78 f. Die Statuten ZGORh. 111 1852
S. 185. — 2. Juli 1239 zu Mainz, Ann. Erph. fr. pr. S. 97; den Anlaf?^ crah
wahrscheinlich die am 4. Juli stattfindende Weihe des Doms, Gudonus I
S 527 ; Ann. Mog. Scr. XVII S. 2. Anwesend waren die BB. v. Würzburg,
Straßburg, Eichstätt, Worms, Speier, Paderborn, Verden, Havelberg u. Katze-
burg, s. C. d. Brand. II S. 446 Nr. 12. Daß König Konrad nicht anwesend
war, hat Ficker nachgewiesen, MIüG. III S. 349. Man verhandelte über
Streitigkeiten des B. v. Eichstätt mit den Ministerialen und den Bürgern.
Die von Hefele V S. 1084 zum April 1241 angeführte Provinzialsyn. zu Er-
furt ist zu streichen. Sie ist aus dem Schreiben des B. Heinrich von Kon-
stanz an den Minoritenkustos Anselm entstanden, Huill. Breh. V S. 1209
(über das Datum, s. Ficker MIüG. 111 S. 108 tf.). In demselben teilt der
Bischof dem Kustos die Anordnungen mit, die EB. Sigfrid am 25. Apr. 1241
mit Bezug auf den Tartareneinbruch für das Erzbistum erließ; aber er
sagt nichts davon, daß sie auf einer Provinzialsynode beschlossen wurden;
er läßt sie den EB. vielmehr auf den Rat der Fürsten trett'en. Auch die
Wormser Annalen, die Sigfrids Anordnungen kennen, Scr. XVII S. 47 wissen
nichts von einer Synode, vgl. Finke, Konzilienst. S. 70 ff. — 25. Juni 1243,
Mainz, Hartzheim III S. 569. Anwesend die BB. v. Eichstätt, Hildesheim,
Taderborn, Worms, Würzburj^, Straßburj^. Bamberf]^, Speier, Halberstadt.
Kntscheidung für den ersten Rang Eichstätte unter den Mainzer Sutfraganen.
Vgl. zu dieser Synode Ficker in den MIÖG. III S. 847. — 30. Mai 1244 zu
Fritzlar. Ann. Erph. fr. pr. S. 99, s. Bd. IV S. 832f. Daß sie bei Hefele V
S. 1099 mit Unrecht zu 1248 srozogen ist. hat Finke S. 24 gozei<?t über die
Beschlüsse s. S. 144. — 1247 zu Mainz. Die Synode wird von den annalistischen
«Quellen dos 13. Jahrh.'s nicht erwähnt; ihre Abhaltung ist aber durch das
Schreiben Innocenz' IV. v. 11. Febr. 1248, Bog. d'Inn. 1 S. 545 Nr. 3626
sicher bezeugt, vgl. auch die Confoederatio des Würzburger Klerus v. 9. Jan.
12Ö4, M.B. 87 S. 868 Nr. 823. — 4. Mai 1261 zu Mainz. Von EB. Werner
am 23. Febr. 1261 unter Bezug auf die Bulle .Xlexanders IV., Clamat in
auribus berufen, M.B. 29,2 S. 168 Nr. 170. Gudenus I S. 680 f. Nr. 299;
Cron. s. Ptri. Erf. S. 250: Cron min. S. 666; Ann. Reinh. S. 623. Anwesend
die BB. v. Worms, Speier, Straßburg, Würzburg, Bamberg, s. Hess. ÜB. 11,1
S. 282 Nr. 884, der während der Synode verstorbene Engelhard von Eich-
— 139 —
Synoden in den ersten Jahrzehnten häufiger, während später ein
gewisses Ermatten eintrat. Es hielt bis zum Ausgang des Mittel-
alters an: im ganzen weiteren vierzehnten »lahrhundert seit 1310
ist in Mainz nicht eine Provinzialsvnode mehr gehalten worden.
Das Bild, das Mainz zeigt, wiederholt sich in den übrigen
deutschen Erzbistümern, wenn auch die Zahl der Mainzer Synoden
nirgends erreicht wurde. In der Kölner Erzdiözese sind bis
1310 nur zwei oder drei Provinzialsynoden bekannt: am 12. März
und 13. Mai 1261 und am 9. März 1310 \ im vierzehnten Jahr-
stätt, s. Gundech. Scr. VII S. 251, und wahrscheinlich auch der B. v. Kon-
stanz, s. Tieg. Const. I. Nr. 2038 f. — 8. Mai 1269 zu Mainz. Akten fehlen;
anwesend waren der Bischof von Worms u, Vertreter der übrigen. Von den
Verhandlungen ist nur bekannt, daß die Synode den Herzog Albrecht von
Braunschweig exkommunizierte, Orig. Guelf. IV praef. S. 13ff. ; vgl. v. d.
Kopp, Werner S. 195 Nr. 386. — 9. Sept. 1282 zu Aschatfenburg. Akten
fehlen; möglicherweise gehört zu dieser Synode die Mainz 1310 c. 15 S. 178
erwähnte Verfügung Werners. Etliche Ablaßbriefe ergeben die Anwesen-
heit der BB. von Hildesheim, Eichstätt, Reg. Boic. IV S. 193, Augsburg u.
Speier, flartzh. III S, 672. — 15. Sept. 1292 zu Aschaffenburg, Beschlüsse
Hartzh. IV S. 7. Anwesend die BB. v. Eichstätt, Speier, Augsburg, Würz-
burg, Bamberg, Hildesheim, Ann. brev. Worm. Scr. XVII S. 78, Paderborn,
Reg. S. 50 Nr. 289. Die Synode war veranlaßt durch die Forderung eines
Zehnten, den die Kurie in creatione futuri pape forderte, ÜB. d. H. Halber-
stadt II S. 545 Nr. 1585. — 11.— 13. Mai 1310 Mainz. Die Synode war durch
die Bulle Faciens misericordiam v. 12. Aug. 1808, Manai XXV S. 207, ver-
anlaßt; sie sollte der Durchführung des Prozesses gegen den Templer-
orden dienen. Berufung der Konst. Prälaten 22. Okt. 1309, Reg. Boic. V
S. 164. Die Statuten bei Hartzheim IV S. 175—224, vgl. auch Konst.
Reg. II S. 71 Nr. 3531 f. Fraglich ist die Synode v. 1259, die Hartzheim IV
S. 576 nach Mainz, Binterim V S. 18 u. Hefelo-Knöpfler VI S. 62 nach
Fritzlar verlegen. Die Gründe Finkes gegen diese Synode scheinen mir
zwar nicht alle stichhaltig; gleichwohl glaube ich, daß seine These, die
Mainzer Provinzialsyn. v. 1259 sei überhaupt zu streichen (S. 37ff.), richtig
igt. Entscheidend scheint mir das Verhältnis von c. 8 zu Aschaffenburg
1292 c. 17. Da die Weglassung der Motive verständlicher ist, als die Hin-
zufügung, u. da die 8 Kap. überhaupt kürzend verfahren, so ist anzu-
nehmen, daß »ie jünger sind als die Synode v. 1292.
' 13. Mai 1261 zu Köln, wahrscheinlich aun Anlaß der Vorfügung
.\h'xanderH IV. über die Tartarengofahr, s. Chr. s. Ptri, Er])h. S. 250; vgl.
NHh. Ann. XXXV S. 617 Nr. 521 u. 52:i und Finke, S. 911 Hartzheim 111
8. 588 Hind SUituten Konrads v. Köln gedruckt, pronuntiatum ot datum
Coloniae IV. id. Martii 1260, «1. h. da in Köln das Jahr mit dem Karsamstag
begann, 12. März 1261. Binterim V S. 73 f., Helele VI S. (\:\, Finko S. 9:i
u. CardauQg, Koniad v. H. 8. 128 Anm. sind einig dariji, daß diese Statuten
nicht von einer 8ynode, bezw. Provinzialsynode erlasHon «ein können. In
— 140 _
hundert folgte noch eine am 81. Oktober 1322^ Synodalort war
stets Kohl. Ktwas größer war die Zahl in Trier und Salzburg.
Dort weiß man von sechs Synoden in den Jahren 1238. 1261.
nach 1274. 1289, 1290 und 1310. sämtlich zu Trier'^ hier voi,
der Tat l>ilden die Kap. einen Visit ationsbescheid und beschiänkt sich ihr
Gesichtskreis auf die Kölner Diözese als solche. Aber ebenso einig sind
die alten Zeugen, sie einer Kölner Synode, bezw. Provinzialsynode zuzu-
schreiben: ex concilio b. m. Conradi ae. wiederholt die Synode v. 1281 c. 2
das erste Kapitel Konrads; im nächsten Jahr publiziert der B. v. Münster
que iam dudnm statuta . . fuerant per Conradum f. r. Colon, ae. in pro-
vinciali concilio, Westf. ÜB. III S. 620 Nr. 1182; dann wiederholt die Synode
V. 1307 c. 9 das 7, Kap. Konrads in oius provinciali concilio constitutum,
vgl. c. 18; endlich erneuert die Synode v. 1310 c. 27 das von Konrad er-
lassene Statut für die Mönche als Bestimmung seines Provinciale conciliuni
V. 12. März 1261. Hiernach scheint mir mindestens sicher, daß Konrads
Statuten auf einer Synode publiziert wurden, und daß man seit den acht-
ziger Jahren diese Synode als Provinzialsynode betrachte. Ein Irrtum
hierin ist möglich: aber wie mich dünkt, nicht gerade wahrscheinlich. Da-
gegen erregt Bedenken die rasche Folge zweier Provinzialsynoden am
12. März u. 13. Mai; aber geradezu unmöglich ist auch sie nicht. 9. März
1310, Hartzheim IV S. 117, aus gleichem Anlaß wie die gleichzeitige
Mainzer Synode. Anwesend Utrecht, Osnabrück. Minden und Vertreter
von Lüttich und Münster.
^ Hartzh. IV S. 282, Anwesend die B. von Osnabrück u. Minden, und
Vertreter von Lüttich, Münster und Utrecht,
- Gregor IX, sandte 25. Juni 1231 seine Ketzergesetze an Dietrich
von Trier und seine Suffragane zur Bekanntmachung, Böhmer, Acta im]).
S, 665 Nr. 959. Wir wissen aber nicht, ob sie auf einer Provinzialsynode
publiziert wurden. Die Gesta Trev. cont. IV,4 Ser. XXIV S. 401,30 er-
wähnte Synode zu Trier 1231 oder in den nächsten Jahren, ist wahrschein-
lich eine Diözesansynode gewesen. Denn die vor ihr geführte L^nter-
suchung gegen Häretiker betraf Vorgänge in der Stadt Trier. 21. Sept.
123S Trier, Dietrich und seine 3 Suffragane, Hartzheim III S. 558, 1261
Trier, Die Synode ist erwähnt Gesta Henr. Trev. ne. 4 S. 416,25: Syno-
dum etiam manifestam in raaiori ecclesia celebravit. Da sie genannt wird,
um den Vorwurf zu belegen, Heinrich habe als KB. amtiert, ohne das Pal-
lium zu besitzen, war sie eine Provinzialsynode. Der Anlaß wird die oben
erwähnte Anordnung Alexanders IV. gewesen sein. Nach 1274 Trier: die
Statuten bei Hartzh. III S, 526. Über die Zeit vgL Bd. IV S. 8 Anm. 4.
28. Nov, 1289, s. Görz, Reg. d. P:B. v. Trier S, 57. 6. Juni 1290, s Görz
S. 57, April 1310, Trier. Anlaß wie bei den Synoden von Mainz u. Köln.
Die Beschlüsse in nicht übereinstimmender Fassung bei Hartzh, IV S. 127 ff.
u. Hontheim, Hist. Trev, II S. 42 ff. Doch erweckt es eine falsche Vor-
stellung, wenn Hofelc VI S. 487 sagt, jener habe 156, dieser nur 114 Kap.
Denn bei Hontheim sind vielfach mohroro der Hartzheimischen Kapitel zu
— 141 —
acht in den Jaliren 1249, 1274, 1281, 1288, 1292, 1294, 1300
und 1310. Mit Ausnahme der ersten, die in Mühldorf gehalten
wurde, fanden sie alle in Salzburg sta;tt^. Seit 1310 hörten
in Trier wie in Mainz die Provinzialsynoden auf-; in Salzburg
hört man nur noch von zweien, 1380 und 1386 '^ In Bremen
einem vereinigt. Es fehlen nur c. 8 — 12. 15. 61 u. 63. In der Sammlung
sind die Beschlüsse von 1238 und um 1275 enthalten, c. 1 — 30 u. 32 — 47.
Es entbehrt nicht einer gewissen Wahrscheinlichkeit, daß die Kap. v. 1261
in dem Rest, dessen Ursprung nicht nachweislich ist, mit enthalten sind.
^ Ein Versuch Eberhards IL, im Sept. 1239 eine Provinzialsynode zu-
stande zu bringen, scheiterte, Ann. s. Rudb. S. 787. 1249, Mühldorf, EB.
Philipp. Anwesend die B, v. Freising, Regensburg u. Seckau. Die Ver-
sammlung hatte ausschließlich politische Zwecke, Ann. s, Rudb. S. 790.
31. Okt. 1274, Salzburg, EB. Friedrich. Anwesend die B. v. Regensburg,
Passau, Brixen, Seckau u. Chiemsee, Hartzh. III S. 639, vgl. ÜB. des Landes
0. E. III S. 416 Nr. 456 und die beiden zu dieser Synode gehörigen Briefe,
Mansi XXIV S. 948 f. Okt. oder Nov. 1281, Salzburg, EB. Friedrich,
Hartzh. III S. 653. Nach der Einleitung waren sämtliche Salzb. Suffragane
anwesend; aber die Namen sind mit Ausnahme Bernhards von Seckau u.
Bruns v. Brixen falsch. Die Zeit ergibt sich aus c. 16 „in instanti adventu
domini" (30. Novemb.). Für den 20. Sept. 1286 berief EB. Rudolf eine Pro-
vinzialsynode, s. ÜB. d. L. 0. E. IV S. 46 Nr. 52; sie kam aber nicht zu-
stande. Das ergibt sich aus dem Einladungsschreiben Rudolfs zur Synode
V. 5. Nov. 1288, Mansi XXIV S. 946 f., über diese Cont. Weich. Scr. IX S. 812.
Sie fand anlaßlich der Erhebung der Virgilreliquien statt, u. war als Re-
formsynode berufen; doch sind Beschlüsse nicht erhalten. 16. Apr. 1292
Salzburg. Die Synode ist veranlaßt durch eine Aufforderung Nikol. IV. v.
1. Aug. 1291, P. 23756f. Bei Eberh. Ratisp. ann. Scr. XVII S. 594 u. 600f.
ist sie demgemäß zu 1291 erwähnt. Aber mit Unrecht. Die Münchener
Handschrift 5813 gibt als Tag: Mittwoch nach Quasimodogeniti. Die Synode
hat also 1292 stattgefunden, vgl. Cont. Weich. Scr. IX S. 813; Hartzheim IV
S. 2. 1294 Salzburg. Akten fehlen. Wir wissen von der Synode nur aus
einer Notiz der Ann. Mellic. z. 1292 S. 510: Conc. Salzburgo habetur, ibique
dux Karinthie Mainhardus cum omnibus fautoribus suis . . excommunicatur
pro detentione quorundam episcopatuum, vid. Tridontini ot Brixinensis.
1300 Salzburg. Akten fehlen auch hier; die Synode ist erwähnt von Eberh.
v. Regensb., Scr. XVII S. 598. Sie forderte von der Kurie eine Erläute-
rung der Konstitution, Super cathedram, v, 1^. Febr. 1300. 25. März 1310
Sazburg, Hartzh. IV S. 166; anwesend: Passau, Brixen, f^urk, Chiomsoe,
Seckau, Lavant, Vertreter von Regensburg und Freising.
« Die Synode v. 1337, die bei Hartzh. als PS. bezeichnet ist, IV S. 603,
war eine Diözesansynodc.
' Hartzh. IV S. 524 u. 530; auf der letzteren anwpsend die MiHchAfe
von Cturk, C'}iioiii>-ee \j. Seckau u. Vertreter «1er übrigen.
~ 142 —
sinkt die Zalil der Synoden vor 1310 auf (liei\ in Magdeburg auf
xwei; jene fanden 1277 oder 1278,. 1282 und 1292, diese
12G1 lind um 1275 statt". Das vierzehnte Jahrhundert kennt
zwei Bremer und vier Magdeburger Provinzialsynoden. Die ersteren
fanden in den Jaliren 1828 und 1336 statt'', die letzteren in den
.Jahren 1313. 1322. 1344 und um 1390'. Kechnet man die neun,
seit der Mitte des dreizehnten Jahrlmnderts von Kardinalleijaten
' Tn einem Schreiben des EB. Giselbeit v. Bremen und seiner Siittra-
f^ane v. 28. Jan. 1278, ÜB. des Bist. Lübeck I S. 258, wird ein Vergleich
erwähnt, der zwischen dem Bischof v. Lübeck und den dortigen Bettel-
mönchen coram nobis nuper et coepiscopis proviucie nostre et ceteris pre-
latis nostris abgeschlossen wurde. Binterim spricht V 8. 148 ff. daraufhin
von einer Provinzialsynode zu Bremen 1278. Aber mindestens Ort und
Zeit sind zweifelhaft. 25. Okt. 1282, Stade, s. die Statuten im Bremer ÜB.
f S. 438 Nr. 40G. 17. Mär/ 1292 Bremen ; anwesend waren die Bischr»fp
V. Ratzeburg, Schwerin und Lübeck, s. Bremer ÜB. I. S. 508 Nr. 477 und
Hartzheim IV S. 583. Die Beschlüsse erweitern die von 1282. Die Syno-
den V. 1277, Schi. Holst. Reg. II S. 208 Nr. 520, u. v. 1279, S. 219 Nr. 549.
die V. Schubert, KG. Schi. Holst. 's S. 237 mitzählt, waren vermutlich nur
Diözesansynoden; sicher die v, 1312, der der Domdekan präsidierte, Jensen,
KG. 11 S. 337.
- 15. Mai 1261 Magdeburg, Gesta ae. Magdeb. Scr. XIV S. 422; vgl.
Magd. Reg. II S. 659 Nr. 1496. Zu dieser Synode gehören die 24 Kapitel
Quoniam propheticis bei Hartzheim III S. 805. Der Beweis liegt in der
Bezugnahme der Vorrede auf das päpstliche Schreiben v. 17. Nov. 1260
P. 17 965. 1274 — 1276. Die Synode ist in einem Schreiben Martins IV. v.
12. Mai 1282 bei Posse, Anal. S. 89 Nr. 1078 erwähnt. Da der KB., der
sie hielt, als verstorben bezeichnet wird, so fand sie vor dem 15. Jan. 1277.
dem Todesta«^ des EB. Konrads II. statt. Im J. 1310 ist die angeordnete
Synode in Magdeburg, wie es scheint, unterblieben. Ks erklärt sich wohl
daraus, daß EB. Burchard III. die Templer schon 1308 in Haft genoranien
hatte, Gesta ae. Mgdb. 41 S. 427.
■' Schi. Holst. Lauenb. Reg. III S. 875 Nr. 663; S. 533 Nr. 932. Die
letztere ürk. ist das Abkommen des EB. Burkhard mit den Bischöfen von
Lübeck, Schwerin u Ratzeburg über die Provinzialsynoden. Es ist nicht
direkt gesagt, daß es auf einer Provinzialsynode abgeschlossen wurde, aber
die Wahrscheinlichkeit spricht dafür. Bestimmt wurde: 1. Abhaltung nur
einmal in zwei Jahren, 2. Abhaltungsort Stade, 3. Zeit, Sommer zwischen
1. Mai u. 8. Sept., 4. Persönliches Erscheinen der Suffragane.
* Magdeburg 1313, EB. Burchard, Hartzh. IV S. 244. D. Jahr 1313
ist handschriftlich überliefert, s. S. 143 Anm. 1. Hefele nimmt dagegen an, sie
habe nach 1315 stattgefunden, S. 563. Aber sein Grund besteht eigentlich
nur in der falschen Obersetzung von deinceps. Das Wort heißt nicht
, nochmals" sondern „fernerhin". Man hat also bei 1313 zu bleiben. —
Magdeburg 1322, EB. Burchard, Hartzh. IV S. 280. Das Jahr 1322 scheint
nicht überliefert zu sein. - Kiilbe. 26. April 1844. KB. Otto, Hartzh. IV
— 143 —
geleiteten Synoden^ lünzu^ so ist der Aufschwung des Synodal-
wesens seit 1230 und sein Niedergang im vierzehnten .Jahrhundert
vollends unverkennbar. Denn in den Jahren von 1230 bis 1310
trifft im Durchschnitt auf jedes zweite Jahr eine größere Ver-
sammlung des deutschen Episkopats, während in den neunzig Jahren
bis 1400 nur noch acht oder neun Provinzialsynoden in Deutsch-
land nachzuweisen sind, davon vier in der Erzdiözese Magdeburg-.
Doch war die Vermehrung der Zahl der Provinzialsynoden
nicht die Hauptsache, wichtiger war. daß der Gehalt der syno-
S. 345. — Magdeburg 1389—1403. EB. Albert IV., Hartzh. Y S. 676; vgl.
Hefele VI S. 726.
1 29. Sept. 1247 bei Köln, KL. Peter Capucius, Ann. Stacl. S. 371,
Menco Scr. XXIII S. 541. Anwesend waren Sigfrid III. v. Mainz, Konrad
V. Köln, Arnold v. Trier, Gerhard v. Bremen u. die BB. von Osnabrück,
Toul, Hildeslieim, Lüttich, Münster, Paderborn, Verdun, B. F. 4888.
10. Okt. 1248 Breslau, Nuntius Jakob v. Troyes, s. Pomerell. ÜB. S. 92
Nr. 109, S. 164 ff. Nr. 194 u. 201, doch ist diese Synode genau genommen
keine deutsche. Sie ist interessant, da sie manche aus der deutschen Ein-
wanderung sich ergebende Schwierigkeit kennen lehrt. 24. Apr. 1250 Lüttich,
KL. Peter v. Albano. Ausschreiben Innocenz' lY. Hartzheim III S. 435 und 440;
hier fälschlich ürban III. zugeschrieben, s. B. F. 8209; Forsch. XY S. 381.
Über die Synode selbst ist keine Nachricht erhalten; doch vgl. B. F. 4996a.
Mai 1250, Utrecht, KL. Peter v. Albano, s. B.F. 5014a. 28. Nov. 1266,
Bremen, KL. Guido von S. Lor. i. L. Synodalschreiben GuidotJ, Hartzheim
lY S. 579, Brem. ÜB. I S. 360 Nr. 323. Anfang Dez. 1266, Magdeburg,
KL. Guido. Sein Synodalschreiben, Hartzheim III S. 802; es» deckt sich fast
völlig mit dem Bremer. Das Datum ergibt sich aus Pomm. ÜB. 11 S. 159
Nr. 816 f. Die 23 Kapitel, S. 798 — 802, Scriptum in canone, haben Binterim
und Hefole mit Rocht dieser Synode abgesprochen. Die Münchener Hand-
schrift 8103 hat sie Bl. 388 ft'. als Statuten der Magdeburger Synode v.
1313 (Unterschrift: Celebratum est hoc concilium provinciale Magdeburg
anno dom. MCCCXIII non. Maij). 9. Febr. 1267, Breslau, KL. Guido, Hartz-
heim III S. 631, B.F. 10579. 10. Mai 1267, Wien, KT.. Guido. Sein Synodal-
scbreiben, Hartzheim III S. 632, deckt sich in der ersten Hälfte fast völlig
mit denen von Bremen und Magdeburg; dagegen ist c. 7 — 19 neu. Die
Synode ist in vielen öHten-eichischen Quellen erwähnt, Ann. Mellic. cont.
Scr. IX S. ßüOf; Herrn. Altah. Scr. XYII S. 405; Hist. Cromif. Scr. XXV
8. 673; Cont. Vindob. Scr. IX S. 699; hier der Wortlaut der Beschlüsse;
vgl. auch die Urk. der Bischöfe Konrad v. FroiHing u. Brun v. Brixen v.
11. Mai 1267, Font. rer. Auhtr. XXXI S. 291 Nr. 268. — 16.— 18 März
1287, Würzburg, KL. .lohann v. Tiisculiun. II:iit/li. III S. 724; über dieno
8ynode unten im 7. Kapitel.
Der EB. ErDsi v. Frag behauptete 1353, daß die PS. annis .singulis
dclicL ot coDHuevit celebrari, Statut, bei Höflor, C'onc. Prag, S. 2. Man
braucht nicht /u beweinen, dai' ov flunkert o.
— 144 —
dalen Tcätigkeit uiigeniiMii an Bedeutung gewann. Seit der Mainzer
Synode von 1283 begnügten sich die Synoden nicht mehr mit der
Erlerhgung von Einzellallen, sondern nach dem Vorbild Aiiiolds
von Selenhoton und Konrads von Porto erließen sie Vorschriften,
die allgemeine und bleibende Geltung hatten. Für die deutsche
Kirche beginnt mit dem Jahre 1233 eine sehr fruchtbare Zeit
provinzialer Gesetzgebung: nach den verschiedensten Seiten hin
nahmen die Synoden die I^eitung und Kegelung des kirchlichen
Lebens in die Hand.
Das geschah in engem Anschluß an die geltenden Ordnungen.
Die Mainzer Synode von 1233 legte ihren Beschlüssen zum großen
Teil die alten Bestimmungen von 1154 zugrunde, ergänzte und
erweiterte sie durch Einschaltuiig neuer Vorschiiften ^ Neu tor-
muliert und weiter ergänzt wurden sie wahrscheinhch auf der
Synode von 1239". Die Synoden zu Fritzlar 1244^, zu Mainz
1247* und 1261'^ arbeiteten auf dieser Grundlage fort. Jn Trier
begann die gesetzgeberische Tätigkeit 1238 mit Synodalstatuten,
die sich im Inhalt mit den Mainzer Anordnungen mannigfach be-
rühren, in Köln und Magdeburg setzte sie 1261 ein, dort mit
einem Doppelstatut lür Kleriker und Mönche, hier mit Verfügungen,
die in erster Linie dem Schutze des Klerus dienen sollten**. Die
im Westen begonnene Bewegung wurde durch den Kardinallegaten
Guido, der von 1265 — 1267 in Deutschland tätig war", in die
' Über das Verhältnis der Statuten v. 1233 zu den v. Ilö4, s. d. an-
geführte Abhandlung S. 80 if.
- Zu 1239 gehören c. 1—25 der s. g. Statuten v. 1261, a. a. 0. S. 84 tf.
^ Statuten v. 1244 sind erhalten in dem Bruchstück Hartzh, HI
S. 672 u. in c, 26 — 39 der s. g. Statuten v. 1261, a. a. 0. S. 87.
* Ein Beschluß erhalten in dem Schreiben Innocenz' IV. v. 11. Febr.
1248, Berger, Reg. d'Innoc. I. S. 545 Nr. 3626.
•' Die Statuten in der Zeitschr. f. Gesch. d. ORh. IV 8.250-- Hartzh.
1261 c. 43—54 S. eOSfi", s. Finke, Konzilienstudien S. 18ff. u d. ans^ef. Ab-
handlung S. 71 f. C. 47 wurde von Urban IV. am 9. Nov. 1269 aufgehoben.
Reg. d'Urb. II S. 9 Nr. 20.
" Auf die Magdeb. Statuten haben die v. Mainz eingewirkt, vgl.
Magd. c. 20 S. 807 u. Mainz 1233 c. 46, Magd. c. 24 u. Mainz 1233 c. 17
In Köln gingen den Statuten v. 1261 solche des Kf.. Hugo voraus, 19. Dez.
1252, Gesch. Quell, d. St. Köln II S. 330 Nr. 316. Zu den Synoden von
1261 vgl. auch die Notiz in der Cron. Min. Krf. S. 666.
' Kr wurde am 8. Juni 1265 von Clemens IV. zum Legaten in den
Krzbist. Bremen, Magdeburg, Salzburg u. Gnesen ernannt, Ep. pont. III
S. 631 Nr. 641; im nächsten Jahr wurde seine Legation auch auf Prag
ausgedehnt. Uo^. Nr. 24^, am >^. Mni r2>)7 wurde er wieder abberufen,
V. 20001.
— 145 —
östlichen Erzbistümer übergeleitet. Seine Synoden zu Bremen,
Magdebm-g und Wien, 1266 und 1267, mit ihren im wesentlichen
identischen Beschlüssen eröffneten die synodale Gesetzgebung in
den Erzdiözesen Hamburg und Salzburg und setzten sie in Magde-
burg kräftig fort. Zwanzig Jahre später hat zum letztenmal ein
päpstlicher Legat. Johann von Tusculum, auf einer großen gemein-
deutschen Synode kirchliches Eecht gesetzt. Es war zu Würzburg
im März 1287. Die Giltigkeit der auf ihr bekannt gegebenen
Kapitel wmxle durch das stürmische Ende, das sie nahm, nicht
erschüttert. Durch das neue Eingreifen der Legaten wurde die
eigene Tätigkeit der deutschen Bischöfe nicht unterbrochen. Schon
1274 stellten die Salzburger den Statuten Guidos neue Provinzial-
statuten an die Seite. Die Synoden von 1281 und 1292 setzten
die Arbeit fort. In Trier erheßen die Synoden von 1275, 1289
und 1290 neue Statuten, in Mainz die von Aschaffenburg 1292.
Jetzt folgte auch Hamburg-Bremen auf den Synoden in Stade
1282 und Bremen 1292 dem Vorgang der übrigen Erzbistümer.
Durch die großen zusammenfassenden Sammlungen des Jahres
1310 in Mainz, Köln und Trier und die Magdeburger Statuten
Albrechts IV. kam diese Tätigkeit zu einem gewissen Abschluß.
Besonders die Mainzer Statuten haben auf das ganze spätere
Mittelalter gewirkt. Ihr Einfluß beschränkte sich nicht auf die
Bistümer der Mainzer Erzdiözese i; ungefähr die Hälfte ihrer
Kapitel ist später in Magdeburg, ein nicht unbedeutender Teil in
Salzburg rezipiert worden-. Als Prag nebst Olmütz vom Mainzer
Erzbistum abgelöst wui*den, ließ der erste Prager Erzbischof,
Ernst von Pardubitz, eine Sammlung von Provinzialstatuten her-
stellen. Auch sie beruht zum großen Teil auf der Mainzer
Sammlung"'.
Die Wiederaufnahme der Provinzialgesetzgebung wirkte alsbald
weiter. Nicht wenige Bischöfe erließen, sei es mit, sei es ohne
Zustimmung ihrer Synoden, für ihre Diözesen eigene Statuten.
' Die Wfirzb. Sttituten v. 1329 (SchneicU S. 109 ff.) /.. B. bestehen un-
gefähr zum 4. Teil aus Kapiteln der Sammlung v. 1310. Über die Er-
wähnung der Mainzer Stat. in Hildesheim, s. Maring, Diözes. Synoden S. 8f.
- Statuten Albert« IV. nach 1389, Hartzh. V S. 676 ff., vgl. Hofele VI
S. 968 ff. Von den 125 Kapiteln stammen, wenn mir nichts entgangen ist,
73 aus der Mainzer Sammlung; zum Teil «ind sie allerdings stark umge-
arbeitet. Salzb. Statuten v. 1418, Hartzh. V S. 171 ff. Von den 34 Kap.
«tammen 16 aue der Mainzer Sammlung.
^ Hartzh. IV S. 381 : Summam alicpiorum canonum et constitutionum
provincialium ecclesiae .Mognntinae, quiir; olim in noHtni ])rovincia tonoban-
tur . . duximuH redigendum.
Haack, KircbeDRoncbicbte. V. 10
— 146 —
Dieselben sind ihrem Inhalte nach genaue Parallelen der Provinzial-
statuten. Besonders die zweite Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts
Mju' reich an derartigen, bald mehr bald weniger umtanglichen
und systematisch angelegten Sammlungen. Aber noch im vier-
zehnten und fünfzehnten Jahrhundert wurden neue hergestellt^.
' Die Diözeöiinstatuten sind zumeist j^edruckt bei Hartzheira im 4. u.
4. Bd. Die nicht bei ihm zu findenden v, 1250 — 1400 stelle ich, soweit sie
mir bekannt sind, im folgenden zusammen, wobei ich aber von Einzel-
verfügungen der Diözeeansynoden absehe: 1251 Straßburg, ZGORh. III S. 142
u. Straßb., ÜB. I S. 258—263. 1252 Straßburg, ÜB. I S. 278 Nr. 366.
1260—1264 Passau. Arch. 1. kath. KK. 84 S. 449 ö".; 1275—80, vielleicht
Brixen, Mansi XXIV^ S. 145. Hier sind die Statuten bezeichnet als ex con-
cilio d. Friderici Saltzb. ae. et suorum sutfraganeorum. Allein c. 11 be-
weist, daß diese Angabe unrichtig ist. Heißt es hier: Alias nos auctoritate
Salzb. concilii exequemur etc., so ist klar, daß hier ein Bischof spricht, der
sich auf die ihm im 10. Kap. v. 1274 erteilte Vollmacht beruft. Der angef.
Salzb. Synode sind außerdem entnommen c. 1 - 1274 c. 12; c. 2 ^ 1274
c. 13; c. 5 -- 1274 c. 16 zweite Hälfte; c. 6 berührt sich mit St. Polten 1284
c. 8 u. c. 16 mit Eichstätt um 1295 c. 24. Daraus läßt sich nicht folgern,
daß das fragliche Stück jünger ist als diese beiden. Vielmehr macht das
Verhältnis von c. 11 desselben einerseits zu Salzb. 1274 c. 10 und anderer-
seits zu Salzburg 1281 c. 10 wahrscheinlich, daß es älter ist als 1281, Die
Statuten enthalten keinen Anhaltspunkt für die Bestimmung des Bistums,
dem sie angehören. Wenn ich Brixen als die Heimat vermute, so ist die
einzige, wenig sichere Stütze die Tatsache, daß Mansis Abschrift von Resch
stammte. 1279—97 Eichstätt, Chmel, Handschr. der Hofbibl. in Wien 11
5. 349. 1280—82 Passau, Arch. f. kath. KK. 84 S. 463 tf. 1282 Münster,
Wstf. ÜB. 111 S. 620 Nr. 1182. um 1295 Eichstätt, Pastoralbl. 1885 S. 62tf..
deutsch bei Hefelc-Knöpfler. Diese setzen die Statuten um 1282 an, da sich
in ihnen keine Spur der Würzb. Nationalsynode v. 1287 entdecken lasse.
Der Grund ist nicht gerade gewichtig; denn Eichst. 4 u. Würzb. 17,
Eichst. 11 u, Würzb. 2 berühren sich. Dagegen kommt in Betracht, daß
Eichst. 20 das 9. Kap. der Aschatfenb. PSyn. v. 1292 wiederholt. Deshalb
der Ansatz um 1295. 1297 Basel, Trouill. il S. 655tf. Nr, 506. 1299 Min-
den, Wstf. ÜB. VI S, 524f. Nr. 1637. 1309— 31 Augsburg, Steiner I S. 72tl.
hier zu 1355; aber das ist sicher unrichtig. B. Friedrich 1., der die Sta-
tuten auf einer Synode erließ, war 1309 — 31 im Amte. 1310, 17. März,
Straßburg, Sdralek, Die Strßb. Diözes.Syn, S. 94; 1315 Statuten des Salzb.
Erzdiakon Heinrich, zu Friesach erlassen, Dalham S, 152, 1330 Lübeck,
ÜB. d. Bist. L. S. 699 Nr. 556. 1327 Konstanz, ThQS. 1822 S. 260. 1329
Würzburg, auf einer Syn. 15. — 17. Mai erlassen, Würdtwein, Nova Subs. II.
241, Schneidt, Thes. iur. Franc. II S. 109. 1341, 1345, 1354 Straßburg.
Sdralek S. 123 tf., 138 rt". u. 162 ff. 1355 Mainz, Beiträge z. hess. KG, II
S. 306. 1356 Mainz, el)enda S. 328. 1367—90 Halberstadt, ÜB. IV S. 323
Nr. 3038a; um 138U Hildesheim, Zeitschr. des Hist. Voreins f. Niedersachs.
1899 S. 120 ff.; zur Datierung, Maring, Diözesansyn. S, 42 tf. 1380 Branden-
— 147 —
Diese Tätigkeit reicht also bis an die Grenze des Zeitalters der
Reformation.
Überblickt man die Fülle von Anordnungen, die in allen
diesen Synodalbeschlüssen. Statuten und einzelnen Erlassen ent-
halten sind^. so wird man in mancher Hinsicht an die Kapitularien-
gesetzgebung Karls d. Gr. erinnert. Wie im beginnenden Mittel-
alter, so sollten auch jetzt die verschiedensten kirchlichen Verhält-
nisse einheithch geregelt werden. Doch ist der unterschied recht
gi'oß. Die Hauptsache ist. daß die kirchliche Gesetzgebung in
der fränkischen Zeit vom König ausging; an seine Stelle ist jetzt
der Episkopat getreten. Die kirchhchen Erlasse sind, ohne daß sie
es wollen, Zeugen des großen Umschwungs der kirchlichen Verfassung.
Damit hängt zusammen, daß die Gesetzgebung Karls, obgleich sie
sich überall an das kanonische Recht anlehnte, neue Ordnungen
schuf, und daß sie dabei von keiner höheren kirchlichen Gewalt
beschränkt wurde. Dagegen war der Episkopat des dreizehnten
Jahrhunderts durch das zum Teil schon vorhandene, zum Teil sich
gleichzeitig bildende päpstliche Recht gebunden-: neue Ordnungen
zu begründen war er nicht berufen 'l Er mußte sich auf die
bürg. C. d. 1,8 S. 324, Verbesserungen bei Heydler S. 19 Anra. 27. 1387—98
Konstanz, Diözes.Arch. v. Schwaben XXII, 1904 S. 21: 1397 ft". Speier, s.
Collectio processuum syn. et constit. eccl. dioec. Spirensis, 1786 S. Itt".
1398 — 1406 Konstanz. Stat. Markwards v. Rande^g, Diöz.Arch. v. Schwaben
XXII S. 44, 93, 141, XXIII S. 30, 44. Dieses Verzeichnis ist schwerlieh
vollständig; es wird abor beweisen, wie dringend notwendig eine neue
.Sammlung dieser Denkmäler ist. Potthasts Biblioth. läßt hier wie so oft
den Benutzer im Stich.
' Nicht weniges ist verloren gegangen, z. B. die Statuten Irings v.
Würzb. V. 1261 oder 62, s. Wirt. ÜB. VI S. 73 Nr. 1671, Regensb. Statuten
V. 1301, 8. Ried II S. 733 Nr. 754, Mainzer Statuten der EB. Peter, s. d. Bl.
«^erlachs v. 9. Sept. 1354, Hartzh. IV S. 368a. u. Matthias, s. Stat. v. 1355
♦S. 307,15, eine große Eichst. Sammlung v. 51 Kapiteln, deren Überschriften
erhalten sind, Hartzh. IV S. 409 u. a.
- Da« war nicht nur von Rechts wegen der Fall, sondern demgemäß
handelte man auch. ¥jH werden die Beschlüsse der päpstlichen Synoden
angezogen, /.. B. Lateransynode v. 1179 c. 25 durch Mainz 1233 c. 47 S. 141,
u. Köln um 1280 c. 14 S. 668. Die Statuten v. 1233 wurden von der
Synode v. 1239 an einzelnen Stollen nach den Kanones der 4. Lateran-
«ynode umgestaltet (h. meine Abhandlung S. 85). Die Salzb. Syn. v. 1274
verpflichtete die Prälaten zur Publikation der Beschlnsso der Lyoner Synode
vom gleichen Jahr, s. Uartzheim III S. 639. Die Utrochter Synode v. 1318
publiziert die Decretales libri septimi novitor emanatae, c. 8 S. 268.
' In einzelnen Fällen ist das, waH zuerst partikularrechtlich war,
«pftter gemeinrechtlich geworden. Das bemerkt die 4. Lateransynode c. 51
10'
— 148 —
Durchruhruiig und weitere Ausgestaltung des gemeinen Reclits mit
Rücksicht auf die deutschen Verhältnisse beschränken. Dabei verfuhr
man nicht in methodischer Weise. AVie die kirchliche Rechts-
bildujiij; des Mittelalters überhaupt vom Einzelfall ausging und die
Regel durch seine Erledigung gewann, so vollzog sich auch die
Bildung der kirchlichen Provinzialstatuten. Die Unebenniäßigkeit
dieser Gesetzgebung, die selbst in den großen Sammlungen des
vierzehnten Jahrhunderts nicht überwunden ist, war die Folge
dieser Art ihrer Entstehung. Audi daß sich vereinzelte Be-
stimnnmgen einschlichen, die dem gemeinen Recht widersprachen,
findet darin seine Erklärung: die Absicht zu widersprechen lag
niemals vor.
Die unbedingte Anerkennung des bestehenden Rechts charak-
terisiert besonders die Haltung der deutschen Synoden der Kurie
gegenüber. Nichts lag ihnen ferner als grundsätzlicher Wider-
spruch gegen die Regierungsgewalt der Päpste. Selbst Einwendungen
gegen einzelne päpstliche Maßregeln sind außerordentlich selten.
Daß die Magdeburger Synode Konrads II. 1274 — 76 beschloß, die
Zahlung des Kreuzzugszehnten abzulehnen^ und daß die Würzburger
Nationalsynode von 1287 sich einmütig gegen die päpstlichen An-
forderungen erhob, sind Vorgänge, die vereinzelt dastehen. So
groß die Bedenken waren, welche die in x\schafl'enburg 1292 ver-
sammelten Bischöfe der Mainzer Erzdiözese gegen die von der
Kurie geforderten Leistungen hegten", so ging die Synode doch
nicht weiter, als daß sie Vorstellungen dagegen erhob. Das
Recht des Papstes, jeden Synodalbeschluß aufzuheben, war unbe-
stritten. Ein so bedeutender Prälat wie Wernher von Mainz ließ
sich widerspruchslos gefallen, daß Urbau IV. einen Beschluß seiner
Synode v. 1261, der nicht ohne gute Gründe gefaßt war. umstieß
und daß er es in ausgesucht verletzender Form tat"\
bezüglich der Proklamation der Verlobten: Specialem quorundam locorum
consuetudinem ad alia generaliter prorogando statuimus. Ist meine Ver-
mutung über die ältesten Mainzer Statuten richtig, so war die Proklama-
tion in Deutschland vor 12ir> üblich, s. d. Stat. v. 1283 c. 17 S. 187.
' Posse, Anal. Vat. S. 89 Nr. 1078.
- Uß. d. H. Halberstadt II S. 544 Nr. 1585 v. 1292. In den MaÜ-
regeln dagegen, daß päpstliche Delegaten ihre Befugnisse überschritt-en,
Aschatl. 1292 c. 11 S. 11, wiederholt Mainz 1310 c. 19 S. 179. vgl. auch
c. 5 8. 176, lag kein Widerspruch gegen die Kurie, nicht einmal eine Miß-
billigung der iurisdictio delegata.
• Es handelte sich um die Verfügung gegen weitere Inkorporationen,
c. 47 S. 611. Urban IV. hob sie als willkürlich auf, Posse S. 128^ Nr. »
V. 9. Okt. 1261.
— 149 —
Der Ertrag dieser neuen kirchlichen Gesetzgebung war nicht
unbedeutend. Denn durch sie erhielten die Einrichtungen und
Ordnungen der Kirche diejenige Gestalt, die sie im wesentlichen
unverändert bis zur Reformation bewahrten, und die zum Teil
auch gegenwärtig noch erkennbar ist. Aus der Abhängigkeit vom
gemeinen kirclüichen Recht erklärt es sich, daß dabei kaum ein
unterschied zwischen den einzelnen Teilen des deutschen Kirchen-
gebiets Avahrzunehmen ist, obgleich es, wenn man von den Mainzer
Statuten von 1310 absieht, nicht häufig vorkam, daß Bestimmungen
der einen Kirchenprovinz in der gleichen Form von einer zweiten
aufgenommen wurden. Die halbfranzösische Erzdiözese Trier hebt
sich von den übrigen so wenig ab wie die halbwendische Magde-
burg: was in der deutschen Kirche seit dem dreizehnten Jahr-
hundert lebendiges Recht und anerkannte Gewohnheit war, ist im
wesentlichen überall gleich.
Da der Anstoß zu der neuen provinzialen Gesetzgebung von
den Erzbischöfen ausging, und da sie es waren, die die Provinzial-
synoden beriefen und leiteten, so möchte man vermuten, daß das
Erzbistum am Ende des Mittelalters mehr Bedeutung gewann, als
es am Anfang hatte ^ Doch war das nicht der Fall. Auf den
Provinzialsynoden handelte der Episkopat und die Prälatur
der Kirchenprovinzen als geschlossene Korporation -. Zwar liebten
es die Erzbischöfe bei der Verkündigung der Synodalbeschlüsse
und Provinzialstatuten Formeln zu gebrauchen, die ihnen eine
ähnliche Stellung beilegten, wie sie der Papst zum Episkopat und
der Bischof zum Diözesanklerus hatte. Sie geboten *mit dem Rat
oder der Zustimmung ihrer Prälaten '^ Allein, das waren nur
' Vgl. Bd. [I S. 209 u. IV S. 16 ff.
- Zur Teilnahme an den Provinzialsynoden waren die Prälaten über-
haupt verpflichtet, s. Magdeb. 1261 S. 805: Episcopi, abbates, praepositi,
archidiaconi et alii ecclesiarum praelati. Stade 1282 f. 1 S. 438; Bremen
1292 Vorrede S. 509; Aschaff. 1292 Vorr. S. 7 u. ö. Aus der Urkunde ÜB.
d. H. Halberst. II S. 545 Nr. 1585 v. 1292 ergibt sich, daß die Halberst.
.Stifter in Aschaffenburg durch Bevollmächtigte vertreten waren, die vice
ac nomine omnium handelten. Es wird auch anderwärts so gewesen sein,
^ Vgl. z. ß. Mainz 1233 S. 135: S. approbatione concilii staduendo
precipimuB. Stade 1282 c. 1: Noh de consilio coopi8Coi)orura suffr. nostro-
rum et noatrae provinciae praelatorum. Aschaffenb. 1292 S. 7: De tratruni
noütrorum, h. Mog. ecclesia«? suffraganeoruni nee nun de praelatorum nos-
trorum consilio et aasensu . . declarauiu«. Brnnien 1292 Vorr. S. 50!>.
Köln 1310 S. 118. Trier 1310 S. 165. Mainz 1310 S. 175. Nur in der
KD. Salzburg verkündigten der KB. und die Suffragano gonioinsain die
KonzilienbcHchlÜB.HC, h. 1274 S. 639; 1281 S. 653: VAU) S. 1«;7: IMKO S. 53U;
— 150 —
Formeln. Denn die Krzbischöfci luitten keine unniittell)are Gewalt
über die Diözesen ihrer Sutl'ragane '. Sie konnten in ihnen nicht
i^ebieten. Selbst das Bestreben, auf der Grundlage der Provinzial-
synoden die erzbischöfliche Stellung zu he])en, ist nicht wahrzu-
nehmen. Obgleich das kanonische und das pästliche Recht die Hand-
habe dazu geboten hätte, versuchte es kein Erzbischof, die Pro-
vinzialsynode wieder zu einer ordentlichen Institution in der Kirche
zu machen. Bei den Bischöfen- und den anderen Prälaten ' aber
begegnet man eher dem Wunsch von dem Besucli der Provinzial-
synoden entbunden zu werden, als der Neigung, weitergehenden
Plänen entgegenzukommen.
Mit den übrigen Rechten der Erzbischöfe stand es nicht
anders. Daß sie berechtigt waren, die Kirchen ihrer Suffragane
zu visitieren oder visitieren zu lassen, blieb anerkannt ^ Aber
wirklich vorgenommen wurden solche Visitationen nicht eben
häufig". Und wenn es geschah, so verliefen sie nicht immer glatt:
1490 IS. 572. Kigentümlich ist, daß die Mainzer Syn. zu AschaÖenburg 14ö5
als solche dekretierte, S. 438.
^ Gotfrid v. Würzb.: Licet archiepiscopus in subditos .suttragancoruiu
suorum, exceptis quibusdam casibus in iure expresais, null am prorsus
babeat potestatem, etc., wiederholt von der Würzb. Syn. v. 1329, Würdt-
wein, Nova Subsid. 11 S. 250.
- Otto V. Würzb. ließ sich 1218 vom Besucli der nächsten Mainzer
P.S. aus einem persönlichen Grund dispensieren, Ep. pont. l S. 54 Nr. 76.
Sein Nachfolger Hermann erlangte 1225 allgemeinen Dispens, S. 206
Nr. 285. Dagegen erhob KB. Sigfrid 11. lebhafte Einsprache: durch einen
solchen Dispens werde die Mainzer Kircho verstümmelt. Honorius III. gab
daraufhin wenigstens halbwegs nach, S. 227 Nr. 300. Später ließ sich Heinrich
von Basel vom Besuch einer Synode dispensieren, Bodmann, Cod. ep. Kud. 1.
8. 59 Nr. 56. Das Schreiben ist schwerlich an Wornher von Mainz si^erichtet.
Denn Heinrich hatte nicht die Ptiicht, zu dessen Synoden zu kommen.
•'' In Salzburg verweigerten 1216 die sämtlichen Äbte ihr Erscheinen;
sie wurden daraufhin exkommuniziert, Ann. s. Rudb. Scr. IX S. 780 ; Chr.
Reich, cont. Scr. XVII S. 527; Ann. Schir. S. 632.
* Friedrich v. Speier z. B. erkannte das Recht des EB. ausdrücklich
an, Gudenus, C. d. 1 S. 91.^ Nr. 437 v. 1299.
■■' Wir wissen z. B. von Mainzer Visitationen 1271 in Paderborn,
Wötf. ÜB. IV, 3 S. 604 tt". Nr. 1239, 1241, 1244; 1274 u. 1286 in Konstanz,
Reg. Mo^T. 11 S. 389 Nr. 323 u. S. 425 Nr. 14; 1300 in Worms. Hartzh. IV
S. 662, vgl. Mainz. Reg. 1 S. 113 Nr. 645; 1293 u. 1300 in Speier, Remling.
ÜB. 1 S. 424 Nr. 454 f. u. Mainz. Reg. I S. 104 Nr. 596; nach d. angef.
Urk. 455 war die Visitation v. 1300 die zweite, die EB. Gerhard vornehmen
ließ. Die Zeit der ersten eriribt sich aus S. 412 Nr. 445; denn nach dieser
I
— 151 —
bald machten die Bischöfe, bald die Kleriker Schwierigkeiten'.
Auch das Bestätigungsrecht der Bischofs wählen blieb unangefochten.
Es wurde in aller Form gehandhabt: die Wähler berichteten über
die Wahl und baten um Bestätigung; darauf erließ der Erzbischof
ein Ausschreiben, in dem er alle diejenigen, die gegen die Wahl
etwas einzuwenden hatten, aufforderte, ihre Einreden innerhalb
einer bestimmten Frist vorzubringen. Wurde kein Einwand
erhoben, so erfolgte die Prüfung der Person des Gewählten und
des Wahlverfahrens und daraufhin die Bestätigung-. Formell
war hier alles in Ordnung: aber das Ganze bedeutete, da die
materielle Entscheidung über die Besetzung der Bistümer in Rom
hig, unendUch wenig. Das xlppellations- und Aufsichtsrecht der
Erzbischöfe endlich war so eingeengt, daß es den Grundsatz „der
Erzbischof hat keine Jurisdiktion in den Bistümern'' nicht merldich
beschränkte ^
Urkunde v. 1296 fand sie drei Jahre vorher statt. 1316 Olmütz, Boczek,
C. d. VI S. 74 Nr. 106.
^ Im J. 1271 verweigerte der Herforder Klerus die Zulassung der
Mainzer Visitatoren, Westf. ÜB. IV, 3 S. 608 ff. Nr. 1249, 1252, 1256, 1260.
Im J. 1286 erhob Rudolf v. Konstanz Einsprache gegen eine Mainzer Visitation
in seiner Diözese, Reg. Mog. II S. 425 Nr. 14. Im J. 1296 verbanden sich
die Stifter von Speier und Straßburg gegen eine Mainzer Visitation: bei
der von 1293 habe es sich nicht um Reformen, sondern nur um Geld ge-
handelt, Remling, ÜB. I S. 412 Nr. 445: 1300 Verbindung der Straßb.
Stifter gegen eine beabsichtigte Mainzer Visit., Mainz. Reg. IS. 113 Nr. 645.
- Das Verfahren ist in der Konfirmationsbulle Clemens' V. für Nikolaus
V. Verdun v. 27. Aug. 1310 in dieser Weise geschildert, Sauerland, Urk. u.
Reg. 1 S. 149 Nr. 315. Beispiele der Bestätigung von Bischofswahlen sind
nicht selten. Es mag genügen auf Reg. Mog. II S. 236 Nr. 165, 244
Nr. 229, 323 Nr. 84, 342 Nr. 209 u. 211, 404 Nr. 465, 405 Nr. 477 aus den
.Tahren 1234 — 1279 zu verweisen.
' Die Würzb. Synode v. 17. Mai 1314 zählt 22 Fälle auf, in denen
der EB. Jurisdiktion über die Untergebenen seiner Suffragane habe: l.bei
Abweichung der Gottesdienstform von der der Kathedrale, 2., 3. bei Sünden,
die in der Diözese des EB. oder von einem dort Wohnhaften begang'en
werden, 4,, 5,, 10., 11., 21. in Appellationssachen u. dgl., 6., 7., 8. bei
Streitigkeiten zwischen dem l>. u. Klerikern, 9., 12. im Falle nachlässiger
Vorwaltung des Kirchenguts, sei es durch den Bischof, sei es während der
Sodisvakanz, 13., 14. als Visitator kann er Iiidulponzon erteilen u. Beichte
hören, 15 wenn er um Rat ;,'efragt wird, lö., 17. bei Din<^en, die die gan/.o
Kirchenprovinz betreffen, 18. bei notorischem Unrecht, das ihm oder seinen
hevollmiichtigten während der Visitation zugefügt wurde, 19. auf Grund
♦•ineK päpstlichen Privilegiums, 20. bei Verträgen des Biscliols und des
I)omka]> libcr Immobilien, 22. auf Grund benondorer Rochtsgewolinlicifnn.
— 152 —
Mit einem AW)it: das Erzbistum blieb bi^ zum Au.s^i^aug des
Mittelalters, was es seit seiner Erneuerung durch Karl d. Gr.
gewesen war: eine Würde olnie eine bedeutende Amtsbet'ugnis.
Dagegen erfuhren die Amtsbeiugnisse der Bischöfe durch die
neue Organisation der bischoflichen Diözesanverwaltung in vieler
Hinsicht eine nicht unbeträchtliche Verstärkung. Aber zugleich
wurde die persönliche Tätigkeit des Bischofs zum groben Teil
ausgeschaltet.
Das wichtigste Stück der episkopalen Tätigkeit war der \o\\-
zug der iura ordinis: die Bischöfe hatten die Firmung und die
Priesterweihe zu erteilen, das Chrisma zu bereiten und die wich-
tigeren Konsekrationen und Benediktionen zu vollziehen. Man
hatte nie anders gewußt, als daß diese Handlungen — von Not-
fällen abgesehen — von den lUschöfen persönhch vollzogen wurden.
An diesem Punkte trat im dreizehnten Jahrhundert eine Änderung
ein: es wurde üblich, daß die Bischöfe den Vollzug eines kleineren
oder größeren Teils ihrer Amtshandlungen Stellvertretern über-
trugen : das ist der Ursprung des Amts der Weihbischöfe ^.
Das neue Amt erinnert an das der Chorbischöfe im beginnen-
den Mittelalter: aber ein geschichtlicher Zusammenhang besteht
zwischen beiden nicht. Es ist eine Neuschöpfung. Diese wurde
nicht in bewußter Überlegung durch eine allgemein giltige An-
ordnung vollzogen. Man könnte eher sagen, daß das Amt der
Weihbischöfe ein Kind des Zufalls ist. Es entstand, indem das,
was zuerst gelegentlich geschah, nach und nach zu einer dauernden
Einrichtung wurde. Insofern ist seine Entstehung bezeichnend für
den IVIangel an Leitung in der Kirche, trotz der päpstlichen
Die Bestimuiunor ist von der Synode v. 1829 wiederholt, Nov. Subs. II
S. 251 ff.
» Vgl. im allg. Hinschius, KK. 11 t?. ITlfiF. u. PRK. XXI S. 44tl.:
A. Werminghott" bei Meister VI S. 55; F. G. v. Bunge, Tiievland, die Wiege
der d. Weihbischöfe, Leipz. 1875. Einzelne Diözesen: Köln, .1. A. Heister.
Suffraganei Colon., Mainz 1843; Mainz, .Toannis, Res Mog. U S. 421tt'. : Gii-
denu8, 0. d. IV 8. 804 ff.; Hattinger, Mainzer Weihb., Katholik Bd. 75 S. 140:
F. A. Koch, Die Krf. Weihbisch, in d. Ztschr. d. Vereins f. Thüring. (Tesch.
VI, 186.") S. :ntf.: Würzbmg, Heininger, Die Weihb. v. W., Arch. des Hist.
\er. f. lIFr. XVIII, 1865; Münster, Tibus, Geschichtl. Notizen usw., Münster
1862; Osnabrück. .1. K. Möller, Gesch. d. Weihbisch, v. 0., Lingen 1887:
Paderborn. Evelt, Die Woihb. v. F., P. 1869; Mindon, Schrader, Ztschr. f.
vaterl. Gesch. Westfalens LV,2, 1897 S. 3ff.; Konstanz, Haid, Freib. Diöz.
Arch. VII, 1873 S. 199; Brixen, Sinnacher V S. 157 ff. Listen der Weih-
bischöfe sämtlicher deutscher Diözesen — aber ohne (^uellenbelege — bei
Eubel 11 S. 304 ff.
— 153 —
Regierung. In der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts
wurden nicht wenige Bischöfe des nordösthchen Missionsgebiets
durch die wirren Verhältnisse, die dort herrschten, aus ihren
Diözesen vertrieben und für längere oder kürzere Zeit von ihnen
ferne gehalten. Sie suchten, wie früher die heimatlosen Wenden-
bischöfe. Aufuahme und Wirksamkeit in den großen westlichen
Diözesen. So war Balduin von Semgallen nach seinem Rücktritt
in Köln tätig: er weihte AUerheihgen 1237 die Severinskirche ^
Im nächsten Jahrzehnt wirkte in der Diözese Trier der Domini-
kaner Heinrich von Osel. Er weihte die Annakapelle zu Marien-
berg bei Boi)pard und die Klosterkirche auf dem Beatusberg bei
Koblenz'-. Seit der Mitte des Jahrhunderts mehrte sich die Zahl
dieser Hilfsbischöfe. In den Jahren 1248 — 1258. wirkte in Trier,
Mainz, Köln, Münster und Paderborn Dietrich von Wierland^
1252 in Trier Dietrich von Samland*^, 1254 in Würzburg Hein-
rich von Samland\ in demselben Jahr Heinrich von Kurland in
Trier *^; später begegnet man ihm in Köln, er weihte dort 1260 den
Chor der Minoritenkirche. Erst später folgte der Osten dem
Vorbild der westlichen Bistümer nach. In Magdeburg haben die
Erzbischöfe bis zum Jahre 1311 alle Weihehandlungen selbst voll-
zogen. Der Verfasser der dortigen Bistumsgeschichte hielt es für
der Mühe wert, in seine Aufzeichnungen einzutragen, daß in diesem
Jahre zum erstenmal ein Vertreter des Erzbischofs aufgestellt
wurde'. Im Westen war man damals an die Einrichtung bereits
gewöhnt ''.
Bei diesen Vertretungen handelte es sich anfangs um ein-
malige oder zeitlich begrenzte Aufträge''. Doch drängten die
' NRh. ÜB. II S. 113 Nr. 219.
« MRh. ÜB. III S. 539ff. Nr. 714, 717 v. 1241.
' MRh. ÜB. III S. 718 Nr. 949; Ann. Erph. fr. pr. z. 125H S. 114:
Vices Bua8 in Thuringia coramisit; Seibertz, ÜB. \ S. 355 Nr. 286; Westl.
Uß. 1V,3 S. 333 Nr. 563; Nass. ÜB. I S. 386 Nr. 630; 8. 414 Nr. 683.
• MRh. ÜB. III S. 862 Nr. 1175.
» Reininger a. a. 0. S. 24, k. Wirt. ÜB. V S. 71 f. Nr. 1305 f.
• MRh. ÜB. IIJ 8. 919 Nr. 1258, über seine Kölner Tätigkeit Car-
dauns 8. 117.
' Gesta ao. Magdb. 41 8. 428. In Brixen ist der erste Weihbisch.
Albert v. Knna, 1323. 8innachor V, 8. 127.
" Da« zeigt die Art, wie z. B. die Mainzer 8ynodo von 1310 Hpricht:
vgl. c. 8 S. 177: Episcopi Prov. Mog. ac eorum vicarii, qni volunt et de-
bent . . ordines celebrare.
• MRh. (B. III S, 710 Nr. 949 v. 1248: In« mundato nowtro spcciali
(Arnold V. Trior -. Main/. 8yn. v. 1261 c. 49 8. 613: NuUuh e.v ipHis (jui
— 154 —
Verhältnisse bald über diesen Punkt hinaus. Denn einerseits war in
den großen Diözesen eine dauernde Unterstützung der Bischöfe not-
wendig; besonders der Verpflichtung zur häufigen Vornahme der Fii*-
niungsreisen konnten sie nicht genügen ^ Andererseits strebten die
Hilfsbischöfe schon sehr bald darnach, für die Diözese, in der sie
wirkten, allgemeine Vollmachten zu erhalten und dadurch eine
sichere und dauernde Stellung zu erringen. So sehr lag es ihnen
daran, dazu zu gelangen, daß sie nicht immer gerade Wege gingen-,
um ihr Ziel zu erreichen. Diese Bestrebungen wurden dadurch
verstärkt, daß der Kreis, aus dem die Hilfsbischöfe hervorgingen,
sich verschoh. Seitdem die Lage des Christentums im Nordosten
sich festigte, verschwanden die Bischöfe der dortigen Diözesen aus
dem übrigen Deutschlatid. An ihre Stelle traten seit dem Ende
des dreizehnten Jahrhunderts solche aus dem Südosten, zumeist aus
Diözesen, die sich dauernd in den Händen der Ungläubigen be-
fanden ^ AVährend die Bischöfe aus Livland und Esthland die
Möglichkeit, in ihren eigenen Sprengein zu einer Wirksamkeit zu
gelangen, nie ganz aus den Augen verloren, hatten diese Titular-
bischöfe von Anfjing an keine Aussicht, ihre Bistümer wirklich zu
erhalten, noch weniger kam ihnen der Gedanke, an den Orten.
interdum in consecrationibus ecclesiarum vices dioecesanei exercent. Köln.
Syn. um 1280 c. 8 S. 664: Cui vices nostras pro tempore in spiritualibus
committimus. Lüttich 1287 c. 6,9 S. 093.
' Vgl. Würzb. 1287 c. 27 S. 731: Da es viele Sechzigjäbrige gibt, die
noch nicht konfirmiert sind, wird bestimmt, ut . . episcopi . . dioeceses
s;uas per se vel per alium aut alios anno quolibet . . visitare studeant.
confirniando confirmandos etc. Bezeichnend ist auch Würzb. 1329 S. 244.
- Mainzer Syn. v. 1261 a. a. 0.: Ne genercalis commissionis praetextu . .
dedicent, nisi hoc eis a dioecesano specialiter conimittitar.
^ Beispiele: Georg Sigm. B. v. Heliopolis, 1271 in Konstanz ^sultrag.
Consta Wirt. ÜB. VJl Nr. 2216; Inzelerius, B. v. Budua in Dalmatien, KB.
liagusa, 1276 im Bist. Konstanz, Wü't. ÜB. VII Nr. 2584, 2597, 2607, 2618f.;
1277—1289 im T,. Würzburg, Wirt. ÜB. VIII ii. IX Nr. 2669f., 2709. 2960,
3177, 3641; 1293 im B. Halberstadt, ÜB. II S. 155 Nr. 1606. In Konstanz
folgt 1274 ein B. aus dem Nordosten, Johann von Litthauen Nr. 2443.
dann 1277 Tholomeus von Sarda in Epirus. KB. .'\ntivari, Wirt. ÜB. VIII
S. 51 Nr. 2709: die folgenden Weihbischöfe sind in den Konst. Regesten
Bd. II S. 517 anfgezilhlt. In Mainz wirkte im Anfang des 14. Jahrh.
Borthold von llonneberg, den Gregor X. 1274 aus dorn Bist. Würzburg ent-
fernt hatte, als Weihbischof, s. Nass. ÜB. 1,3 S. 75 Nr. 1459 v. 1311:
dann findet man auch hier orientalische Titularbischöfe : 1319 Diethmar,
ep. Gabulensis (in Syrien, KB. Seleucia), ebenda Nr. 1689, 1727, 1745; 1340
.\lbert, op. Ibunensi8(?) Nr. 2212. 2215f.; 1360 .loh. ep. Scopiensis (in Bul-
garien) Nr. 2988.
— 155 —
nach denen sie sich nannten, den Ungläul)igen zu predigen. Für
sie lag alles daran, sich im Abendland eine Tätigkeit und eine
Stellung zu erwerben. Das ist ihnen auch nach und nach gelungen.
Aus Stellvertretern des Bischofs bei einem oder dem anderen
AVeiheaktj wurden sie zu Generalvikaren in pontificalibus, zu
Weihbischöfen ^. Diese Entwickelung kam vor der Mitte des
vierzehnten Jahrhunderts zum Abschluß; in der zweiten Hälfte
desselben war es ganz gewöhnlich, daß Generalvikare allgemeine
Vollmachten erhielten-. Im Zusammenhang damit wurden sie
Träger eines ständigen Amts. In der ausgedehnten Mainzer
Diözese wm'den sogar zwei Generalvikare in pontif. aufgestellt,
der eine für den rheinischen, der andere für den thüringischen Teil
des Bistums. Der letztere hatte seinen Sitz in Erfurt^; sein
Amtsbereich erstreckte sich auch über die hessischen und sächsischen
Teile des Sprengeis. Auf diese Weise entstand ein neues Amt
in der Diözese. Aber dasselbe erhielt nicht wie früher der Archi-
diakonat eine selbständige Amtsgewalt: der Weihbischof blieb
bischöflicher Bevollmächtigter und es stand stets im Belieben des
Bischofs, 0I3 er einen Weihbischof ernennen wollte oder nicht.
Daß im Beginn des dreizehnten Jahrhunderts kaum mehr
Reste von eigener Seelsorgetätigkeit der Bischöfe vorhanden waren,
ist früher erwähnt worden^. Wenn die alte Anordnung, daß sie
an den hohen Festtagen den Gottesdienst selbst halten sollten, noch
in den Mainzer Statuten von 1310 wiederholt ist°, so wurde die
' Die Weihbischöfe bezeichneten sich zunächst als^ vices gerentes
episcopi, Wirt. ÜB. VIII Nr. 2709; Nass. ÜB. I, 3 Nr. 1459 u.. ö., vgl.
auch S. 153 Anm. 9, wohl auch als suffraganei, s. S. 154 Anm. 3, auch Prag
1355 c. 48 S. 395 ; dann genauer als in pontificalibus, in pontificali officio
vice« gerons, 1302, 1316 Sauerland, Urk. u. Reg. I Nr. 115, 420, coadiutor
in pontificalibus, 1317, Nr. 472. Die Bezeichnung generalis vicarins in
pontificalibus wohl zum erstenmal 1325, s. Hinschius S. 174 Anm. 10.
- Vollmacht des B. Albert v. Wiirzb. für seinen Weihbischof Heinrich
V. 1371 oder 1372, Arch. d. Hist. Ver. v. UFr. XVIII, 1865 S. 57. Voll-
macht KB. Adolfs I. fflr den Mainzer Weihbisch, v. 1383 Joannis R. M. 11
8. 429 u. von 13^4. 1309, 1420 für dio Wnihbischöfe in Erfurt bei rjudon.
IV S. 809 ft.
' Koch nennt S. 70 f. als den ersten Krf. Weihbischof Johannes ep.
LiivacenKis, <ler von 1313 — 1316 nachweislich ist. Ober die Abgrenzung der
beiden Sprengel, h. Joannis, K.M. II S. 430 Urk. des P]B. Konrad v. 1392:
In civitate et dioecesi ex illa parte Rheni, sc. qua civitas M. situata existit,
nee non ex alia parte Rheni versus Hassiam usque ad oppida Orba, Oeiln-
haunen, et F^uzbach . . inchisive nee non un<lique ex alia parte Mogani.
' Bd. IV 8. 5 f.
'• C. 21 S. 180. Die BeHtimmung stammt aus «b-n »Itcn Mainz«u-
— 156 —
Sache dadurch gewiß nicht geändert. Denn die Wiederholung
der Vorsclirift ist zugleich eine Ermäßigung: sie gestattet die Ab-
haltung durch einen Stellvertreter. Auch am Altar und auf der
Kanzel sprachen und handelten an Stelle des Bischofs seine
Vikare ^ Die ordentliche Seelsorgetätigkeit an der Gemeinde der
Kathedrale scheint in der Hegel einem ^litglied des Kapitels,
dem Kustos-, oder einem eigens aufgestellten Pleban, wie man
deutsch zu sagen pflegte, dem Leutpriester ^, übertragen worden zu
sein. Doch wurde sie wohl auch von einem bischöflichen Capel-
lamis versehen^.
Stehen wir hier einer weit zurückreichenden Erscheinung
gegenüber, so w^ar dagegen neu, daß die Bischöfe sich auch in der
Handhabung ihrer Jurisdiktion durch ständige Beamte vertreten
ließen''. Hierbei kommen in Betracht die Generalvikare in geist-
lichen und Aveltliclien Sachen, die Offlziale und die Richter der
bischöflichen Kurie. In der Einführung dieser Amter liegt der
Ursprung der jetzt noch bestehenden bischöflichen Diözesanbehörden.
Sie hat also eine sehr lange dauernde Wirkung gehabt: aber ihre
Anfänge liegen wie bei so vielen kirchlichen Institutionen im
Dunkel. Die neuen Amter waren, wenn man so sagen darf, wikl
gewachsen. Man begegnet ihnen fast überall; aber sie kamen
Statuten, die sich vielleicht an das Cap. eccles. Ludwigs d. Fr. v. 81^ oder
819 c. 28 S. 279 anlehnten, wurde 1233 wiederholt, c. 19 S. 137, 1239 im
Wortlaut kaum verändert (1261 c. 11 S. 599) und ging so in die Sammlung
von 1310 über. Aus ihr kam sie noch in die Magdeb. Stat. nach 1389
c. 9 S. 681. Das Recht oder die Pflicht der Bischöfe, für die Predigt Ver-
treter aufzustellen, sprach die 4. Lateransynode ausdrücklich aus c. 10
S. 998; in die Dekretalen Gregors IX. aufgenommen, I, 31, 15.
^ Bischöfliche Vikare werden seit dem Knde des 12. Jahrh. vielfach
erwähnt, z. B. um 1197 in Verden, v. Hodenberg, Vord. Gesoh. Q. II S. 63
Nr. 39; 1200 in Hildeshcim, ÜB. 1 S. 529 Nr. 552; 1237 in Halberstadt,
ÜB. d. Stadt H. I S. 81 Nr. 24; 1254 in Minden, Westf. ÜB. VI S. 176
Nr. 606. Aber l)ei der rnbestimmtheit des Titels Vikar, läßt sich gewöhn-
lich nicht sehen, welche bischöfliche Funktion sie zu vertreten hatten.
- So in Mainz, vgl. Gud. I S. 652 f. Nr. 279 v. 1255. Entscheidung des
KB. (lorhard über die Rechte der Kustodon und Pfarrer, u. in Basel. TB. I
S. 89 Nr. 125 v. 1233: Ab episcopo curam animaruni recipiat.
' So in Augsburg, Leuze, D. Augsb. Domkapitel S. 67.
' So in Köln. Schäfer, Pfarrkirche u. Stift S. 173,
• Hinschius II S. 205 tf.; Sehling, P. RE. XIV S. 349.; Schulte in d.
Einleitung z. Bd. lll dos Straßb. ÜB. S. XVII tf.; Schmalz, De instituto
officialis s. vicarii gen.. Bresl. Diasert. 1890; .1. Müller, Die bischöflichen
Diözosanliehördon. Stuttg. 1905; 0. Hiedner. Das Spoierer Oftizialatsgericht,
Erlang. Dissort. 1907.
— 157 -
nicht überall gleichzeitig auf und entwickelten sich nicht in allen
Diözesen gleichartig. Nachdem sie einmal vorhanden waren,
wurden sie durch das päpsthche Recht anerkannt. Im Zusammen-
hang damit glichen sich allmählich die Verschiedenheiten aus.
Doch ist es im Mittelalter niemals zu vollständiger Übereinstim-
mung gekommen.
Am frühesten hört man von den bischöflichen Offizialen.
Die Heimat dieses Amtes sind die westlichen Länder, England
und Frankreich. Dort ist es schon im zwölften «Tahrhundert
nachweislich \ In Deutschland ist es nur wenig jünger. Hier
wurde es zuerst im Erzbistum Trier eingeführt. Schon die Erz-
bischöfe Johann I. 1189—1212 und Dietrich von Wied 1212—1242
haben Offiziale ernannt-. Im Laufe des dreizehnten Jahrhunderts
folgten die Trierer Sutti'agane '^j dann Straßburg, Köln, Lüttich,
Münster, Mainz, Konstanz, Speier, Würzburg, Basel, Olmütz*:
' Hinschius II S. 202 Anm. 1; Schmalz S. 9.
- MRh. ÜB. III S. 1042 Nr. 1437 v. 1258. Ob der hier gebrauchte
Titel officialis curie Trevirensis der ursprüngliche ist, ist zu bezweifeln.
Die Offiziale, von denen wir ältere Urkunden haben, nennen sich in ihnen
nur officialis domini archiepiscopi: Nr. 176 v. 1221 der Domdekan Wilhelm;
ebenso der Domscholaster Dietrich 1226—1236 Nr. 278, 300, 318 u. ö.
Vgl. auch Synode zu Trier um 1275 c. 8 S. 530: Decani accusent nobis vel
officiali nostro . . clericos lusores etc. Man pflegt die Einrichtung des
Offizialats aus dem Ankämpfen der B. gegen die Macht der Archidiakone
abzuleiten. Werminghof (bei Meister VI S. 57) urteilt geradezu, dal?) die
F^mennung von Offizialen durch die Erzdiakone die Bisch, bestimmte, auch
ihrerseits Offiziale zu ernennen. Das letztere ist höchst unwahrscheinlich;
denn bischöfliche Offiziale sind früher nachweislich als solche der Erz-
diakone. Aber auch die erstere Annahme berücksichtigt nicht, daß die
Einführung des Offizialats doch nur ein Glied in der Kette der bischöfl.
Ämterorganisation ist. Achtet man darauf, so wird sich höchstens sagen
lassen, daß jener Gegensatz (.las neue Amt empfahl, aber seine Entstehung
erklärt sich aus der allgemeineren Tendenz des Ausbaues der Diözesan-
verwaltung.
■' Schulte S. XIX.
* Köln. Syn. um 1280 c. 8 u. 10 S. 666, wiederholt Münster nach 1282
c. 17 S. 650: Lüttich 1287 c 8, i? S. 695; c. 12,8; 14,20; 17,4 u. '.); 18,8.
Die Kölner Statuten v. 1322 nehmen die Einrichtung als allgemein einge-
führt an. Ebenso die Mainzer Statuten v. 1310 c. 15 S. 179 u. c. 31 S. 183.
Genannt werden Offiziale in Straßburg seit 1248, IJB. d. Stadt Straßb. I S. 241
Nr. 323, vgl. II S. XX, Konstanz seit 1254, Wirt. ÜB, V S. 69 Nr. 452, vgl.
Reg. CoDPit. 1908, 1994 etc., Münster seit 1265, Wstf. ÜB. III S. 885 Nr. 746;
Olmütz «eit 1267, Boczek, C. d. ill S. 392 Nr. 389, Spoior seit 1260, Riednm,
S. 37. Hi.fiel -pit 1270, Trouillat, .Mon. 11 S. 204 Nr. 155, WiJrzburg seit
— 158 —
man diirt wohl aiiiieliniL'ii, die deutschen Bistümer last insgesamt^
Der Oftizial des biscliöflichen Hofes, wie der Titel gewöhnlich
hiutete, war ein ständiger Vertreter des Bischofs. Er urteilte als
geistlicher Richter und in der streitigen Gerichtsbarkeit; er ent-
schied in Disziplinar- und Ehesachen, endlich gingen auch Ver-
waltungssachon an ihn"-. Er war demgemäß zur Verhängung und
Aufhel)ung des Bannes berechtigt". Er führte ein eigenes Siegel
• oder benützte das der bischöfhchen Kurie'*. Das Aufblühen der
Kechtsstudien. besonders das Eindringen des römischen Rechts,
führte dazu, daß ihm ein Kechtskundiger beigegeben wurde, der
ihn über die Rechtslage zu beraten hatte: der Assessor. Diese
neue Einrichtung hatte da und dort zur Folge, daß der Offizial
nicht mehr als Einzelrichter fungierte. AVurden ihm mehrere
Assessoren zugesellt und fungierten diese als Beisitzer, so wurde
aus dem Einzelgericht ein Kollegialgericht. Außer dem Assessor
fungierten unter dem Oftizial der Siegler, der Notar und eine
Anzahl Gerichtsdiener '\
1271, Wirt. ÜB. Vll S. 161 Nr. 2239, vgl. die Syn. v. 1298 c. 9 S. 2i<.
Worms seit 1277, Baur, Hess. Urk. II S. 285 Nr. 310, Halberstadt seit 1299.
ÜB. II S. 595 Nr. 1687. Helmwig von Witeburcr, der 1189 Offizial des B.
V. Hildesheim genannt wird, ÜB, 1 S. 448 Nr. 472, scheint Laie gewesen
zu sein, u. war also nicht Otfizial im späteren Sinn. Ein solcher kommt
zum erstenmal 1295 vor, ÜB. d. St. Hildesh. I S. 243 Nr. 485. Die von
Riedner, S. 24 tt". mitgeteilten Speierer Urkunden v. 123711". auf den Offizial
zu beziehen, bin ich bedenklich. Die Richter nennen sich iudices delegati
oder iudices -schlechthin. Mir scheint, daß man sie mit den Mainzer iudices
curiae, s. S. 160 Anm. 1 zusammenzustellen hat. Richtig wird sein, daß in
Speier im Verlauf die Hofrichter durch den Offizial ersetzt wurden, während
anderwärts beide nebeneinander amtierten.
^ Doch wird in der Magdb. Wahlkapitulation von 1297 (V) nur der
Fall gesetzt, daß der EB. einen Offizial anstellt. Die Einrichtung war also
bekannt, aber nicht ständig, Mgdb. Reg. 111 S. 369 Nr. 975. In Meißen er-
scheint der Offizial zuerst i. J. 1316, C. d. Sax. reg. 11,1 S. 295 Nr. 363.
- Ergibt sich aus den S. 157 Anm. 2 u. 4 angeführten Stellen. Die
richterliche Tätigkeit überwog, vgl. Innoc. IV. auf der Synode zu Lyon: qui
generaliter de causis ad ipsorum — der Bischöfe — forum pertinentibus
«'oruui vices supplendo cognoscunt, Lib. sext. 11,15,8.
^ MRh. ÜB. HI S. 376 Nr. 482 v. 1233, Hess. ÜB. 11,1 S. 433tt.
Nr. 607, 616, 617, 619 v. 1282 f.
^ Beispiele: MRh. ÜB. III S. 659 Nr. 881 v. 1246, S. 679 Nr. 908 v.
1247, S. 841 Nr. 1137 v. 1252; Baur, Hess. Urk. II S. 287 Nr. 310 v. 1277.
Heinrich v. Köln 1327: Sigillum officialitatis curiae nostrae, Hartzh. IV
S. 296. Die Inschr. des Olmützer Siegels war Ofticialatus eccl. Olomucensih.
•'• Vgl. z. B. den Ordo iudiciar. v. Speier, um 1260. in ()uell. u. Erörter.
— 159 —
Der Offizial des bischöflichen Hofs bheb nicht der einzige
richterhche Beamte der Diözese. Neben ihm waren im vierzehnten
und fünfzehnten Jahrhundert die auswärtigen Offiziale oder Kom-
missäre tätigt Der Grund für diese weitere Vermehrung der
Beamten lag zum Teil in dem Bestreben, die Anrufung des geist-
hchen Gerichts zu erleichtern, zum Teil folgte man dem Drängen
der Bevölkerung, die auch in geistlichen Sachen nicht vor einem
auswärtigen Richter erscheinen wollte'-^. Bestimmt abgegrenzt war
weder die Kompetenz noch der Amtssprengel der verschiedenen
Offiziale. Xur im allgemeinen gilt, daß der Offizial des Hofs in
bischöfhchen Reservatfällen entschied und daß an ihn die Appella-
tionen vom Urteil der Erzdiakone gingen^. Der Offizial des erz-
bischöflichen Hofes hatte außerdem bei Appellationen von den
l)ischöflichen Gerichten Recht zu sprechen'*.
Schon ehe die Ernennung von Offizialen üblich wurde, hatten
die Bischöfe ihre geistliche Gerichtsbarkeit nicht immer persönlich
ausgeübt: sie hatten durch delegierte Richter Recht sprechen
lassen'^. Auch hieraus entwickelten sich ständige kirchliche
Gerichte, die sich von dem des Offizials dadurch unterschieden,
IX,2 S. 994 (vgl. über ihn Riedner, S. 43 ff.) und die Reform, eccl. iudiciorum
von Würzburg 1342 bei Schneidt, Thesaur. 11,1 S. 205 ff.; S. 218ff". Hier
die Formeln für den Amtseid der Offiziale, Notare, Siegler, Prokuratoren u.
Boten. Cber den Assessor, Ord. iud. 1,8 S. 999: Assessor est qui assidet
ludici in iudicio et instruit eura si forte iudex est inperitus. Über das
Verfahren handelt Riedner S. 79 ff".
^ Officiales foranei. Die Bezeichnung ist gemeinrechtlich, s. Lib.
sext. 1,16.1. In Deut.schland war sie in Utrecht im Gebrauch, Syn. v. 1318
<•. 6 S. 268, 1350 c. 1 S. 361. In d. Diöz. Lüttich benutzte man sie auch
von den Offizialen der Erzdiakone, Aach. Sendgericht v. 1269 bei Lorsch,
.\ach. Rechtadenkmäler S. 33. Der Zweifel Riedners, ob Offic. foranei in
Deutschland bekannt gewesen seien, S. 68 f., ist also unbegründet. In
VVürzburg unterschied man den officialis curie ceterique officiales, Würdt-
wein, Nov. subsid. 111 S. 7 Nr. 1 v. 1422. Nachweislich ist die Einrich-
tung auch in den Bistümern Hildesheim u, Halberstadt, s. ÜB. des H.
Halberst. IV S. 344 f. Nr. 3053 v. 1391; der B. v. Halberstadt verzichtete
in der Wahlkapitulation v. 1420 auf sie, ÜB. IV S. 600 Nr. 3379 c. 27.
^ Ein Beispiel ist BraunBchweig, IJB. des H. Halberst. IV H. 343 ff.
.Nr. 3053.
» Ma^del^. Wahlkapit. v. 1297 (?) Ma^deh. Reg. III S. 369 Nr. 975;
Hall>eMt. Stat. v. 1324 LB. III S. 252 Nr. 2134: Würzburjr. Stat. v. 1422
Schneidt S. 288; Reform über die geistl. Gerichte 1447, ebenda 542.
* Köln 1423 c, 3 S. 218.
» Beispiele: Mainz 1181. MRli. I l{. II S. HH Nr. 4'.): Mulinier 1265.
We«tf. LB. fll S. :W1 Nr 757.
— 160 —
(laß in ilineii mehrere llichter geineinsiim das Urteil sprachen \
Nachdem im ( )l'rizial ein ordentlicher bischöfliclier Richter vorhanden
war, lag es nahe, daß er den Vorsitz in diesem (Bericht, dem Kon-
sistorium, führte. So geschah es z. B. in Köln-. Aber es kam
;iuch vor, daß das Gericht neben ihm stand und er ihm überhaupt
nicht angehörte. Das war z. B. in Konstanz der Fall '■'. Hier trat
sogar der eigentümliche Fall ein, daß der Bischof sein Gericht
von Konstanz hinweg nach Zürich verlegte.
Der Begründung des Offizialats folgte die des Generalvikariats
in geistlichen und weltlichen Sachen. Doch ist dieses kirchhche
Amt im Mittelalter niemals so allgemein geworden, wie das erstere.
Man nimmt au, daß Italien seine Heimat war^. Aber mag es
' ludices ecclesiae oder curiae, die nicht für eineu einzelnen Fall
delegiert sind, kommen, so viel ich sehe, seit dem Ende des 12. u. dem
Anfang des 13. .lahrh. vor: in Mainz 1196, vgl. Joannis, Res. Mog. II
S. 401 über Heinrich von Staleck; dann um 1220 CB. d. Abtei Eberbach I
S. 224 Nr. 121: 1223 S. 239 Nr. 133; 1229 Wirt. ÜB. III S. 259 Nr. 769;
1336 Schmidt Ppstl. Urk. u. Reg. I S. 306 Nr. 17; in Augsburg 1219, M.
B. XXXIII, 1 S. 54 Nr. 55; in Worms 1243, Baur, Hess. Urk. II S 91
Nr. 88; in Speier 1255, Remling, TB. 1 S. 261 Nr. 282: 1273 richten sie
gemeinsam mit dem Offizial des Archidiakons S. 336 Nr. 370; in Konstanz
1274, Wirt. ÜB. VII S. 340 Nr. 2463. Über das Mainzer Gericht, s. Gudenus
II S. 416 fif., der aber seinen Ursprung zu spät ansetzt, und Krusch, Ztschr.
des bist, Ver. f. Niedersachsen 1897, S. ir2tt". Daneben kamen immer noch
Urteile delegierter Richter vor. Über die dabei herrschenden Mißbräuche,
s. d. Erlaß Heinrichs III. von Konstanz v. 1375, Arch. f. kath. KR. 81 S. 585.
- Köln 1306 c. 6 S. 103: In consistorio nostro . . dum officialis nostar
praesiderit. Die Bezeichnung consistorium auch in Worms, Baur, Hess.
Urk. II S. 801 Nr. 325 v. 1273: Actum in consistorio ecclesie Worm,, ubi
capitulum archidiaconatus . . est solitum convenire, und in Würzburg, Ref.
eccl. iud, V. 1342 S. 206. In Meißen 1405 tribunal sive consistorium, C.
d. Sax. reg. I, 2 S. 321 Nr. 782. In Konstanz 1327 iudicium ordinarii c.
10 S. 271, 1375 „Das Gericht der rfatfheit% Reg. Const., Nachtr. 241.
^ Vgl. die Zusammensetzung des Konstanz. Gerichts 1351, ÜB. d.
Stadt Esslingen 1 S. 479 Nr. 965. Genannt sind 7 Richter, darunter der
Vikar in spirit., u. 3 advocati curie, nicht aber der Offizial dos Hofs. Bei
der Verlegung dos geistl. Gerichts nach Zürich, 1366, werden genannt:
unser vicar>', official, infiigler, advocaten, schriber, procuratores: das
(iericht war mit drei Richtern zu besetzen: s. d. Vertrag d. B. mit der
Stadt, Arch. f. kath. KR. 83 S. 195 f.
* Schmalz S. 14 ft". Hinschius erinnert daran, daß die Bezeichnungen
officialis u. vicarius etwas Schwebendes haben: sie können dieselben Per-
sonen bezeichnen, S. 207. Ich habe hier nur diejenigen bischöflischen
Vikare im Auge, die neben den Offizialen amtierten und mit allgemeineren
Vollmachten ausgestattet waren.
— 161 —
auch dort zuerst vorgekommen sein, so kann man doch nicht sagen,
daß es von da nach Deutschland verpflanzt wurde. Denn gerade
liier wurden die Bischöfe durch ihre politische Stellung zu häufiger
Abwesenheit aus ihren Diözesen genötigt. Die IJbelstände, die
sich daraus ergaben, suchte man durch die Einrichtung einer
Generalvertretung des abwesenden Bischofs zu beseitigen. Dadurch
wurde zugleich den Übergriften der Erzdiakone, die sehr geneigt
wareuj die Vertretung des abwesenden Bischofs als ihr Recht zu
betrachten, ein Riegel vorgeschoben \ Eine Regel dafür, wem die
Generalvertretung anzuveiirauen sei, gab es zunächst nicht. Sie
wurde bald einzelnen Prälaten, bald Kommissionen übertragen.
So erscheint in Konstanz 1277 der Dompropst als Generalvertreter
des abwesenden Bischofs; er amtierte entweder allein oder zugleich
mit dem Offizial-. Bei der Erledigung desselben Bistums im
Jahre 1318 ernannte Johann XXII. zwei Generalvikare ^. In
Halbertsadt lag 1366 die Vertretung des am päpstlichen Hofe zu
Avignon weilenden Bischofs in den Händen einer aus vier Per-
sonen bestehenden Kommission*. Allmählich scheint die Über-
tragung an eine einzelne Person üblich geworden zu sein. Im
beginnenden fünfzehnten Jahrhundert galt es als ebenso selbstver-
ständlich, daß in Abwesenheit des Bischofs ein Generalvikar die
Diözese leitete, vde, daß mit dem Tode des Bischofs die Leitung
an das Domkapitel überging''. Aus der Stellvertretung des ab-
wesenden Bischofs ist die Unterstützung des anwesenden geworden.
* Vgl. Die Gerechtsame des brandenb. DK., Riedel, C. d, Brand. I,
8 S. 135 Nr. 48 v, 1277: Seien dum, quod . . prepositus, qui et episcopalis
sedis archydiaconus est, totius dyocesis in absentia episcopi curam ipsius
in oranibus ^'erit.
- Konst. Reg. 2433 v. 6. Febr. 1277: Vicem gerens generalem epis-
copi extra provinciam existentis. Hiernach ist die stark betonte Behaup-
tung von Schmalz, daß Generalvikaie vor 1294, d. h. vor Bonifaz VTII. dies-
seits der Alpen überhaupt nicht vorkommen, S. 20, unrichtig. Der Dom-
propst bezeichnete sich in seinem Siegel als vicarius episcopi Const.,
Nr. 2435. Er handelt allein 2433, oder zugleich mit dem offic. curiae
2435; auch dieser handelt allein als Vertreter des B., vices gerens generales,
2452. Ks war analog, wenn ein Elekt einen Vertreter in spirit. bevoll-
mächtigte. DaH tat Heinrich v. Lüttich schon 1249, MRh. ÜB. III S. 765
Nr. 1030, vgl. Nr. 1156 v. 1252.
' Rom. Quellen z. Konst. Bist.Geech. S. 150 Nr. 575, 21. Apr. 1319.
* ÜB. IV S. 80 Nr. 2706: Vicarii generales in spiritualibus.
'^ Würzb. Syn. v. 1407 c. 4 S. 247fSchneidt): Kpisc. ac ipsius in spiri-
taalibuR, episcopo in remotis agente, generalis vicarius vel scdo vacanto
capituliiiij.
Haack, KirchenReacbicbte. V. H
— Ki-i —
Der l'bergaiij^ von eiuem zum andoreji liegt z. 1). in Koiistaiiz
klar zutage. Dort wurde der Domherr Heinrich von Werden-
berg 131H zunächst zum Generalvikar für die Zeit der Abwesen-
heit des Bischofs ernannt; er amtierte aber nach dessen Rückkehr
neben ihm, wohl auch geradezu mit ihm ^. Aus dieser Entstehung
des Amtes erklärt es sich, daß es zunächst nicht ständig war: es
wurde je nach Bedürfnis eingerichtet'', wohl auch für eine bestimmte
Zeit. So ernannte Sigfrid von Chur 1312 den Dompropst Rudolf
von Montfort zum Generalvikar für zehn Jahren Aber es lag in
der Konsequenz der Verhältnisse, daß die Bischöfe großer Diözesen,
in denen das Bedürfnis nach Unterstützung dauernd war. mit einer
gewissen Regelmäßigkeit Generalvikare ernannten '. Doch ist das
Amt im Mittelalter nie wirkhch ständig geworden.
Zwischen den Amtspflichten des Generalvikars und denen des
Offizials war eine scharfe Grenzlinie nicht zu ziehen. Es kam
demgemäß vor, daß ein und dieselbe Person zugleich als Oftizial
1 Konsl. Heg. 3639 v. 1313 in Abwesenheit Gerhards IV., 3702 v.
1315 in Anwesenheit desselben im Bistum, 3713 v. 1316 zugleich mit dem
Bischof.
- Würzburger Syn. v. 1330 c. 4 S. oll: Vicarii nostri in spirituulibu.s
pro tempore existentis,
•' Mohr, C. d. II S. 293 Nr. 220 v. 1312.
'' Als Träger eines besonderen Amtes neben dem Hofoffizial kommt
der Vikar in spir. in Anwesenheit des EB. in Köln vielleicht schon unter
EB. Sigfrid vor, Statut, um 1280 c. 1 S. 659: Per nos, vel gerentem vices
nostras, c. 8 8. 664, ille, cui vices nostras pro tempore in spiritualibut«
committimus. Zwar bestreitet Schmalz S. 21 diese Auffassung; aber seine
Deutung, es sei der Pönitontiar gemeint, ist schwerlich richtig. Denn was
hat der Pönitentiar mit der Zulassung fremder Priester zu tun? Da der
Generalvikar in Konstanz 1277 nachweislich ist, so bietet seine Erwähnung
in Köln in derselben Zeit keine Schwierigkeit. In Konstanz ist der General-
vikariat bei Anwesenheit des B. in der Diözese 1315 vorhanden, C. d. Salem,
ms. 84. Der Titel wird in einer Urkunde aus dem gleichen Jahr erklärt
durch die Umschreibung iudex et exocutor ad Universitäten! causarum in
spir, et temp. specialiter deputatus, Kopp, Gesch. der eidgenöss. Bünde IV,
2 S. 472 Nr. 36. In Würzburg ist der Vikariat 1330 Avahrscheinlich noch
ein außerordentliches Amt (s. Anm. 2), 1422 ein ständiges, Statut, v 1422,
Schneidtll, 1 S. 291 u. 306. In Olmütz begegnet man ihm seit 1327, s. Boczek,
C. d. VI 8. 271 Nr. 352: Kpiscopo Olom. vel eins vicario in spir.; vgl. S. 342
Nr. 446 V. 1332: Olom. ourie officialis et in spiritualibus vicarius generalis;
VII S. 17 Nr. 23 v. 1334: Vicarius in spirit. et temp. generalis: In Magde-
burg wird er 1370 erwähnt, Syn. Stat. c. 3 S. 414: Noster in spiritualibus
vicarius; 1391 in Main/, s. S. 163 Anm. 2.
— 163 —
und Geiieralvikar bezeichnet wurdet Waren die Funktionen
geteilt, so lag es in der Natur der Sache, daß der Generalvikar
als dem Oflizial übergeordnet erschien: er hatte einen allgemeineren
Auftrag. War jener in erster Linie bischöflicher Richter, so ver-
waltete dieser die gesamte Regierungsgewalt des Bischofs: er dis-
pensierte, absolvierte, bestimmte Pönitenzen, handhabte die Disziplin,
traf Verwaltungsmaßregeln ; aber er hatte auch richterliche Gewalt"-.
Da auch die Erzdiakone und ihre Offiziale Träger kirchlicher
Gerichtsgewalt waren, so stehen wir einer außerordentlichen Zer-
splitterung derselben gegenüber. Die Würzburger Terminordnung zeigt
sie recht anschaulich: nach ihr hielt Woche für Woche der bischöf-
liche Offizial am Montag, Mittwoch und Freitag Nachmittag Gericht,
am Dienstag, Donnerstag und Samstag Vormittag der Generalvikar
und an denselben Tagen Nachmittag die Offiziale der Erzdiakone 'l
Bei dem Mangel einer klaren Abgrenzung der Kompetenzen,
konnte vielfach dieselbe Sache vor dem einen oder dem anderen
Richter anhängig gemacht w^erden. Die unvermeidlichen Kollisionen
suchte man in sehr unvollkommener Weise dadurch zu beseitigen,
daß den Richtern verboten wurde, Sachen aufzunehmen, die vor
anderen Richtern bereits zum Spruche standen *.
Der Menge der richterlichen Beamten entsprach der große
Umfang, den die Zuständigkeit der geistlichen Gerichte gewann.
Vor dieselben gehörten zunächst alle Angelegenheiten der Kleriker,
der Kirchen, Stifter und Klöster''. Synoden und Bischöfe wurden
nicht müde, die Befreiung der Kirche und ihrer Diener vom welt-
^ So anfangs in Olmütz: Joannes curiae officialis et in spiritualibus
vicarius generalis, Boczek VI S. 342 Nr. 446, s. o.
- Kommission für den Mainzer GV, in spirit. v. 1391. Guden. II
.S. 422 f.: Dantes tibi plenam et liberam potestatem, in civitate et diocesi
M. in quibuslibet casibus nobis a iure vel ab homine aut consuetudine seu
privilegio generaliter vel specialiter reservatis, concessis ; eu concodendis,
<lelegati8 forte seudelegandis dispensandi, absolvendi, habilitandi, restituendi,
confessiones audiendi, penitentias quascunque iniungendi et alii vel aliis,
ubi et prout expedire visum tibi fuerit committendi; excessus quoquo notorios
et crimina tarn cloricorum quam laicorum examinandi, puniendi corrigendi
canonicas iuxta ganctiones, nee non omnia et singula, que verus et legitimus
vicariuB in spirit. facere potest et debot, oxorcendi faciendi et traetandi,
etii multo maiora essent pro expressis et (pio nos ipso in spirit. facere posse-
iniiH si peraonaliter adessnmuH. Ähnlich dio Churer VoUmacliten v. 1312
Mohr, C. d. II 8. 293 Nr. 220.
» Stat. V. 1422 8. 291. * Ebenda S. 288.
•• pHeudoisidorisch, h. IM. II S. o'^HH.; seit dem 12. .lahrii. anerkannt,
8. Decr. Grat. II,1.J.
— 164 —
liehen (lericht zu fordern'. Im allgemeinen war dieser Anspruch
auch anerkannt; aber im einzelnen wurde vielfach gegen ihn ver-
stoßen -. Außerdem forderte die Kirche vor ihr Gericht, abgesehen
von den rein kirchlichen Vergehen wie Häresie und Zauberei, alle
Ehesachen, die Entscheidung über den Geburtsstand, das ganze
Testamentswesen, die Bestrafung von Wucher, Meineid, Treubruch,
Falschmünzerei^. Dazu suchte sie den geistlichen Gerichtsstand
auf die Hintersassen der Kirche, die Pilger und alle Elenden
auszudehnen'*. EndUch bestand sie darauf, daß Laien berechtigt
seien, das geistliche Gericht in allen Fällen anzurufen'*.
Diese Überspannung des Anspruchs rief den Widerspruch
der Territorialherren und der Kommunen hervor. Schon im drei-
zehnten Jahrhundert begannen die weltlichen Gewalten Maßregeln
zu trefi'en, um die geistliche Gerichtsbarkeit einzuschränken.
Der Kirche gereichte das zu großem Anstoß. Die deutsche National-
synode von 1287 schritt mit Bann und Interdikt dagegen ein".
' Lüttich 1287, c. 19 S. 710; Augsb. 1309—31 c. 22, Steiner 1 S. 93f.
Würzburg 1407 c. 1 1 S. 255: Quando pars aliqua fuerit eccleaiastica, sive
reas fuerit sive actor, etiam super re profana causa debet etiam a iudice
ecclesiastico terminari, wiederholt 1446 S. 140.
- Beispiele gibt jedes Uß.; vgl. z. B. Westf. ÜB. IV,3 S. 430 Nr. 817
V. 1260; Fürstenb. ÜB. V S. 283 Nr. 317 v. 1310, S. 324 Nr. .847 v. 1314:
Sauerland, Reg. I S. 305 Nr. 653 v. 1323; M.B. XXXIX S. 336 Nr. 168 v.
1328; S. XIV Nr. III v. 1330, S. 472 Nr. 227 v. 1332; Nase. ÜB. 1,3 S. 377
Nr. 3264 v. 1368; ÜB. d. St. Halberstadt 1 S. 537 Nr. 653 v. 1396.
' Vgl. z. B. Lüttich 1287 c. 18,4 S. 709: Causae matrimoniales, nati-
vitatis alicuius, usurarum, simoniae, periurii, adulterii, contra raptores rerum
ecclesiasticarum et invasores decimarum, periurii ac fidei violatioiiis, patro-
natus, electionum et plures aliae. Würzburg 1407 c. 11, Schneidt S. 254:
Omnes invasores ecclesiasticarum rerum seu religiosorum locorum . . item
causae rusticorura vel servorum ecclesiae, item causae publicae poeniten-
tium, item causae pupillorum, viduarum et miserabilium personarum, item
causae peregrinorum, item quando iudex saecularis iustitiam reddero negli-
git, item in crimine sacrilegii, usurarum, haeresis, simoniae, excommuni-
cationis, adulterii, matrimonii, dotis, super decimis. item causa nativitatis,
beneficialis, iuris patronatus, rapinae, item ratione pacti et voti fracti, item
ratione iuramenti vel fidei dationis. Wiederholt 1446 S. 410.
* Vgl. bes. die Würzb. Stat. v. 1407 c. 11 S. 254 (Schneidt). In Speier
konnten die weltl. Dienstleute des DK. Klagen gegen Schädiger seit un-
vordenklicher Zeit nur vor dem geistlichen Richter anbringen, Remling,
UH. I S. 261 Nr. 282 v. 1255.
* Diesen Standpunkt vortrat bes. Innocenz 111., s. Greg. IX Decr. II,
1,13. in Deutschland gewöhnlich in der Form: quando iudex saecularis
iustitiam roddere negiligit, Würzb. Stat. v. 1407. s. o. Anm. o.
« C. 36 S. 738.
— 165 —
Auf der allgemeinen Synode zu Vienne erhoben die deutschen
Erzbischöfe laute Klagen über diese Kränkung des geistlichen
Gerichts \ Aber aufzuhalten war die Bewegung nicht.
Von geringerer Bedeutung als der Offizialat und der General-
vikariat war das Amt des bischöflichen Pönitentiars. Die vierte
Lateransynode hatte angeordnet, daß an allen Kathedral- und
Konventualkirchen geeignete Männer als Koadjutoren der Bischöfe
für das Beichtwesen aufgestellt würden'-. Diese Bestimmung ist.
soviel ich sehe, in Deutschland zunächst nirgends ausgeführt
worden. Erst 1230 wurde in Bremen, wahrscheinlich auf Anlaß
des Kardinallegaten Otto, die Aufstellung von zwei Konfessoren
angeordnet, an die Priester und Laien sich in Zweifelsfällen zu
wenden hatten "^ Im nächsten Jahrzehnt faßte die Synode zu
Fritzlar 1244 den Beschluß, daß in den Bistümern der Mainzer
Erzdiözese je zwei bischöfliche Pönitentiare zur Entscheidung der
Reservatfälle und zur Erteilung von Dispensationen ernannt werden
sollten. Man dachte sich die Ausführung so, daß der eine seinen
Sitz an der Kathedrale habe, der andere sich ständig in der Be-
gleitung des Bischofs befinde*. Obgleich das neue Amt durch die
Entwickelung des Offizialats eigentlich überflüssig wurde, ist es
doch ins Leben getreten. Man kann die Pönitentiare noch im
vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert nachweisen''.
Die Weihbischöfe, Generalvikare, Offiziale, Richter und Pöni-
tentiare waren sämtlich Beamte des Bischofs. Sie wurden von ihm
ernannt imd erhielten von ihm ihre Amtsgewalt. Zugrunde lag
dabei die alte Rechtsregel: Botest quis per alium quod potest facere
' Trier: Quod domini temporales cognoscunt de exce.'^sibus personarum
eccl. et eas puniunt in corporibus et rebus acsi iudices existerent earun-
dem. Salzburg: Quod clericos et personas eccl. compellunt stare iudicio
seculari. Köln: Quod etiam in causis ad forum ecclesiasticum de iure vel
conHuetudine spectantibus prohibent in terris suis mandata iudicum eccl.
recipi vel executioni raandare, AKLG. IV S. 371tf., 387.
■' C. 10 S. 998. ^ Brem. ÜB. I S. 180 Nr. 155.
* Hartzh. III S. 604 ( 1261 c. 38). Hiernach ist der lückenhafte
Text de« Fragments c. 4 S. 572 zu ergllnzen. Die Anordnung wiederholt
Mainz 1310 c 149 S. 221.
'' VVürzbnrg 1298 c. 21 S. 31 ; 1330 c. 7 S. 312, bes. 1329, Würdtwein,
N.S. II S. 305. Hier v/ird die Vollmacht der Pönitentiare außerhalb <ler
Stadt zurück^^nzogen; es war hIho auch zu einer Zerfiplittorung dieses Amts
gekommen. Konstanz, Stat. v. 1327 c. 3 S. 2(17: Nobi» et pocnitentiario
noHtro; Utrecht i:^7 c 2 S. 352: GeneraÜH poenitontiariuH; Eichwt. 1354
S. 872b; Prag 1355 f. 14 S. 385; Trier 1419, HaHtgen. ({csch. dos Trier DK.
S. 156.
- 160 —
per se ipsuni\ Da die übertragene Jurisdiktion mit dem Tode
des Auftraggehers erlosch, so nmiUe jeder )ieugewählte Bischof die
Diözesanlichörden neu bestellen. Die Einrichtung der Diözesan-
vervvaltung beschränkte also die bischütliche Gewalt nicht in ähn-
licher Weise, wie dies durch die Archidiakone geschah. Und doch
nmß man sagen, daß das Bischofsamt durch die Ausbildung der
Diözesanbehörden einen neuen Charakter erhielt: es büßte das
persönliche Element ein, das es als Erbe seines Ursprungs im
Anfang des ^littelalters noch besessen hatte. Die Kirche hat in
Deutschland früher als der Staat ein Beamtentum geschafien ; aber
der Bischof Avar durch dasselbe auch früher als der Kaiser der direkten
Beziehung zu denjenigen beraubt, die er leitete. Man braucht
nicht hervorzuheben, daß darin ein Verlust an moralischer Autorität
lag. Die Kirche erschien ganz als Rechtsorganisation.
Unter den liegierungshandlungen der Bischöfe stand die Ab-
haltung der Diözesansynoden an Bedeutung obenan-. Es ent-
spricht dem, daß sie die Synoden in Person zu leiten pflegten,
obgleich die Vertretung durch den Generalvikar oder einen anderen
Prälaten zulässig war^ Wir versuchen, uns die Gestalt zu ver-
gegenwärtigen, die die bischöflichen Synoden in dieser Zeit hatten.
Dabei ist freilich manches unsicher. Schon die Frage, ob
diese Versammlungen mit derjenigen Regelmäßigkeit wiederkehrten,
welche das kirchliche Recht forderte, läßt sich nicht bestimmt be-
antworten. Denn einerseits fehlt es nicht an Anhaltspunkten für
die Annahme, es sei der Fall gewesen, andererseits ist gew^iß, daß
in manchen Diözesen die Synoden viele Jahre hintereinander
unterblieben. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Vorschrift,
luich der jeder Bischof seinen Klerus mindestens einmal im Jahr
um sich zu versammeln hatte, im Rechtsbewußtsein der Zeit
* Vgl, die Reg. iuris am Schlüsse des Lib. sext. Nr. 68.
•• S. Bd. IV 8. 6tf.; Hiiischius 111 S. 582 ff.; (i, Philippi, Die Diözesan-
synode, Freib. 1849. Über Halber.siadt: Winter in d. Ztschr. des Harz-
verein.'< I S. 252 tl.. 11 S, 78ti'. ; Hildesheira: Mahring in den Quellen u.
Diirstell. /, Gesch. Niedersachsens 1905; Straßburg: Sdralek, Die Strßb.
Diözesan.syn. 1894; Westtal. IJistümor: Hillin?, Die westf. Diözes,8yn. 1898;
Brandonburg: Curschniann S. 279 ti'.
•' Vgl, das Stück: Quouiodo initianda sit synodus. Migne 140 S. lOGl.
Beispiele der Vertretung sind die Straßburger Syn. v, 1201, der der Dekan
Würdtwein N, S. X, 198, u. die Hildesheimer Syn. v. 1234, ÜB. 11 S. 186
Nr. 402, der der Donipropst präsidierte, die Paderborner v. 1291, die vom
Domdekan geleitet wurde, Wstt. ÜB, IV, 3 S. 990 Nr. 2158 und die Utrechter
V. 1345, der der Generalvikar jiräsidierto. Hartzheim IV S. 848.
— 167 —
lebendig war: sie wird überall wiederholte nirgends wird ein Bedenken,
geschweige denn ein AViderspruch laut. Sollte eine bewußte Pflicht
regelmäßig außer acht gelassen worden sein ? In vielen Bistümern
gab es ein für allemale bestimmte Synodaltage -. Setzt die Fest-
legung des Termins nicht die Regelmäßigkeit der Wiederkehr
voraus? Aber diese Erwägungen werden erschüttert durch die Tat-
sache, daß in Köln nach der Synode von 1266 mehr als ein Jahr-
zehnt vere:ing, ehe eine neue Synode zusammentrat^. Ist das. was
^ Dass die Diözesansynoden mindestens einmal im Jabre stattfinden^
ist stets als Regel vorausgesetzt; vgl. z. B. den Erlaß Innocenz' III. an den
B. V. Regensburg v. 1209, Ried I S. 297 Nr. 314, die Bundesurkunde des
VVürzb. Klerus v. 1254 M. B. XXXVII S. 362 Nr. 323, die Synodalstatuten
von Wien 1267 Schluß S. 636, Köln um 1280 S. 658, Lüttich 1287 c. 1
S. 684, Würzburir 1298 S. 24, Mainz 1310 c. 48 S. 188, Trier 1310 c. 154
S. 164, Würzburg 1411 c. 7 S. 33, Olmütz 1413 c. 13 S. 43 u. ö.
- Köln: Montag nach Invocavit, Syn. um 1280, Vorr. S. 658, später
auch .am Tag nach St. Remigius, d. h. 2. Okt., 1337 c. 1 S. 443; Minden:
Mittwoch vor Ostern, Wstf. ÜB. VI S. 281 Nr. 920 „celebrari consuevit^
Münster: Montag nach Lätare u. 12. Okt., Syn. nach 1282 c. 1 S. 645 vgl.
auch Wstf. ÜB. . III S. 395 Nr. 761; Lüttich: Simon u. Judä (28. Okt.)
Chron. s. Hub. 30 z. J. 1075, S. 588; Halberstadt: Gründonnerstag u. St.
Lukas s. S, 168 Anm. 1; Konstanz: am Tag nach Kreuzerhöhung, also 16. Sept.,
Stat. V. 1398—1406, DA. von Schwaben XXII S. 113; Hildesheim: Montag
nach Lätare, Freitag nach Pfingsten, u. Oktober, s, Maring S. 4 f. Aber
vgl. die S. 168 Anm. 1 ausgesprochenen Bedenken.
' EB. Sigfrid sagt in der Einleitung seiner Synode^ die Berufung
sei eine Zeitlang unterlassen worden, propter periculosum statum ecclesiae
Colon, et praedecessorum nostrorum occupationes. Die letzte Synode, von
der wir vor der Sigfrids wissen, ist die Engelberts II. v. 1266; da der
Erzbisch, v, 1267 — 1271 vom Grafen von Jülich gefangen gehalten wurde,
.sieh erst 1272 mit der Stadt vertrug und 1274 starb, ist es wenig wahr-
scheinlich, daß er noch eine zweite Synode hielt. Die Sigfrids aber ist
die erste unter dessen Amtsführung. Ihre Zeit läßt sich nicht sicher be-
stimmen. Binterim hat sie vor die Synode zu Münster angeblich 1279
gesetzt, da man doch nicht annehmen könne, ,daß Sigfrid alle seine
Satzungen aus der Münsterischen Synode entlehnt habe", Bd. V S. 91.
Da« letzte war übertrieben: denn es sind zwar Köln c. 7 — 11 = Münster
c. 8 — 18. Aber im übrigen haben beide Synoden auch oigontümlichc Stücke.
Diese Cbertreibung hat Binterims Gedanken ottonbar geschadet. Hofole-
Knöpfler lehnen ihn ab: man könne überhaupt nicht wissen, wer kopiert
habe, Bd. VI S. 200. Aber Binterim hatte recht. Denn, wenn Kfiln r. 11
der Satz steht: ImraunitiitcH . . incontamiiiatas praecipimus . . obHorvuri,
poenaM . , innovante« . . quas f. r. praedecensor noster Engelbertus ao . .
onlinavit. Item coemeteria clausa et munita cusodiantur etc., und dafür
MüHHter c, 18: Item utatuimus, immunitaten . . incontaminutas obsorvari,
— 168 —
am Rheine geschah, an der Elbe oder dei- Donau unmögUch?
Dazu kommt die Ungleichmäßigkeit der ÜberHoferung sowohl füi-
die verschiedenen Diözesen als auch für die Amtstuhrung der
einzelnen Bischöfe. Weist sie nicht darauf hin, daß das persöu-
hche Element, überhaupt die zufäUigen Verhältnisse in diesem
Punkte wie in vielen anderen, einen stärkeren Einfluß ausübten,
als die neuere Zeit gewohnt ist? Doch auch, wenn man alle diese
unsicheren Faktoren berücksichtigt, liegt, wie mich dünkt, kein
Grund zu der Annahme vor. daß die Diözesansynoden im 13. und
14. Jahrhundert im allgemeinen seltener waren, als im elften und
zwölften \ Im Gegenteil wird man eher geneigt sein größere
mandamus, ut coemeteiia clausa et munita custodiantur etc., so ist wahr-
scheinlich, daß die Kölner Fassung die ursprüngliche ist: denn der Bearbeiter
einer fremden Vorlage wirft leichter eine für seinen Zweck nicht passende
Stelle aus, als daß er etwas neues einfügt. Auch die stilistische Uneben-
heit, die den Sätzen von Münster anhaftet, macht wahrscheinlich, daß hier
geändert ist. Da die Münsterische Synode nicht 1279, sondern nach 1282
abgehalten wurde, so wird die Kölner um 1280 anzusetzen sein. Eine be-
stimmtere Zahl läßt sich nicht daraus entnehmen, daß die Münst. Stat. v.
1282, Wstf. ÜB. III S. 620 Nr. 1182 sich nicht auf die Kölner Statuten
berufen. Denn die Kölner Syn. war eine Diözesansyn., ihre Statuten gingen
also Münster nichts an.
* Brackmanns Satz, in der Diözese Halberstadt hätten bis 122«;! regel-
mäßig jedes Jahr 3 Generalsynoden stattgefunden, in Halberstadt an St.
Lukas, in Gatersleben und Oschersleben am Gründonnerstag, bezw. Juni und
Dezember, wird von den Tatsachen nicht getragen. Regel waren 2 Synoden
s. ÜB. 1 S. 114 Nr. 147 v. 1120: Annatim bis ad sinodum maiorom Halb,
venire. Aber die Frage ist, ob u. wie die Regel beobachtet wurde. Um
mit den Tagen zu beginnen, so wissen wir vor 1228 im ganzen von 4 Sy-
noden in Oscher.sleben; sie fanden statt: im März Nr. 302, im Mai Nr. 282
u. 305 u. im Juni Nr. 489. Von Gatersleben sind uns 9 Synoden bekannt;
bei dreien wissen wir den Tag nicht, Nr. 208, 363, 364, 565; von den übri-
gen fand eine im Mai statt Nr. 167, 4 im Juni Nr. 229, 284, 290, 326, 1
im Dez. Nr. 242: am Gründonnerstag also nicht eine. Dagegen wissen wir
von 10 Halberstädter Synoden am Gründonnerstag, Nr. 147. 202, 204, 2U5.
207, 213, 313, 325, 362, 570, gegen 8 am Lukastag, Nr. 151, 189, 200, 222a,
230, 231, 236, 462. und 9 an anderen Tagen. Nr. 201, 299, 310, 474, 478,
569, 585, 598, 604. Es ist unmöglich, feste Tage für Gatersleben und
Oschersleben zu behaupten. Nur Gründonnerstag und St. Lukas waren
feste Tage, sie aber für Halberstadt. Aber auch die jährliche Wiederkehr
der Synoden läßt sich nicht beweisen. Die Sache liegt, wenn man von den
unsicheren Füllen nbsieht, so: Synoden sind nachweislich bis 1120 keine:
denn, daß die Urk. v. IS. Okt. 1118 auf einer Synode erlassen wurde, ist
nicht gesagt. Dann 1120 (zwei, 16. Apr. u. IS. Okt.), 1121, 1133 (vielleicht
zwei. 25. Mai u. 22. Juli [?]). 1137. 1141 (/woi. is. Okt. u. 5. Dez.), 1142.
— 169 —
Regelmäßigkeit zu vermuten, wenn man sich die ausgeprägte
Neigung der Zeit, alle Verhältnisse gesetzlich zu binden, vergegen-
wärtigt. Zwei Jahressynoden scheinen im dreizehnten Jahrhundert
so selten gewesen zu sein, wie früher; dagegen kamen sie im vier-
zehnten Jahrhundert da und dort vor\ Aber gerade in dieser
1143, 1144, 1145 (zweij, 1146, 1147. 1148, 1150 (zwei, 5. Jun. u. 17. u. 18.
Okt.), 1151, 1153, 1178, 1179, 1180, 1183, 1184 (zwei, 29. März u. 28. Mai),
1185, 1186, 1189 (zwei, 6. Apr. u. 8. Juni), 1194, 1195 (zwei). 1196, 1197,
1199, 1200, 1202, 1211. 1212, 1214, 1215, 1218, 1220, 1224, 1225 (zwei, 14.
u. 26. März), 1226, 1227, 1228. Man sieht: 3 Synoden in einem Jahre sind
überhaupt niemals nachweislich, 2 Synoden sind von 9 Jahren unter
mehr als hundert zu belegen, die regelmäßige Jahressynode ist für die
Amtszeit Rudolfs (1136— 1149i und Gardolfs (1193—1201) wahrschein-
lich; für alle übrigen Bischöfe dagegen nicht. Dies Resultat ver-
schiebt sich nur wenig, auch wenn man alle von Winter angeführten
möglichen Fälle mitzählt. Denn Pausen, wie die von 1121 — 1133,
1153 — 1178, 1202 — 1211 sind zu lang, als daß man annehmen könnte, daß
zwar Synoden gehalten wurden, aber ihre Spuren verschwanden. Erst um
1400 stehen 3 Synoden fest: an St. Lukas, feria sexta post Laetare u. post
Trinitatis. Über die letztere heißt es in der von G. Schmidt, Zeitschr. d.
Harzver. VI, 187.B veröffentlichten Tabula S. 52: Tertia syn., que est post
Trinitatis et est quasi particularis, quia prima fit Osschirsleve et post b
dies in Wegheleve, etc. Behauptet hat sich also nur die Lukassynode.
Das weist nicht gerade darauf hin, daß die anderen regelmäßig gehalten
wurden. Auch für Hildesheim ist von Maring „die Tatsache, daß im 12,
Jhrh. jährlich regelmäßig drei Synoden gehalten wurden", nicht wirklich
nachgewiesen. Für die Zeit von 1125 — 1259 sind 31 HildeSheimer Synoden
nachweislich, nämlich eine für 1125, 1131, 1146, 1147, 1149, 1152, 1157,
1160, 1173, 1176, 1178, 1181, 1184, 1192, 1198, 1208, 1209, 1212, 1224, 1227,
1239, 1244, 1246, 1258, 12.^9: für 25 Fälle je eine Synode im Frühjahr oder
HerVjst; für 1151, 1206 u. 1210 je 2 Synoden; 3 Synoden überhaupt nicht.
Da.s Äußerste, was hieraus mit einiger Sicherheit geschlossen werden kann,
ist, daß in Hiluesheim die Diözesansynoden niemals außer Übung kamen.
Aber schon die Frage, ob sie im Frühjahr u. Herbst, oder im Frühjahr oder
Herbst abgehalten wurden, kann man verschieden beantworten. Und die
Annahme von 3 Synoden ruht ganz auf Sand; auch die Tagosdaten tragen
sie nicht. Denn von den 14 Syn. des 12. .Ihrh.s fanden 10 im März oder
Okt. 8tatt, die übrigen 4 im Mai, Juni, Aug. u. Nov. d. J. Diese Daten
«ind zufällig. Ich fürchte, das Bestreben, im MA. etwas der gegenwärtigen
Kei^einiäßigkeit Analoges nachzuweisen, führt zu einem falschen Bild dorZnit.
' Die Annahme von Phillips S. 48, daß in den meisten Diözesen zwei
.lahrensynoden iitattfanden, läßt sich nicht beweisen. Unsere Nachrichten
für das 13, Jahr}iun<lort nind zu lückenhaft. Ich vorweise auf das eben
Ober Halberatadt und llildeshoim Gesagte. In MünHtor, um ein drittes
BeiHpiel zu erwähnen, iit's nicht anders. Hier wissen wir von Synoden am
20. Mär/. 1261. 24. (?) März 1270, 11. Okt. 1272. 11. Okt. V^H'^, II. Okt.
— 170 —
Zeit erliilniite auch den Synoden gegenüber das frühere Pflicht-
gefühl. Der regelmäßige Besuch von seiten der Priestei-schaft und
die regelmäßige Abhaltung von seiten der Bischöfe waren nicht
mehr zu erzwingen \ Schließlich begann das alte Recht abzu-
bröckeln. In Konstanz verstand sich Markward von Randegg
dazu, die jährliche Wiederkehr durch einen dreijährigen Wechsel
zu ersetzen, und in Würzburg l)eschränkten die Statuten von 1411
den Zusammentritt der vollzähligen Synode auf eine Frist von fünf
zu fünf Jahren, während in der Zwischenzeit nur eine engere \er-
sammlung tagte'-.
Die Synoden wurden wie früher in der Regel in der Dom-
kirche abgehalten. Doch stand es den Bischöfen frei, sie nach
jeder anderen Kirche der Diözese zu berufen. Demgemäß haben
die Passauer Bischöfe wiederholt Synoden in dem reichen Chor-
herrnstift St. Polten abgehalten, die Kölner Erzbischöfe in Bonn,
die Mainzer in Erfurt"'. Im Bistum Halberstadt wurden Oschers-
1294, 14. März 1295, 5. März 1296, 26. März 1297, Westf. ÜB. 111 Nr. 68b,
850, 928, 1223. 1501, 1507, 1544, 1566. Aber wer möchte auf diese un-
vollständige Reihe sichere Schlüsse bauen? Nicht einmal die Erwähnung
der Herbstsynode Nr. 672 und der Frühjahrssynode Nr. 761 als feststehender
Termine, gibt Sicherheit darüber, daß das, was geschehen sollte, wirklich
regelmäßig geschah. Auch über Straßburg scheinen mir die Angaben zu
dürftig, als daß die Annahme sicher wäre, es seien der Regel nach zweimal i. .).
Diöz. Synoden gehalten worden, Sdralek S. 22. Erst im 14. Jahrhundert ge-
winnt man etwas festeren Boden: jetzt bietet Köln für eine Anzahl von
.lahren eine vollständigere Reihe, Hartzh. IV S. 305 ff. u. 427 ff., ebenso
Utrecht S. 342 ff., und am Ende des Jahrhunderts Speier, s. Collectio pro-
cessuum dioec. Spirens. 1786 S. 1 ff . Auch für Paderborn wird die zwei-
malige Abhaltung wahrscheinlicher, s. Finke. Ztschr. f. vaterl. Gescb. 49
S. 162. Aber man wird sich hüten müssen, diese Wahrnehmungen zu ver-
allgemeinern: für alle deutschen Diözesen u. für eine längere Periode ist
08 unmöglich, der zweimaligen Synode den (inul von Wahrscheinlichkeit
zu vorleihen, der einen Beweis ersetzt.
' Walram von Köln konstatierte 1337, daß manche Priester venire,
stare et comparere in ipsis conciliis non curarunt; er erneuerte die älteren
Statuten mit ihren Straf bestimmungen, S. 442 f. Gerlacb von Mainz suspen-
dierte auf der Synode v. 1855 omnes absentes abs(|ue nostra licentia, S. 327.
Eine ähnliche Maßregel ergriff 1367 — 90 .Vlbrecht von Halberstadt, Stat.
c. 30 S. 329. Eberhard von Salzburg bedrohte 1418 seine Suffragane, wenn
sie unterließen, ihre Synoden zu halten, mit der Suspension, c. 2 S. J72f.
- Konst. Stat., Diöz.Arch. v. Schwaben XXIIl S. 45: de triennio ad
triennium. Würzb. c. 7 S. 33: Feria «luarta post dorn. Jubilate de quin-
(|uennio in quin«iuennium.
' Synode in St. Maria zu Erfurt 1223, Ann. Erpli. fr. pr. S. 80;
— 171 —
leben und Gatersleben neben der Metropole Synodalorte \ Aber
im allgemeinen behaupteten die bischöflichen Kirchen ihr Vorrecht.
Daß die Verhandlungen im Rahmen fester liturgischer Formen
sich vollzogen, war von lauge her üblich. Sie scheinen niemals
durchgi'eifende Veränderungen erfahren zu haben -. Nur machte
sich die wachsende Vorliebe für AVürde und Feierlichkeit der Form
auch bei den Synoden je länger je mehr bemerklich. Man legte
den größten Wert darauf, daß alle Mitglieder in Amtstracht mit
den Insignien ihrer Würde erschienen^.
Zur Teilnahme an den Synoden war nach dem alten Recht
der gesamte Diözesanklerus bis herab zu den Vikaren und
Kapellanen verpflichtet^. Der innner noch übliche solenne Name
Generalsynode spricht das aus*^. Aber vollständige Synoden in
St. Polten 12^4 u. 1294; Haitzli. 111 S. 673, IV S. 20. Syn. in Bonn 1318,
Seibertz, ÜB. II S. 152 Nr. 574, Febr. u. Okt. 1880, Hartzh. IV S. 305 u.
308, Für Brandenburg, s. Curschmann S. 282.
1 S. S. 168 Anm. 1.
- Vgl. Bd. IV S. 7. Der dort angeführte modus initiandi synodum
gibt eine Vorstellung der liturg. Form. Doch gehört er nicht nach Deutsch-
land, da er nur die Fürbitte für den König, nicht für den Kaiser kennt.
Die äußere Form schildert der Beriebt über die Paderb. Syn. v. 1324,
Hartzheim IV S. 285.
^ Köln um 1280, S. 658: Abbates cum albis stolis et cappis choralibus
desuper de serico vel samitto cum baculis et mitris . . . Praelati saeculares
tum pelliciis et superpelliciis et cappis de serico vel samitto. Priores . .
cum albis et stolis. Decani et archipresbyteri similiter . .»Reliqui presby-
teri et clerici in superpelliciis.
^ Bei der Kölner Syn. v. 1266 sind genannt: Capitulum nostrum et omnes
praelati et ecclesiae et clerus civitatis et dioecesis Coloniensis, S. 619. Köln
um 1280, Vorr. S. 658: Abbates . . prehiti saeculares . . priores religio-
Horum locorum . . decani christianitatum et archipresbyteri . . reliqui pros-
byteri et clerici; vgl. den Schluß der Vorrede, wonach (juilibet sacordos
ecclesiam vel capellam ofticians, vel plebem regens sich eine Abschrift der
Statuten zu verrtchatfen hat. 1837 sind oinnes praelati, coUegia, christiani-
tatum decani, plebani, capellani, vicarii als zum Erscheinen verpfliclitet,
genannt, S, 448. Würzburg 1298 c. 1 S. 24: Omnes, maximo curam ani-
niarum habentes. l'trecht 1345 c. A,, S. 248: Omnes et singiili abbates
. . et clerici civitatis et dioecesis Traiect. Wörtlich ebenso Utrecht 1854
c. 1 S. 365, wo diaconoM oflenbar irrig statt decanoa steht. Über die Teil-
nahme der Pfarrer an den Synoden dos 12. Jahrli.s, s. Hilling, Arcli. 1".
kath. KK. 79 8. 216. Die Schloßkapollanii wurden schon Fritzlar 1214
^-=1261 c. 3H S. 605) eigens genannt, wiederholt .Mainz 1810 c. 28 S. ISO.
Hillingrt Angabe S. 230 ist demnach ungenau.
BeiKpiele; Hildeshoim 1230 S. 536; Köln um 1280, Vorrede S. 658;
.Munster nach 12X2 <:. 1 S. 645; Lüttirh 1287, Vorrede 6H4 ; 1290 S. 721 u. ö.
— 172 —
diesem Sinne werden sehr selten gewesen sein. Für gewöhnlich
erschienen außer den Mitgliedern des Domkapitels die Pröpste und
Prioren der übrigen Stifter, ein Teil der Abte, die PriUaten der
Weltgeisthchkeit und die Pfarrer ^ Es fehlte also die Menge der
Stiftsgeistlichen. Man betrachtete sie als durch ihre Pröpste ver-
treten. Doch führte Sigfrid von Köln das eigentliche Vertretungs-
prinzip ein. Er bestimmte, daß die Stiftshen-en jeder Kollegiat-
kirche einen oder zwei Prokuratoren für die Synode bevollmächtigen
sollten-. Dadurch wurde für die Zusammensetzung der Synoden
das Prinzip herrschend, dem die Zukunft gehörte. Doch war es
am Ausgang des dreizehnten Jahrhunderts nicht mehr ganz neu;
vereinzelt ist es schon im zwölften Jahrhundert vorgekommen •^
Von den Abten waren die der päpstlichen Klöster und der
Cistercienser von der Teilnahme befreit. Auch die Prioren und
Guardiane der Bettelorden erschienen nicht ^ Was endlich die
Pfarrer anlangt, so stand der Grundsatz, daß sie sämtlich zu per-
sönlicher Teilnahme verpflichtet seien, in unei*schüttertem Ansehen.
Aber bei der großen Ausdehnung der meisten deutschen Diözesen
mußte die mehrere Tage dauernde Vereinigung des gesamten
Plena synodus bei Konracl v. Porto, Haitzb. 111 S. 516; auch in Hildesheim
1206, ÜB. I S. 585 Nr. 614. Generale capitulum in Konstanz um 1150,
Wirt. ÜB. IV S. 352 Nr. 53; 1179; in s. capitulo coram clero et populo
publice, Konst. Reg. 1045. Diözesansynode findet sich in Deutschland, wie
es scheint, zuerst bei Heinrich v. Köln, 1322 S. 283. Über Capitulum, s.
Maring S. 12; über Sj'nodus opiscopalis, Sdralek S. 5.
^ In Münster nach 1282, c. 1 S. 645, werden zum Erscheinen ver-
pflichtet omnes abbates, praepositi, priores religiosarum ecclesiarum et prae-
lati, praepositi, decani saecularium ecclesiarum et rectores nostrae civitatis
et dioecis. Hier sind also nicht genannt die Chorherrn, abgesehen von den
Prälaten, u. die nicht festangestellten Priester. Lüttich 1287 c. 1 S. 684
sind genannt decani, sacerdotes et alii, qui synodo interesse tenentur.
Hierzu scheinen aie Kapellane u. die gewöhnlichen Kleriker nicht gerechnet
worden zu sein.
- Capitula et quaelibet collegia per unicum vel per duos procuratoros
de ipsorum collegiis comparebunt, S. 658.
■' Diese Vertretung war in Wildoshausen schon 1184 üblich, Osnabr.
ÜB. I S. 297 Nr. 377. Ebenso war 8t. Peter in Wimpfen auf den Wormser
Synoden seit unvordenklichen Zeiten durch einen Bevollmächtigten ver-
treten, Urk. V. 1384 bei Hartzh. IV S. 529. Auch auf der Würzburger
Nationalsynode v. 1287 sollte jedes Stift und jedes Kloster durch zwei Be-
vollmächtigte vertreten sein. C. J. Hl S. 598, 11 Nr. 623.
» Konst. Syn. v. 19. Okt. 1289 bei Neugart, Episc. Const. 11 i^. 6üU
Nr. 69. Die Cistercienser waren schon durch ürban II. 1186 vom Besuch
befreit worden.
— 173 —
Pfarrklei-us an einem Orte Schwierigkeiten und Nachteile mit sich
bringen \, die sich um so lebhafter aufdrängten, je häufiger die
Synoden wiederkehrten. Es scheint, daß deshalb die Bischöfe da
und dort engere Synoden beriefen. Die Passauer Bischöfe wenig-
stens tagten wiederholt nm* mit den Prälaten und den Erzdiakonen '^.
Auch in Köln sind 1306 nur die Domherren und die Prälaten
genannt^. Ofl'enbar hielten sich die Bischöfe für befugt, je nach
den Umständen die Ladungen zur Synode enger zu begrenzen oder
weiter auszudehnen. Aber so viel in praktischer Hinsicht für die
Beschränkung sprechen mochte, eine Tagung ohne die Pfarrer war
ein so offenkundiger Verstoß gegen Zweck und Wesen der Synode,
daß dieser Ausweg nicht allgemein eingeschlagen werden konnte.
Man kam nun auf den Gedanken, eine so oder so getroffene Aus-
wahl von Pfarrern zu den Synoden zu laden ^. Schließhch fand
man die sachgemäße Lösung der Schwierigkeit, indem man das
Vertretungsprinzip auch auf die Pfarrer anwandte. Das geschah
1327 in der Konstanzer Diözese: jedes Kuralkapitel hatte zwei
Pfarrer abzuordnen. Diesem Beispiel folgten alsbald andere Diözesen'^.
Ln friiheren Mittelalter erschienen neben dem Klerus auch die
Laien auf der Synode^. Dieser Rest des Altertums erhielt sich
sowohl im Norden wie im Süden bis ins dreizehnte und vierzehnte
' In Mainz erschienen zu den Diözesansynoden die entfernter wohnen-
den Priester nicht. Das ergibt der Erlaß Gerlachs v. 11. Mai 1355: Hos . .
qui de iure ac de consuetudine ad hanc s. synodum quotiens occurrerit
venire tenentur, alios autem plurimum ab hoc loco distantes, Beiträge z.
Hess, KG. II S. 308.
- Gotfrid V. Passau, rtiit Bezug auf die Synode zu St. Polten 1284:
De consilio fratrum nostrorum praelatorum ac archidiaconorum, S. 680.
St. Polten 1294: De consilio . . abbatum, praepositorum, archidiaconorum
et aliorum qui eidem capitulo aderant.
' Köln 1306 S. 100: De consilio et assensu capituli nostri et praela-
torum Coloniensium; 1307 S. 107 ebenso, dagegen S. 113: de nostro, nostro-
rumque praelatorum et cleri consilio et assensu.
* Die Synode zu Kamerich 1300 bestimmte, daß zwei Drittel der Pfarrer
nach Auswahl der Dekane erscheinen sollten c, 1 S. 66, die von Olmütz
1413 begnügte sich mit 4 i'farrern aus jedem Dekanat c. 13 S. 43.
* MeineH Wissens hier zuerst: C^uilibet docanus christiauitatum voniat
cum duobus ad plus de huo capitulo fratribus, magis idoneis, quos ad hoc
ipsa capitula duxerint deputandos, S. 292; vgl. 1435 DA. v. Schwaben XXIM
S. 63. Später auch in Brandenburg, s. (.'urHchinann S. 2HG, in Utrecht 1353:
Vel saltem mittant de quolibet decanatu . . duos vel tres procuratores,
S. 365, ebenso in Wilrzburg, s. 1411 c, 7 S. 33, wo aber alle 5 Jahr« eine
vollständige Synode folgen sollte, s. o. S. 170 Anm. 2.
" S. HinschiuH 8. 586 u. 58K; Flilling im Arch. f. kath. Kh'. 79 S. liOiMl'.
— 174 —
Jjilirlmndort ^ Allerdings nahmen jetzt wie früher die Laien nicht
an silnitliclien Verhandlungen Anteil. A her so weit es geschah, waren
sie vollherechtigte Mitglieder; sie hatten das Stimmrecht wie die
Kleriker-. Wenn sie am Ausgang des Mittehilters aus den Syno-
den verschwanden"', so war es gewiß nicht die Kirche, die sie ver-
drängte. Denn sie hetrachtete die Teihiahme an den Synoden als
eine PHicht. der sich kein Berufener entziehen durfte*. Der Grund
' Hinschius S. 594 läßt Laien im 13. u. 14. Jahrh. nur noch ganz
vereinzelt erwähnt werden. P]benso Hilling S. 230 u. Maring S. 19, Doch
ist (las nicht richtig. Vgl. außer der Wormser Synode v. 1224, die Hin-
schius nennt: Ratzeburg 1217, Meklenb. ÜB. I S. 214 Nr. 228: In maiori
sinado nostra sentencia . . a clericis et a militibus et universis qui aderant
approbata est. Hildesheim 1230 S. 536: Coram viris idoneis tarn ecclosias-
ticis quam saecularibus . . in generali nostro synodo; Speier 1232 ÜB. I
S. 193 Nr. 187: Presentibus abbatibus . , et nobilibus laici.s. Paderborn
1252— 77, Westf. ÜB. IV,3 S. 315 Nr. 517: Prelatis, plebanis, sacerdotibus et
laicis approbantibus; Eichstätt 1268, Falckenstein, C. d. Nordgav. S.56 Nr. 53;
Halberstadt 1316, ÜB. JII S. 133 Nr. 1957: In generali nostra synodo . .
clericis et laicis qui aderant consentientibus; Halberstadt 1328, S.317 Nr. 2199:
Generali synodo . . omnes tam clerici quam layici concordarunt; Würzburg
1329, S. 242: Copiosa multitudine cleri et populi in ipsa nostra ecclesia
presentibus nobisque s. synodo presidentibus; Brandenburg 1381, s. Cursch-
mann S. 284. Hilling bezieht sich S. 223 zur Begründung der Teilnahme
des Adels an den Diözesansynoden auf die Bezeichnung: homo synodalis.
Dabei ist die Synode und der Bischofssend gleichgesetzt. Ich bezweifele
aber, ob das richtig ist. Denn 1. fallen an sich die Diözes. -Synode, syn.
generalis, u. das bisch. Sondgericht nicht zusammen. Der Unterschied blieb,
auch nachdem die regelmäßige Abhaltung des Send an die Erzdiakone
übergegangen war. Denn dem Bischof blieb es vorbehalten, im 4. Jahre
den Send persönlich zu halten, während er die Synode jährlich zu
halten hatte. 2. waren die Synoden, womit auch Hilling einverstanden
ist, nicht nur vom Adel besucht, s. die angef. Stellen. Der homo syno-
dalis ist also nicht der zum Besuch der Diözeeansyn. verpflichtete, sondern
derjenige, der seinen Tierichtsstand vor dem Sendgericht des Bischofs —
nicht dem des Archidiakon — hat. Das sagt die Urk. Irings v. Würzburg
v. 1263, M. B. XXXVII S. 408 Nr. 256 ganz klar; sie unterscheidet: eos
qui immediate subsunt episcopo, puta eos, qui dicuntur synodales, laicos,
<[ui plebanis subsunt, clericos, qui docanis subsunt. Zallinger unterscheidet,
Mitt. des Inst. X S. 219, richtig den Bischofssend von der Synode, mit der
er sich verband.
- S. unten S. 175 Anm. 3 über den Ordo de celebrando concilio. DaL'«
sie Stimmrocht hatten, zeigen die oben Anm. 1 gesammelten Stellen.
•' So Hinschius S. 594. Ich vermag den von ihm nicht bewiesenen
Satz nicht zu beweisen.
* Dieser Anschauung entsprechen Wendungen wie omnes personae,
— 175 —
lag wahrscheinlich iu der Yeräuderurg des Geschäftskreises der
Synoden, infolge deren das Interesse der Laien an denselben
erlahmte.
Auch dieser Wandel wurde nicht durch kirchliche Anordnun-
gen herbeigeführt. Er war eine nicht beabsichtigte Folge der bischöf-
lichen x\mterorganisation. Durch die Schaffung eigener Gerichts-
und Adniinistrativbehörden wurde den Synoden der größte Teil
der richterlichen und der Verwaltungsgeschäfte entzogen, die sie
bisher erledigt hatten \ Wer eine Klage erheben oder einen Rechts-
streit entschieden haben wollte, wer die Bestätigung einer Stiftung,
eines Kaufes oder eines Verzichts u. dgl. suchte, kam rascher zum
Ziel, wenn er sich an den Offizial des bischöflichen Hofes wandte,
als wenn er auf die nächste Synode wartete. Ahnlich wirkte die
Ausbildung des Zustimmungsrechts der Domkapitel bei vermögens-
rechtlichen Handlungen der Bischöfe"-. Die Folge war, daß diese
Geschäfte nach und nach fast vollständig von der Tagesordnung
der Synoden verschwanden. Da aber die Laien stets nur an ihrer
Beratung und Erledigung tätigen Anteil genommen hatten '^ so lag
es in der Natur der Sache, daß sie sich von den Synoden mehr
und mehr zurückzogen. Sie hatten dort nichts mehr zu tun.
Die Synoden veränderten dadurch ihren Charakter. Wie sich
ihre Tätigkeit fast ganz auf Angelegenheiten des geistlichen Standes
beschränkte^, so wurden sie selbst zu rein geistlichen Versamm-
luDgen. Dem entspricht, daß sie vielfach wie Standes Vertretungen
des Klerus erscheinen. Das war nicht ohne Wert. Sie festigten
den Zusammenhalt und verstärkten das Gemeinschaftsgefühl der
quae tenentur Interesse synodo u. dgl. Vgl. auch die Urk. Reinhards v.
Halberstadt v. 1120, ÜB. I S. 114 Nr. 147.
• Daraus erklärt sich zum Teil die Spärlichkeit der Nachrichten über
Synoden der späteren Zeit; die größte Zahl der früheren ist nur durch
Urkunden bezeugt.
« S. darüber unten S. 214 f.
^ Nach dem Ordo de celebr. concil. sind die Laien bei der Eröttnung
der Synode anwesend, verlassen sie aber wieder vor Beginn der Verhand-
lungen. Diese werden durch eine Ermahnung doH nischofs eingeleitet;
dann heißten: Quisquis clericorum velit, conferat ([uerelam. Hierauf: Tunc
gi clerici querelam non habent conferondam, laici intromittantur. Nach
der ürk, des Kölner EB. Sigewin über den Gottesfrieden 1083, M.(i., (M. I
S. 603 Nr. 424, ließ der EB. seine Vorlage v(»rlesen, dann wurde sie bo-
»prochen, endlich von KleruH und Volk pari voto gebilligt.
♦ Da« wurde eher gefördert als gehindert. Die Synode von Lüttich
1287 beitimmte r. 1 S. 684: Nee aliquis alferat in synodo ciiUHaH vel no-
gotia impertinentia ad synodum.
I
— 17H —
Kleriker'. Aber sie scliinnton auch die Stellung und wahrten
die Rechte und Vorteile des Klerus so schroft' und i'ücksichtslos. wie
nur je die Vertretung]; irgend eines anderen Standes dessen Interessen
verteidigt hat. Der Beweis liegt in der aui' den Synoden durch-
geführten Schutzgesetzgebung für den geistlichen Stand'-. Das alte
deutsche Recht hatte die Person des Klerikers dadurch geschirmt,
daß sie ihm höheres Wehrgeld zusprach. Die Voraussetzung war.
daß der weltliche Richter dem geschädigten Kleriker zum Rechte
half. Seitdem alle Angelegenheiten geistUcher Personen dem welt-
lichen Gericht entzogen waren, bedurfte es eines anderen Schutzes.
Die Kirche fand ihn darin, daß sie den Schädigern ihrer Diener
ihre heilsmittlerische Tätigkeit versagte und sie vom Verkehr der
TTläubigen ausschloß '^ Dabei ging die deutsche Rechtsbildung
noch über die allgemein kirchliche hinaus^. Denn einerseits ver-
^ Dem Zusammenhalt des geistlichen Standes dienten auch Einrich-
tungen, die als Seitenstück zu den alten Gebetsverbrüderungen betrachtet
werden können, und die sich jetzt an die Synoden knüpften. Die Lütticher
Syn. V. 1287 verfügte, c. 8, 11t. S. 695, daß die Dekane die Namen der im
Laufe des Jahres verstorbenen Pfarrer zu verkünden hatten, ut in synodo
absolvantur. Nach der Heimkehr hatte jeder Priester für den Verstorbenen
eine Seelenmesse zu lesen.
- Daran waren natürlich ebenso die Provinzial- wie die Diözesan-
synoden beteiligt. Statuten zum Schutze des Klerus laufen durch beide
Reihen hindurch; grundlegend sind die Verordnungen von Mainz 1233 c. 50 f.
S. 142 u. die Fortbildungen dieser Kap. Für die Haitun? der Diözesan-
synoden sind besonders bezeichnend die Straßburger Statuten v. 1251, Zeitschr.
f. Gesch. d. ORh. III S. 142, auch Straßb. ÜB. I S. 258 Nr. 346, von Alex. IV.
bestätigt, S. 301 Nr. 401, vgl. auch Städtechron. IX S. 967, und die Synode
Engeberts v. Köln 1266, S. 618 tf. u. ihre Wiederholungen v. 1310 c. 2 ff.
S. 118 u. V. 1835 c. 7 S. 437. Vgl. ferner Pass. Stat. v. 1260—64 S. 456;
Basel 1297, Trouill. H S. 660t!'. Nr. 506; Magdeburg 1322 c. Itf. S. 280;
Köln 1322 c. lö'. S. 282; Würzburg 1330 c. 3 S. 311; Trier 1839 S. 332;
Lübeck 1342 S. 335; Magdeb. nach 1389 de offic. deleg. S. 681. Hier
schritt man zur Aufstellung von procuratores fiscales, die als ständige An-
wälte des Klerus bei jeder Verletzung Klage zu erheben hatten.
' Das mit der Exkomm. verbundene Verkehrsverbot wurde von
Gregor VII. auf der röm. S^-node v. 1078 für die Farailienglieder und
solche, die von der Exkommunikation keine Kunde hatten, zeitweilig ge-
mildert, Mon. Greg. S. 308. Noch etwas weiter ging Innocenz III. Indem
Gregor IX. dessen Erklärung in seine Dekretalen aufnahm. V, 39, 31, wurde
die Milderung gemeinrechtlich.
■* Die letztere beginnt mit der Verordnung Innocenz' II. auf der Synode
von Clermont 1130: Si quis . . in clericos vel monachos manus iniecerit,
anathemati subiaceat, c. 10 Mansi XXI S. 439. Sie wurde zu Rheims 1131
— 177 —
mehrte sie die Fälle, in denen das kirchliche Einschreiten erfolgte,
andererseits verschärfte sie die Strafen. Sie stellte der Verwundung
oder Ermordung einer kirchlichen Person ^ die Gefangennahme
oder Gefangenhaltung eines Klerikers-, selbst die Verletzung der
familia ecclesiastica '^ gleich; schon die Drohung mit Gewalt bestrafte
sie durch die Exkommunikation*. Wie jeder dem Banne verfiel,
der eine Kirche oder eine kirchliche Person beraubte "^ so auch wer
es unterließ, die geliehenen Güter zu Lehen zu nehmen^. Ebenso
war jede Schädigung des kirchlichen Zehntrechts ", die Verletzung
der Immunität*^, die Benützung der Kirchhöfe zu kriegerischen
Zwecken*', das erzwungene Einlager^^, die Erhebung von Zoll,
Wegegeld u. dgl. von kirchlichen Personen ^^ mit dem Banne be-
droht. Bei den schwereren Fällen trat die Exkommunikation ipso
facto, bei den leichteren nach vergeblicher Mahnung ein. Ver-
wiederholt, üdalr. cod. 258 S. 441, in Pisa 1135 dadurch verschärft, daß
die Absolution des Exkommunizierten — außer in Todesgefahr — dem
Papste vorbehalten wurde, c. 12 Mansi XXI S. 490, von der 2. Lateran-
synode v. 1139 von neuem wiederholt, c. 15 Mansi XXI S. 530 und in
dieser Form von Gratian in den 2. Teil seines Dekrets aufgenommen, C.
XVII q. IV c. 29:
^ Straßburg 1251 c. 1 S. 143; Bremen 1266 c. 6 S. 580 u. a., zusammen-
fassend Mainz 1310 c. 132 S. 214.
2 Sigfrid u. Gerhard v. Mainz (s. Mainz 1261 c. 1); Straßburg 1251
c. 16 S. 144; Magdeburg 1261 c. 6—8 S. 806; Mainz 1261 c. 1 S. 259
(=Hartzh. c. 43 S. 1261); Köln 1266 c. 1 S. 619, c. 19—23 S. 624 u. a.
Die Lütticher Synode v, 1287 bannte selbst Richter, Schöffen,»Grundherrn etc.,
durch deren Gebiet ein gefangener Kleriker geführt wurde, c. 16,2 S. 707.
' Straßburg 1251 c. 25 S. 146; vgl. Magdeb. 1261 c. 17 S. 807; Münster
1279 c. 21 S. 651; Würzb. 1287 c. 33 S. 732.
* Trier 1310 c. 21 S. 134.
"i Mainz 1233 c. 50 S. 142; Straßb. 1251 c. 26 S. 146; Mainz 1261 c.
19 S. 264 u. a. ; ebenso Brandstiftung auf Kirchengut: Köln 1266 c. 2
S. 619, Münster nach 1282 c. 21 S. 651 f. u. n.; Usurpation von Kirchengut:
Würzb. 1287 c. 20f. S. 729f.; Trier 1310 c. 109—111 S. 151; Mainz 1310
c. 70 S. 195 u. a.
« Magdeb. 1266 c. 12 S. xiA; vgl. St. Polten 1284 c 33 S. 680.
' Köln 1266 c. 5 S. 620; Wien 1267 c. 7 S. 634; Trier 1310 c 24
S. 134 u. a.
* Straßburg 1251 c. 25 S. 146; Magdeb. 1261 c. 21 S. 807; Köln 1266
c. 3 S. 620; Lüttich 1287 c. 15,2 S. 705 u. a.
" Magdeb. 1261 c. 13f., 21 S. 806f.; Würzb. 1287 c. 28 S. 732; Mainz
1310 c. 108 S. 265 u. a.
>o Mainz 1261 c. 11 S. 262; Magdeb. 1261 c. 11 S. 806; Köln 1266 c.
6 S. 621, Mainz 1310 c. 111 S. 206.
" Magdeb. 1261 c. 10 S. 806; Köln 1266 c. « S. 621.
Ilauck, KircheDgescbicbte. V. 12
— 17S —
schürft wurde sie durch (ho örtenthcho und uanienthche Verkün-
digung \ durch die Entziehung der Kirchenlehen-, die ErkHirung,
daß die Nachkommen unfähig seien, geisthche Stellen zu bekleiden'',
besonders durch den Hinzutritt des Interdikts^. Die mildeste
Form des letzteren war der Ausschluß der Familie des Schuldigen
vom Gottesdienst''', die schwerere, die Ausdelnmng des Gottes-
dienstverbots auf den Ort, wo das Verbrechen geschehen war. wo
sich der Schuldige aufhielt oder wohin er seine Beute gebracht
hatte*, schließlich wohl auch über einen größeren Bezirk. Bei
der Gefangennahme eines Pfarrers wurde der Archidiakonat, bei
der eines Prälaten die Diözese, bei der eines Bischofs die Kirchen -
provinz mit dem Interdikt belegt '. Während des Interdikts hörte
die Gewährung der Sakramente mit Ausnahme der Taufe und der
Beichte und des Abendmahls der Sterbenden auf, ebenso die kirch-
liche Bestattung. Messe durfte nur einmal wöchentlich in der
Stille und bei verschlossenen Türen gehalten werden.
Man braucht die Bedenken gegen diese Weise, die Person
und den Besitz der Kleriker zu schirmen und ihnen angetanes Un-
recht zu strafen, kaum auszusprechen. Mit der unerfi-eulichsten
Deutlichkeit tritt hier jene Umsetzung des Religiösen ins Rechtliche
* Köln 1266 c. 1 S. 619, c. 19 8. 624; man trug die Namen in ein
Register ein, das von Zeit zu Zeit öffentlich verlesen wurde, c. 45 S. 680:
Magdeb. 1266 c. 5 S. 803; Salzb. 1281 c. 13 S. 655 u. a.
- Straßb. 1251 c. 1 u. 16 S. 143 f.; Mainz 1261 c. 1 S. 259; Köln 1266
c. 25 u. a.
^ Mainz 1261 c. 1 S. 259; Köln 1266 c. 24 S. 624; Mainz ISIO
c. 8 S. 177.
' Die gemeinrechtliche Anschauung des 13. Jahrh.s über das Inter-
dikt geht auf Jnnocenz III. zurück. Kr gestattete 1199 die Taulo der
Kinder, die Versehung der Sterbenden, doch nicht die letzte Ölung, eine
stille Messe am Freitag, die Predigt auf dem Kirchhof, die Beichte, Mansi
XXII S. 710, vgl. Reg. XI ep. 267 S. 1582. Der letztere Erlaß ist in die
Dekretalen Gregors IX. aufgenommen, V, 39, 43; vgl. Hinschiue V S. 19 ft.
Die deutsche Übung stimmt nicht völlig überein ; sie läßt nicht die Beichte
im allgemeinen zu, sondern nur die poenitentia morientium. Auch die
Predifjt kennt sie nicht, Köln iini 12S0 c. 18 S. 670, wiederholt Lüttich
1287 c. 25,2 u. 3 S. 713.
'* Straßb. 1251 c. 22 S. 145, c. 24 S. 146; Mainz 1261 c. 16 S. 263;
Lüttich 1287 c. 15, 1 S. 705 u. a.
« Mainz 1233 c. 50 S. 142; Straßb. 1251 c. 90". S. 145, c. 26 JS. 146;
Mainz 1261 v. li 8. 260; Köln 1266 c. 1 S. 619; Magdeb. 1266 c. 6 S.
803 u. a.
• Magdeb. 1261 c. 6 S. 806; Bremen 1266 r. 6 S. 580; Salzb. 1274
c. 22 S. 643; Utrecht 1293 S. 18 u. a.
— 179 —
zutage. Für den geistlichen Stand aber war diese Schutzgesetz-
gebung gewiß kein Segen. Sie mußte die ohnehin vorhandene
Spannung zwischen der Laienwelt und der Pfafflieit verschärfend
Von alters her dienten die Synoden der Aufsicht über das
Leben und die Amtsführung der Geistlichen. Diese Aufgabe blieb
ihnen erhalten -. Es gehört zu den großen Zügen der mittel-
alterlichen Kirche, daß sie sich die mancherlei Schäden, an denen
der geistliche Stand krankte, nicht verhehlte. Auch beschränkte
man sich auf den Synoden nicht darauf zu tadeln und zu strafen",
sondern man suchte zu helfen. Die Statuten, die aus ihren Be-
ratungen hervorgingen, sind wie die der Provinzialsynoden bald
Reformanordnungen, bald Amtsanweisungen*; in jedem Fall
sollten sie der Hebung und Förderung des geistlichen Standes
dienen. Uns drängt sich dabei die Wahrnehmung auf, wie eng
gezogen die Schranken waren, innerhalb deren die Gedanken
der Reform oder des w^eiteren Ausbaus vorhandener Zustände und
Einrichtungen sich bewegten. Sie hielten sich ängstlich auf dem
Boden des bestehenden Rechts. Nie klingt auch nur entfernt der
Gedanke an, daß es Recht gibt, das Unrecht ist. Man wird
gleichwohl das Verdienst dieser Anordnungen nicht gering schätzen
dürfen: sie hielten das Bewußtsein davon lebendig, daß das, was
sein soll, nicht durch das, was ist, herabgestimmt werden darf.
Wenn die Bischöfe bei der Erhebung von Abgaben'' des
Klerus die Synoden hörten '\ so lag darin nicht, daß sie ihnen ein
' Die Straßb. Statuten v. 1251 wurden wieder aufgehoben, da sie An-
stoß erregten, Straßb. ÜB. I S. 305 Nr. 405, vgl. S. 374 Nr. 493.
- Man vgl. hierzu die Anweisungen des KL. Otto für das Bremer
Kapitel v. 12.30, v. Hodenberg, Bremische Gesch.Quell. 1 S. 98 f. Nr. I.
•* Beispiele hierfür sind das Verfahren Gottfrieds v. Passau gQgen
.schuldige Priester 1284, Hartzheim III S. 681, u. das Urteil der Pass. Syn.
V. 1294 gegen die Mönche von Altaich, die den Abt Volchmann ermordet
hatten, S. 810.
* Deshalb die oft wiederholte Vorschrift, daß die Synodalstatuten ab-
geschrieben, bei den Kirchen aufbewahrt u. regelmäßig verlesen worden
sollten, 8. z. B. Köln 1266 c. 44 S. 629 f.; Trier um 1275, Vorr. S. 526;
Köln um 1280, Vorr. 8. 658; St. Polten 1284, Vorr. S. 673; Würzb. 1287,
Vorr. 8. 726; Aschafienb. 1292, Vorr. S. 7; Köln 1310, Schluß S. 127;
Würzb. 1329, S. 243; \ugHb. 1355, Schluß S. 95; Brandonb. 1880 c. 28 bei
Heydler, Materialien S. 19 Anm. 27; das Kap. fehlt bei Hiodcl; Salzb. 1386
c. 17 S. 534 u. ö.
"' über das bischöfliche Abgabenwesfjn fehlt eine zasammenfassendo
Arbeit. Man vgl. A. Ott, Die Abgaben an die Bischöfe in der iJiözese
Konstanz, Freib. DA. N.F. VIII, 1907, 8. 109»".
" In Köln wahrHcheinlirl. 1306, NHli. ( H, III 8.33 Nr. 46; vor 1322
12*
— 180 —
Steuerl)ewilligungsrcclit eimrunnteiiJ. Die Aveiiigsten kirchlichen
Abgaben sind von den Synoden bewilhgt. Denn zum größten Teil
waren sie regelmäßige Leistungen, die längst rechtlich geworden
waren und deshalb nicht bewilligt zu werden brauchten, so die
bischöfliche Quart, das Kathedratikum, die bei den Kirchenvisita-
tionen erhobene Prokuration und alle Strafgelder. Eine außer-
ordentliche Abgabe war nur das s. g. Subsidium charitativum.
Aber auch dieses zu erheben, waren die Bischöfe seit der dritten
Lateransynode berechtigt". Verhandelten sie darüber mit ihrer
Synode, so geschah es nur, um Schwierigkeiten zu vermeiden. Und
gewöhnlich schlugen sie nicht diesen Weg ein: sie liebten es viel-
mehr, sich das Subsidium von der Kurie bewilligen zu lassen''.
Seltener verständigten sie sich darüber mit dem Domkapitel* oder
den einzelnen Beitragspflichtigen'*. Es kam aber auch vor, daß sie
auf eigene Hand Leistungen ausschrieben''.
Man kann die Provinzialsynoden als gesetzgebende Versamm-
lungen bezeichnen; die Diözesansynoden waren es nicht, so nahe sich
ihre Beschlüsse vielfach mit denen der ersteren berührten. Denn ihre
Erlaß Johanns XXrr. für Köln bei Sauerland I S. 28S Nr. 592; in Konstanz
1441, Ott S. 145.
^ Annahme von Curschmann S. 288.
- C. 4 S. 220. Sie waren berechtigt, si manifesta ac rationabilis causa
extiterit; vgl. Greg. IX Decr. I, 31, 16, wo Honorius III. dieses Kap. zitiert.
^ Beispiele: 1245 Innocenz IV. für Mainz u. Köln, Westf. ÜB. III
S. 234 Nr. 436; 1262 Urban IV. für Köln, a. a. 0. V,l S. 291 Nr. 624 f.;
1263 ders. für Mainz, P:p. pont. 111 S. 555 Nr. 565; 1321 Johann XXII. für
Lüttich, Sauerland, Urk. u. Reg. I S. 274 Nr. 583; 1325 ders. für Köln, a.
a. 0. S. 348 Nr. 739; vgl. NRh. ÜB. III S. 176 Nr. 209; 1327 ders. für Salz-
burg, Ried, C. d. II S. 816 Nr. 846; 1332 ders. für Köln, Sauerland II
S.448Nr. 2136; 1351 Clemens VI. für Speier, Remling, ÜB. I S. 589 Nr. 595.
^ In Mainz bewilligten 1294 die Prälaten u. Kapitel ein Subsidium,
Baur, Hess. Urk. II S. 489 Nr. 507. In Würzburg wurde mehrfach von den
Prälaten, Kapiteln u. dem Klerus der Stadt pro se et aliis bewilligt; die
Umlage geschah taxationo debita prohabita. So 1319, 1336, 1338 M.B.
XXXIX S. 113 Nr. 51; XL S. 55 Nr. 30; S. 214 Nr. 110; schließlich ver-
pflichtete das DK. den B. keine Steuer ohne scino Zustimmung aufzulegen,
Wahlkap. v. 1345, M.B. XLI S. 200 Nr. 67; 1380 bewilligte es einen Zehnten,
XLIl S. 371 Nr. 155; ebenso 1377 das DK. v. Augsburg, M.B. XXX1II,2
S. 488 Nr. 440. Vgl. u. S. 215 f.
" 1245 Köln, Seibertz, ÜB. I S. 296 Nr. 237; 1260 Mainz, Reg. Mag. 11
S. 350 Nr. 12; 1261 Passau. Hartzh. lll S. 797. Über Konstanz, s. Ott
S. 144, u. Thommen in der Festgabe für Büdinger S. 273 0".
« 1252 Mainz, Ann. Erf. ¥t. Praed. S. 112; 1364, 1360, 1365 Passau,
ÜB. d. L. 0. Enns VII S. 373 Nr. 362; S. 706 Nr. 702; VIII S. 211 Nr. 207.
— 181 —
Mitglieder waren sämtlich Untergebene des Bischofs. Er konnte
mit ihnen über das. was nötig und wünschenswert war, Rats
pflegen; aber die Verordnungen, die auf Grund dessen erlassen
wurden, kamen nicht durch freie Abstimmung Gleichberechtigter
zustande, sondern sie waren bischöfüche Erlasse, die die Diöze-
sanen verpflichteten, weil sie von dem Inhaber der kirchlichen Juris-
diktion ausgingen^. Daß sie unter Beirat und Zustimmung einer
Synode festgestellt wurden, gab eine Gewähr für ihre sachhche
Berechtigung, ebenso wie wenn der Bischof seine Vorlage vorher
mit dem Domkapitel beriet". Aber für ihre formelle Giltigkeit
kam das eine so wenig in Betracht als das andere. Wurden
bischöfhche Erlasse auf den Synoden verlautbart, so war der Ge-
danke nicht, ihnen durch die Zustimmung des gesamten Klerus
höhere Autorität zu verleihen, sondern die Absicht war, den letz-
teren durch die Kundgabe auf der Synode zu ihrer Beobachtung
öffentlich zu verpflichten ^.
Eine Ergänzung fanden die Synoden in den bischöflichen Kirchen-
visitationen ^. In der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts
scheinen sie sehr selten gewesen zu sein. Johann von Tusculum
konnte auf der Würzburger Synode geradezu aussprechen, sie hätten
aufgehört l Das war nun zu viel gesagt. Wir wissen z. B. von
Konrad von Köln, von Sigfrid III. und Wernher von Mainz, daß
^ In den Synodalstatuten spricht ausnahmslos der betr. Bischof. Wie
die Formel de consilio et assensu zu verstehen ist, zeigt schon Otto von
Toul 1192 S, 455: Nos communicato cum eis — den Synodalen — consilio,
«icut eorum consideratio nobis consuluit, statuimus. Der Beschluß war also
nicht von der Zustimmung der Synode abhängig.
- Paderborn 1324 S. 285: Postquam cum praesulibus ecclesiae et ca-
nonicis pertractasset ea, quae in synodo proponenda, etc.
^ Dieser Zweck ist in der Vorrede zu den Statuten Sigf'rids v. Köln
ausgesprochen, S. 658: Omncs in ipsa synodo, quouwquo per nos licentientur,
permaneant audituri cum mansuetudine et silentio, quae ibi praecepta
fuerint vel statuta. Si qui voro infirmitate vol alia inevitabili necessitate
ad eynodum venire non poterunt, mittant cum suis litteris , . procuratorom
pro se . . et in ipsis litteris se obligent, quod statuta huiusmodi obser-
vabunt; wiederholt Lüttich 1287 c. 1 S. 084; vgl. Mainz 131Ü c. 23
S. 180 u. Köln 1327: Ne huius nowtri mandati causari ignorantiam valeatis,
in H. Hyndo . . volumus solenniter publicari. Es entspricht dieser Anschau-
ung, daß die Verordnungen von Provinzialsynoden auf den Di<)/,e8anKynoden
publiziert werden sollten, Lat.-Syn. v. 121.') c (\ S. 01)1; vgl. Wien 12(17 c.
10 8. 636; Bremen 1292 c. 11 S. 513 u. ö.
* M. Lingg, GeHchichto des Inntituts der Pfarrvisitation, Kemi»ton 1HH8.
'' C. 27 S. 731: Ob defectum visitationi«.
— 182 —
sie persüiilicli oder durcli bevollmächtigte Visitationen voriiahnieii '.
Ebenso handelten (Wo, Bisehöfe von Münster. Osnabrück und
Paderborn-. Für die Passauer Diözese ))rachte im Jahre 12ö9
Ottokar von I^öhmen eine Visitation unter Teilnahme landesfürst-
licher Kommissäre in Vorschlagt, wohl das erste Beispiel einer
gemeinsam vom Bischof und Landesherrn vorgenommenen Visitation.
Aber das schrofie AVort des päj)stlichen Legaten beweist doch, daß
die Versäumnis der Pflicht in dieser Hinsicht häufiger war als
ihre Erfüllung. Nicht minder schlimm war, daß, wenn Visitationen
stattfanden, sie zu den unerfreulichsten Klagen Anlaß gaben. Von
alters her waren die Geistlichen gehalten, den Bischof auf seinen
Visitationsreisen zu bewirten *. Es kam nun vor, daß die Bischöfe
daraus eine Einnahmecjuelle machten, indem sie die ihnen geleiste-
ten Prokurationen möglichst steigerten. Gegen diesen Miß-
brauch schritten schon die Lateransynoden von 1179 und 1215
ein^; später bestimmte Innocenz IV. eine Maximalsumme, die nie
überschritten werden dürfe". In Deutschland nahm sich der
Kardinallegat Guido der Sache an, indem er darauf drang, daß
die Vorschriften der beiden Konzilien beobachtet würden '. Diese
Maßregeln waren nicht vergeblich. Wie es scheint, kam es all-
mählich zur Fixierung der herkömmlichen Leistungen, die nun in
Geld entrichtet wurden ^. Dadurch waren willkürliche Anforderun-
gen abgewehrt. Eine zweite, größere Schwierigkeit lag in der
^ Sigfrid 1230 in Thüringen, Reg. Mog. II S. 211 Nr. 3; Konrad 1260
oder 1261, s. die Vorrede seiner Synode S. 588; Werner 1275 in Obermox-
statt, 1277 in der Stadt Mainz, Reg. Mog. II S. 395ff. Nr. 386, 427.
2 Vgl. Westt. ÜB. IV, 1 S. 121 Nr. 182 v. 1230: allerdings wird hier
die Visitation als iuxta mandatum apostolicum erfolgt bezeichnet; auch III
S. 167 Nr. 305 v. 1233.
■■' ÜB. d. L. o. E. III S. 260 Nr. 275 v. 16. Okt. 1259; vgl. auch die
Instit. Ottos V. Lonsdorf, Arch. f. kath. KR. 84 S. 454.
' Conc. Tolet. III v. 589 c. 20 S. 218 u. VII v. 646 c. 4 S. 263.
•' 1179 c. 4 Mansi XXII S. 219; 1215 c. 33 S. 1019, in die Dekr.
Gregors IX. aufgenommen III, 39 c. 6 u. 23.
« M. G. E. P. III S. 231 Nr. 264 v. 28. Febr. 1254, 4 Mark Silber
(nach dem Gewicht = ungefähr 200 M.); vgl. auch Lyon 1274 c. 24 Mansi
XXIV S. 07 f.
" Bremen c. 2 S. 361, Magdeb. c. 2 S. 803, Wien c. 2 S. 633.
** Innocenz IV. verbot die Umwandlung der Naturalleistun^ in (»ine
Geldzahlung (s. Lib. Sext. III, 20, 1); sie muß also vorgekommen sein.
Sein Verbot wiederholte die Synode zu Lyon 1274 c. 24 S. 98, da es von
vielen übertreten werde. Auch dies nützte nichts. Bonifaz VIII. gestatte
verständiger Weise die Umwandlung, da sie erfahrungsgemüB im Interesse
beider Teile liege, Lib. Sext. III, 20, 3.
— 183 —
weiten Aiisdeliniiiig der deutschen Diözesen: es war unmöglich,
daß jeder Bischof sie jährhch bereiste. Hier brachte die Organi-
sation der bischöf heben Diözesanbehörden Abhilfe. Denn dadurch
wurde es den Bischöfen möglich, ihre Visitationen dui'ch Vertreter
abhalten zu lassen. Daß das zulässig sei, wurde nie bezweifelt:
Urban IV. gestattete es 1263 dem Erzbischof Engelbert von Köln^;
einige Jahre später traf Wernher von Mainz denselben Ausweg'^.
Es wai' deshalb nicht aussichtslos, daß Johann von Tusculum auf
der Würzburger Synode die Wiederbelebung der bischöflichen
Kirchenvisitatiönen unternahm. Er stellte als Begel auf, daß die
Bischöfe jedes Jahr, zum mindesten alle zwei Jahre ihre Diözesen
zu visitieren hätten ^ Die Vertretung durch einen oder mehrere
Bevollmächtigte betrachtete er dabei als berechtigt*. Es läßt
sich nicht feststellen, wie weit diese Vorschrift beobachtet
worden ist. Denn die Angaben über die bischöfhchen Visitationen
sind nach 1287 nicht häufiger als vorher'^. Wurde die Frist
zwischen den Visitationen von zwei auf viev Jahre erstreckt^, so
bedeutete das ein weiteres A])bröckeln der Regel. Andererseits ist
schwerlich anzunehmen, daß ihre Erneuerung ganz wkkungslos ge-
bheben ist. Seit der Fixierung der Prokurationen lag es im finan-
ziellen Interesse der Bischöfe, das Visitationsrecht nicht einschlafen
zu lassen. Und diese Rücksicht wirkte ja im ausgehenden Mittelalter
ungemein stark *. Dazu, daß alle Pfarrorte Jahr für Jahr wirklich
» Westf. ÜB. V, 1 S. 294 Nr. 628 v. 8. Jan. 1263.
- Visitation in Frankfurt a. M., Keg. Mog. 11 S. 3Z1 Nr. 188.
^ C. 27 S. 731.
* .Per se vel per alium aut alios". Beispiel: 1311 Visitation des
Stifts Kaiserswert im Auftrag des KB. durch den dortigen Scholastikus,
NRh. ÜB. III S. 79 Nr. 110; vgl. auch die nächste Anm.
^ Vgl. die S. 184 Anm. 7 angeführten Visitationsbescheide u. die von den
Päpsten einzelnen Bischöfen erteilte Genehmigung, sicli vertreten 7A\ lassen,
/. B. Clemens V. für Peter von Mainz, 1306, Würdtwein, Subsid. dipl. I
S. 401 Nr. öS; Johann XXII. für Burchard von Magdeburg 1325, Schmidt,
Ppstl. Urk. u. Reg. I S. 161 Nr. 178; ders. für Otto v. Magdeburg 1333
S. 283 Nr. OIO. Clemens VI. für Ortolf v. Salzburg 1344, Acta Salzb.
Aquil. I S. 256 Nr. 309. Bemerkenswert ist auch die Notiz Walrams v.
Köln, 1337: Nuper in visitationo nostra generali nonnuilis nostrao civitatis
efrclewü« personaliter per noa impensa ac in aliis per nostros commissarios facta
S.444. Ähnlich KB. Friedrich 1400 S.548. In d. Diözese Prag waren die Visita-
tionen 1355 auCer Cbung. KB. KrnHterkUirte,nr wollosie por nosautpercoiumis-
«arios nostros speciales tempore optimo erneuern, Statuten v. 1355 bei iiüllerS. 4.
•♦ So in Lübeck, l;B. S. 810 Nr. 288 v. B. Burghard: Decrovit quo-
libct anno bisextili singiilas parrochias sue dyocesis porsonalitor risitaro,
' (jerhard v. Mainz versprach 1294 wiilirend Aar nürhsfon -1 .liihn«
— 184 —
besucht wurden, ist es jedoch nie gekonnuen. Um die Durch-
fiiliiuiij^^ zu erleichtern, schlug man einen Ausweg ein, auf den
Innocenz TV. hingewiesen hatte': es wurde jiihrlich eine bestimmte
Anzahl von Orten besucht, an denen der Klerus aller umliegenden
Orte sich vor dem Visitator zu versammeln hatte-.
Die Visitation galt in erster Linie den Pfarrkirchen und dem
an ihnen dienenden Klerus; sodami betraf sie die KoUegiatstifter''
und einen Teil der Klöster^, während andere von der bischöflichen
Visitation befreit waren. Wir haben einige Aktenstücke, die eine
Vorstellung von dem Vollzug der Visitationen in dieser Zeit ge-
währen: die Anweisungen Peters von Mainz und Rudolfs von
Konstanz für ihre Visitatoren '\ eine Visitationsrede des Branden-
burger Generalvikars Stephan v. 1417'' und etliche Visitations-
bescheide '. Überall erscheint als die wichtigste Frage die sittliche
keine Prokuration racione visitationis zu eiheben, Baur, Hess. ürk. 11
S. 489 Nr. 507. Hier erscheint also die Visitation als üblich. 1317 zahlten
die 11 Mainzer Kirchen habita sancta visitatione in civitate Mogunt. >i6
Pfund Heller, b'chunk, Beiträge z. Mainzer Gesch. I S. 411. Bezeichnend
ist die Wendung Gebhards v. Merseburg bei der Abtretung der SchloL>-
kapelle in Grimma an das Kl. Altzelle: excepta correctione, visitatione ac
ratione visitationis procuratione, ÜB. 1 S. 735 Nr. 881 v. 1833. Über
die Prokurationen in Brandenburg, s. dio interessanten Nachweise bei
Curschmann S. 300 ff.
1 Lib. Sext. IH, 20, 1.
- So in Brandenburg 1329 s. Curschmann S. 294.
'' Vgl. die Statuten Konrads v. Köln 1261 c. 7 u. 9 S. 590 f.
' Konrad von Köln visitierte die Benediktinerklöster seines Sprengels,
8. S. 594 ff. Noch 1418 erklärte Eberhard v. Salzburg, daß, wie die Aug.
Chorherrn, so Jiuch die Benediktiner von den BB. zu visitieren seien, c. 2
S. 173. Und noch die Mainzer 8yn. v. 1451 verpflichtete die Bischöfe /.in
Beaufsichtigung der Mönchs- u. Nonnenklöster c. 12 S. 408.
•' W^ürdtwein, Subsid. dipl. I S. 41()tf. Nr. 72-75; Visitatoren der
Kamerar des Domstifts, die Dekane von St. Peter u. St. Stephan, der Scho-
lastikus von St. Stephan, der Propst von St. Maria in Campis, der Scho-
lastikus von St. Maria ad gradus. Hartzheim IV S. 291 f. v. 27. Juni 1327;
Visitatoren waren der Offizial und ein Kaplan des Bischofs.
•* Herausgegeben v. Heydier im Programm der Ritterakademie zu
Brandenburg 1866 S. 32 tl.; Stephan ist der spätere Bischof.
" Engelbert von Naumburg 1228, Schöttgen und Kreysig, Dipl. II
S. 440 für Bosau; Konrad von Köln 1261, Hartzheim III S. 589; Wernher
V. Mainz v. 24. Juni 1277, Baur. Hess. Urk. II S. 278 Nr. 303: Gerhard II.
von Mainz 1290 oder 1298 (die Lesung ist unsicher, vgl. Reg. d. EB. 1 S. 26
Nr. 164} Hartzheim IV S. 587; derselbe 1300, Remliug, ÜB. d. B. v. Speior 1
S. 428; Emmerich v. Worms 1316, auf einer Synode publiziert. Hartzh. IV
S. 256; Peter v. Mainz 1312, Würdtwein. Subs. dipl. 1 S. 416tt". Nr. 72 u.
— 185 —
Haltung des Klerus; weiter wurde nach dem Zustand der Kirchen-
geräte und der Beobachtung der gottesdienstUchen Ordnungen ge-
forscht; auch die Einkünfte der einzehien Kirchen, die Verwaltung
des Kirchenguts, die Leistung der Abgaben an den Bischof und
dergl. bildeten einen Gegenstaiid der Untersuchung. Dagegen
kamen Gemeindeverhältnisse ebenso selten zur Sprache wie auf
den Synoden \ Mit der Erkundung des Tatbestandes nahm man
es sehr ernst: es wurde wohl den Klerikern der Eid abgenommen,
daß sie alles, was an Haupt und Ghedern reformbedürftig sei, dem
Yisitator angeben würden'.
Die Diözesanbehörden handelten im Namen und i^uftrag des
Bischofs. Dagegen stand das Domkapitel ihm zur Seite ^ Es
])ildete eine Korporation, die zwar dem Bischof untergeordnet war,
die aber ihm gegenüber selbständiges B>echt hatte und deshalb das
des Bischofs beschränkte.
Diese Rechtsstellung hatte es in einer sehr allmähhchen Ent-
wicklung erlangt. Den ersten Anstoß gab die Einführung des
gemeinsamen Lebens der Domgeistlichkeit*. Denn sie hatte zur
Folge, daß ein Teil des allgemeinen Bistumsguts zur Erhaltung
der Kanoniker an der Domkirche ausgeschieden wurde. Nur da-
durch war der ungestörte Fortbestand der Kongregation gesichert.
73; 1316, ebenf. auf einer Synode publiziert, Hartzheim IV S. 259; Wal-
ram v. Köln, 28. Sept. 1337, Hartzh. IV S. 443ff. u. 28. Sept. 1338 S.451f.;
Friedrich v. Köln 1400 S. 548.
* Emmerich v. Worms berichtet, daß an die Darslseliung der Auf-
erstehung in der Osternacht sich der Aberglaube angeknüpft habe, daß,
wer das Christusbild sich erheben sehe, in diesem Jahr nicht sterben werde.
Er bestimmt deshalb, daß das Volk von der Darstellung der Auferstehung
auszuschließen sei, c. 2 S. 257 f. In der ßrandenb. Visitationsiede wird
nach dem Vorkommen von Häretikern gefragt, S. 37.
- Konstanzer Anweisung u. Brandenb. Synodalrede. Die Abnahme
des Eide« war durch Tnnocenz IV. verboten, Lib. Soxt. 111,20,1.
' tjVjer die Stellung des Domkapitels vgl. Hinschius II S. 61ff., löotl.,
U, Stutz S. 855; Ph. Schneider, Die Entwicklung der bisch. Domkapitel
Mainz 1892; A. Wcrminghotf bei Meister, Grundriß VI S. 52tt".; A. Brack-
mann, Gesch. des Halberst. I>K., Gott. Diss. 1898; K. v. Brunn, D. DK. v.
Meißen im MA,, Leipz, Di.ss. 1902; A. Gnann, Beiträge zur Verfassung dos
DK. V. Basel u. v. Speier, Froib. Diöz.Arch. 34, 1906, S. 120tF. u. 16711.;
O. Leuzc, D. Augsb. DK. im MA. Tübinger Dissert. 1909; H. Bastgen,
(iesch. deH Trierer DK. im MA. l'aderborn 1910; FI. Spangonberg, Miti. d.
Ver. f. GeMch. v. ÜHnabrück XXV, 1900, S. 1 H.; VV. Kisky, Die DK. der
geistl. Kurfürhion, Woiniar 1906, Kino Anzahl von Statuten von Stiftern
findet man bei A, Mayer, 'J'hosaurus novus iuriw occl., Itogonsb, 1791, '-^ B«lo.
♦ Vgl. Bd. II S. 62, 238, 585,
— 186 —
Demf^eiiiiii) wies schon ( 'lirodegaiig den Kanonikern von Metz
ständige Einkünfte zu^ Das Gleiche geschah anderwärts unter
Karl d. Gr. mit dessen Zustimmung-. In Köln wurde den Kano-
nikern von Erzbischof Günther eigener Besitz zugestanden. Seine
Verfügung bestätigten Lothor II. i. J. 866 und die Kölner Synode
von 8731
Auch in Trier^ Toul\ Lüttich^ Speier', Hildesheim ^ Verdenk
Freising ^°, Salzburg^^ wurde im Lauf des neunten Jahrhunderts das
für den Bedarf der Brüder bestimmte Gut a})getrennt. Im zehnten
.lahrhundert war die Teilung fast überall vollzogen ^^. Es war eine
Ausnahme, daß sie in Osnabrück erst im letzten Viertel des elften
Jahrhundei-ts durchgeführt w^urde^-"^. Seitdem besaß das Domstift
Eigentum, das den Brüdern im Unterschied vom Bischof gehörte.
Der erste Schritt zog einen zweiten nach sich. Nachdem ein
Sonderbesitz für das Domstift ausgeschieden war, lag es in der
Natur der Sache, daß die Kanoniker zuerst Teilnahme an der Ver-
^ Folgt aus Regula c, 22 S. 15, 17 tt". Ausg. v. Schmitz.
- Vgl. Form, imper. Nr. 25 S. 304. Auf diese wichtige Stelle hat
A. Pöschl, Bischofsgut u. Mensa episcop. ii S. 66 hingewiesen. Kr hat
auch den Zusammenhang zwischen der Reform der Domstifter und der
Gütertrennung dargetan.
^ Die Urkunde Lothars (B.M. 1273) bei Ennen und Eckertz I S. 447
Nr. 2, der Synodalbeschluß v. 873 bei Hartzheim II S. 356, vgl. Bd. IV
S. 339 Anm. 1.
* Vor 882, 8. B.M. 1845; 893 Nr. 1834. Auch in den folgenden An-
merkungen beziehen sich die Jahresangaben auf die Zeit, in denen die
Trennung nachweisbar ist, nicht in der sie vollzogen wurde.
» 885 B.M. 1602, 1849. « 884 B.M. 1644.
■ 865 B.M. 1417.
^ Chr. Hild. 6 S. 851 von B. Wiebert 880—908: Omnem substantiam
aecclesiasticae proprietatis . . distribuens . . tertiam partem ad praeben-
dam fratrum in.stituere decrevit, sed obitu praeventus eaudem inscriptio-
nem successori suo complendam reliquit. Von Walbert 903 — 919: Qui
praeposituram et praebendam fratrum . . fideliter instituit.
'•• 890 B.M. 1798. >o 825 Tradit. 1 S. 449 Nr. 523.
•• 891 B.M. 1807.
'- Beispiele: Schenkung Ottos 1. an die Brüder bei St. Peter in Worms
in proprium, 956, Dipl. I S. 259 Nr. 178; Schenkung an den B. v. Konstanz
mit der Bestimmung, daß sie nach seinem Tod den Kanonikern ad victum
et vestitum ip.sorum zufallen soll, 1 S. 327 Nr. 236 v. 962 ; Schenkung Biuns
von Würzb. an die Domherrn, M.B. 37 S. 21 Nr. 64 v. 1036; Schenkung
Heinrichs 111. an Meißen v. 2. .luli 1046 C. d. Sax. reg. 11,1 S.28f. Nr. 23 f.
'■• Philippi, Mitt. des bist. Ver. zu Osnabrück XXII. 1897, S. 44.
— 187 —
waltujig\ dann die alleinige Yenvaltung erhielten-. Der enge
Zusammenhang zwischen den beiden Punkten zeigte sich schon bei
der Kölner Teilung. Denn Erzbischof Günther übergab die auf-
geteilten Besitztümer den Stiftsherrn nicht nur zum Nießbrauch,
sondern auch zur Verwaltung ■^. In der späteren Zeit war es allent-
halben üblich, daß das Kapitel über die Stiftsgüter verfügte^. Es
hatte seinen eigenen Vogt, den es wählte und dem Bischof prä-
sentierte'^. Eingriffe des Bischofs in die Verwaltung der Stiftsgüter
wurden da und dort ausdrücklich ausgeschlossen ®.
An die vermögensrechtliche Selbständigkeit des Domkapitels
knüpfte sich schon im neunten Jahrhundert ein weiteres Recht.
Nach der Aachener Regel ergänzte der Bischof das Domstift durch
Neuaufnahmen ". Das wurde in dem Momente undurcbf ührbar.
in dem das Stift aus seinen eigenen Einkünften lebte. Demgemäß
verzichtete Günther auf die selbständige Vergebung irgend einer
Präbende. Damit wurde die Aufnahme in das Kapitel von der Zu-
stimmung der Brüder abhängig^. iVus der Zustimmung zur Auf-
^ Schon unter Karl d. Gr. nachweislich. Agilward v. Würzb. ver-
tauscht 807 Besitz des Domstifts cum consensu et voluntate der Kanoniker,
Dipl. Kar. I S. 275 Nr. 206. - Vgl. Pöschl S. 115f.
^ Urk. Lothars: In iure et gubernatione presignatorum canonicorum,
jjoteetate et ordinatione. Kölner Syn. S. 357: In ins clericorum ex dona-
tione ordinabiliter atque regulariter delegatis atque distributis. Demgemäß
vom Propst: Res communes interius exteriusque ipse solus cum consilio fra-
trum gubernan.s. Brackmanns Ansicht, daß die Teilung nur als Abtretung
der Vermögensverwaltung an den Propst zu betrachten sei, S. 71, scheint mir
diesen Wendungen nicht gerecht zu werden.
* Beispiele: Mainz 1056, Guden. 1 S. 370 Nr. 136; Würzb. 1118: die
Domherren haben bezüglich eines ihnen geschenkten Gutes liberam facul-
tatem mutandi, commutandi et pro sua utilitate dispensandi, M.B. 37 S. 36
Nr. 75; der Propst handelt vice et loco fratrum, 1131 S. 41 Nr. 79; oder
consilio et awsensu fratrum, 1156 S. 72 Nr. 99, Daß der bisch. Konsens
bei Veräußerungen notwendig war, s. die ang. Mainzer Urk,, folgte aus
dem bischöfl. Aufsichtsrecht über das Kirchengut überhaupt; man wird
daraus nicht auf Mitbesitz des Bischofs schließen dürfen, so Brackmann
S. 83 f.
■* S. Westf. l]B. II S. 203 Nr. 409 v. 1189. Ober die Bewirtschaftung
dey Uftni'iAti, auf die ich nicht eingehe, s. z. B. Bastgen S. 211 tf.
" In Toul, 8. B.M. 1662 v. 885 u. 1^49 v. 894: in Spoier, h. Ilemlintr
UH. I S. 41 Nr. 40 v. 1046.
' C. 118 S. 39h.
" Kölner Synode: IJt nullus pontifex Mine illorum conscientia sive con-
HeDMU . , minimam un(|uuni praebondam alicui , . tribunroi. in Würzburg
erfolgte 1257 die Vergebung per episcopum et conMilium (hilum silü a capi-
— 18S —
iiahmo winde scliließlich die Wahl der Doinlierren duicli das
Kapitel. Sie war in Deutschland fast allgemein üblich; nur ver-
einzelt kam es vor, daß die Domherrnstellen gemeinsam von Bischof
und Kai)itel vergeben wurden \ Das alte Aufnahmerecht der
Bischöfe kam nur noch im Falle der Devolution zur Anwendung-.
Dadurch, daß die Domkapitel eigenen Besitz und das Auf-
nahmerecht erlangten, wurden sie zu selbständigen Korporationen.
Das gemeinsame Leben der Kleriker wurde dadurch an sich nicht
betroften. Auch ihre kirchliche Aufgabe wurde nicht geändert: sie
bildeten Genossenschaften, deren Mitglieder den religiösen Zweck
derselben durch den gemeinsamen Vollzug des Chordienstes, d. h.
der Konventualmesse und des Stundengebets, erfüllten und die an
der Selbstverwaltung der Korporation zu gleichem Rechte Anteil
hatten. Vollberechtigtes Mitglied war demgemäß, wie man zu
sagen pflegte, wer einen Platz im Chor und Stimmrecht im Kapitel
besaß ■'.
Die Verfassung dieser Korporationen hat sich ebenfalls lang-
sam entwickelt. Sie deckte sich in vieler Hinsicht mit der der
Stifter überhaupt; ihre Eigenart erhielt sie durch die Beziehung
des Domstifts zum Bistum. In der zweiten Hälfte des dreizehnten
Jahrhunderts war sie im wesentlichen abgeschlossen; sie hatte die-
jenige Gestalt gewonnen, die sie bis zum Ausgang des Mittelaltei-s
bewahrte.
Dabei w^ar für das Verhältnis der einzelnen Mitgheder zu
einander und zur Gesamtheit entscheidend, daß das gemeinsame
Leben sich gerade in den Domstiftern iiicht behauptete*. Einzehie
Züge reichen freilich bis tief in das Mittelalter hinein. In zahl-
tulo, M.B. XXXVII S. 373 Nr. 331. Schon bei der nächsten Aufnahme 1263
ist vom Bischof nicht mehr die Rede, S. 406 Nr. 355. In Schwerin ist
nach den Stat. v. 1283 die freie Wahl durch das DK. anerkanntes Recht,
Mklenb. ÜB. I S. 484 Nr. 487. In Halberstadt verfügen die Statuten v.
1413 (?) liB. IV S. 549 Nr. 3311: Ei)isc. prebendas solum clectis conferro
debot; vgl. ferner für Minden, Westf. ÜB. VI S. 56 Nr. 207 v. 1230, für
Meißen den Schiedsspruch v. 1307, C. d. Sax. reg. 11,1 S. 269 Nr. 341,
für Regensb. die Statuten Mayer II S. 48 Nr. 9.
* In Magdeburg, s. Schöppenchr. S. 159; Schleswig, s. Schl.Holst.L.
\lGir. 111 S. 192 Nr. 358.
9 Basel 1185, Trouillat I S. 398 Nr. 259, Lucius III v. 118r): Si cano-
nici fuerint in electione discordes et usque ad tempus in Lat. conciho con-
.stitutuin non potuorint con venire, ex tunc tibi liberum sit una cum pre-
positi et sanioris partis consiiio benelicia illa personis idoneis assignare.
' „Stalhim in choro et votum in capitulo".
' Vgl. Bd. IV S. 339 f.
— 189 —
reichen Stiftern, z. B. in Mainz, Bremen, Utrecht, Würzburg, Augs-
burg, Freising. Halberstadt, Minden haben die Domherren bis ins
13. Jahrhundert gemeinsam im Refektorium gespeist^. Ebenso
lange ist die Benützung des gemeinsamen Schlafsaals vorgekommen.
Das wissen wir von Freising. Hildesheim, Minden und Lübeck'-.
An letzterem Orte war das Dormitorium noch i. J. 1263 im Ge-
brauch. Anderwäi'ts wurde das außer Übung gekommene gemein-
same Leben wieder erneuert : so unter Erzbischof Koiirad in Salz-
burg^, um dieselbe Zeit in Augsburg^, und noch 1215 in Trier •^.
Aber das alles bedeutete nicht viel. Denn der Verfall der alten
Einrichtung war nicht aufzuhalten; im Laufe des dreizehnten Jahr-
hunderts verschwand sie überall. Das war längst vorbereitet; be-
sonders dadurch, daß die Einkünfte des Domkapitels, soweit sie
für die Erhaltung der Mitglieder bestimmt waren, in eine feste
^ Über Mainz, Schenkung Sigfrids v. 1230, ut consolatio (= serotina
coena post collationem s. DuCange) sit fratrum concanonicorum nostrorum.
Über Utrecht, Muller, Wstd. Z. XXII S. 295. Augsburg, s. Bd. IV S. 339
Anm. 5. Erlung von Würzb. 1113: Ad supplementum stipis cottidianae
canonicis . . curavi adicere, ut praeter stipendia ante meum tempus consti-
tuta in refectorio pariter uescentes propriis sumptibus necessaria possint
habere, M.B. XXXVII S. 36 Nr. 75. Uh-ich v. Halberstadfc um 1150: In re-
fectorio communi, ÜB. I S. 201 Nr. 234. Friedrich v. Halberstadt 1218:
Fratres presentes in refectorio, S. 446 Nr. 500. Minden 1230, Westf. ÜB. VI
S. 56 Nr. 207. Bremen, Stat. v. 1230: Quod in choro, refectorio et dormi-
torio honeste .se habeant, Brem. ÜB. I S. 182 Nr. 156.
2 Für Freising, Meichelbeck I, 1 S. 339 v. 1158: dormiendi in dor-
mitorio omnibus, exceptis infirmis. Für Bildesheim; ÜB. I S. 714 Nr. 762:
iuxta fratrum dormitorium. In derselben Urk. werden Kurien des Kantors
und zweier Vikare erwähnt. Für Lübek: ÜB. I S. 57 Nr. 54 v. 1225 u.
8. 169 Nr. 172 v. 1263. Für Minden: Westf. ÜB. VI S. 56 Nr. 207 v. 1230.
In Meißen sollte um 1310 ein Dormitorium hergestellt worden; dort sollten
diejenigen Domherrn schlafen, die am nächsten Tag im Gottesdienst zu
fungieren hatten, C. d. Sax. reg. II, 1 8. 281 Nr. 348. Die allgomeino Be-
nützung war also abgekommen.
^ Vita Chuonr. 13 Scr. XI 8. 70. Die Kegel Gregors VII. (Kevuo
Bened. XVIII, 1901 8. 179) ist, so viel ich sehe, ohne joden Einfluß auf
die deot«chcn DK. geblieben. Sie schloß Kigonbesitz überhaupt aus, 8.182:
I'ropriuH res non liceat habere noc pOHsidero. Domgomäß kannte sie eigene
Wohnungen nicht.
» Gerh. Comm. in ps. 133, Lib. de lil. III 8. 500.
» MRh.UB. III 8.30 Nr. 29. Eh handelte sich dabei aber nur imi ilan
gemeinwame Mahl. Dietrich ermöglichte die Wiedorherstollung durch die
Anwei«iung von Einkünften; vgl. Bastgen S. 15 f.
— 190
Zrihl von Antoileii. die Pnibeiiden ' der Doinhenii. zerlep^t wurden'-.
Die neue F^ini'iclitung bildete sich seit der zweiten Hälfte des
zwölften Jahrhunderts. Zu jeder Priihende gehörte ein bestimmter
Anteil an den Natural- und Geldeinkiuiften des Stifts^, gewöhn-
lich auch eine eigene Wohnunjx, die Domherrenkurie ^ ; dazukamen
^ Praebenda bedeutete im 11. Jahrhundert, gelegentlich auch noch
später, den dem Kanoniker insgomein am (gemeinsamen Tisch gewährten
Lebensunterhalt, vgl. die Urk, Heinrichs II. v. 1007 S. 154 Nr. 128: Ad
usum praebendae fratrum; Statut Hezilos v. Hildesheim: Prebendam melio-
rem statuimus, ÜB. I S. 92 Nr. 93. C. d. Anh. I S. 136 Nr. 171 v. 1108;
dann die dem einzelnen zukommende Portion. Stiftungsurk. für Komburg:
Archiep. prebendam ita plene sicut monachus unus habeat quo cottidie in
refectorio fratrum super mensam principalem ponatur et postea pauperibus
erogetur, Gud. T S. 29 Nr. 16. Demgemäß ist praebendarius = Kanoniker,
Dipl. III S, 144 Nr. 117. Im Laufe dieses Jahrh.'.s bildete sich der neue Sprach-
gebrauch, s. Grat. Decr. II, 1 q. 3 c. 2: Beneficia, quae quidam praebendas
vocant. Kr setzt die Zerlegung der bisherigen Präbende voraus, l'ber die
Anfänge, s. Bd. IV S. 339. Vollzogen erscheint sie z. B. in Eichstätt um
1120, Reg. S. 21 Nr. 186; in Halberstadt 1184, Bisch. Dietrich: Es sollen
zwei Laien auf Lebenszeit praebendam unam, sicut unus ex canonicis er-
halten, ÜB. I S. 271 Nr. 303; derselbe 1186: Es soll ein Laie praebendam
unam in ecclesia maiori cum omni integritate et curtem unam erhalten:
er bezahlt für die Präbende 50 Mark Silber. In Trier wurde die divisio
kurz vor 1215 vollzogen, s. u. Anm. 2. Über die Ausführung, s. Bastgen
S. 80 ff". Für Osnabrück nimmt Philipp! an, daß die Zerlegung nicht vor
dem 13. Jahrh. geschah unter Verweis auf ÜB. II S. 276 Nr. 356. Mitt.
des bist. Ver. zu Osn. XXII S. 45. Der Inhaber der Präbende hatte dap
Eigentum namens der K., Westf. ÜB. IV, 3 S. 280 Nr. 442 v. 1251: Pre-
positus . . nomine ecclesiae sue . . decime in veritate proprietarius habeatur.
- Den Zusammenhang bemerkte bereits Dietrich v. Trier; in der Urk.
MRh. ÜB. ni S. 30 Nr. 29 v. 1215, bemerkt er, die Auflösung des gemeins.
Lebens sei nicht zu hindern gewesen, quia periculum diuisionis que nuper
facta fuorat in probendis penitus resistebat.
^ Vgl. den lehrreichen Aufsatz v. Muller über den Haushalt des
Utrechter DK., Westd. Z. XXII, 1903 S. 286 ff". In Minden ist 1299 die Rede
von fructus dividendi in annona, carnibus, denariis sive in quacunque ro
alia, Westf. ÜB. VI S. 524 Nr. 1635; in Mainz bestanden im 14. .Tahrh. die
Naturalreichnisse in Brot, Wein u. Getreide, s. die Mainzer Gewohnh., S. 4.
' Eigene Wohnungen, propriae mansiones, sind in der Aachener
Regel den Kanonikern gestattet, c. 142 S. 417. Es war die Konsequenz
davon, daß Privatvermögen zugelassen wurde. Es ist also nicht auffalig,
daß es in Trier unter EB. Ludolf habitacula fratrum gab, Zusatz zu Gest.
Trev. 30 Scr. VIII S. 171. Bastgen liat das außer acht gelassen. Im Ver-
laufe kamen die Stifter in den Besitz einer größeren oder kleineren Anzahl
von Häusern, sei es dadurch, daß die Domherren (vgl. Köln. Syn. v. 873
— 191 —
noch besondere Reichnisse, vornehmlich die sogen. Präsenzgelder ^.
Durch Erlangung der Präbendeu wurden die Domherren zu Pfründen-
besitzern. Schon dies war ein Widerspruch gegen den Gedanken
der Vita communis. Gab man dann auch den gemeinsamen
Tisch und die Benützung des gemeinsamen Schlafsaals auf. so blieb
von ihr nichts mehr übrig-.
S. 357 : Quisque illorum sive uobilis sive ignobilis esset . . liberum haberet
arbitrium suam mansionem cum ceteris quibuscunque rebus donare . .
cuicunque suo confratri voluisset), oder dadurch, daß Dritte die ihren den
Brüdern oder den Stiftern überließen, vgl. die Köln. !Syn. a. a. 0,,
Schenkung einer Kurie an das DK. in Würzburg, 1165, M. B. XXXVII S.
84 Nr. 107. In Speier unterschied man curiae claustrales u. curiae prae-
sentiarum, man wird zu verstehen haben: Häuser, die dem Stift und Häuser,
die der Präsenzkasse gehörten, Kopialb., Freib. DA. 34 S. 198. Diese Häuser
wurden von den Domherrn bewohnt, vgl. die ürk. Heinrichs IV. für Speier
V. 1101, Remling, ÜB. I S. 76 Nr. 72 „curtes fratrum, in quibus habitant".
Die Art, wie sie vergeben wurden, war sehr verschieden. In Mainz geschah
es durch das Kapitel, Gewohnh. S. 10: ebenso in Würzburg, M. B. XXXVIt
S. 86 Nr. 107. In Basel vergab sie bis 1296 der Bischof, seitdem das
Kapitel, Stat.buch Bl. 16, Freib. DA. XXXIV S. 160. Es war aber auch
zuläßig, daß der Inhaber seine Kurie einem anderen Domherrn vermachte,
s. Chron. ep. Merseb. S. 185: B. Wernher, um 1100, bestimmt, ut unus-
quisque fratrum claustralem mansionem cui voluerit, fratri tamen, duobus
aut tribus idoneis testibus adhibitis daret. Das Privil.Erlungs v. Würzburg
V. 1106: Ut quicunque canonicus cui volet, uiii sc. fratri vel universis fra-
tribus domum, quam possederit tradere valeat, S, 34 Nr. 74, u. vgl. die
Kegensb. Stat. bei Mayer II S. 5. Über Trier, Bastgen S. 86. Endlich kam
auch Kauf der Kurien vor; so in Speier, s. d. Kopialbuch a. a. 0. u. in
Augsburg, s. Leuze S. 15. Sie kamen dadurch aber nicht in das Eigentum,
!<ondern nur in den Besitz der neuen Inhaber. Der Kaufpreis war also
nur eine Übergangsgebühr. An Stelle einer einmaligen Zahlung konnte
auch ein jährlicher Censu.s treten, s. M. B. XXXVII S. 86 Nr. 107. L ber
die eigentümlichen Rechtsverhältnisse, h. Muller, Westd. Z. X 1891 S. 341.
Mit den Dignitäten waren wohl überall bestimmte Kurien verbunden. 1180
vermachte der Dompropst Heinrich v. Speier seine Kurie der Dompiopstei,
ut maior praepositus eandem a capitulo rocii)iat. Er hatte dafür am Anni-
versar de« Stiftern den Brüdern eine ama Wein zu liefern. Versäumt er
das, HO fällt die Kurie dem Kapitel zu, ut fratres ordinent de ea ad utili-
tatora ecclesie quidquid ein placuerit, Kemling, ÜB. 1 S. 120 Nr. 104. In
Paderborn wird 1243 domus Padorb. docani erwähnt, ÜB. IV S. 219 Nr. 325.
' Die PrÜHenzgelder boHtanden auw dem Ertrag gOHtiftotor MeHson u.
dgl. Sie wurden an diejenigen Mitglieder dos Stifts vorteilt, die im ho-
treffenden GotteHdienHt anwesend waren Daher der Name. Vgl. /. H.
Mainzer Gewohnh. S. 17 u. 28, Remling, IIB. II S. 340 Nr. IHI.
" Die Aufhobung rloH gonieiiiHaiiion TiMchoH Nchoint nich um die Mitte
— ]\)1 —
Die Aiiflüsun;^ des j^emeinsaiiieii Lebens ist gewiß ein Beweis
dafür, daß die asketische (ilesiiinung, aus der es entsprungen war,
unter dem höheren Klerus erhdnnte. Doch lag darin schwerlich
(\\o einzige Ursache seines Erlöschens. Vielmehr hat einei'seits der
Ersatz der Naturalwirtschaft durch die (Feldwirtschaft, andererseits
die Umgestaltung der Diözesanverwaltung mitgewirkt. Dadurch
daß die Domherren als Erzdiakone, bischöfliche Vikare und Offiziale
bei der liegierung der Diözese tätig waren, wurden sie dem engen
Pflichtenkreis, den das gemeinsame Leben voraussetzte, entfremdet.
Die neuen Bedürfnisse der kirchlichen Regierung zersprengten die
alte Form.
Die Festlegung einer bestimmten Zahl von Präbenden ist eben
erwähnt. Sie blieb nicht ohne Folgeii. Denn verständigerweise
konnten nicht mehr Mitglieder in ein Stift aufgenommen werden,
als Präbenden vorhanden waren. Die Synode von Fritzlar hat
denn auch- bestimmt, daß nur für erledigte Präbenden Wahlen
stattfinden sollten^ Aber man hat sich nicht überall dieser Be-
schränkung gefügt, sondern man betrachtete es als zulässig, über-
zählige Mitglieder zu wählen -. Diese erhielten durch die Auf-
nahme zwar das Stimmrecht im Kapitel, aber nur einen Anspruch
auf die nächste Pfründe, die sich erledigen würde. Doch waren
die Bedenken, die sich gegen diese Übung erhoben, so gewichtig ^
des 13. .Jahrh.s vollzogen zu haben. In Mainz wurden 1254 die P^inkünfte
des Küchenmeisteramts für eine Priesterpfründe verwendet, Reg. Mog. II
S. 327 Nr. 106. In Paderborn waren 1257 Küche und Bräuhaus verfallen
u. wurden zur Wiederherstellung und Bewohnung einem Laien überlassen,
Westf. ÜB. IV, 3 S. 393 Nr. 718. In Würzburg wurde 1280 die Stelle
eines Bäckermeisters als überflüssig eingezogen, M. B. XXXVII S. 540 Nr.
455. In Köln war schon nach den ältesten Statuten, die dem 13. Jahrh.
angehören, die Naturallieferung von Fleisch u. Fisch an die Domherrn
durch eine Cieldzahlung ersetzt, c. 13 ff., Lacomblet im Arch. f. d. Gesch. des
NRh. II S. 2Sff. Die Statuten v. 1351 bestimmen c. 24 S. 468: Canonici
comedant in immunitatibus suis in domibus propriis vel habeant hospites
8U0S in eadem (V, gemeint ist wohl die Immunität). Im 14. Jahrh. galt in
Mainz der Aufenthalt in claustro als Disziplinarstrafe, Gewohnh. S. 5.
1 C. 6 S. 573; wiederholt Mainz 1.301 c. 2 S. 96, erweitert in den
Mainzer Statuten v. 1310 c. 57 S. 191; von da übergegangen in die Pragfer
Statuten v. 1355 c. 30 S. 390.
- Vgl. Greg. IX. Decret. 111,5 c. 9 u. 19, u. die ebenangef. Bestim-
mungen mit der Zulassung von Ausnahmen. In Würzburp wurden 1257
4 erledigte u. 13 nicht erledigte Präbenden vergeben, M.B. XXXVII S. 373
Nr. 331.
•' Vgl. die lebhafte Schilderung der Zustände in Würzburg, M.B.
XXXVII S. 389 Nr. 343 v. 1260.
— 193 —
daß sie seit der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrliimderts von
einer großen Anzahl von Domkapiteln statutarisch untersagt wurde :
die Zahl der Domherren sollte mit der der Präbenden sich decken.
Man unterschied diese als geschlossene Kapitel von den übrigen \
Zu ihnen gehörten Mainz. Köln, Trier, Bremen, Magdeburg, Würz-
bm-g, Bamberg, Eichstätt. AYorms, Speier, Konstanz, Straßburg,
Chur, Regensburg, Freising, Minden, Meißen, Lübeck, Schwerin,
Kamin -.
Die Zahl der Domherrn an den einzehien Stiftern war sehr
verschieden. Am größten war sie wohl in Köln, entsprechend dem
großen Reichtum dieser Kirche. Das dortige Kapitel hatte im
dreizehnten Jahrhundert 72 Domherren und eine Anzahl Vikare.
Die beiden anderen rheinischen Erzbistümer standen merklich hinter
Köln zurück: Mainz verfügte über 41 Präbenden, Trier ursprüng-
lich über 60, die aber 1445 auf 40 beschränkt wurden. Geringer
war die Zahl in Bremen; sie betrug 1230: 24. Unter den Bis-
tümern stand Würzburg obenan: hier wurde die Zahl der Präbenden
1363 auf 55 festgesetzt. Bedeutend war sie auch in Worms und
Eichstätt. Sie betrug an beiden Orten ursprünglich 50, wurde
aber hier schon 1234 auf 30, dort 1274 auf 40 herabgesetzt.
Ebenso viele hatten Utrecht und Speier; doch wurden in der
letzteren Stadt 10 für Vikare l)enützt. Weit kleiner waren die
Domkapitel in Sachsen und in den östlichen Bistümern: Minden
^ Vgl. Dürr, De capitulis clausis, Mainz 1763.
^ Dürr S. 102 ff. Nicht genannt sind bei Dürr: Bremen, vgl. die Urk.
des KL. Otto V. 1230, ÜB. I S. 181 f. Nr. 156. Chur, vgl. Stat. v. 1273, C.
d. I S. 403 Nr. 270; Konstanz, vgl. die Statuten v. 1315, Konst. Reg. 8705;
Halberstadt, vgl. ÜB. II S. 229 Nr. 999 v. 1259; Schwerin, vgl. Mkl. ÜB. I
S. 484 Nr. 487 v. 1238; Meißen, vgl. Cod. dipl. Saxon. reg. 11,1 S. 281
Nr. 348 V. 1308—1311. Die Zeit, in der die Einrichtung getrotten wurde,
iHt im einzelnen sehr verschieden u. ninht immer festzustellen. Für Hogens-
burg spricht Gregor IX. schon 1230 von der Leistung der 8tii>endiii iuxta
numerum canonicorum institutum ab anti(iuo, Mayer, Thesaur. TI S. 49
Nr. 10. Demgemäß bestimmte ein Kapitelsbeschluß v. 1276: Nullus in
confnitrem et canonicum eccl. Katisp. receptus in fratreni capituli admit-
titur ante plenam prebende perfejttioncm, Statuten S, 3. Minden wurde
1230 Capiiuhim clausum mit 24 canonici maiores, Wostl". HB. VI S. 55
Nr. 207, Lübeck 1263, ÜB. I S. 170 Nr. 162. Doch fanden 1266 unter
dfm Druck des K.Leg. Guido eine Menge Neuaufnahmen, ohne daß eine
I'rilbende erledigt war, statt, ÜB. I S. 185 Nr. 178. Dagegen scheint sich
min den Mainzer Gewohnheiten zu orgeben, daß das dortige !)onistift im
Anfang dei 14. .lahrh.'« noch nicht geschloHsen war, Mayei-, Tiiesinir. I
S. 26. Bremen war 1230, Br. ÜB. I S. 181 Nr. 156, Trier 1246, MHh. IB. III
8. 650 Nr ^67, Konstanz 1315 geschloHwen. s. Reg. Connt. 3705.
Haack, Kircbengencblchtfj. V. ]:{
— 194 —
hatte 1230: 24 Pfründen, Hildesheim 12H0: 2H, Lübeck 1263: 19.
die Zahl stieg aber bis 1294 auf 25; Meißen besaß im Anfang
des vierzehnten Jahrhunderts nur 14 große Priibenden '.
Die Wahl der Domherren wurde ursprünglich durch gemein-
samen Beschluß des Kapitels vorgenommen. Im dreizehnten Jahr-
hundert nahm sie neue, eigenartige Formen an. An die Stelle des
gemeinsamen Beschlusses trat die Wahl durch Vertrauensmänner'-,
hiiufiger die Wahl im Turnus. Bei letzterem Verfahren nominierten
die Kapitulare der Reihe nach im Namen der Gesamtheit je ein
neues Mitglied"'. Mit den Neuwahlen verband sich vielfach die
Option, d. h. die augenblicklichen Mitglieder des Stifts hatten das
Hecht, die erledigte Pfründe unter Verzicht auf die eigene für sich
in Anspruch zu nehmen, so daß also für das aufzunehmende Mit-
glied die geringste Präbende verbliebt
1 Köln: Stat. c. 48 S. 42 f. Unter den 72 Piäb. waren 20 s.g. kleine
(s. u.), so daß Köln also 52 Kapitulare hatte; vgl. auch die Präsenzliste des
Kölner DK., Samstag nach Pfingsten 1362, sie hat außer den Prälaten
56 Namen, N.A. XXXTI S. 241. Mainz: Kisky vS. 104, 24 Kapitulare. Trier:
Kisky S. 158, Bastgen S. 33 f. seit 1445 16 Kapitulare; die Zahl war von
ursprünglich 60, dann 40 auf diese Ziffer herabgesetzt. Bremen; Bremer
ÜB. \ S. 181 Nr. 156. Würzburg: M.B. XLII S. 340 Nr. 133, 24 Kapitulare,
1() emanzipierte Domicellare u. 15 Schüler. Worms: ßaur, Hess. ÜB. II
S. 254 Nr. 278. Eichstätt, Regesten II S. 4 Nr. 442. Utrecht: Liber
camerae I, Wstd. Ztschr. XXII S. 309, 30 große u. 10 kleine Präbenden,
dazu das Stipendium domine, das unter den Priester, Diakon u. Subdiakon
geteilt wurde. Speier: ÜB. I S. 332 Nr. 365 v. 1273. Minden: Westf.UB. VI
S. 56 Nr. 207. Hildesheim, s. die Postulationsurk. v. 1260, ÜB. III S. 2
Nr. 3, die Zahl ist trotz der Worte vocatis omnibus nicht ganz sicher, da
Stellen unbesetzt sein konnten; ausgeschlossen scheint mir aber, daß im
13. Jhrh. die 52 Stellen des 11. (s. ÜB. I S. 92 Nr. 93) noch bestanden.
Lübeck: ÜB. I S. 152 Nr. 160, elf große, 6 kleine u. 2 Privatpräbcnden ;
außerdem 13 Vikariate; S. 366 Nr. 325; die Angabe Helmolds 1,89 S. 179
stimmt nicht hiermit überein. Meißen: C. d. Sax. reg. 11,1 S. 280 Nr. 348
V. 1308 — 1311: 4 Priester, je 5 Diakonen u. Subdiakonen. Über Augsburg.
8. Leuze S. 6 f.
- Beispiele bieten dio Würzburger Wahlen v. 1263, 1267, 1271; sie
winden durch eine Anzahl von arbitri a capitulo constituti vorgenommen,
MB. XXXVII S. 406 Nr. 355, S. 432 Nr. 374, S. 441 Nr. 381.
' In Würzburg 1305 eingeführt. M.B. XXXVIII S. 341 Nr. 204; in
Konstanz und in den Stiftern Kmbrach und Bern vor 1338. hier um die
päpstl. Kxspcktanzon auszuschließen, deshalb v. Benedikt XII. verwehrt. Rom.
Quellen S. 304 Nr. lOlS. Ober Trier, s. Bastgon S. 48f. Über Verschieden-
heiten in der Ausführung, s. Hinschius II S. 138 f.
^ Hierfür ist wohl das älteste Beispiel die Regensb. Ordnung v. 1260,
— 195 —
Durch die EinfüLiiiiig des Turnus wurde die Bedeutung, die
der Stimmabgabe des einzelnen Domherrn zukam, betrlichtUch ge-
steigert; es wurde verhütet, daß bei Neuaufnahmen irgend ein Mit-
glied dauernd überstimmt wurde. Dies weist darauf hin. daß für
die Aufnahme nicht mehr die großen Interessen des Bistums oder
die gemeinsamen des Kapitels entscheidend waren, sondern die
persönlichen der einzelnen Mitglieder. Die Präbenden wurden den
iidehgen Famihen. die im Kapitel vertreten waren, für alle Zu-
kunft gesichert.
Daß diese Art der Ergänzung im höchsten Maße unvoll-
kommen war. ist einleuchtend. Der Nachteil wurde dadurch noch
verschärft, daß die neuen Kanoniker gewöhnlich im Knabenalter
aufgenommen wurden. Denn die alten Domschulen gingen nicht
ein. auch als durch die Begründung und das rasche Aufblühen der
Universitäten das theologische Bildungswesen die tiefgehendste Um-
gestaltung erfuhr. Sie sanken nur von ihrer früheren Höhe herab.
Die gesamte Vorbildung vermochten sie den künftigen Mitgliedern
des Kapitels nicht mehr zu gewähren; aber wenigstens einen Teil
derselben konnte man sich in ihnen aneignen. Das Verhältnis der
in sie aufgenommenen Knaben zum Domstift war nun höchst eigen-
artig. Sie waren Mitglieder des Stifts und wurdej» demgemäß aus
den Einkünften desselben erhalten. Im Verlaufe kam es dazu,
daß auch für sie eigene Präbenden, die sogen, kleinen Präbenden,
l)egründet wurden ^. Man sprach nun von Canonici scholares,
domicellares oder domicelli. Aber einen Anspruch auf das Ein-
rücken in eine große Präbende und damit auf Eintritt in das
Kapitel hatten sie nicht'-. Nur die Entlassung aus der Schule,
die Emanzipation, konnten sie nach Erreichung eines gewissen
Alters fordern''. Sie hießen von da an domiceUi emancipati. Aber
bei der es sich aber nicht um Präbenden handelte, Kied 1 S. 455 Nr. 480;
vgl. die Regensb. Statuten bei Mayer LI S. 6 f.
' Vgl. z. B. ÜB. d. H. Halberetadt II S. 518 Nr. 1530 v. 1289; III
S. 209 Nr. 2066 v. 1822. In Minden lebten 1318 die Schüler noch von den
«lemosiniH de» Stifts, Würdtwein, Subsid. X S. 71 Nr. 46.
- So Alexander W . in der Bestätigung der Gewohnheiten des Hamb.
DK. M.G. Ep. poDt. III S. 456 Nr. 495. Auch in Mainz ist es sehr bestimmt
auHgeoprochen, Gewohn. S. 26: Nullus domicellorum, Canonicorum emanci-
patonim Hivo non, licet praesentatus, ad capituluiii admittatur seu rocipia-
tur, nisi capituluni eiim reputot et iudicet fore dignuui, <juia in eo prae-
Hentato capituli inteient et non scholastici praesontantis. Anders urteilt
Baittgcn S. 52.
* Mainz. Gewohn. S. 9: Si habuerit iicftateni (•ii<;a vi^nnti iinnos potowl
recipi ad Capituluni et ni SchoIaHticuK oiim emancipar«? nolucrit, maior jjan*
i:r
— 19() —
zu Kapitularen. zu stiniuibcrechtigtcii Mitgliedern des Kapitels,
wurden sie erst, weini sie in den Oenuß einer Präl)ende traten.
Bei ihrer Krteilung scheint gewöhnlich eine Auswahl unter den
Betähigten vorgenommen worden zu sein. Stehende Vorbedingung
war, daß der Domicellar sich die Subdiakonatsweihe erteilen ließ ^
Audi mußten nicht unbedeutende Zahlungen geleistet werden-,
AVar es Regel, daß die Aufnahme in ein Kapitel durch die
so oder so \ollzogene Wahl geschah, so wurde diese Regel doch
vieliach durchbrochen. J3as geschah zunächst dadurch, daß die
Verleihung einzelner Präbenden an die Fürsten kam: in Mainz.
Worms und Speier gab es Köm'gspfründen "'; in ]\Ieißen hatten die
Markgrafen seit lo99 vier, seit 1422 sieben Domherrnstellen zu
vergeben*; in Lübeck kam die Vergebung je einer „Privatpräbende"
dem Bischof und dem Grafen von Holstein zu'*. Diese Rechte
beruhten, soweit sie nicht usurpiert waren, wohl meist darauf, daß
die betreffenden Pfründen durch die Verleihungsberechtigten ge-
stiftet waren''. Besonders die Bischöfe erwarben auf diesem Wege
das Besetzungsrecht einzelner Stellen '. Gefährlicher für das AVahl-
recht der Kapitel war die bleibende Vereinigung von Präbenden
capituli potest cum recipere. In Würzbuig mußte der Domicellus erst mit
24 Jahren auf seine Bitte aus der Schule entlassen werden, 1353 M.B. XLll
S. 38 Nr. 16. Ein Formular für die Bescheinigung der Emanzipation im
Speierer Kopialbuche, Freib. DA. XXXIV S. 198. Ein Statut über die Eman-
zipation in Minden bei Würdtwein, Subsid. X S. 140 ff. Nr. 88 v. 1345.
* Die Subdiakonatsweihe wurde z, B. in Würzburg von den Emanzi-
pierten g'efordert; wer isie ablehnte, sollte in die Schule zurücktreten, M.
B. XXXVIl S. 406 Nr. 355 v. 1263; ebenso in Halberstadt, ÜB. III S. 578
Nr. 2490 v. 1357. Durch Clemens V. wurde die Forderung gemeinrechtlich.
vjtI. Köln. Syn. v. 1321 c. 4 S. 279.
- Baseler Statutenbuch Bl. 5 S. 151 f. Bei der Erteilung der Priibende
hatte der Empfänger 24 rhein. Gulden zu entrichten; der Ertrag derselben
hei jedoch während der nächsten drei Jahre der Kirchenfabrik zu; dann
waren wieder 24 (iulden zu zahlen, und damit erst trat der Domherr in
den (ilenuL» seiner Präbende. In Speier waren >'0, später 90 G. zu bezahlen.
Kopialb., a. a. 0. S. 195. Über Trier, Bastgen S. 53, über Meißen v. Brunn
S. 30.
' Schneider S. 82.
' C. d. Sax. reg. 11,2 S. 285 Nr. 752 u. S. 450 Nr. 907. Noch im 15. Jahr-
hundert scheint da.s Wahlrecht völlig beseitigt worden zu sein, Statut v.
1478, C. d. Sax. reg. 11, 3 S. 305 Nr. 1309.
■^ TB. I S. 152 Nr. 160 v. 1263.
" Die Speierer KönifTspfründen sind von König Albrecht 1306 gestiftet.
Er ordnete die Besetzung, Koraling, ÜB. 1 S. 454 Nr. 480.
• S. unten S. 204 Anm. 6.
— 197 —
mit anderen Würden und Amtern, besonders mit den Professuren
der jungen deutschen Universitäten ^ Auch das seit dem drei-
zehnten Jahrhundert sich ausbildende Recht der sogen, ersten
Bitten der geisthchen und welthchen Fürsten wurde auf die Dom-
kapitel ausgedehnt -. Am störendsten wirkten ohne Zweifel die nie
endenden päpstlichen Provisionen^. Denn gerade sie führten den
Domkapiteln immer von neuem Mitglieder zu, für die ihre Pflichten
überhaupt nicht in Betracht kamen, sondern die in der Zugehörig-
keit zu einer geistlichen Korporation nur eine Geldquelle sahen.
Au diesen Mitgliedern zumeist scheiterten die Bestrebungen, die
Beobachtung der Residenzpflicht durchzuführen^.
* MeiBener, Naumburger u. Zeitzer Präbenden für Leipziger Professoren,
C. d. Sax. reg. II, 11 S. 9 Nr. 7, 7. Apr. 1413, vgl. S. 16 Nr. 10. 12 Prä-
benden in Speier uud Worms u. in einigen KoUegiatstiftern für Heidelberg,
Winkelraann, ÜB. der Univ. Heidelberg I S. 65 Nr. 46 v. 1399. Die Uni-
versität Mainz sollte in 13 KoUegiatstiftern je eine Präbende erhalten,
Sixtus IV. 1477. Würdtwein, Subsid. HI S. 197 Nr. 43. Erfurt erhielt 1395
je 2 Präbenden im Marienstift und Severistift, Akten der Erf. Universität
I S. XIV. Köln erhielt von Bonifaz IX. 1394 je eine Präbende in den elf
Stiftern der Stadt. Quellen z. Gesch. d. St. Köln VI S. 282 Nr. 185.
- Hinschius führt II S. 639 Anm. 1 als erstes Beispiel das Schreiben
Konrads IV. v. 1242 an das Domkapitel in Hildesheim an, B.F. 4461; hier
verweist Ficker auf 744, Schreiben Friedrichs II. an Klerus u. Minist, von
(iurk v. 1. Sept. 1214 als früheres Beispiel. Beispiele für die ersten Bitten
geistlicher Fürsten, zumeist aus der 2. Hälfte des 14. u. dem 15. Jahrb., bei
Hinschius S. 641. Als erstes Beispiel kommt vielleicht in Betracht die
Aufnahme eines Domherrn in Würzburg 1267 ad peticionem domini electi
M. B. XXXVII S. 433 Nr. 374. doch i.st hier nicht das Wort preces prima-
riac gebraucht. Albert von Passau behauptet 1320, daß seine Vorgänger
.secundum antiquara et approbatam consuetudinem super unius personae pro-
visione in .singulis cathedralibus, collegiatis, conuentualibus ecclesiis seu
monasteriis das Recht der ersten Bitte besessen hätten, ÜB. d. L. o. Knns V
S. 268 Nr. 281. Für Trier, vgl. Bastgen S. 77.
^ Bei den Verhan<llungen zwischen Sauerland und Schäfer, RQS. XX
S. 123fr. u. XXIII u. Westd. Z. XXVII S. 264 ff. kamen auch die Provisionen
in Betracht; es handelt sich dabei aber nur um das Mehr oder Weniger.
Die oben S. 15f., 39 f. gegebenen Nachweise zeigen jedenfalls, daß der Miß-
stand zeitenweise unerträglich war. Zugleich lioweison sie, daß die
Korflchung zu 8pät einsetzt, wenn sie diese Mißstände in der avignonesischon
Zeit anfHUcht. Sie waren ««in Erbe au« «lern 13, Jahrhundert. Die von
HaHtgen S. 09 aufgefitellte For<lerung, man müsse beachten, welche Provi-
»ionen nach dem kanon. Keclit geschahen und welche nic.lit, scheint mir
unbegn'indot. Nach dem .Horhf*, wie es war, war jode Provision zulässig.
M. S. 16 Anm. 1.
« Vgl. z. B. Utre.ht 1297 c. 3 S.24; Köln 1260 r. '.» S. Ö92; Mainz 1310
— 198 —
Für die Aufnahme in die Donistit'ter galten im allgemeinen
dieselben Anforderungen wie für die Aufnahme in den Klerus
überhau})!. Außerdem Avurde in der Regel adelige Geburt gefor-
dert *, die aber durch einen akademischen Grad ersetzt werden
konnte-. Von der Aufnahme ausgeschlossen waren nicht selten
die Söhne und Verwandten von Bürgern der Bischofsstädte •^. Bei
der Rezeption hatte der Gewählte sich eidlich zur Beobachtung
der Gewohnheiten und Statuten zu verpflichten'*.
Zu den Domherren gesellten sich als Insassen der Stifter im
li-i. Jahrhundert die Domvikare. Der Grund für die Entstehung
des neuen Amts lag darin, daß die Domherren den gottesdienst-
c. 52 S. 190. Die DK. selbst haben eine Menge von Anordnungen getvoiTen,
aber alles ohne Ph-folg.
' In Speier 1101 noch nicht, s. Remling I S. 74 Nr. 72: Sivc nobili
vel humili genere ortus; dagegen galt es in Regensburg 1246 als antiqoii
et approbata consuetudo, daß Domherrenstellen nur an nobiles aut viri
litterati vel in divinis sufticienter exercitati verliehen werden, s. d. ordinatio
des Kapitels bei Mayer II S. 42 Nr. 4 u. die Regensb. Statuten S. 2. Ebenso
in Würzburg 1292, Mon. Boic. XXXVIII S. 79 Nr. 47; vgl. Amrhein im
Unterf. Arch. XXXII, 1889. In Mainz wurde die Gewohnheit 1326 statuta-
risch'^s Recht, Würdtwein, Subs. IV S. 141 Nr. 16 ; in Basel 1337, Onann S. 120f.;
in Bamberg 1339, Reg. Boic. VII S. 241 ; in Speier 13ß2, ÜB. I S. 623 Nr. 620.
in Halberstadt bestätigte sie Bonifaz IX. 1401, ÜB. IV S. 444 Nr. 3166. Über
Trier, s. Bastgen S. 26 ff. Das Wormser DK. lehnte 1310 einen nicht adeligen
Kanonikus ab, wurde aber von Peter von Mainz zur Aufnahme genötigt.
Würdtwein, Subsid. XII S. 109, Anm. zu Nr. 15. Daß Straßburg seit d.
13. Jahrh. nur Freiherren — also keine Ministerialen — aufnahm, hat
Kothe, Kirclil. Zustünde Straßburgs, Freib. 1903 S. 6 ff. nachgewiesen. Da.s
jTfleiche gilt von Köln, dagegen nicht von Mainz u. Trier, die Ministerialen,
ausnahmsweise auch Bürgerliche, aufnahmen, s. W. Kisky, Die DK. der
geistl. KF., 1906, u. vgl. A. Schulte, D. Adel u. die deutsche Kirche, 1910.
•^ So in Basel, Gnann S. 121; in Speier 1424, ÜB. II S. 153 Nr. 76;
in Meißen 1476 C. d. II, 3 S. 238 Nr. 1193; Augsburg 1420, Leuze S. 5.
' So z. B. in Trier, s. MRh. ÜB. III S. 969 Nr. 1345 v. 1256 u. MRh.
Reg. III S. 611 Nr. 2688 v. 1272, Augsburg M.B. XXXIII, 1 S. 460 Nr. 365
v. 1322 — aber vgl. Leuze S. 4 — , Speier, ÜB. I S. 304 Nr. 339 v. 1264 u.
S. 460 Nr. 487 v. 1309 u. a.
* Vgl. die Bremer Statuten v. 1230, Brem. ÜB. 1 S. 182 Nr. 156, den
Erlaß Nikol. III. v. 1280, ÜB. d. B. Lübeck I S. 267 Nr. 272: Contingit in
nonnullis occlesiis de earum consuetudine observari, quod ipsarum prelati
cum primo ad ecclesias ipsas accedunt, vel cum de recipiendis novis cano-
nicis agitur, nee prelati admittuntur nee canonici aliter reeipiuntur in ipsis.
nisi iuront statuta et consuetudines ecclesiarum scripta et non scripta invio-
labiliter observare; er verbietet den Kid, wenn die Statuten illicita seu
impossibilia vel obviantia ecclesiastice libertati enthalten.
— 199 —
liehen Anforderungen ihrer Genossenschaft nicht mehr nachkommen
konnten. Zum Teil waren sie durch die Archidiakonatsgeschäfte
und andere Ptlichten in Anspruch genommen, zum Teil lebten sie
als Glieder der Kurie oder als Prälaten anderer Kirchen dauernd
fern vom Stifte, zum Teil befanden sie sich, sei es der Studien
halber, sei es im Auftrag des Bischofs oder des Kapitels, vorüber-
gehend auswärts ^. Zu diesen wenigstens halb berechtigten Gründen
kamen ganz unberechtigte hinzu, besonders die Abneigung der meisten
Domherren, sich die Priesterweihe erteilen zu lassen"-: sie zogen
es vor, zeitlebens Subdiakonen zu bleiben. Abhilfe suchte man
auf einem doppelten Wege einerseits dadurch, daß man eine An-
zahl Präbenden ausschließlich für Priester bestimmte. Solcher
Priesterpräbenden gab es in Köln 7, in Mainz 4, in Lüttich 6, in
Halberstadt 2, in Augsburg 3, in Lübeck 8, in Utrecht 1, in Trier
fehlten sie ganz. Man verzichtete bei ihrer Besetzung auf die For-
derung adehger Geburt, verlangte dagegen strenge Beobachtung
der Residenz^. Hier galt also die Amtspflicht als entscheidend.
Aber schon die kleine Zahl der Priesterpräbenden zeigt, daß sie
eine wirkliche Änderung des Mißstands nicht bringen konnten.
Mehr wurde auf einem zweiten Wege erreicht: durch die Einrich-
tung des Vikariats. Es handelte sich dabei entweder um die Be-
stellung ständiger Vikare, denen ein Teil der Verpflichtungen des
Kapitels übertragen wurde, oder um die Aufstellung persönlicher
Vikare, die für einzelne dauernd oder vorübergehend behinderte
Domherren eintraten. Man rindet V^ikare in den Domstiftern seit
dem Anfang des dreizehnten Jalirhunderts erwähnt. Die Einführung
wird demnach in das zwölfte fallen. In Trier gab es 1215 be-
reits Präbenden der Vikare ; hier war der Vikariat also schon da^
' Vgl. Bremer Stat. v. 1230, ÜB. I S. 182 Nr. 156: Causa studii uut
peregrinatioois vel ecclesie negociis aut sui officii ad I3rem. ecclesiam per-
tinentis; Mainzer Stat. S. 12: Archiepiscopus . . unum de canonicis pro ruo
cappellano sibi poterit adplicare etc. S. 9: Omnes indifterenter sive cano-
nici aive vicarii tenentur ad utilitatem ecclesiae. Stat. dos Halberst. DK.
V. 1417, ÜB. IV 8. 573 Nr. 3352. Stat. v. Chur v. 1273, wonach den beiden
bisch. Kapellanen, wenn sie beim Biscli. oder in seinem Auftrag anderwärts
weilt<>n, die Präbenden gewahrt Idieben, Mohr, C. d. I S. 401 Nr. 270.
Vgl. hierzu die Synode zu 'J'rier um 1275 c. 7 S. 530, wonacii es
Domherren gab, dir? nicht einmal zu Subdiakonen gjiweiht waren.
' Mainzer «iewohnheiten S. 12, für Lüttich, k. Hartzh. 111 S. 581, für
Halberstadt, ». Brackmann S. 7. Lübe«:k 1 S. 366 Nr. 335 v. 1294. Utrecht
n. 8. 194 Anm. 1. Köln u. Trier, s. Kigky S. 18f., für Augsburg 1313 M.
B. XXXlll, 1 S. 37« Nr. 301, In .Augsburg hatten die Inhaber der l'rioster-
pfrflnden kein Stimmrecht.
— 1^00 —
mals ein stiiiidigcs Amt. Die Zahl der Vicarii i)erpetui vermehrte
sicli his zum Beginn des fiinfzelinton .lahrhiindcrts auf acht. Ebensn
scheinen in Hildesheim um 1220 und in Halberstadt um 1227
ständige A'ikare vorhanden gewesen zu sein. Wenn dagegen in
Speier 1211 die Bestimmung getroffen wurde, daß Dondierren, die
auswärts zu Bischöfen gewählt Avurden. zwar ihre Stellen i)ehalten
sollten, aber den Dienst durch Vikare versehen lassen müßten, so
handelte es sich nur um persönliche Vertreter. Eine ähnliche An-
ordnung erließ der Kardinallegat Peter von Albano 1250 für
Lüttich '. Kurz vorher. 1236, waren am Dom zu Mainz zwei
Vikariate gegründet worden, um den Chordienst derjenigen Dom-
herren, die zugleich Archidiakone waren, zu versehen -', und fast
gleichzeitig errichtete das Domkai)itel zu Regensburg, da es ihm
an Priestern fehlte, zwei Donivikariate'\ Von Bedeutung waren
natürHch besonders die ständigen Stellen. Ihre Zahl wuchs im
Laufe des dreizehnten Jahrhunderts rasch: zum Teil wurden neue
Stiftungen für diesen Zweck gemacht, zum Teil gewann man die
Mittel für Vikariate dadurch, daß der Ertrag eines Teils der Dom-
herreni)räbenden für die Besoldung von Vikaren bestimmt wurde.
Ein Beispiel für das erstere bietet Mainz, wo in den Jahren 1254,
1255 und 1257 neue Vikariate begründet wurden \ für das zweite
Speier, wo man von 40 Pfründen 10 für Vikare einzog'', und
Mainz, wo 1254 aus dem Pförtneramt ein Vikariat gemacht wurde''.
Die Jjeitung der Domstifter lag in den Händen einer Anzahl
' Trier: MHli. ÜB. III IS. lU Nr. 21) u. liastgen, (Jesch. dos Trier. DK.
S. HC. Anm. 3. Hildesheim: ÜB. 1 S. 703 Nr. 750: Halberstadt, ÜB. I
S. 539 Nr. 602; Speier: ÜB. I S. 221 Nr. 226; Lüttich, Hartzheim HI S. 582.
In Meißen werden 1214 zwei Vikare genannt; es läßt sich nicht sehen, ob
ständige oder persönliche, C. d. Sax. reg. II. 1 S. 79 Nr. 83.
•-' Reg. Ma^r. H 8. 244 Nr. 224, vgl. Nass. ÜB. 1 S. 309 Nr. 463. l bor
die Mainzer Domvikare, s. Gudenus, C. d. II S. 729 ff. An ihrer Spitze stand
der Inhaber einer Vicaria refjalis, deren Ursprung ins 13. Jhrh. hinaufreicht.
•' Die Stiftungsurk. bei Mayer 11 S. 19 Anm. r, bestätigt von Innoc. IV
20. Aug. 1245 r. 11835.
* Nass. ÜB. I S. 3lNSff. Nr. 594, 602, 621, ()63.
'' ÜB. I S. 332 Nr. 365. In Osnabrück wurden 1243 aus der Bischots-
präbende 2 Vikariate gemacht, für die das Kapitel dem B. Priester prä-
sentierte, ÜB. II S. 340 Nr. 433. Über die Halberstädter Vikare, Brack-
mann S. 32 ff., über die verschiedenen Klassen der Vikare, auch Schneider
S. 70 ff.
" Uuden. II 8. 761 Nr. 12. l ber die eij?enartigen Augsb. Verhältnisse,
8. T.euze S. 38 ff.
— 201 —
von Prälaten \ Diese Würden waren nicht überall gleich; doch
sind die Einrichtungen im ganzen analog.
Der erste Prälat des Domstifts war ursprünglich der Propst".
Er hatte anfangs die Gesamtleitung ^ . wurde aber im Verlaufe
vielerorts auf die Verwaltung der äußeren Angelegenheiten des
Kapitels, also besonders auf die des Vermögens, beschränkt^. In
dieser Stellung behauptete er sich in einer Anzahl von Domstiftern,
z. B. in Köln'^. Trier ^ und Chur ". In anderen führten die Schwierig-
keiten, mit denen die Vermögensverwaltung besonders seit der Fest-
legung der Präbenden zu ringen hatte, zu Änderungen. Es wieder-
holte sich die Zerschlagung des gemeinsamen Besitzes, indem dem
Propst ein Teil der Einkünfte überlassen, aber die Verwaltung des
für die Präbenden der Domherren bestimmten Anteils entzogen
wurde. Die Folge war, daß seine Verbindung mit dem Kapitel
sich lockerte, oder fast löste. Er stand in ähnlicher Weise wie der
' Über die Bezeichnungen praelatura, dignitas u. personatus, s. Hin-
schius II S. 110 f.
- Vgl. Aachener R«gel c. 139 S. 415.
^ In Osnabrück handeln noch 1248 Propst, Dekan u. Kapitel gemein-
sam bei einem Beschluß, betreffend die Besetzung der stiftischen Pfarreien,
ÜB. II ö. 421 Nr. 534; in Speier 1804 bei einem Beschlüsse über Gottes-
dienste, Remling I S. 451 Nr. 477.
* Schon in der Kölner Syn. v. 873 ist die Vermögensverwaltung so
gut wie ausschließlich betont. Mainz 1239 (-- 1261 c. 19 S. 600): Admini-
strationem fratrum extrinsecum exercentes; Köln 1260, c. 12 S. 592; vgl.
den Eid des Merseb. Propstes, ÜB. I S. 315 Nr. 381 v/ca. 1272, S. 354
Nr. 429 v. 1277 u. S. 535 Nr. 676 v. 1311; Eid des Baseler Propstes, Sta-
tutenbuch Bl. 2. Freib. Diöz.Arch. XXXIV S. 148 und Stat. v. 1289 S. 156.
In Speier hatte er die Verwaltung der Präbenden, nicht aber die der Obla-
tionen, Remling, ÜB. I S. 75 Nr. 72 v. 1101. Die Aufzeichnung seiner
herkömmlichen Verpflichtungen in Konstanz, 1301, Hef^. Const. 3246; vgl.
Mainz 1289 ( -- 1261 c. 19 S. 600j. Prozeß des Paderb. DK. gegen den Dom-
propst «uper defectu diutino amministrationis praebendarum 1275, West f.
ÜB. 1V,3 S. 665 ff. Nr. 1390, 1392, 1395, 1397 f., 1405. Ähnliche Zwistig-
keiten in Minden 1300, Westf. ÜB. VI S. 526 Nr. 1640; in Ilalberstadt, s.
Brackmann S. 41fl. In Münster wurden die Naturalleistungen des Propstes
für den Ti«ch der DH. schon 1247 in oine Tieldzahlung verwandelt, s.
WeHtf. ÜB. in S. 251 Nr. 466.
'• Köln. Statuten c. 51 S. 45: Miiior jinieposituy dcltot pleiiiuic prc-
bendaH aa)ininiMtraro et dolectimi supplore.
•♦ Baatgen 8. 123 ft.
* Churer Statut, v. 1273, Mohr I S. 402 Nr. 270 : Der Propst djirl Köln.'
locationeB ohne Rat u. Zuntimmiing von 6 Kanon. ma< li<>n. dio das Kap.
dazu l»«Htellt: vgl. dio Vf)llm:i<lit v. 12^9, II S. fuj Nr. 49
— 202 —
Bischof neben dem Kapitel, nicht mehr in ihm. Das war z. B. in
Mainz der Fall, wo der Propst im 14. Jahrhundert nicht mehr zu
den Prälaten des Stifts gezählt wurde. Ahnlich war seine Stellung
in Ilegensburg\
Neben dem Propst stand der Dekan. Die Aachener Regel
kannte diese Würde noch nicht. Sie muß sich aber im Laufe des
neunten oder im Anfang des zehnten Jahrhunderts gebildet haben.
Das Vorbild boten vermutlich die Einrichtungen der Benediktiner-
klöster, in denen die Dekane den Abten als Gehilfen zur Seite
standen"-. In den Domstiftern hatte der Dekan, wenn er neben
dem Propst stand ^, die Leitung der Mitgheder als einer religiösen
' In Regensburg verzichtete der Propst 1230 auf die Verwaltung der
Präbenden u. institutionem bonorum omneque ius quod ex prepositura
requiri solet, solo sibi nomine prepositurae cum paucis redditibus reteutis,
s. die Bestätigung durch Gregor IX. bei Mayer 11 S. 49 Nr. 10. Ähnlich
waren die Verhältnisse in Mainz, In den dortigen Statuten ist vom Propst
überhaupt nicht die Rede, während das Amt des Dompropstes natürlich
fortbestand, s. das Verzeichnis der Mainzer Dompröpste bis 1616, bezw.
1714 bei Joannis II S. 212 ö'. u. 270 fi". Auch in Speier stand der Dompropst
neben dem Kapitel, nicht in ihm, s, den Eid desselben, Kopialbuch a. a. 0.
S. 199. In Köln wurde die separatio bonorum 1374 vorgenommen, Hartz-
heim IV S. 556 c. 19, in Würzburg unternahm man sie 1386, s. M.B. XLV
S. 471 Nr. 316. Dagegen blieb ihm in Halberstadt nach mancherlei
Schwankungen die Verwaltung der Kapitelsgüter, s. Brackmann 8. 44 tf..
u. vgl. die Statuten für seine Amtsführung v. 1241, ÜB. II S. 30 Nr. 705.
In anderen Stiftskirchen begegnet man der gleichen Erscheinung, vgl. die
Übergabe der Administration vom Propst an den Dekan in St. Stephan zu
Mainz, Baur, Hess. Urk. II S. 329 Nr. 351.
- Vgl. Reg. Bened. c. 21. Nachweislich .sind Domdekane seit dem
10. Jahrhundert: in Trier 946, MRh. ÜB. I S. 246 Nr. 184, vgl. Othloh,
Vita Wolfk. 8: Magdeburg 983—1002, Thietm. ehr. IV,65 S. 100; Hildes-
heim vor 1013, ÜB. I S. 38 Nr. 49; Köln 1033, NRh. Uß. I S. 105 Nr. 169:
Osnabrück 1037—52, ÜB. I S. 119 Nr. 138: Paderborn 1039, Reg. We.stf. I
S. 101 Nr. 129; Würzburg 1057, M.B. XXXVII S. 25 Nr. 67; Mainz 1064,
.loannis 11 S. 579; ein Verzeichnis bis 1622 bezw. 1709 S. 216 u. 297:
Münster 1085, Reg. Westf. I S. 129 Nr. 164; Halberstadt 1107—1109. ÜB. 1
S. 96 Nr. 133: Salzburg 1136, Meiller S. 30 Nr. 169; Konstanz 1150, Thurg.
TB. II S. 101 Nr. 30; Meißen 1160, V. d. Sax. reg. 11,1 S. 54 Nr. 52.
' Bezeichnend sind die Verhältnisse in Minden 1230. Hier handeln
Propst, Dekan u. Kapitel, wenn es sich um Verwaltungssachen handelt,
dagegen Dekan und Kapitel, wenn Disziplin geübt wird, Westf. ÜB. VI
S. 55 f. Nr. 207. Auch in Paderborn handeln 1295 bei einem Statut über
die Vergebung der Obedienzen Propst, Dekan und das ganze Kapitel, a. a. 0.
[V,3 S. 1070 Nr. 2362; vgl. 2369. Ebenso 1276 bei der Bischofswahl,
S. (^93 Nr. 1448 und 1299 bei Abschluß einer Brüderschaft, S. 1154 Nr. 2564.
— 203 —
Genossenschaft; war der Propst ausgeschieden, so fiel ihm die Ge-
saratleitung zu. Demgemäß hatte er über die Beobachtung der
Gewohnheiten und Statuten und über die Einhaltung der gottes-
dienstlichen Ordnungen ^ zu wachen. Er war der Inhaber der
Disziplinargewalt und der Seelsorger des Stifts'. Aus seiner Dis-
ziplinargewalt folgte, daß er befugt war, den Domherrn Urlaub,
wenn auch nur auf kürzere Zeit, zu erteilen. Da er Seelsorger
war, wurde von ihm gefordert, daß er sich die Priesterweihe er-
teilen lasset
Weitere Prälaten waren der Kantor und der Scholastikus.
Dem ersteren lag die Leitung des Chordienstes ob; er verzeichnete
die Domherren, die in jeder AVoche zu singen oder zu lesen hatten"^.
Der letztere war der Vorstand der Domschule ^, wohl auch der
Sekretär des Kapitels ^. Am Unterricht beteiligte er sich in dieser
Zeit nicht mehr, sondern er bestellte und besoldete einen Magister,
^ Demgemäß zeichnet der Dekan Johann v. Lichtenberg die lit. Ge-
wohnheiten des Straßb. Doms auf, Sdralek, Straßb. Diöz.Syn. S. 155 Nr. 5
V. 1345—47.
- Bremer Stat. v. 1230, ÜB. I S. 182 Nr. 156: Decanus in hiis que ad
servicium ecclesie pertinent et ad ecclesiasticam disciplinam compellendi,
cohibendi, coartandi, puniendi plenariam habeat potestatem. Köln 1260,
c. 9 S. 591: Potestas, lex et gubernatio canonicae disciplinae: vgl. die
Statuten C4erhard8 v. Mainz 1291—1298, Gudenus T S. 907 Nr. 431; Mainzer
Gewohnheiten S. 4 ff., 20, 23; Baseler Statutenbuch Bl. 11, a. a. 0. S. 156;
Eid des Paderborner Dekans v. 1279, Westf. ÜB. IV,3 S. 741 Nr. 1554. Da
die Disziplinargewalt des Dekans sich im wesentlichen auf Verfehlungen
gegen die Rechte und Gewohnheiten des Stifts bezog, so schloß sie die
bischöfliche Disziplinargewalt nicht aus. Diese wurde aber vielfach durch
besondere Abmachungen ausgeschlossen oder wenigstens beschränkt, vgl.
z. B. die Hildesh. Wahlkapitulation v. 1331, ÜB. IV S. 665 Nr. 1220, u.
zur Sache, Hinschius V S. 293. In Speier hatte der Dekan Kchon 1101 die
Strafgewalt über die Domherren, Remling, ÜB. I S. 77 Nr. 72.
' Köln 1260, c. 9 S. 591: Mainz 1355, S. 312. In Trier mußten der
Dekan, der Scholastikus, der Kantor u. <ler Kustos die Priesterweihe haben,
Bastgen S. 39.
* Mainzer Gewohnh. S. 7; ÜB. d. 1). Lübeck 1 S. 128 Nr. 139 v. 1259;
hier auch: Provisionem et regimen habeat organoruni; vgl. S. 99 Nr. 106.
Kaseler Statutenbuch lii. 11, a. a. O. S, l.OG. In Köln bezeichnete man
ihn deHhalb al.s chori epiKcopu.n, Syn. v. 1260, c. 9 S. 592. In Haiborstadt
rechnete man ihn. wie oh «cheint, nicht zu den Prälaten, h. Brackmann S. 66.
•'• GadcnuH ! S. 690 Nr. 304 v. 1261; Köln 1260, c. 9 S. 591; BaHel.
Stat. Bl. 12 S. 157; Lübeck, Stat. v. 1263, ÜB. 1 S. 170 Nr. 172.
' .Mainz. Gewohnh. S. 9f., Kasel. u. Lübecker Stat., a. ;i. O. Kür
>peier. h. Wnrdtw<-in, Hub«, dipl. IX S. 211 Nr 40 v. 1477.
— 204 — .
der den Scliolaicn den vorboroitendcu rnterricht zu orteilen
Jiatte ^
In hezu«; aiil die Zahl der Prälaten lieiTschte, aucli abgesehen
von der unsicheren Stellung des Propstes keine Übereinstimniunc^.
In Mainz z. B. i^oalten nur Dekan, Kantor und Scholastikus als
Prälaten'-. Dagegen betrachtete man in Köln als solche den Dekan.
Subdekan. Chorleiter und Scholastikus, zeichnete aber auch den
Keller, Kantor und die beiden Pförtner vor den übrigen Dom-
herrn aus*'. Anderwärts wurden der Kustos und der Thesaurar
zu den Trägern der höheren Amter gerechnet*.
Die Prälaten wurden in der Regel vom Kapitel gewählt'*.
Doch kam auch die Ernennung durch den Bischof vor. Dabei
wirkten schwerlich die alten Verhältnisse fort, sondern das Er-
nennungsrecht beruhte wohl ausnahmslos darauf, daß der Bischof
die betreffende Pfründe gestiftet hatte und deshalb d;is Patronats-
recht besaß*'. Die Einsetzung des Gewählten war Sache des
Bischofs ".
^ Mainz. Gewohnh. u. Basel. Stat., a. d. aa. 00., Remling. UH. II
S. 208 Nr. 102 v. 14B8.
- Mainzer fTewohnh. S. 3: Primo sciendiim qaod in ipsa eccl. Moe.
tenentur esse tres praelati, sc. decanus, scholasticus et cantor.
■*' Kölner Statut. 8,4 u. 48,3f. Lacomblet, Archiv II S. 26 u. 48.
* S. Schneider S. 101. In Chur 1283: Decanus, eustos, cantor totum-
quG capitulum, Mohr, C. d. II S. 20 Nr. 19. t'ber den eustos in Augsburg.
Lenze vS. C)\.
'■' Alexander III. für Eichstätt, 1179: Nullus ibi . . preponatur. nisi quem
niaior pars Iratruni et sanior, sicut hactenus servatum est, secunduni . .
canonicani ecciesic consuetudinem providerint eligendum: Cölestin III. für
Schwerin 1191: Liberam electionem in eligendo decanos, prepositos et ca-
nonicos et liberam dispositionem in colligendis stipendii.^, sicut hactenus
habuistis . . confirmamus, Mecklenb. ÜB. I S. 149 Nr. 151. In Köln durfte
der KB. bei der AVahl nicht einmal anwesend sein, Westf. l'B. VI S. 482
Nr. 1522: ebenso in Halberstadt, ÜB. III S. 254 Nr. 2134 v. 1324. Die Be-
stätigunfj der Wahl durch den KB. war in Hamburg erforderlich, Schl.H.
L. Reg. III S. 374 Nr. (559, durch den B. in Halberstadt, ÜB. IV S. 599
Nr. 3879,23.
" So in Speier, wo der B. den Kantor ernannte, ÜB. II S. 59 Nr, 21 u.
S. 400 Nr. 208: über die Stilung der Kantorei durch B. Konrad Ill.,s. Bd. I
S. 146 Nr. 130 v. 1213. Auch in Bamberg ist das Kantorat vom B. gestiftet,
1192 Otto II., Looshorn II, 2 S. 565, 1256 von neuem, Loosh. S. 737. Eebenso
in Osnabrück 1221 von B. Adolf, ÜB. II S. 98 Nr. 132: in Lübeck 124s
durch B. Albert; auch hier war es demgemäß durch d. B. zu be.^etzen,
ÜB. I S. 94 Nr. 101: ebenso die Kellnerei 1278 S. 262 Nr. 268.
■ Halberst IB. IV S. 104 Nr. 2741: Kemling II 8. 60 Nr. 21: Ad prae-
— 205 —
Für die äußeren Geschäfte : die Verwaltung des stiftisclien
Besitzes und ihre Beaufsichtigung, die Erhebung der Gefälle und
der Zehnten, und für die niederen Dienste in der Kirche und dem
Kloster l)edurfte jedes Donistift eine größere Anzahl von Beamten.
Denn nur zum Teil übernahmen die Domherren diese Geschäfte
selbst als eine Pflicht, der sich kein ^litglied der Genossenschaft
entziehen durfte; zum größeren Teil wurden Vikare und andere
Kleriker damit betraut. Die niederen Dienste wiu'den wohl auch
von Laien versehen ^.
Als Korporation handelte der Domklerus im Kapitel, der Ver-
sammlung der stimmberechtigten Mitgheder des Domstifts.
Nach der Regel Chrodegangs waren die Kapitel tägliche Zu-
sammenkünfte, die vorwiegend erbaulichen Charakter trugen, zu-
gleich aber der Erledigung der notwendigen Geschäfte dienten-.
So kannte sie auch das Aachener Statut unter der Bezeichnung
der Kollationen"'. Zur erbaulichen Lektüre diente nach klöster-
lichem Vorbild besonders die Regel. Diese Lesungen haben sich
lange erhalten. Ln Kölner Domkapitel war es 1260 üblich, daß
der Dekan und die Brüder sich täglich nach Schluß des Officium
pro defunctis ins Kapitelhaus begaben. Dort fand eine Lesung
über Leben und Regel der Kleriker statt; darauf wurden die Ge-
schäfte, besonders die disziplinaren Angelegenheiten erledigt^. In
posiluram canonice electus et per nos rite contirmatus nee non possessio-
neni ipsius quietam nactus.
' Cellerarius, camerdrius, magister oder procurator» praesentiaruiii,
magister fabricae, punctator oder procurator communis usus, granarius,
subcustos, hospitalarius, infirmarius, elemosynariusetc, s. Hinscliius II S. lOöf.,
109: Schneider S. 102 ö'.; vgl. auch die Eintrilge des Baseler Statutenbuchs
über die verschiedenen officia, S. 156tt". , die Lül»ecker Aufzeichnung über
die Präbenden u. ihre Verwaltung, ÜB. 1 S. 152 Nr. 160 v. 1263, u. Muller,
D. Haushalt des Utrechter DK., Westd. Ztsch. XXII S. 286. Über Trier,
Bastgen S. 183 tf., über Augsburg, Leuze S. 70 ft'. u. HSflf.
- C. 8 S. 7 f.
' C. 123 S. 403: Ubi etiam de communi profectu et utilitate ecclesiae
pertractent.
* Vgl. die Köln. Statut, v. 1260; c. :> l)ezieht sich Konrad wicdorholt
auf die consuetudo maioris ecclewiac, S. 5901'. Was in den Kapiteln goscliali,
ergibt der Satz c. 7 S. 590: .\nte omnem tractatuni disciplinae vel etiam
praebendae aiit cuiuscunque alterius negotii, tabulan capitularis lecturaiii
. . audiant diligenter . . Nee non alirjua lectio de regula et vita cloricoruin
legtttur. Vgl. ferner da« Statut v. 1333, c, 5 S. 432, u. v. 1351, c. 29 S. 46H.
Auch in Lüttich war 1250 das tägliche Kapitel noch in Cbung, Statut des
KL. Peter, S. 580ff. : Canonici »ingulis diobus statim post primam . . iiixta
morem intront capiiulum et si ali«|uid nmorKerit corrigondmn vel Iractan-
— 206 —
Mainz scheinen regelmäßige Kapitel, wenn auch schwerlich an
jedem Tage, noch im 14. Jahrhundert üblich gewesen zu sein\
Im 15. Jahrhundert hört man in Augsburg von Kapiteln am Mon-
tag, Mittwoch und Freitag und in Meißen wenigstens noch von
Wochen kapiteln an jedem Freitag '".
Es entsprach der Stellung des Dekans im Stifte, daß er in
der Regel den Vorsitz führte". Er konnte je nach Befund seine
disziplinaren Verfügungen im Chor oder im Kapitel treffen . war
aber beim Einschreiten gegen Prälaten stets an die Zustimmung
des Kapitels gebunden^. Der erbauliche Zweck der Versamm-
dum de negotiis ecclesiae, si potest fieri fiet statim. Im folgenden werden,
wegen schlechten Besuchs der Kapitel für die Geschäfte am Montag u.
Freitag 2 Spezialkapitel angeordnet, zu denen alle erscheinen müssen. In
Lübeck fand die Rechnungslegung im Kapitel statt, ÜB. 1 S. 175 Nr. 163
V. 1266 u. S. 249 Nr. 258 v. 1277.
^ Die Mainzer Gewohnheiten erwähnen sie nicht eigens. Heißt es
aber: Decanus tenetur corrigere suos subditos tarn in choro quam in capi-
tulo, S. 4, so sind die Kapitel als regelmäßig vorkommend vorausgesetzt.
Pibenso, S, 3, wo die Mitwirkung des Kapitels bei der Disziplin
gegen Prälaten gefordert wird, S. 14, wo von dem Recht des Kapitels,
den Dekan in Geschäften der Kirche nach auswärts zu senden, gesprochen
wird. Daß aber die Kapitel nicht mehr täglich abgehalten wurden, scheint
sich daraus zu ergeben, daß von capitula privata die Rede ist, zu denen
eigens geladen werden mußte, S. 19. Sie wurden vom Dekan berufen, S. 11.
Außerordentliche, vom Dekan berufene Kapitel, auch in Halberstadt, (JB. IV
S. 541 Nr. 3297 v. 1411.
^ Über Augsburg, Leuze S. 22; über Meißen, Stat. v. 1498, C. d. Sax.
reg. II, 3 S. 309 f. Nr. 1309. Sie sind die Kodifikation der älteren Statuten
u. Gewohnheiten.
^ Köln. Stat. c. 7 S. 590: Decanus et fratres ingredientur domum capi-
tuli. Ist der Dekan abwesend, so fällt das Kapitel nicht aus; aber es wird
nur die tabula capitularis verlesen, S. 591 ; Mainzer Gewohnh. S. 4; Sixt. IV.
für Speier: Quod decanus . . eidem capitulo praeesse ac celebrationem
capituli indicere et negotia dictae eccclesiae ad eum deducta in eodem
cap. pruponere aliaque capitularia gerere et tractare debeat, Würdtwein,
Subs. IX S. 214 Nr. 40.
•* Mainz. Gewohnh. S. 3: Licet decanus schohistuum et cantorem per
86 non posßit suspendore, tarnen propter eorum absentiam assiduam vel
etiam diuturnam [Capitulum] id quod quondam cellerarius potuit ecclesiae
requiret [a suporiori] de capitulo vel capitulum a superiori [de capitulo]
suspensionem, nee capitulum dobet denegare, nee sine capitulo aliquis po-
test nee debet relegare. Der Text ist verderbt; die eingeklammerten Stellen
sind wahrscheinlich zu streichen. In Halberstadt bedurfte der Dekan die
Zustimmung des Kapitels auch zum Einschreiten gegen Kapitulare, Stat. v.
— 207 —
lungeii scheint in der späteren Zeit zurückgetreten zu sein ^ ; sie
dienten nur noch der Erledigung der Geschäfte -. Machten es diese
notwendig, so konnte der Dekan die anwesenden Domherren zu
außerordenthchen Kapiteln laden ■^.
Neben diesen von alters her üblichen Versammlungen kamen
im Laufe des dreizehnten Jahrhunderts die Generalkapitel auf. Sie
unterschieden sich von jenen dadurch, daß zur Teilnahme nicht
nur die residierenden, sondern sämtliche Domherren verpflichtet
waren. Daraus ergibt sich der Grund iür ihre Einführung. Sie
wurden entweder eigens angesagt*, oder sie fanden ein paarmal
im Jahr an ein für allemale bestimmten Tagen statt''. Da die
Erledigung aller wichtigeren Geschäfte, besonders der Wahlen und
1413 (?), ÜB. IV S. 547 Nr. 3311. Hier auch die Form des Vorgehens,
über die Strafen im einzelnen, Bastgen S. 205.
^ Er wird nicht mehr erwähnt. Freilich kann man daraus nicht ohne
weiteres schließen, daß die Verlesung aus der Regel aufhörte. In Köln
war sie 1351 wenigstens noch Vorschrift, c. 29 S. 468 . . Frequenter legan-
tur tabulae in capitulo . . et aliqua lectio de regula. Man kann vielfach
lesen, daß die täglichen Kapitel durch die Konventualmesse ersetzt worden
seien. Die Annahme ist aber sicher unrichtig. Wie konnte das Meßopfer
an die Stelle einer halb geschäftlichen Verhandlung treten? Selbst die
Annahme, die Konventualmesse sei an die Stelle der täglichen Lesung aus
der Regel getreten, ist unhaltbar. Die Konventualmesse ist ohne Zweifel
ursprünglich. Das DK. war ja die Vereinigung der amtierenden Geistlich-
keit der Hauptkirche. Eigens erwähnt findet sie sich im 13. Jahrb., s. d.
Lütt. Stat. V. 1250 S. 580 f., Churer Stat. v. 1273, Mohr,^ C. d. I S. 401
Nr. 270, also zu einer Zeit, in der man die Lesung im Kapitel als üblich
annehmen muß.
- Meißener Statuten v. 1498, a.a.O.: Ad tractandum ecclesiae negotia.
' Vgl. die Cap. privata der Mainzer Gewohnheiten, S. 206 Anm. 1.
Halberst. Stat. v. 1425, ÜB. IV S. 627 Nr. 3428: Quotiescunque opus fuerit.
Lübeck 1336: Habito capituli nostri super hoc specialiter in certo termino
congregati consilio et consensu, ÜB. I S. 782 Nr. 617.
* Vgl. z. B. Bremer Stat. v. 1230, ÜB. I S. 179 Nr. 155: Für Wahlen
wird, sicut solitum est vel ins requirit, absentibus et presontibus ein Kapitel
angeHagt. Romling, ÜB. I S. 258 Nr. 270 v 1254: Capitulo generali in-
dicto; ebenso S. 366 Nr. 402 v. 1281, S. 343 Nr. 379 v. 1276: Capitulo com-
muni ad diem eundem indicto. Meißener Stat. v. 1498 S. 310.
** In Lüttich fand seit 1250 am Tag nach St. Lambert ein (leneral-
kapitel «tatt: auf doniHolbon wurden die Statuten vorlesen, roformontur
xpiritualia, et de cenHurin Heu obedientiis ot do corum valorc; diligens com-
patatio audiatur, Stat. v. 1250 S. 583. In Mainz waren im 14. Jahrhundort
4 Generalkapitel üblich, an der Vigil von Maria Geburt, von Thomas, von
Simon Judii u, am Mittwoch der Charwoche, Mainz. Gowohnh. S. 20. In
Speier gl«Mf;lif;ill« 4. Kopialbuch S. 198; obonsoviele in Hiilborsliidf , wo
— 20s _
der Verinögensvorwaltiing aiit" si<* überging \ so drückten sie die
Bedeutung der ordentlichen Kapitel herab"-; die Folge war. daß
diese seltener, da und dort wohl nur auf besondere Berufung ge-
halten wurden. AViderspruch gegen die Beschlüsse der General-
kapitel war un/uliissig"'. Man bezeichnete sie deshalb als pereni})-
torische oder ..mächtige" Kapitel^.
Daß die Domkapitel zu selbständigen Korporationen wurden,
lockerte ihr Verhältnis zu den Bischöfen. An und für sich war
der Bischof als der erste Geistliche au der Domkirche Mitglied.
Er hatte also das Recht an allen Versamnduugen Anteil zu nehmen
und mitzustimmen ^ Grundsätzlich ist das auch nie bestritten
worden ; aber tatsächlich emanzipierte sich das Kapitel je länger
je mehr von der bischöflichen Leitung**. Die Teilnahme des Bischofs
aber 1425 die Zahl auf die Hälfte beschränkt wurde, Brackmann S. 72f.
In Meißen hielt man anfangs einmal, dann zweimal im Jahr GK., v. Brunn
S. 8Gf. In Hilde.^heim wurde 1289 der Freitag vor Johannis als Tag fest-
gesetzt, ÜB. in S. 430 Nr. 836. Im 14. .Jahrhundert kamen GK. im Advent
u. in den Fasten hinzu, Maring S. 88.
^ Nach den Bremer Stat. v. 1230 gehörten vor das GK. Wahlen, Eman-
zipationen, Kauf, Verkauf u. Tausch von Gütern, ÜB. I S. 179 Nr. 155.
Über Hildesheim, s. Maring S. 101 f, 105 tf.
- Diese Tatsache wird durch die Zahlen für Halberstadt, die Brack-
mann gesammelt hat, anschaulich gemacht; er zählt für 1258 — 1425 180
Urkunden von Generalkapiteln gegen 20 von gewöhnlichen.
•' Mainz. Stat. S. 19: In quibua si quis praelatorum vel canoui-
corum absens fuerit, tractatibus tractatis nullatenus sub privationis poena
opponat.
^ Würzburg 1086: Yn eynem mechtigen capitel daz man nennet zcu
latine peremptorium, M.B. 45 S. 471 Nr. 316.
' Aus dem 13. Jahrh. lassen sich zahlreiche Beispiele dafür anführen,
daß der Bischof bei der Beratung des Kapitels anwesend ist. So erneuert
z. B. Dietrich von Trier 1215 die gemeinsame Mahlzeit in presentia maioris
prepositi, decani et totius capituli de ipsorum consilio, studio et tractatu.
Günther, C. d. 11 S. 114 Nr. 28. Heinrich von Speier trittt 1259 eine Be-
stimmun tj in capitulo Spirensi communicato consilio capituli, Remling 1
S. 280 Nr. 309. In Lübeck ist in einer Anzahl von Fällen bemerkt: epis-
copo presente fuit determinatum oder dgl. 1262, ÜB. I S. 173 Nr. 163; 1277,
S. 249 Nr. 258; 1294, S. 364 Nr. 334 u. ö. Das kam aber auch noch im
14. u. 15. Jahrhundert vor: 1357 in Halberstadt, ÜB. III S. 578 Nr. 2490 ;
hier bej^innen noch die Statuten v. 1413 (?): Episcopus Halb., si in capi-
tulo est i)re8ons, etc. Das Stimmrecht des B. ist erwähnt im Prozeß
Ludolfs v. Sladen gegen das Halberst. DK. Er verlangte primam vocem
in capitulo post episcopum, ÜB. II S. 226 Nr. 999 v. 1259.
" Brackmann läßt in Haiherstadt das Kapitel erst seit 1325 seine
eigenen .\ngelegenheiten für sich beraten unter Ausschluß des Bischofs
— 209 —
an den Sitzungen wui'de zur Ausnahme; damit verzichtete er auf
die direkte Einwirkung auf die Vermögensverwaltung und die
Wahlen oder wurde diese ihm versagt. Die Entwickelung scheint
gerade an diesem Punkt ungleichmäßig gewesen zu sein. Noch
im Anfang des vierzehnten Jahrhunderts bemerkt Burkhard von
Magdeburg, es gebe keine Regel darüber, ob der Bischof den Ver-
handlungen und Wahlen des Kapitels anwohnen dürfe, und wenn
ja, ob als Bischof oder als Kanonikus, die Gewohnheiten seien sehr
verschieden \ Aber das Ende war überall, daß der Bischof aus
dem Kapitel schied. Manchenorts war der Ausschluß so voll-
ständig, daß er nur erscheinen durfte, wenn er eigens geladen war ^
Um jedes eigenmächtige Eingreifen abzuschneiden, bestimmte man
auch wohl, daß, wenn er erschien, er an den Bat der Kapitulare
gebunden sei^.
So wurden die Domkapitel je länger je mehr dem Bischof
gegenüber selbständig. Man kann ihre wachsende Unabhängigkeit
an der Art und Weise ermessen wie ihre Statuten entstanden. Die
ältesten sind von den Trägern der kirchlichen oder staatlichen Ge-
walt für sie festgesetzt: die Metzer Statuten erließ Chrodegang
ki-aft seines Rechts als Diözesanbischof, die Abfassung der Aachener
Regel ordnete Ludwig d.. Fr. als König an. Das letztere war durch
die kirchliche Entwickelung seit dem elften Jahrhundert ausge-
S. 75. Das wäre ungewölmlich spät. Denn aus Westf. ÜB. VI S. 55 Nr. 207
folgt, daß in Minden schon hundert Jahre vorher Kapitel unter dem Vor-
sitz des Dekans stattfanden, S. 56: Post trinam monitionem decani vel ali-
cuius canonici in capitulo factaai. In derselben Zeit kennen Bremen, ÜB. I
S. 179 Nr. 155 v. 1230, Worms, Baur, Hess. Urk. 11 S. 72 Nr. 64 v. 1229,
u. Meißen, C. d. Sax. reg. 11,1 S. 148 Nr. 183 um 1256, S 152 Nr. 189 v.
1260, S. 155 Nr. 193 v. 1263, Straßburg, ÜB. II S. 39 Nr. 60 v. 1277,
Augsburg, 8. Leuze S. 80f., Kapitel ohne den Bischof. In Würzburg fanden
schon vor der Mitte des 12. Jahrh.'s Konvente der Domherren statt, in
denen über Verwaltungssachen beschlossen wurde, damals unter Leitung
des Propstes, M.B. XXX VII S. 56 Nr. 90 v. 1140. Schon das macht gegen
Brackmanns Ansatz bedenklich. Dazu kommt, daß die ältesten Statuten
des Halberstädtor Domstifts de communi consilio capituli verfaßt bind, ohne
daß dei B. Erwähnung geschieht, ÜB. 1 S. 407 Nr. 456 f. Man wird seine
Anwesenheit für ausgeschlossen zu halten haben. Sie stammen aber aus
dem ersten .Jahrzehnt des 13. Jahrh.'s. Brackmanns Ansatz ist also zu spät.
» C. d. Sax. reg. 11,1 S. 281 Nr. 348, Entscheidung für Meißen, 1308—1311.
* Ebenda; vgl. Wilhelm v. Utrecht 1297: Nobis ad capituluni per
•Otdem vocatis, Hartzh. IV S. 23. Dagegen war in Hildesheim der Bischof
bis 1831 faMt immer auf den Generalkapiteln zugegen, Maring S. 120.
' Halberst. Stat. v. 1413 (V), ÜB. IV S. 540 Nr. 3311: De illoruiu con-
silio dcbet omnia rite porficere.
H aaok , KircheDgeacbicbte. V. 14
— 210 —
schlössen. Dagegen wurde das Reclit der Bischöfe, verpflichtende
Festsetzungen für das Leben des Domklerus zu treffen, nie be-
stritten. Es folgte aus ihrer Diözesangewalt. Und oft genug haben
die Bischöfe von diesem Rechte Gebrauch gemacht^. Trotzdem
bedeutete es schließlich nicht mehr viel. Denn das Leben in den
Domstiftern war viel weniger durch einzelne geschriebene Bestim-
mungen geregelt als durch die Gewohnheiten, die sich auf Grund
der alten Statuten bildeten ^ Auf sie wurden die neu aufgenommenen
Mitglieder verpflichtet*, ihre Beobachtung wurde auch von den
Bischöfen gefordert* und sie wurde gesichert indem man einzelne
Gewohnheiten, sei es durch den Papst, sei es durch den Bischof
bestätigen ließ^. Bei Aufstellung neuer Satzungen kam es all-
mählich dazu, daß die Bischöfe nur auf den Wunsch, dann auf
den Antrag und mit Zustimmung der Kapitel handelten®. Schließ-
* Beispiele sind die Reformbestimmungen Wilhelms v. Utrecht 1297,
Hartzh, IV S. 23, Ludolfs v. Minden, 1299 auf einer Synode erlassen,
Westf. ÜB. VI S. 524 Nr. 1635, Friedrichs v. Köln 1400, Haitzh. IV S. 548ff.
Ebenso konnten natürlich auch päpstliche Bevollmächtigte Statuten er-
lassen; das geschah ebenfalls in Minden, S. 55 Nr. 207.
- Otto V. Freising, Meichelb. 1,1 S, 339: Antiquae et rationabiles
ecclesiae vestrae consuetudines, quae ut dicitur legem imitantur; vgl. Rem-
ling I S. 221 Nr. 226 v. 1241 u. S. 228 Nr. 239 v. 1244.
3 Vgl. oben S. 198 Anm. 4.
■• Vgl. die unten zu erwähnenden Eide und die Wahlkapitulationen.
^ Vgl die eben angef. Urk. Ottos v. Freising u. eine solche Gregors X.
für Chur, in der er ebenfalls alten Brauch — de antiqua consuetudine ob-
servatum — bestätigt, Mohr, C. d. I S. 390 Nr. 261.
* Beispiele: Das Würzb. DK. beantragte 1163 die Einführung des
Gnadenjahres wie in Mainz. B, Heinrich gewährte sie communi omnium
accedente voto, M.B. XXXVII S. 81 Nr. 105. Ebenso erläßt 1219 Sieg-
fried III. V. Augsburg totius eonsensu capituli, M.B. XXXIII,! S. 57 Nr. 57, u.
1247 Konrad v. Köln Verordnungen über die erledigten Prälaturen de eonsensu
capituli nostri, Cardauns S. 157 Nr. 6, 1252 Heinrich v. Eichstätt Statuten
gemeinsam mit 4 vom DK. gewählten Domherren, Reg. v. Eichst. II S. 19
Nr. 506, 1273 Konrad II. von Chur Statuten ex comj)romis80 a tote capi-
tulo in nos et . . decanum, custodem etc., Mohr, C. d. I S. 400 Nr. 270,
1293 der B. v. Paderborn Statuten de communi consilio et eonsensu capi-
tuli, Wöstf. ÜB. IV.B S. 1028 Nr. 2265, 1363 B. Ludwig v. Halberstadt de
consilio et assensu . . totiua capituli, ÜB. IV S. 23 Nr. 2639, 1423 Kaban
V, Speier de consilio, assensu et expresaa voluntate capituli, ÜB. II S. 134
Nr. 69. Der Wechsel im Ton von 1163 — 1423 scheint mir unverkennbar.
Umgekehrt erläßt 1247 das DK. in Speier talia inter se unanimiter et con-
corditer statuta, die der B. bestätigt, ÜB. I S. 236 Nr. 251, beschließt das
DK. in Worms de eonsensu episcopi, 1253 Baur, Hess. Urk. II S. 117 Nr. 122;
ebenso Eichst&tt 1296, Reg. II S. 71 Nr. 786, u. Augsburg, M.B. XXXIII,1
— 211 —
lieh gingen diese ganz selbständig vor ^. Für solche Statuten, die
nur das Recht des Kapitels und der Kanoniker betrafen, galt ihnen
die Zustimmung des Bischofs nicht mehr als erforderhch. Sie be-
trachteten sie nur dann als notwendig, wenn Kapitelsbeschlüsse
die Rechte des Bischofs und die allgemeinen Diözesanverhältnisse
berührten ■•^. Die auf diese Weise entstandenen Gewohnheiten kodi-
fizierten die Kapitel als das Recht des Stiftest Es kam, wie man
sieht, unter recht geringer Beteihgung des Diözesanbischofs zu-
stande, aber er galt als zur Beobachtung desselben verpflichtet.
Während auf diese Weise die aktive Teilnahme der Bischöfe
an der Verwaltung der Domstifter zum großen Teil ausgeschaltet
wurde, erlangten die Kapitel nach und nach ein Recht auf Be-
teihgung an der Regierung der Diözese.
Den Ausgangspunkt hierfür bildete die alte Rechtsanschauung,
daß der Bischof bei seinem Handeln an den Rat und die Zu-
stimmung seines Klerus gebunden sei*. Noch im zwölften Jahr-
hundert wurde demgemäß verfahren; besonders schienen Rechts-
geschäfte nur dann gesichert, wenn sie unter Zustimmung des
Klerus oder der Kirche vollzogen wurden^. Aber nachdem seit
S. 376 Nr. 301, u. bestätigt der B. Otto v. Hildesheim 1269 das Statut v.
1268, ÜB. III S. 112 Nr. 224, oder bestätigt der Papst, was das DK. dili-
genti deliberatione praebabita de consensu episcopi ac praepositi comrau-
niter festgesetzt hat; so in Chur 1272, Mohr, C. d. I S. 392 Nr. 262, vgl.
Nr. 264.
» So in Würzburg 1140, M.B. XXXVII S. 56 Nr. 90? in Speier 1220,
ÜB. I S. 162 Nr. 144; in Regensburg seit alter Zeit, Ried I S. 862 Nr. 379
um 1229; über Hildesheim, s. Maring S. 122.
' Formulierung Burchards v. Magdeburg, C. d. Sax. reg. 11,1 S. 282
Nr. 348 um 1310.
' So sind die Mainzer Gewohnheiten entstanden, S. 3: Haec sunt iura
et consuetudines transcopiata (? tranascripta) et copiata ex registris quon-
dam dominorum decanorum ecclesiae Moguntinensis, Ks ist eine Ausnahme,
daß in Trier der EB. noch 1451 die Statuten festsetzte, Bastgon S. 195 u, 197.
* Sie geht in die alte Kirche zurück, war aber im MA. anerkannt,
•.Grat. Docr. II, 12, 2, 51f. (Vermögensverwaltung); 11,15,7,6 (Gerichts-
barkeit); 1,24,6 (Aufnahme in den Klerus).
* BeiMpiele: Reinhard v. Halberstadt 1108: cum consensu et consilio
cleri et populi, ÜB. I S. 91 Nr. 130. Rudolf v. Halborstadt 1145: coram
«acro clero et omni populo, S. 176 Nr. 207; vgl. 208, 214. Kmbrich von
Wflrzburg 1128: consilio et conBonau ecclesiae, Ussormann S. 31 Nr. 30.
Gebhard v. Würzburg 1156: cui cleru« noster ot universa occlosia nostra
fere interfuit, S. .'i9 Nr. 40. Adalgot v. Magdeburg 1 108: conHilio ot auxilio,
C. d. Anh. I S. 136 Nr. 171. Konrad v. Magdeburg 1136: c.uni consilio rt
connensu cleri et comitum Rod. et Bornh. ccterorumquo laicorum tain no-
14*
— 212 —
der Mitte dieses Jahrhunderts bei der Bischofswahl das Domkapitel
an die Stelle des Klerus getreten war\ war es nur ein Schritt
weiter auf dem dadurch eingeschlagenen Weg, daß diese Ver-
schiebung sich etwas später bei dem Zustimmungsrecht zu bischöf-
lichen Regierungshandlungen wiederholte. Im Laufe des dreizehnten
Jahrhunderts setzte es sich überall durch, daß der Konsens, nicht
mehr vom Klerus, sondern vom Domkapitel erteilt wurde. Die
Bewegung kam hier früher, dort später zum Ziel-, sie wurde hier
dadurch erleichtert, daß eine Zeitlang die früheren Konsensbe-
rechtigten neben dem Kapitel als Zeugen fungierten '', dort dadurch,
daß an Stelle des Klerus zunächst die Prioren desselben traten*,
der Ausgang war doch überall gleich: nicht mehr der Klerus,
sondern das Domkapitel stand mithandelnd neben dem Bischof^.
bilium quam ministerialium, qui presentes erant, Gesta ae. Magdeb. 27
Scr. IV S. 415.
1 Vgl. Bd. IV S. 730 u. 766.
* Hermann v. Hildesheim bandelt 1163 communicato fratrnm nostro-
rum consilio, sententia quoque ecclesiastica, id nobis Heere, adiudicante,
ÜB. I S. 319 Nr. 334. B. Adelog 1180 consensu ac voluntate fratrum
nostrorum universorum videlicet maioris ecclesie canonicorum, S. 384
Nr. 396. In Halberstadt gebraucht B. Gero 1165 noch die Formel consilio
ecclesie et ministerialium, ÜB. I S. 231 Nr. 268; sein Gep^enbischof Ulrich
sagt 1150 annuentibua fratribus, S. 196 Nr. 229, 1179 cum consensu et
beneplacito fratrum nostr., maioris ecclesie canonicorum, S. 256 Nr. 286;
Wichmann v. Magdeburg bezieht sich 1182 auf promissio et voluntas con-
ventus, V. Heinemann, Albrecht d. B. S. 485 Nr. 51, wofür in der ent-
sprechenden Urk. Friedrichs II. consensus capituli gesagt ist, Mgdb. Reg. I
Nr. 1653. In Würzburg scheint die Formel consensu capituli nicht vor
1200 vorzukommen, vgl. M.B. XXXVII S. 175 Nr. 172 B. v. 1207 u. Ussermann
S. 56 f. Nr. 60 f. v. 1231 u. 1232. In Worms heißt es 1213 prelatorum
nostrorum et aliorum prudentum consilio, Baur, Hess. Urk. II S. 48 Nr. 36,
ähnlich in Paderborn 1266 capituli et aliorum discretorura accedente con-
silio et consensu, Westf. ÜB. 1V,3 S. 535 Nr. 1068; dagegen in Mainz 1219
de consilio et consensu maioris ecclesie. Über Trier, s, Bastpon S. 245 fl*.;
über Augsburg, Leuze S. 101 f.; über Magdeburg, Schum in d. Hist. Auf-
sätzen f. Waitz S. 406 ff.
^ Bemerkung von Brackmann in bezug auf Halberstadt S. 118; sie ist
richtig, obgleich B.'s Belege mir nicht alle brauchbar scheinen.
^ Würzburg 1168 bei der Bestätij?ung des Archidiakonats für St. Maria
in Ansbach: Communicato priorura eccl. Wirzb. consilio et consensu, Usser-
mann S. 49 Nr. 51; ebenso 1270, M.B. XXXVII S. 97 Nr. 114. Eine ähn-
liche Formel in Mainz 1212: Presentibus prioribus, prelatis et quam pluri-
bu8 canonicis Mog., Baur S. 46 Nr. 35.
* Mangelnde Zustimmung des Kap. bedrohte die Rechtsgiltigkeit bischöfl.
Akte, s. d. Urk. Konrads v.Mgdb. v. 25. Jan. 1268, Mgdb. Reg. II S. 750 Nr. 1740.
— 213 —
Es ist klar, daß durch die Änderung des alten Rechts die
Bedeutung des Diözesanklerus herabgedrückt, die des Domkapitels
gehoben wurde. Dabei ist beachtenswert, daß, wie der Übergang
des Wahlrechts an die Kapitel im wesenthchen durch die päpst-
liche Autorität herbeigeführt worden war, so auch die neue Rechts-
bildung in bezug auf das Konsensrecht durch die päpstliche
Gesetzgebung gefördert wurde. Diese stützte sich auf die Rechte
des altkirchlichen Presbj-teriums : die Gleichsetzung von Kapitel
und Presbyterium galt ihr als feststehend^. Doch kommt, wie
mich dünkt, noch ein weiteres Moment in Betracht. Der Diözesan-
klerus bildete längst keine einheitliche und gleichartige Größe
mehr, an deren Spitze der Bischof als ihr vornehmstes Glied stand.
Er war in eine große Anzahl von Korporationen und Amtern zer-
splittert. Die Interessen der Kollegiatstifter, der Archidiakone
und der Inhaber der Pfarreien aber fielen nicht einfach mit denen
der Diözese zusammen. Sie hatten ein großes Maß von Selbst-
ständigkeit auch dem Bischof gegenüber; besonders vermögensrecht-
lich waren sie von ihm unabhängig. Die unvermeidliche Folge
war, daß auch er vom Klerus unabhängiger wurde als ursprüng-
lich. Denn die Lockerung der Beziehungen macht sich stets nach
beiden Seiten hin bemerkHch. Dagegen vollzog sich diese
Lösung beim Domkapitel nicht, obgleich es ebenfalls zu einer
selbständigen Korporation erwuchs. Der Bischof als Leiter der
bischöfhchen Kirche und das Kapitel als der Klerus derselben
waren nicht zu trennen. Auch die Ausscheidung von Kapitelsgut
und Bischofsgut stebt der Abtrennung des Eigentums der Pfarreien
und der Kollegiatstifter vom Kirchengut überhaupt nicht gleich.
Die Änderung des Konsensrechtes entsprach demnach der Ver-
schiebung der tatsächlichen Verhältnisse; wie hätte sie sich
auch sonst ohne Widerspruch vollziehen und dauernd behaupten
können^?
War es seit der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts aner-
* Bezeichnend hierfür sind die Dekretalen Gregors IX. Der erste Satz,
der in den 10. Titel des .3. IJch«. (De his quae fiunt a praelato sine oon-
gensu capitulij aufj^cnommen ist, stammt aus den s.^. Statuta ecclesiao an-
tiqua, c. 32. Er lautet: Irrita erit donatio episcoporum vol venditio vel
commutatio rei eccl. absque conniventia et subscriptiono clericorum. Kr
erhält bei Gregor IX. <lie Cberschrift: Non tenet alienatio rei eccl. absqiio
approbatione capituli.
• Doch hat «ich die Erinnerung an die Irilheren Zustände natürlich
lange erhalten. In Würzb. erschien noch 1.S52 die Featsotzung notwendig,
daß nur die Domherren, nicht die iMitgliedor der Würzb. Stifter üborliiiupt
da« Generalkapitcl bildeten, M H. XMI S. 22 Nr. 10.
— 214 —
kjiiuites Recht, daß der Bischof mit Rat und Zustimmung seines
Kapitels zu handehi habe, so gab es doch für die Anwendung
dieser elastischen Rechtsregel keine festen, allgemeingiltigen Be-
stimmungen. Die kanonistische Wissenschaft bemühte sich, die
Lücke auszufüllen. Doch können wir darüber hinwegsehen. Denn
unabhängig von ihren Regeln bildete sich in Deutschland für eine
Reihe der wichtigeren Fälle eine überall anerkannte Rechtsgewohn-
heit. Danach galt die Zustimmung des Domkai)itels als unerläß-
lich bei allen Handlungen der bischöflichen Vermögensverwaltung,
durch die der Bestand des Kirchenguts dauernd geändert wurde.
Dazu rechnete man die Veräußerung, V^erleihung und Verpfändung
kirchlichen Besitzes^, sowie die Aufnahme von Anleihen -. Sodann
^ Das gemeine Recht hat sehr bestimmte Festsetzungen; vgl. z. ß.
Greg. IX. Decret. 111, 10,1. In Deutschland wird das Konsensrecht des
Kapitels bei Besitzveränderun^en seit der zweiten Hälfte des 12. Jiirh.s
ausdrücklich anerkannt; zuerst in Hildesheim, wo unter Bischof Adelog
1169 — 1190 bestimmt wird, daß Verleihungen, Verpfändungen und Ver-
äußerungen non sine consilio fratrum geschehen dürfen. Chr. Hild. 23
Scr. VII S. 457. Im J. 1209 erklärt das DK. von Minden eine Schenkung
des B. für ungiltig, da sie ohne Zustimmung des Kapitels erfolgt sei,
Westi. ÜB. VI S. 13 Nr. 39. Allgemein anerkannt wurde das Konsens-
recht durch den Rechtsspruch Heinrichs VII. v. 1222, der consilium et
assensum chori atque ministerialium fordert, C.I. II S. 391 Nr. 277; vgl.
auch S. 443 Nr. 333 v. 1240; III S. 119 Nr. 123 v. 1277. Entsprechend
bei den Abteien, 11 S. 397 Nr. 282; S. 476 Nr. 374. Demgemäß stimmen
Propst und Kapitel einer Schenkung des EB. Gerhard v. Mainz zu, ex quo
consensu dicta donatio sortita est debitam firmitatem; vgl. ferner Köln.
Syn. um 1280 c. 12 S. 667 und die Zusagen Erichs v. Magdeburg v. 1291,
Magdcb. Reg. III S. 273 Nr. 719 u. Gebhards v. Merseburg v. 1327, ÜB. I
S. 648 Nr. 789. An Stelle der Zustimmung des Kapitels trat wohl auch
die der Majorität, Urk. Friedrichs von Chur 1288: Cum assensu et consilio
maioris et sanioris partis capituli nostri, Mohr II S. 51 Nr. 41. Neben
der Zustimmung des Kapitels wird noch im 14. Jahrhundert auch der Rat
der Vasallen erwähnt, s. ÜB. v. Merseburg I S. 687 Nr. 835 v. 1330.
^ Reichsrechtlich seit 1184,18.425: Fürstenspruch quod nullus yiin-
ceps eccles. tenetur solvere dobita predecessoris sui, que non per consensum
imporatorie maiestatis et con&ilium capituli sui mutuo nccepit. Allein tat-
sächlich war die zweite Bedingung ebenso undurchführbar wie die erste;
die Domherren mußten ihre Beobachtung den Bischöfen abnötigen. Dem-
gemäß verpflichteten sie Sigfrid III. v. Mainz, keine Schuld in Italien ohne
ihre Zustimmung aufzunehmen, Gudcn. I S. 525 Nr. 209 v. 1283. Das DK.
von Haiborstadt erlangte 1261 von B. Volrad die Anerkennung, daß er
kein mutuum magnum ohne Einwilligung und Zustimmung des DKs. auf-
nehmen dürfe, ÜB. II S. 246 Nr. 1026. Berthold II. von Chur nahm 1296
ein Anlehen auf, ohne die Zustimmung des Kapitals zu erwähnen; aber
— 215 —
war die ZustimmuDg nötig bei Verfügungen des Bischofs, durch
welche die Zahl der selbständigen Kirchen vermindert wurde, also
besonders bei der Inkorporation von Pfarreien in Klöster und
Stifter^. Es war inkonsequent, daß sich in bezug auf Teilung,
Vereinigung und Neugründung von Pfarreien ein Gewohnheitsrecht
nicht bildete; hier handelten die Bischöfe ■ bald mit, bald ohne Zu-
stimmung des Kapitels-. Auch bei der Erhebung kirchlicher Sub-
sidien und Steuern war sein Konsensrecht nicht unbedingt aner-
kannt ^ Und ganz unsicher blieb, für welche Maßregeln der
unter den Zeugen war ein Kanonikus, Mohr II S. 93 Nr. 72. Dagegen ließ
sich Gerlach von Mainz 1356 die Aufnahme einer Anleihe von seinem DK.
gestatten, Nass. ÜB. 1, 3 S. 304 Nr. 2834.
^ Das gemeine Recht fordert die Zustimmung des Kapitels, s. Greg. IX.
Decr. III, 10, 8. Entsprechend Mainz 1233 c. 28 S. 139; Mainz 1239 (= 1261
c. 16 S. 599); wiederholt 1310 c. 94 S. 202; Trier 1310 c. 17 S. 132; Würzb.
Wahlkapitul. v. 1345 M. B. 41 S. 199 Nr. 67. Demgemäß wurde verfahren;
vgl. z. B. Wirt. ÜB. V Nr. 1493, 1547, 1556, 1557 u. ö. Osn. ÜB. II S. 265
Nr. 342. Das Verfahren in Halberstadt war schwankend, s. Brackmann
S. 125.
- In Merseburg galt als Recht, daß episcopis singularum urbium fa-
cultas traditur uniendi atque dividendi ecclesias prout statui temporis
viderint expedire. Demgemäß handelte B. Friedrich 1281 ohne das DK., ÜB.
v. Merseburg I S. 368 Nr. 449; ebenso 1334 B. Gebhard S. 747 Nr. 894; 1343
B. Heinrich S. 824 Nr. 965. Dagegen 1344 derselbe cum consensu et volun-
tate des DK. S. 834 Nr, 971; ebenso Heinrich v. Regensburg 1280, Ried. I
S. 562 Nr. 591; Otto v. Paderborn 1297, Westf ÜB. IV, 3 S., 1102 Nr. 2444;
Friedrich v. Verden 1309, Schl.H.L. Reg. HI S. 108 Nr. 205. Aber 1299
u. 1300 teilt Otto v. Paderborn Pfarreien ohne Mitwirkung des Kapitels,
Weatf. ÜB. IV, 3 S. 1152 Nr. 2559; S. 1171 Nr. 2602; 1320 genehmigt
Heinrich v. Lübeck die Stiftung der Pfarrei Ahrensböck ohne das Kapitel,
Schl.H.L. Reg. 111 S. 366 Nr. 647. ümpfarrungen nahmen die Kapitel
ohne die Bischöfe, wie die Bischöfe ohne die Kapitel vor, vgl. z. B. Schi.
H.L. Reg. 11 S. 12 Nr. 31 f. v. 1252; S. 131 Nr. 309 v. 1265; Magd. Reg. H
S. 600 Nr 1358 v. 1254; III S. 242 Nr. 635 v. 1289.
' Bruno v, Brixen sagte 1278 der dortigen Synode zu, daß er künftig
nur das Kathedratikum fordern werde. Nur in Notfällen solle die Fir-
heboog einer anderen Abgabe eintreten; dabei werde er 1. das Gutachten
des PropBtei u. Dekans des DK. u. 2 Äbte u. 2 Pröpste einholen, 2. die
Höhe des Betrags durch sie bestimmen lassen, Sinnacher IV S. 446f. Nach
der Straiiburger Wahlkapitulation v. 1299 Mollto der BiHchof Abgaben er-
heben nur secundum quod a iuribus owt perraiHsum, Würdtwcün, Nov. Kubs.
XIU 8. 2% Nr. 72. Ludwig d. B. hat 1333 das Straßb. DK. angewiesen,
ein subsidium cariiat. nicht zu entrichten, da es pretor unaninom vostrum
. . consenMum et asHenHum aufgelegt sei, ÜB. d. St. StraCb. V S. 97 Nr. 90.
Heinrich II. von Köln lieü «ich von der Kurie ein moderatuni suljHidium
— 216 —
Bischof den Rat der Domlierren in Anspruch zu nehmen hatte.
Hier war alles seinem Ermessen anheim^estellt ^.
In den Fällen, in denen die Zustimmung des Domkapitels
als notwendig galt, war der Bischof gehalten, ihm eine angemessene
Frist zur Beratung und Beschlußf^issung zu gewähren -.
In den altkirchlichen Verhältnissen wurzelte es, daß mit dem
Tode des Bischofs die Verwaltung des Bistums bis zur Neuwahl
an das Domkapitel übergingt.
Alles in allem genommen reichte der Einfluß des Domkapitels
nicht gar weit. Er war von Belang für das Finanzwesen des
Bistums, aber er erstreckte sich nicht auf das Recht des Bischofs,
bewilligen. Für die Bestimmung der Höbe u. die Verteilung zog er ,,et8i
iuris nos non urgeret necessitas, honestatis tarnen equitate inducti", den
Rat des Kapitels bei, 1326, NRh. ÜB. III S. 176 Nr. 209. Das DK. beriet
mit den übrigen Kapiteln der Stadt u. gab dann erst seine Entscheidung.
Die 4 Stifter in Speier vereinigten sich 1321, daß ihnen vom 13. keine Um-
lage ohne ihre Zustimmung aufgelegt werden solle u. daß sie nie den
Betrag von 1000 Pfund Heller überschreiten dürfe, Remling I S. 502 f. Nr. 528.
In der Würzb. Wahlkapit. v. 1345 heißt es: Nullam collectam, exactionem
vel precariam, quocunque nomine censeantur, imponet . . clero seu eccle-
siis sive ecclesiasticis personis, secularibus vel religiosis civitatis et dioc.
Herb. . . sine consensu . . capituli ecclesie Herb. Vgl. oben S. 180 Anm. 4,
' Das gemeine Recht bestimmte nur, daß die Bischöfe in negotiis
sibi commissae ecclesiae den Rat ihrer Brüder, mit denen sie eine Korpo-
ration bildeten, erholen sollten, Greg. IX. Decr. III, 10, 5. Das Verfahren
in Deutschland ist schwankend: in Osnabrück ist 1241 bei einem Güter-
tausch bemerkt communicato capituli nostri prudentumque virorum con-
silio, ÜB. II S. 322 Nr. 410; ähnlich 1246 S. 379 Nr. 479. Aber gewöhn-
lich erfolgten Tauschgeschäfte ohne Zuziehung des Kapitels. In Passau
wird 1203 ein Zollprivilegium erteilt cum consilio fratrum nostrorum de
choro, M.B. III S. 119 Nr. 17. In Osnabrück wird das Kapitel auch bei
einer Verwaltungsmaßregel gehört, ÜB. II S. 345 Nr. 438. Aber beides
bildet nicht die Regel. Gibt es in Minden 1278 seine Zustimmung zu
Diözesanstatuten, Westf. ÜB. VI S. 356 Nr, 1124, so ersetzt es die Synode;
und wenn der KL. Hugo für die Einführung neuer Festtage Ansage durch
den KB. cum clero fordert, Ennen u. Eck. II S. 330 Nr. 316 v. 1252, so ist
auch dabei wahrscheinlich an die Synode gedacht, vgl ÜB. d. L. o. E. IV
S. 416 Nr. 448 v. 1302.
- Zugeständnis Walrams von Köln an das dortige DK, gemäß der
Gewohnheit der Kölner Kirche a tempore cuius memoria non existit, NRh.
ÜB. III S. 240 Nr. 295. Die Beratung der Vorlage geschah im Kapitel in
Abwesenheit des EB.: pro consilio inter se habend© et ad consensum eorum
adhibendum seu denegandum.
•' Vgl. z. B. Westf. ÜB. VI S. 489 Nr 1540. Das Recht des Kapitels
war durch das päpstliche Recht anerkannt, vgl. Greg. IX. Decret. I, 83, 14.
— 217 —
allgemein und dauernd giltige Anordnungen zu treffen, nicht auf
die politische Haltung des Bischofs. In der Gesetzgebung und in
der Regierung der Diözese war der Bischof zunächst durch das
Domkapitel nicht beschrankt. Trotzdem war die Macht des Kapitels
nicht unbedeutend; denn sie war sehr erweiterungsfähig. Und seit-
dem das ausschließliche Wahlrecht der Domkapitel anerkannt war,
hatten diese ein sicheres Mittel, um die Erweiterung ihrer Befug-
nisse zu erreichen. Sie konnten die AVahl an Bedingungen
knüpfen. Das ist denn auch geschehen. Es kam zur Entstehung
der sog. Wahlkapitulationen \
Diese sind auf einer doppelten Wurzel gewachsen. Einerseits
knüpften sie daran an, daß die Bischöfe an die Statuten und Ge-
wohnheiten der Bistümer gebunden waren. Es war vielfach üblich,
daß sie diese Verpflichtung bei der W^ahl ausdrückhch anerkennen
mußten-. Andererseits kamen neue Zusagen in Betracht, die sie,
durch diese oder jene Verhältnisse bewogen, den Kapiteln machten.
Es lag nahe, dieselben bei der nächsten Wahl eigens bestätigen zu
lassen. Und es war nur ein kleiner Schritt weiter, wenn dabei
neue Zusicherungen gefordert wurden. So ist die Hildesheimer
Wahlkapitulation von 1216, wohl die früheste, die Deutschland
kennt, entstanden. Im Jahre 1179 hatte Bischof Adelog seinem
Domkapitel ein großes Privilegium gewährt, in dem er für sich
und seine Nachfolger zusagte, er werde in einer Reihe von Ange-
legenheiten die Zustimmung, in anderen den Rat des Domkapitels
in Anspruch nehmen; zugleich hatte er auf jede Münzverschlech-
* Über die Wahlkapitulationen ist immer noch auf J. v. Sartori,
Geistliches u. weltliches Staatsrecht der deutschen Erz-, Hoch- u. Ritter-
stifter, Nürnberg 1788, zu verweisen. Hinschius widmet der Sache, II S. 609,
nur eine Anmerkung. Aber Sartori setzte, wie schon Brunner in den Mitt.
der Bad. Hist. Komm. Nr. 20 bemerkt hat, die P'ntstehung der Wahlkapi-
tulationen um mehr als ein Jahrhundert zu spät an. J. F. Abert, Die
Wahlk. der Würzb. Bisch., Würzb. Diss. 1905; J. Kremer, Studien z. Gesch.
der Trierer Wahlkapitulationen. Bonner Dissert. 1909. M. Stimming,
Die Wahlkapitulationen der EB. u KF. v. Mainz, Gott. 1909. Bastgen
S. 276.
- Vgl. den Lübecker Eid seit 1259 ÜB. I S. 134 Nr. 144: Juramus
. . quod ecclesie lubicensi fidoles erimus . . Jura statuta et consuetudinoa
eccleHie luVjiceniiiB licita et honesta obHervabimus. Heinrich v. Si)eiGr 1265:
Inter alia quao per iuramentum servaro proraittot, prius iuret etc. Rem-
ling I H. 309 Nr. 342. Basel. Wahlkap. v. 1335, Trouillat III S. 440
Nr. 271 : Statuta et laudabilns consuetudines Bas. ecclesio obsorvabit ad
quorum et quarum obHorvantiam rotro ipsiun ecclesio episcopi hartonu«
tenebaniur et ea otiam rpio de novo sunt edita et statuta; vg!. unten dio
IlildeHheimor und Mindoner Eide.
— 218 —
terung verzichtet, den Archidiakonen das Synodatikum überlassen
und das Testierrecht der Duniiierren anerkannt. Bei der Neu-
wahl im Jahre 1216 mußte Bischof Sigfrid eidlich geloben, daß er
nicht nur alle alten Gewohnheiten der Hildesheimer Kirche, sondern
insbesondere dieses Privilegium beobachten wolle. Dadurch, daß
einige neue Zusagen hinzugefügt wurden, die die finanziellen In-
teressen des Domkapitels sichern sollten \ wurde sein Versprechen
zu einer Wahlkapitulation. Auf demselben Weg entstanden sie
auch anderwärts. Als Bischof Thiemo von Bamberg 1201 die
Vogtei der Stadt der Kirche übergab, bestimmte er ausdrücklich,
daß seine Nachfolger bei der Wahl sich zu verpflichten hätten,
daß sie sie weder zu Lehn geben, noch sonst veräußern würden-.
Einen ähnlichen Eid wie Sigfrid von Hildesheim leistete im J. 1225
Hermann von Würzburg. Es handelte sich dabei besonders
um die Wahrung des Besitzes der Würzburger Kirche; dann um
das Zustimmungsrecht des Kapitels zur Vergebung von Lebend
Man kann nicht sagen, daß durch diese und ähnliche Eide
den Kapiteln neue Rechte zuwuchsen. Sie sollten die Beobachtung
dessen, was bereits Recht war, sichern. Al)er man kam alsbald
darüber hinaus. Als Sigfrid III. von Mainz 1233 einen Zwan-
zigsten von seinem Klerus erhob, verpflichtete er sich, nie wieder
eine Abgabe zu fordern, die Domherrn aber schwuren, daß sie
niemals einen Bischof wählen würden, ohne daß derselbe dieses
Privilegium bestätigte '^. Indem sie diese Zusage zur Bedingung
der Wahl machten, eignete sich das Domkapitel das unbedingte
Bewilligungsrecht neuer Abgaben an, das es bisher nicht be-
sessen hatte. Im nächsten Jahre fand der Vorgang der Mainzer
in Worms Nachahmung''. Man sieht, wie sehr solche Verab-
1 ÜB. d. H. Hildesh. I S. 650 Nr. 683 u. S. 377 Nr. 389, vgl. Chr.
Hild. 23 Scr. VII S. 857.
' Höfler, Rechtsbuch S. XCVIf. Nr. 1.
^ M.B. XXXVll S. 215 Nr. 23:>.
* Gudenus 1 S. 525 Nr. 209 v. 18. Juni 1233, Ann. Erph. fr. pr. S. 85:
Sigfrid verspricht, se nunquam a clero suo diebus suis quicquam amplius
— als den 1233 erhobenen Zwanzigsten — petiturum. Canonici etiam
matricis ecclosie Mog. fide iuratoria contirmaverunt so de cetero nulluni
pontiticem electuros, nisi in idem Privilegium consensurum. Im Aus-
schreiben des Zwanzigsten bei Gud. findet sich die weitere Zusage, daß der
E13. ohne Zustimmung u, Rat des DK. keine Schuld in Italien aufnehmen
werde. Auch dies sollten seine Nachfolger beschwören. 1259 scheinen
ähnliche Verabredungen getroflen worden zu sein, s. Baur, Hess. ÜB. II
S. 158 Nr. 172 v. 10. März 1260.
» Baur II S. 76 Nr. 69.
— 219 —
redungen der Zeitlage entsprachen. Sie scheinen rasch allgemein
geworden zu sein. In Paderborn wurde die erste Wahlkapitulation
1247, in Eichstätt 1259, in Magdeburg 1260, in Osnabrück und
Merseburg 1265, in Trier 1286 aufgestellt^ Schon im J. 1279 ist
in Minden als von etwas herkömmlichem davon die Rede, daß der
neue Bischof nicht nur die alten Eide leistet, sondern sich auch
für sein Verhalten dem Domkapitel verpflichtet^. Man begnügte
sich nicht mit dem Eide des Gewählten. Es bildete sich die
Übung aus, daß die Domherren vor der Wahl sich gegenseitig
verpflichteten, im Falle ihrer Erwählung gewisse Punkte zu beob-
achten, nach der Wahl hatte der Gewählte die vorher bedingungs-
weise übernommene Verpflichtung eidlich zu wiederholen. So ge-
schah es in Magdeburg ^ Speier"', Würzburg ^ und Merseburg ^
Solche Verabredungen erregten so wenig Bedenken, daß man nicht
füi' nötig hielt, sie geheim zu halten. Das Paderborner Domkapitel
gab 1276 durch einen ofl"enen Brief bekannt, daß es nur einen
Mann zum Bischof nehmen würde, der bereit sei, die Schulden
seines Vorgängers zu bezahlen l Man handelte also im Bewußt-
sein des guten Rechts. An der Kurie war dasselbe nicht vor-
behaltlos anerkannt. Aber trotz des unverhohlenen und nicht
unberechtigten Argwohns, den sie gegen solche Verträge liegte^,
1 Paderborn, Westf. ÜB. IV S 251 Nr. 386; Eichstätt, Falckenstein, C.
d. S. 49 Nr. 42; Magdeburg, Reg. II S. 657 Nr. 1491; Merseburg. ÜB. I
S. 248 Nr. 316; Osnabrück, ÜB. III S. 223 Nr. 321; Trier, Bastgen S. 277.
- Westf. ÜB. VI S. 369 Nr, 1165: lurabunt episcopi» cum super
aliis que iurare tenentur sacramentum prestant, quod et ipsi . . bona capi-
tuli defensabunt.
» Magdeb. Reg. II S. 657 Nr. 1491 ohne Datum. Das Jahr 1260 ergibt
sich ans den Namen des Dompropstos u. des Dekans. Der letztere, Ruprecht
V. Mansfeld, wurde gewählt. III S. 98 Nr. 250 v. 1277.
* Remling, Uß. I S. 324 Nr. 360 v. 1272.
» MB. .\LVI S. 63 Nr. 67 v. 1314.
* Merseb. ÜB. I S. 248 Nr. 316 um 1266.
' Westf. ÜB. IV, 3 S. 693 Nr. 1448.
* Au8 einem in die Dekretalen Gregors IX. aufgenommenen (II, 24, 27)
ErlaÜ Innocenz' III. ergibt sich, daß derartige Verabredungen unter seinem
Pontifikat auch in Italien vorkamen. Innoc. hat sie in diesem Falle als das
biücböflicho Hecht »chädigend aufgehoben. Die Spcjieror Wahlkapitulation v.
1272 ist 1288 von NikolauH IV. aufgehoben worden, Mitt. au« d. vat. Arch.
I S. 344 Nr. 323; die v. 1.'536 erklärte Inuocenz VI. 1352 für nichtig, Rem-
ling I 8. 589 Nr. 596. Aber das machte wenig Kindruck. B. Nikolaus
nannte 1390 die Wahlkapitulationen eine alte und lüblicho Sitte, S. 705
Nr. 676.
— 220 —
beliaupteten sich die Wahlkapitulationeii in Deutschland während
des ganzen späteren Mittehilters.
Stellten sie anfangs die Wahrung des Besitzstandes der
Kirche, die Beschränkung der Vogteien, die zweckmäßige Ver-
gebung der Lehen, die Aufrechterlialtung der Rechte des Kapitels \
also Ziele, die dem Bischof und dem Domkapitel gemeinsam waren,
in den Vordergrund, so dienten sie je länger je mehr ausschließ-
lich den Interessen des letzteren. Schon in der Speierer Wahl-
kapitulation von 1272 ist offenkundig die Absicht, die Einwirkung
des Bischofs auf das Kapitel, auf seine Wahlen und seine Ver-
handlungen abzuschneiden und umgekehrt dem Kapitel eine gewisse
Einwirkung auf die Regierungshandlungen des Bischofs zu sichern:
bei dem Münzwesen, dem Dombau, der Erteilung von Lehen und
anderem sollte er an die Zustimmung des Kapitels gebunden sein.
Die einflußreichsten bischöflichen Beamten, die Richter und der
Kamerar sollten dem Kreise der Domherren entnommen w^erden.
Auch diese Zusagen genügten dem Kapitel nicht. Als im J. 1302
die Kapitulation von 1272 erneuert wurde, fond ein Absatz Auf-
nahme, der den Bischof verpflichtete, seine Händel mit der Stadt
nur unter Zustimmung des Kapitels beizulegen -. Nicht anders war die
Entwickelung in Konstanz. Die erste Wahlkapitulation beruhte auf den
Stacuten des Domkapitels; sie stellte ihre Beobachtung fest. Später
erstrebte man Einfluß auf die Regierung des Stifts: Rudolf II L
mußte sich verpflichten, Burgen und feste Plätze des Stifts nur
Domherren oder Ministerialen des Bistums anzuvertrauen^. So
war es überall: die einzelnen Bestimmungen sind verschieden; aber
die Richtung ist die gleiche. Mochte num hier bestimmen, daß
der Bischof sich einen ständigen, aus etlichen Domherren gebilde-
ten Rat an die Seite stelle'*, und dort, daß sein Hofoftizial oder
1 So auch in der Magdeb. Wahlkapit. v. 1260, s. o. S. 219 Anm.3.
2 Remling, ÜB. I S. 324 Nr. 360 u. S. 438 Nr. 466, vgl den Vertrag v.
1371 S. 660 Nr. 648.
" Die Konstanzer Wahlkapitulationen sind von Brunner in den Mitt.
der Bad. Hist. Komm. Nr. 20 herausgegeben. Er hat mit Recht die Sta-
tuten des DK. V. 1. Mai 1294 an die Spitze gestellt. Denn auf ihnen be-
ruht die älteste Wahlkapitul., Nr. 2 v. 2. Juni 1326. Dem 14. Jahrh. gehören
ferner an Nr. 3—5 v. 1334, 1387, 1391). In der WK. v. 1334 ist besonders
bezeichnend die Aufnahme der Bestimmung, daß der B. nur einen Dom-
herrn zum officialis curiae ernennen solle, c. 4. Sie wurde 1387 wiederholt.
Hier ist die Zusage neu, daß die Kommandanten der bischöflichen Schlösser,
Städte u. Befestigungen verpflichtet sein sollten, sie beim Tode des B. dem
Kapitel zu übergeben, c. 11. Die gleiche Zusage in Basel schon 133'>.
Trouillat III S. 441 Nr. 271.
< Würzburg 1314 M.P.. NLVI S. 64 Nr. 37, wiederholt 1345 XLI
— 221 -^
sein Generalvikar stets ein Domherr sein müsset oder mochte
man festsetzen, daß er bei dem Erlaß von Generalstatuten ^ und
dem Abschluß von Bündnissen und Verträgen sich der Zustimmung
des Domkapitels zu versichern habe^, daß er keine Fehde ohne
Rat und Zustimmung desselben beginnen werde*, ja, daß er die
Huldigung in Gegenwart einiger Domherren zu seiner und des
Kapitels Händen entgegennehmen wolle ^: überall war das Ziel, daß
die gesamte Tätigkeit des Bischofs, mochte sie die Verwaltung, die
Gesetzgebung oder die Poh'tik betreffen, vom Domkapitel beein-
flußt werde. Es war nur der äußerste Schritt, wenn das Mainzer
Domkapitel erreichte, daß alle Burgmannen, Amtleute und Bürger
ihm wie dem Bischof den Eid leisteten^.
Die allen beratenden Körperschaften innewohnende Tendenz
nach Erweiterung ihrer Befugnisse war bei den Domkapiteln seit
dem 13. Jahrhundert ebenso stark wie erfolgreich wirksam. Ohne
Änderung der allgemeinen kirchlichen Rechtsordnung erreichten sie
es, daß schließlich ihre Zustimmung bei allen wichtigeren Regie-
rungshandlungen eingeholt wurde. Die Leitung der deutschen Bis-
tümer war am Ausgang des Mittelalters nicht mehr monarchisch
im Sinne der frühmittelalterhchen Zeit: sie war beschränkt.
Ein nicht geringer Teil der bischöflichen Jurisdiktionsgewalt,
des bischöflichen Bannes, wie man in Deutschland zu sagen pflegte,
S. 199 Nr. 67. Eine analoge Bestimmung', nur mit Beschränkung auf die
Vergebung der größeren Lehen, in Hildesheim schon 1216, ÜB. I S. 650
Nr. 683; in Halberstadt 1261 auf Grund einer Zusage B. Velrads, ÜB. II
S. 246 Nr. 1026. In Paderborn verpflichtete sich der B. Otto 1299, sich an
den Rat eines Ausschusses von 4 Domherrn u. 5 Ministerialen zu halten,
Westf. ÜB. IV,3 S. 1159 Nr. 2574. In Magdeburg ist der erzbisch. Rat,
bestehend aus Propst. Kamerar, 2 Rittern u. 2 Bürgern, zuerst 1303 nach-
weislich, Mgdb. Reg. III S. 453 Nr. 1185.
» Straßburg 1299, ÜB. II S. 176 Nr. 221, in Bezug auf den officialis
curie. Basel 1335, Trouillat III S. 441 Nr. 271, in bezug auf den GV. in
teniporalibus.
2 Halberstadt 1420, ÜB. IV S. 600 Nr. 3379, 30.
=» Würzburg 1345, M.B. XLI S. 199 Nr. 67; Halberst. 1420, ÜB. S. 604
Nr. 3379, 53.
* Osnabrück 1265 bei Philippi, Zur Osnabr. Vcrf.Gosch., Mitt. d. Hist.
Ver. za 0. 1897 S. 100; wiederholt 1308, a. a. 0. S. 103.
» Osnabrück 1308, a. a. 0. S. 102.
• Vertrag v. 2. Juni 1337, Würdtwein, Subsid. IV S. 299 Nr. 79,
vgl. 8. 285 Nr. 77 vom gleichen Tage. Ks handelt sich hier nicht um
eine Wahlkapitulation, denn Heinrich v. Virneburg war vom Papste er-
nannt. Aber da er durch den Vertrag seine Anerkennung erkaufte, ho
bietet er eine Analogie.
— 222
war, wie früher dargestellt, allmählich an die Erzdiakone über-
gegangen ^ Die erste Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts ist der
Zeitpunkt, in dem ihre Macht den Gipfel erreichte. Sie waren
als Jnhaber einer ordenthchen Jurisdiktion anerkannt", es stand
ihnen die Institution der Pfarrer und Vikare, die regelmäßige Visi-
tation der Geistlichen, die Leitung der Pfarrkonferenzen, die Ab-
haltung des Sendgerichts zu, sie zunächst urteilten als geistliche
Richter in d-er streitigen wie in der freiwilligen Gerichtsbarkeit.
Auf diese Befugnisse gründete sich ihr nicht unwichtiges Konsens-
recht bei Veränderungen in der Organisation der Diözesen, beson-
ders hinsichtlich der Pfarreien '\
Die Größe der Archidiakonate war sehr verschieden. Es gab
solche, die nur ein halbes Dutzend Pfarreien umfaßten. Dagegen
zählten die großen Sprengel bis zu zweieinhalbhundert Pfarrkirchen"*.
Welchen Umfang die Tätigkeit ihrer Vorsteher gewann, kann man
daran ermessen, daß diese dem Beispiel der Bischöfe folgend, schon
vor der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts ständige Unterbeamte,
1 Vgl. Bd. IV S. 9 — 16; Hinschius II S. 195ff.; Baumgartner, Gesch.
u. Recht des Archidiakonats, Stuttg. 1907; Hilling, Die Entstehungsgesch.
der Münsterschen Archidiakonate, Ztschr. f. vaterl. Gesch., Bd. 60, 1902,
S. 13; Ders., Die Halberstädter Archidiakonate, Lingen 1902; Glasschröder,
Der Archidiak. in d. D. Speier, Archiv. Ztschr. 1902 S. 114tf. ; Bastgen,
Die Entstehungsgesch. der Trierer Archidiakonate, Trier 1906; Löhr, Die
Verwaltung des Kölner Großarchidiak. Xanten, Stuttg. 1909. Über die
.eigenartigen Augsb. Verhältnisse, Leuze S. 107 f.
^ S. Bd. IV S. 13. Die Anschauung reicht natürlich weiter zurück;
jBchon 1120 erhielt der Propst v. Kaltenborn als Archidiakon Jurisdictionen!
per totum archidiaconatum, ÜB. d. H. Halberst. I S. 113 Nr. 147, vgl. Urk.
-Simons v. Paderborn v. 1263, Westf. ÜB. IV, 3 S. 484 Nr. 937; Lüttich
1287, c. 14 S. 701 f. u. ö.
^ Ein Trierer Weistum v. 1258 umschreibt ihre Amtsbefugnisse mit
folgenden Sätzen: Quod in suis archidiaconatibus plenam et liberara exer-
ceant iurisdictionem, corrigendo, visitando, reformando, instituendo et desti-
tuendo rectores in ecclesiis et exercendo omnia quao ad voluntariam et
contentiosam spectant iurisdictionem, MRh. ÜB. III S. 1042 Nr. 1437. Ein-
gehend handelt von den Befugnissen der Erzdiak. die Lütticher Syn. v.
1287, c. 14 S. 701 — 705. Über die capitula et conventus archidiaconorum,
B. z. B. Pass. Stat. v. 1284 S. 681, Mainz. Stat. v. 1310, c. 48 S. 188; v.
1355, S. 309. Über Köln, Löhr S. 57 ff. Interessant ist der Nachweis, daß
die Synoden der Köln. Archidiakone im 15. Jahrh. aufhörten, S. 63 ff.
* Nach Löhr, S. 15 f., hatte in Köln der Domarchidiakonat ungefähr
250, der Archidiakonat Honn 252, Xanten 148, Soest ungefähr 50, Worm-
bach 10, der Archidiakonat des Dekans von St. Viktor in Xanten 6
Pfarreien.
— 223 —
Offiziale oder Kommissäre, zu ernennen begannen, um durch sie
einen Teil ihrer Amtsgeschäfte vollziehen . zu lassen ^,
Daß eine große Zahl von Archidiakonaten dauernd an das
Domstift und andere Stifter und Klöster vergeben und von dem
Propst, dem Dekan oder Abt verwaltet wurde, hatte zur Folge,
daß wenigstens für einen Teil das bischöfliche Ernennungsrecht
wegfiel. Auch dadurch wurde die Unabhängigkeit der Erzdiakone
vom Bistum gefördert". Indem endlich bei den frei zu besetzenden
Stellen der Besitz einer Domherrenpfründe zur Vorbedingung für
die Erlangung eines Archidiakonats gemacht wurde*', stützten die
beiden Konkurrenten der bischöflichen Gewalt sich gegenseitig.
Das von der letzteren abgezweigte jüngere Amt schien ihr einen
großen Teil ihrer Bedeutung zu rauben.
Man kann nun nicht sagen, daß der deutsche Episkopat ge-
^ Daß die Erzdiakone einzelne Amtshandlungen durch besondere Be-
vollmächtigte vollziehen ließen, kam natürlich stets vor. Darüber hinaus
führt die Aufstellung ständiger Offiziale, Seit wann man dazu über-
ging, läßt sich nur annähernd feststellen. Die Offiziale des Propsts von
lechaburg, der zugleich Archidiakon war, die 1212 erwähnt werden, Würdt-
wein, Dipl. Mog. 1 S. 118 Nr. 59, kommen nicht in Betracht. Dagegen
scheint es sicher, daß man in Trier Offiziale der Erzdiakone vor 1258
kannte. Wird in dem eben erwähnten Weistum ausgesprochen, daß der
bisch. Offizial nee archidiaconos nee eorum subditos arguendi ullam habeat
potestatem, so wird man in den subditi ständige Unterbeamte zu sehen
haben. In Basel ist ein Offizial des Erzdiakons 1264 nachweislich, Trouillat
II S. 145 Nr. 105; in Speier 1270, s. Riedner S. 40, in HaUDerstadt 1276,
ÜB. II S. 410 Nr. 1318 (Brackmanns Angabe, Halb. Domkap. S. 136, ist
also unrichtig), in Lüttich 1287, c. 14,10 S. 702, wo zu lesen sein wird
rurales officiales, in VVürzburg unter B. Andreas 1303 — 1314, s. die Stat. v.
1329, Schneidt S. 117, in den oberrhein. Diözesen seit dem Ende des 13.
Jahrhunderts, s. Baumgartner S. 168. Für Xanten, s. Löhr S. 20 ff., über
die Tätigkeit des Offizials u. seiner Unterbeamten, S 188 ff.
"^ Die Verhältnisse zeigen gerade hier die größte Regellosigkeit: Die
22 Mainzer Archidiakonate wurden sämtlich von Pröpsten verwaltet, Baum-
gartner, S. 96 fl'; ebenso waren die Kölner Archidiakonate dauernd mit
anderen Prälaturon verbunden, Löhr S. 13 ff. Dagegen fanden sich unter
den 11 Würzburger Erzdiakonon nur 2 Pröpste, der Dompropst und der
des Marienstift« in Ansbiich, Baumgartner S. 125tf. In Mainz wurde nur
der Propst von Aachatfenburg gewählt, in Würzburg dagegen die beiden
Pröpste.
* Für die oberrhein. Diözesen, Baumgartner S. 141; für Halberstadt,
Brackmann S, 129, Hilling 8. 59f. ; für Tri.*r, Bastgen S. 26 f.; für Würzb.,
M.B. XXX VII 8. 122 Nr. 133 v. 1183. Hilling hat gezeigt, daß in Halber-
stadt der Dompropst sogar das Kollationsrccht über mehrere Archidiakonate
hatte, S. 71 ff.
— 224 —
radezu die Beseitigung dieses für sein Ansehen so gefährlichen
Zwischenjimtes erstrebte. Doch ist unverkennbar, daß der Auf-
schwung der archidiakonalen Gewalt im Laufe des dreizehnten
Jahrhunderts zum Stillstand kam. Schon daß die Rechte und
Befugnisse der Archidiakone da und dort in den Synodalsüituten
genau umschrieben wurden-^, war ein Hindernis für ihre weitere
Ausdehnung. Die Formulierung eines Rechtes ist die Anerkennung
desselben, aber sie bindet es zugleich. Dann griff eine Reihe von
Momenten ein, durch die die Macht der Archidiakone Einbußen
erlitt: durch die Wiederbelebung der bischöflichen Kirchenvisi-
tationen mußte die Bedeutung der von jenen abgehaltenen herab-
gedrückt werden. Noch stärker wirkte die Bildung der bischöf-
lichen Beamtenschaft. Ich bezweifele, daß die Eifersucht der
Bischöfe auf die Macht der Archidiakone das einzige Motiv für
die Bestellung der Generalvikare und Offiziale war. Denn die Er-
richtung dieser Amter ist auch ohne dasselbe verständlich. Aber
keinem Zweifel unterliegt es, daß, nachdem sie vorhanden waren,
der bischöfhche Offizial der gefährlichste Konkurrent des Archi-
diakons war. Erst seitdem ein von der Person des Bischofs und
seinem jeweiligen Aufenthaltsort unabhängiges Gericht an der Dom-
kirche und an anderen Orten des Bistums bestand, konnten die
Bischöfe es unternehmen, die Gerichtsgewalt der Archidiakone zu
beschränken. Endlich war auch der durch ganz andere Verhält-
nisse bedingte Rückgang in der Bedeutung der Sendgerichte für
die Stellung der Archidiakone schädlich: mit einem Wort: dem
langen Aufschwung der archidiakonalen Gewalt folgte in den letzten
Jahrhunderten des Mittelalters nicht ein Bruch, aber ein unver-
kennbarer Rückgang, mindestens ein Stillstand.
Das ist fast überall zu bemerken, obgleich die Entwickelung in
den einzelnen Diözesen eigenartig verlief. Eine Ausnahme bildete,
wie es scheint, nur, daß die Kölner Großarchidiakone sich in ihrer
Stellung behaupteten -. Bis zum Anfang des vierzehnten Jahr-
hunderts war es in Deutschland anerkanntes Recht, daß die Insti-
tution der Pfarrer dem Bischof, beziehungsweise den Archidiakonen
^ Am wichtigsten Lüttich 1287, c. 14 S. 701 ff. Die Lanildekane u.
Priester werden zur Beobachtung der iura ipsorum et nostra verpflichtet. Als
Recht der Archidiakone gilt dabei das Institutions- und das Visitations-
recht, mit der daraus folgenden Strafgewalt, Suspension, Exkommunikation
und Interdikt, und dem Anspruch auf eine Provision. V^l. auch die Syn. v.
Hrixen um 1290, c. 12 S. 146 u. den Schiedsspruch Gerhards v. Mainz für
Speier v. 23. Juli 1300, Remling, ÜB. I S. 42öf. Nr. 454. Der Schiedsspruch
ist für die Übergriflfe der Erzdiakone höchst bezeichnend.
^ Das hat Löhr gezeigt.
K
— 22o
zukam ^. Aber schon a or Ablauf des Jahrhunderts wollte Burchard
von Konstanz nur noch von der Einsetzung der Pfarrer durch den
Bischof wissen-; 1407 aber erklärte die Synode von Würzburg, es
sei altes kirchliches Recht, daß die Sorge für die Seelen ausschließ-
lich dem Bischof zustehe ; demgegenüber sei die Berufung auf eine
abweichende Gewohnheit unzulässig. Da demnach die Seelsorge ohne
Befehl des Bischofs niemand übertragen werden könne, so sei den
Archidiakonen unbedingt verboten eine solche Handlung ohne Er-
laubnis vorzunehmen ^. Auch in Brandenburg wußte man seit dem
vierzehntei> Jahrhundert nur noch von der Institution durch den
Bischof oder seinen Vikar ■^. In diesem Punkte wurde das Recht
der Archidiakone wieder auf den Auftrag des Bischofs zurück-
geführte
Ihr Visitationsrecht wurde nicht in ähnlicher Weise beschränkt.
Hier setzten die Bischöfe den Hebel an einem anderen Punkte ein.
Es war alte Gewohnheit, daß wie der Bischof so auch der visi-
tierende Prähit Anspruch auf die sogen. Prokuration, d. h. die Ver-
pflegung, hatte. Der Übergang von der Naturalwirtschaft zur Geld-
wirtschaft führte im Verlauf des dreizehnten Jahrhunderts dazu,
daß die Archidiakone anstatt der Verpflegung eine Abgabe in
Geld forderten. Dem widersprachen aber die Bischöfe : sie er-
klärten die Erhebung von Prokurationen in Geld für unzulässig.
So bestimmte die Lütticher Synode von 1287; sie verlangte über-
haupt im Interesse der Gemeinden die möglichste Minderung der
Visitationskosten e Noch die AV^ürzburger Synode von 1409 hat
» V^l. z. B. Köln um 1280, c. 15 S. 669; Würzb. 1287, c. 14 S. 728;
Lüttich 1287, c. 14,4 S. 702; Aschaffenb. 1292, c. 8 S. 10, wiederholt Mainz
1310, c. 55 S. 190, vgl. auch Köln 1310, c. 12 S. 123. In Würzbur^ hatte
B. Mangold (1287 — 1803) ihnen das Recht eingeräumt, die ad ecclesias ob-
legiales seu incorporatas ipsi ecclesiae Herbip. Präsentierten zu investie-
ren, Handschr. des Mich, de Leone, Unterfr. Arch. Xlll S. \\\).
- ßaumgartner S. 30.
=» C. ß Hartzh. V S. 4, wiederholt in den Statuten v. 1446 S. 318.
* Erklärung B. Friedrichs v. 1303: Quod nemo auctoritatom conf'o-
rendi cura» animarum ecclesiarum nostre diocesi« habeat, niai nos seu legi-
timuH vicariuH noster, C. d. Brand. 1,8 S. 196 Nr. 139; Synodaistat. v. 1435,
Heydier 8. 40. Dagegen blieb die Zustimmung des Archidiakons notwendig
bei Krrichtung neuer Pfarreien, Kaiicllon u. Altäre, bei Inkorporationen
u. dgl., H. z. B. L'B. den H. HildeHh. IV S. 744 Nr. 1364 v. 1334; ÜB. dos
H. Halberst. IV 8. 327 Nr. 3038a v. 1367—90.
** In Speior behauptete der Archidiakon dio Institution, h. GlasschW»-
der, ArchZ. 1902 S. 142.
• C. U,2f. S 701.
Haack, Kirobeoffcacbicbte. V. 15
— 226 -
das Verbot von Geldprokiirationen wiederholt^. Jedoch wurde die
Umwaiidelung der Xaturalleistung in eine Gehlzahhing von der
Kurie zugebissen- und sie setzte sich demgemäß durch. Die Folge
war, daß die, wie es scheint, im allgemeinen niedrig bemessenen
Visitationsgebübren '^ nach und nach zu einer ständigen Abgabe
der Pfarrer wurden"^. Da diese einging, unangesehen ob die Visi-
tation a])gehalten wurde oder nicht, fiel für die Archidiakone das
Hauptmotiv, die Visitationen vorzunehmen, hinweg: sie gaben ihr
Recht nicht auf; aber sie ließen es einschlafen. Nichts ist hierfür
bezeichnender, als daß im Erzbistum Köln die archidiakonalen
Visitationen im späteren Mittelalter völlig außer Übung kamen'',
obgleich die Großarchidiakone dieser Diözese ihre Rechte voll-
ständiger zu behaupten wußten, als ihre Amtsgenossen im übrigen
Deutschland.
Das iSeitenstück zur Visitation der Kleriker ist der Laiensend*^.
Auch er aber verlor im späteren Mittelalter einen Teil seiner Be-
deutung. In einem Teile Deutschlands kam er völlig außer Übung '.
Es scheint vornehmlich der Osten, auch der Süden gewesen zu
sein. Wo er sich behauptete, blieb äußerlich alles beim alten.
Jährlich ein oder mehrere Male erschien der Archidiakon oder sein
Kommissär an den vorher bekannt gemachten Tagen an den alten
und an deu im Verlaufe hinzugekommenen neuen Sendorten, um
das Rügegericht zu halten^. Dort versammelten sich die zum Bann-
te. 6 S. 5. ■' Vgl. oben S. 182 Anm. i<.
" Von den 148 Pfarreien des Xantener Archidiakonats waren 88
zahlungspflichtig; sie leisteten 1463 46 Gulden, s. Löhr S. 244.
* Löhr S. 242. "> Löhr S. 237 rt'.
ß Vgl. Bd. IV S. 13 u. 61 u. meinen Art. Send, P.RE. XVIII S. 209tf.;
Hinschius, KR, V S. 425 ff. ; Baumgartner S. 147 tF.; Königer, Quellen z. Gesch.
der Sendgerichte iu Deutschland. München 1910.
' Bericht Bruns v. Olmütz an Gregor X., C.I. III S. 593, 29 Nr. 620, «:
In aliis dioecesibus hoc fieri non obtinet consuetudo.
^ Im Hollerland fanden jährlich drei Sondgerichte statt, Hamb. ÜB. I
S. 227 Nr, 249 v. 1181; Sigfiid v. Hildesheim verordnet 1290, daß jeder
Archidiakon dreimal jährlich Send hege, ÜB. III S, 4-")l Nr. 877, vgl.
S. 287 Nr. 538, Auch nach dem Soester Stadtrocht v. 1120 fand dreimal
im Jahr Send etatt, Seibertz, UB.S. 49 Nr. 42; dagegen nach der Aachener
Sendordnung v. 1331 § 1 u. 10 zweimal, Montag — Mittwoch nach Judica
u. Donnorbtag nach Quasimodogeniti, Lorsch, Aachener Rechtsdenkmäler,
S. 45 u. 47; ebenso oft in Miltenberg; a. Main, Städtcchron. XVIII S. 235,
in Kaitonborn D. Halberstadt, ÜB. I S. 114 Nr, 147, und im Bistum Verden;
doch kamen hier die Pfarrgenosscn der Klbkirchen nur einmal jährlich zum
Send, Schi, Holst, L.Ro>;, II S. 25 Nr, 65 v. 1254. In den Bistümern Basel
und Speier war jährlich ein Send Rochtnes; der Archidiakon hielt ihn
— 227 —
bezirk gehörigen Pfarrer an der Spitze ihrer Parochianen. Es war
gewöhnhch. daß der Archidiakon zuerst mit den Pfarrern allein den
geisthchen Send abhielt, um Leben und Amtsführung der Kleriker
zu untersuchen ^. Darnach fand in der Kirche, wohl auch auf dem
Kirchhof oder im Klosterhof ^ der Laiensend statte In der alten
Weise stellte der Archidiakon als Sendherr die Fragen ; die Send-
schöffen erhoben als vereidigte Zeugen die Anklage und fanden
gemeinsam mit den anwesenden Geistlichen das Urteil, das der
Archidiakon proklamierte. Vernachlässigung oder Verhinderung
des Sendgerichts galt als schweres kirchliches Verbrechen ; es stand
Exkommuüikation darauf*.
Aber diese alten Formen hatten nicht mehr den alten Wert.
Das Sendgericht verlor an Bedeutung zunächst dadurch, daß es
einzelnen Bevölkerungsklassen gelang, die Befreiung von der Pflicht,
vor ihm zu erscheinen, zu erringen. Voran ging der Adel. Inder
ersten Hälfte des zwölften Jahrhunderts galt es noch als ein Ver-
aber nur in den Schaltjahren persönlich, Baumgartnor S. 154. In Aachen
wurden im 15. Jahrhundert die Gerichtstage stark vermehrt: Ordnung v.
1446 § 1 S. 131 : alle maende zweyne dincklige dage zom myntzsten. Die
Sendsprengel deckten sich in der Regel mit den Urpfarreien oder wenig-
stens den älteren Pfarreien, da bei Teilungen der Besuch des Send am
alten Pfarrort gefordert zu werden pflegte, vgl. als Beispiele aus der Diöz.
Würzburg M.B. 39 S. 26 Nr. 12; 41 S. 16 Nr. 7; S. 401 Nr. 143; 42 S. 37
Nr. 15.
* Cber das Ausscheiden der Kleriker aus dem allgemeinen Send, s.
RE. XVllI S. 212,9 flf. Es war dadurch vorbereitet, daß die Befragung des
Pfarrers nicht öffentlich, sondern vor 2 oder 3 geistlichen Zeugen erfolgte,
Augsb. Sendordnuug bei Steiner S. 3. In Hildesheim fand der geistliche
Send ad minus semel in anno statt ante congregationem plebis ad syno-
dum, während der Laiensend dreimal abgehalten wurde, s. o. S. 226 Anm. 8.
Über diese Visitation der rieistlichen gibt Auskunft die Citatio ad Synodum
der Speierer Diözese bei Baumgartner S. 163. Sie ist an den Dekan ge-
richtet, der den gesamten Klerus des Dekanats zum Erscheinen am Sondort
tu verpflichten hat; vgl. auch das Sendweistum von Dürkheim in d. Rhein-
pfalz, 1488 bei Königer S. 169 f. Nr. 86, 3.
* Urk. für Kloster Huysburg: Archidiacono pro sinodaiibus unus forto
Halb, monete annis singulis pcreolvatur . . in claustro, cum ibidem sinodo
presidet iuxta morem, UÜ. d. H. Halb. II S. 197 Nr. 961 v. 1258.
* Vgl. Die Form u. Weiue zu hegen ein Kanzolgorirht von Oberbeer-
bach, Kreii Bonnheim, 1498, bei Königor S. 150 Nr. 69. Das Sendwoisstum
von Telingen, Krei« Bolchen, 1488, S. 164 Nr. 78, das von Dürklieini 1488,
8. 171 f. Nr. 86,4, die Sondordnung von Spoier 1492, H. 178 tt'., Sendweistum
von Kloinbockenbeim in d. Rhcini)falz 1423, S. 309 fl'.
' Köln 1266, c. 14 S. 623; vgl. Würzb. 1422, Schneidt S. 308.
15*
— 228 —
brechen, wenn die Heiren sieh weigerten im Send zu erscheinen.
Wer felilte, wurde hostraft ^. Aber die Gleicliheit vor dem Ge-
richte widersprach der mittelalterHchen Auflösung des Volkes in
Stände und war deshalb undurchführbar. Demgemäß ist im drei-
zehnten Jahrhundert der Adel im größten Teile Deutschlands vom
Sendgericht gefreit^. Dazu ist es schwerlich durch Privilegien-
eiteilung gekommen; vielmehr paßte sich das Urteil nach und nach
dem tatsächlichen Verhalten an. Die Fernehaltung vom Send-
gericht, die anfangs als Auflehnung gegen anerkanntes Recht er-
scliien, wurde später als Standesvorrecht des Adels betrachtet. . Als
solches wurde es im Erzbistum Köln 1266 ausdrücklich anerkannt;
dieselbe Anschauung herrschte in Ostfranken und, wie es scheint,
in ganz Sachsen*^. Es ist nicht unmöglich, daß hier wie in Fries-
land auch die altfreien Bauern nicht im Sendgericht erschienen'*.
Bei der Entbindung des Adels vom Sondgericht hatte es nicht
sein Bewenden. AVas er nach und nach erreicht hatte, erstrebten
auch die Ministerialen. Es lag wieder in der Konsequenz der Ver-
hältnisse, daß auch sie ihr Ziel erreichten. In Köln, Würzburg,
Magdeburg wurden sie vom Sendgericht entbunden ^ Im Bistum
Würzburg wurde diese Freiheit auch den Kapellen und Kapellanen
der bischöflichen und der fuldischen Burgen und der Schlösser
der Grafen von Henneberg, Kastell, AV'ortheim und Hohenlohe
zuteil«.
1 ÜB. d. H. Halberstadt I S. 114 Nr. 147 v. 1120.
- Eine Ausnahme machte Schwaben, Baumgartner S. 149.
^ Köln 1266, c. 14 S. 623; Würzb. Memorandum, De personis et locis
in civit. ot dioec. Herbip. non subiectis archidiaconali etc. herausgegeb. v.
Kuland, Arch. d. bist. Ver. f. UFranken XIII, 1855, S. 124 flF.; vgl. auch
M.B. XXXVIl S. 408 Nr. 356 v. 1263. Sachsenspiegel I, c. 2 S. 28. Über
die Bezeichnung synodalis, s. oben S. 174 Anm. 1. Hilling weist darauf
hin, daß sie in Köln schon 1188 vorkommt, NKh. ÜB. I S. 359 Nr. 511, in
Münster 1288, Westf. UH. III S. 187 Nr. 346 (Arch. f. kath. KR. 79 S. 224).
* Baumgartner S. 148; für Friesland, Westf. ÜB. III S. 281 Nr. 523
V. 1250.
■^ Frensdortf, D. Recht d. Dienstmannen v. Köln in Mitt. aus d. Kölner
Stadtarch., Heft 2, 1883. Der orzbisch. Kaplan hielt am Tage nach Peter
u. Paul ein eigenes Sondgericht für die Ministerialen, IX S. 8. Würzb.
Memorandum S. 127: Maxime ministri utriusque soxue porsonae praesertim
ecclesiae Herbip. infra limites ducatus Franconiae ac ep. Herbip. residentes;
vgl. Würzb. Syn. v. 1407, c. 11 S. 6. Magdeb. Wahlkapit. v. 1297. Mgdb.
Reg. III S. 369 Nr. 975; hier waren die in der Stadt sich aufhaltenden
Ministerialen ausgenommen.
« Würzb. Memor. S. 126.
— 229 —
Nicht minder wichtig war, daß die Klöster und Stifter Frei-
heit vom Sendgericht erlangten. Bei ihnen wurde der Anfang wahr-
scheinlich duiTh Einzelprivilegien gemacht-^. Aber schon im zwölften
Jahrhundert war es herrschende Überzeugung, daß die kirchlichen
Stiftungen als solche gefreit seien '-. Ahnlich wie beim Adel dehnte
sich die Befreiung immer weiter nach unten aus. In Würzburg er-
streckte sie sich bis auf die Inklusorien und Hosj^itäler und das
Gesinde aller dieser Anstalten. EndHch erlangten dem Vorbilde
der Stifterund Klöster folgend auch einzelne Pfarreien und Kapellen'^
die Ausnahme vom Sendgericht.
Das Sendgericht setzte seiner Entstehung nach die ländHchen
Verhältnisse der Karolingerzeit, die kleinen, leicht überschaubaren
Pfarreien des flachen Landes, voraus. Es ist deshalb verständlich,
daß seine Durchfüliruug in den aufblühenden Städten manchen
Schwierigkeiten begegnete. Verhältnismäßig einfach lagen die
Dinge in den Bischofsstädten. In manchen von ihnen behauptete
sich denn auch der Send des Archidiakons bis zum Ausgang des
Mittelalters. Ein Beispiel bietet Speier ^ Aber das gelang nicht
* Die Erwägungen, die dazu führten, zeigt eine Urkunde Bornwards
V. Hildesheim v. 1020: SuntnonnuUi clericorum sanctioionialiumque regulari
converfeatione insigniti, quos singulos in publicum ^regatim prodire et pro-
vida imbecillioris vitae consideratio et legitima coenobialis propositi dissu-
adet districtio, ÜB. d. H. Hildesheim I S. 60 Nr. 64. Spätere Beispiele:
Anno U. von Köln für das Stift in Kees, NRh. ÜB. I S. 144 Nr. 222 ; doch
ist die Echtheit der Urkunde zweifelhaft. Friedrich I. von Köln für Stein-
feld S. 191 Nr. 292 V. 1121. Adalbert v. Mainz für Breitenau, Guden. I
S. 60 Nr. 25 v. 1123; Beruh, v. Paderborn für Gehrden, Reg. Westf. 11
S. 18 Nr. 210 V. 1136; Volrad v. Halberstadt für Adersleben, ÜB. II S. 410
Nr. 1318 v. 1276.
■ Die Befreiung der Klöster von der Jurisdiktion der Archidiakonen
war gemeinrechtlich, s. Greg. IX. Drecret. I, 23, 10. In Deutschland er-
streckte sich die Befreiung auch auf die Stifter; so im Bist. Halberstadt
schon im 12. Jahrb., s. ÜB, I S. 244 Nr. 282: Liberum . . tamquam una
de preposituris in eccl. Halb. In d. Diözese Würzburg waren frei die
Benedikt inerklöater, die KoUegiatkirchen, die Propstei auf dem Marien-
berp, alle Inklusorien und Hospitäler und das Gesinde dieser Anstalten,
Wür/.b. Memor. S. 124 f.
^ In d. Diözese Würzburjj^ : Pfarrei u. Stadt Bischofsheini a. Rhön,
die Pfarreien auf dem mona s. Florae bei Fulda, in Mittelstrcu, Ebersbach,
MnhIImch, dio Kapellen in Windliausen, (irimoldhhauHon, auf dem Schwan-
ber^', Karlsburg, Holiberg, Hohenbur^, Memorandum S. 12ü.
* Vgl. die Articuli u. Ordnungen, wie man den leyensendo in der statt
Speyer halten «olle v. 1492 bei Köuiger S. 178 Nr. Ol. Kr land jährlich
am Montag nach St. Nikolaus statt.
— 230 —
überall. In Köln iiiul Trier verliiiiderteii die Bürger jahrelang,
(laß überhaupt der Send gehegt wurde \ Die J^^chwierigkeiten
mehrten sich in den nicht-bischöflichen Städten. Denn hier kamen
zu der Abneigung der selbstbewußten Bürger gegen das geistliche
Rügegericht noch die weit verbreiteten Bedenken gegen den Spruch
auswärtiger Richter hinzu ^ Die Städte erstrebten entweder völlige
Befreiung vom Send des Archidiakons oder Bildung eines eigenen
städtischen Sendbezirks, in dem der von ihnen gewählte Pfarrer
das Gericht hegte. Das erstere scheint nur ausnahmsweise erreicht
worden zu sein*^. Dagegen wissen wir von einer Anzahl der be-
deutendsten Städte, daß entweder der Pfarrer oder der Erzpriester
oder ein in der Stadt wohnhafter Offizial Sendherr war. Das gilt
von Köln, Mainz, Frankfurt, Konstanz, Aachen, Braunschweig ^.
* In Köln vor 1258. Der EB. klagt, daß de omni eo, quod in synodis
accusare consuevit, nicht gerichtet werden konnte, Quellen z. Gesch. d.
St. Köln II S. 382 Nr. 20. In Trier vor 1377, Klageschrift des EB. Kuno:
Item hant sie itzund mannich jair verboden u. gehindert den Choirbischoff
mins stifts zu Trire, daz yme die sendtscbeflfen nit sitzen noch rügen
wulden, F. Ferdinand, Cuno v. Falkenstein, Piiderb. 1885 S. 52 Anm. 1.
In der Sühne v. 14. Juni 1377 wird bestimmt: Vort sullent der seent und
seentscheffen zu Triere i'urbaß bliben und gaen, als daz recht und von
alders herkomen ist, S. 91; ebenso in Köln a. a. 0. S. 392 Nr. 20.
- Diese Bedenken richteten sich zunächst gegen das bischöfliche Hof-
gericht. Demgemäß sagte Albrecht v. Halberstadt in seinem Überein-
kommen mit der Altstadt Quedlinburg z.u, keinen Bürger vor ein seistliches
Gericht außerhalb der Stadt zu laden, sondern einen geistlichen Richter in
der Stadt zu setzen, ÜB. d. St. Quedl. I S. 76 Nr. 102. Man versteht von
hier aus die Forderung, daß geistliche Sachen in dem in der Stadt ge-
hegten Sendgericht endgiltig entschieden würden, Soester Stadtrecht 6.
Keutgen S. 140; Modebacher Stadtrecht 1 S. 145.
3 Hanau, Guden. IV S. 121 Nr. 50 v. 1418. EB. .Johann bestätigt
hier, was bynnen langen zyten, als yemande gedencken mag, herkömm-
lich war.
* In Köln waren die Pfarrer neben dem Kapitel Sendherrn, s. Quell.
z. Gesch. d. St. Köln II S. 382 Nr. 20; ebenso war Konstanz von der archi-
diakonalen Jurisdiktion befreit u. lag diese in den Händen des Pfarrers, s.
Baumgartner S. 22 f. In Braunschweig, das halb zum Hildeaheimer Archi-
diakonat Stützen, halb zu dem Halberstädter Atzum gehörte, erreichte der
Rat, daß Offizialo eingesetzt wurden, die in der Stadt richteten. Das Pri-
vilegium bezieht sich zunächst nicht aufdas Sendgericht, aber da auch verboten
wird, die Einwohner communiter vor ein auswärtiges Gericht zu laden,
scheint dieses mit inbegriffen zu sein. ÜB. d. H. Halberstadt IV S. 345 Nr. 3052
V. 1391. In Frankfurt a. M. hatte der Pfarrer am Ausgang des 13. Jahrh.'a
wenigstens eine beschränkte Sendgerichtsbarkeit, s. ÜB. d. Reichsst. Frkf.
1 S. 228 Nr. 473 v. 1283 u. dazu Hinschius V S. 435 Anm. 3. In Mainz
— 231 —
Ebensowenig Gunst wie die Städte brachten die Landesherren
den Sendgerichten entgegen. Sie haben sie nicht unterdrückt;
dazu waren sie nicht stark genug. Aber sie haben sie noch weniger
gefördert, und wo es ihnen möghch war, haben sie sie beschränkt.
Diese Bestrebungen setzten schon im dreizehnten Jahrhundert ein.
Wernher von Mainz mußte 1277 darauf verzichten, in den Städten
der Landgi'afschaft Hessen Seudgericht zu halten oder halten zu
lassend Der Verzicht traf natürlich nur den Bischofssend : er be-
seitigte die herkömmliche Abgabe an den Bischof. Aber man wird
von der Haltung gegen den Bischofssend auf das Urteil über die
ganze Institution schließen dürfen. Auch die Markgrafen von Meißen
suchten die Gerichtsgewalt der Archidiakone zurückzudrängen^.
Mit einem Wort: alle aufstrebenden Stände waren dem Send-
gericht entgegen. Konnten sie auch eine anerkannte kirchliche
Einrichtung nicht beseitigen, so wußten sie doch sich ihr hier voll-
ständiger, dort unvollständiger zu entziehen. Das Sendrecht der
Archidiakone wurde nicht aufgehoben; aber es wurde durchlöchert.
Und indem das geschah, wurden einzelne Splitter losgerissen.
Tch habe eben erwähnt, daß die Stifter und Klöster die Befreiung
von der Sendpflicht erreichten. Aber sie begnügten sich nicht da-
mit: sie wußten das Sendrecht über kleinere Bezirke, über eine
oder einige Pfarreien zu erlangen ^. Diese schieden dadurch aus
dem Sendsprengel des Archidiakons aus. Dasselbe Ziel verfolgten
und erreichten da und dort die Landdekane, die Erzpriester, ja
u. einigen Orten der nächsten Umgebung war der Erzpriester Sendherr, s.
das Abkommen v. 1300 bei Würdtwein, Dioec. Mog. 1 S. 20—29; er hielt
den Send in der Johanniskirche, S. 32. Ebenso war es in Aachen, wo der
Archidiakon oder sein KommisRär nur in PJhesachen den Vorsitz hatte,
Ordnung v. 1331, 1 u. 21, Lorsch S. 44 u 48.
> Reg. Mog. II S. 401 x\r. 444.
- Innoc. III. gebot dem EB. von Magdeb. gegen d. Grafen Ulrich v.
Wettin einzuschreiten, der dem Meißener Archidiakon in terra sua ius
fijnodale et iura alia subtrahere non reformidat, C. d. Sai. reg. II, 1 S. 661'.
Nr. 68 V. 1201. Später klagten die MGen. v. Meißen über Eingriffe der
kirchlichen Kichter in ihre Hobeitsrechto bei Gregor XI., s. Päpstl. Urk. u.
Heg. II 8. 270 Nr. 987 v. 1372.
• Heiwpiele: Heidenfeld, 1141, ÜHsermann S. 35 Nr. 35, vgl. Würzb.Memo-
rand. S. 127; NenmfinRter, Schi. H.L. Heg. I S. 38 Nr. 82 v. 1142; Ilasungen,
Stumpf, AcU Mag. S. 84 Nr. 80 v. 1170; Hamersieben, UH. d. H. HalberHt. I
S. 244 Nr. 282 v. 1178; Her/ebn»rk, Osnab. UH. 11 S. 29 Nr 40 v. 1209;
Levern, Weiitf. l'H. VI S. .'i49 Nr. 1107 v. 1277. Königer liat nut llhnlicho
Verbältnimie in St. Gallen «<;hon im 10. .lahrh. anfmerkHani gemachf, Send-
gerichte, S. 98 f.
— 232 —
selbst einzelne Pfarrer^. Auch hierbei kann man nicht von einem
runden Ergebnis reden : aber klar ist, daß die Macht der Archi-
diakone ein Angriffsobjekt für jedermann war.
Zugleich aber drängte das Laienelement sich immer entschie-
dener in den Vordergrund. AVas mit der Umbildung der Send-
zeugen in Sendschöffen angefangen hatte, nahm seinen Fortgang.
Am weitesten kamen die Dinge in Friesland. Indem dort die
Grundherren namens des Bischofs den Send hegten-, hörte er tat-
sächlich auf, geistüches Gericht zu sein: er wurde zu einem Laien-
gericht über geistliche Dinge. Aber der Unterschied war nicht
groß, wenn der Pfarrer und die Bürger von Frankfurt a. M. sich
1 283 dahin vereinigten, daß der erstere niemals im Send anwesend
sein oder Sendzeugen ernennen werde, daß er das Urteil ganz den
Schöffen überlassen und sich lediglich das Recht auf die von ihnen
verhängten Geldstrafen vorbehalten wolle ^.
Am offenkundigsten ist die Einbuße an Bedeutung, die das
Sendgericht erlitt, wenn man auf seine Kompetenz achtet. Als
Durchschnittsanschauung des 13. und 14. Jahrhunderts darf man
betrachten, daß vor das Sendgericht gehörte die Rüge von Fleisches-
sünden und verbotenen Ehen, IMeineid, Wucher, Verletzung der
Kirche und etwa noch Untreue in Handel und Wandelt Ver-
gleicht man damit die Sendfragen des neunten Jahrhunderts bei
Regino, so ist der Unterschied außerordentlich groß: es sind einer-
seits in Wegfall gekommen die Verbrechen gegen Leib und Leben
^ Vgl, Hinschius S. 434f., Baumgartnor S. 118, 152. Ich füge bei:
der Pfarrer von Fulda hatte die archidiak. Gewalt in der Stadt und 3
Orten, Würzb. Mem. S. 135. In d. Diöz. Osnabrück hatte der Kapellan
von Recke das Sendrecht: homines bona eadem incolentes nullam nisi sa-
cerdotis sinodam tenebuntur observare, Osnabr. ÜB. II S. 95 Nr. 128 v. 1220.
* S. Hinschius S. 436 Anm. 1.
•^ ÜB. d. Hüichsst. Frankf. I S. 228 Nr. 473.
* Vgl. z. B. den Erlaß Simons v. Paderborn, um 1250: In correctione
peccatorum precipue criminantium, veluti adulteriis, stupris, incestibus,
periuriis, fidei violationibua et ceteris iusticiis sinodalibus, in quibus peri-
cula vertuntur animarum, Westf. ÜB. IV S. 252 Nr. 388. Kölner St-h leds-
spruch V. 1258: De usuris, periuriis, adulteriis, matrimoniis et spectanti-
bus ad matrimonia, de falsis mensuris et de omni eo quod vuljj^ariter
meincoif dicitur, P'.nnen u. Eckertz II S. 382 Nr. 20. Aachener Ordnung
V. 1331 § 17 S. 48: Casus dissidii, adulterii, incestus, usuro, sortilegii, eresis
vel alius casus hiis casibus consiniiles. Braunschwoi«]^er Weist, v. 1300:
Opponbaro unkuscheit unde oppenbare undersat undo oppenbare wuker
unde al dat weder det korstenheit si, ÜB. d. St. Braunschweig II S. 225
Nr. 453.
— 233 —
mid gegen das Eigentum, andererseits eine Menge Verstöße gegen
die Moral und die kirchliche Ordnung. Nach dem Motiv für diese
Einschränkung des sendgerichtlichen Verfahrens braucht man kaum
zu fragen. Denn die Antwort liegt in der Veränderung selbst: in
Wegfall gekommen sind sowohl die Verbrechen, die das weltliche
Geiicht vor sein Forum zog, als die geheimen Sünden, nach denen
der Pfarrer in der Beichte forschte. Zwischen dem Gericht und
der Seelsorge sollte das kirchliche Kügeverfahren seine Stelle
finden. Es lag in der Natur der Sache, daß jede Ausdehnung des
strafrichterlichen Verfahrens die Zuständigkeit des Sendgerichts er-
schüttern mußte. Daher wird sich die Unsicherheit darüber er-
klären, ob untreue in Handel und Wandel vor das Sendgericht
gehöre oder nicht. Das Kölner Schiedsgericht von 1258 gab eine
haltlose Antwort auf diese Frage, indem es entschied, Untreue ge-
höre sowohl vor das welthche wie vor das geistliche Gericht^;
denn diese Entscheidung widersprach der bisherigen Entwickelung
des geistlichen Rügegerichts. Ihr gemäß bestimmten mit völliger
Klarheit die Würzburger Statuten von 1422, vom Sendgericht seien
ausgeschlossen alle weltlichen Verbrechen, die zur Bestrafung vor
das weltliche Gericht gehören, und alle Sünden und Vergehen,
deren Büßung dem Pfarrer als Beichtiger zukomme. Von den
bleibenden kirchlichen Verfehlungen sollte aber auch nur gegen
die schweren eingeschritten werden '\
Auch der in dieser Weise verengte Kreis der sendgerichtlichen
Befugnis blieb nicht unangetastet. Er wurde weiter beschränkt
sowohl durch den Episkopat wie durch die Laien. Am weitesten
ging der von Wernher von Mainz aufgestellte Grundsatz, daß das
Sendgericht nur bis zur Höhe von 20 sol. zu erkennen habe ^.
Denn dadurch waren alle schwereren Fälle dem bischöflichen Ge-
richt vorbehalten. In derselben Richtung bewegten sich die Ver-
fügungen, die den Archidiakonen das Recht absprachen, das Inter-
dikt zu verhängen*. Anderwärts entzogen die Bischöfe den Send-
gerichten einzehie Kategorien von Verfehlungen : in Konstanz und
Augsburg die Ehesachen, in Würzburg den Kirchenraub, die Hä-
resie und ähnliclie Verbrechen, überhauj)t alle bischöflichen Reservat-
' A. a. O. ö. '.yj'.'j. - Schnoidt S. 305.
» Nach den Mainzer Statuten v. 1310 c. \'> 8. 17m ; v^rl. Syn. v. 1318
c. 2 S. 26ö. Nach der Aachener Ordnung erkannte dan Sendgericht bia zu
60 »olidi, § 17 S. 48.
* In Hsilher8tadt wurde Hchon 1120 die Vorhän^un^^ dos Intordiktn
den Krzdiakonen verMa^t, u. UH. I S. 113 Nr. 147; in liaHel 1297, Trouill. II
S. CO't Nr .'.Or, ; in KniMtnn/, 1327, m. iiauujgartner S. 29.
— 234 —
fället Forderte Heinrich von Köln von den Pfarrern Anzeige über
verbotene Ehen. Wucher, Meineid, Ehebruch u. dgl. -, so hef auch
diese Anordnung in der Wirkung auf eine Beschränkung des
Sendgerichts hinaus. Denn die vom Oftizial behandelten Fälle
wurden dadurch dem Sendgericht entzogen. Ebenso eingreifend
war der AViderspruch der Laien. Schon im 13. Jahrhundeit
lehnten in Gent die Sendzeugen ab, Unzucht zu rügen ^. In Mil-
tenberg am ]\Iain wurde dem Send auch das Urteil über falsches
Maß und Gewicht, Meineid u. dgl. entzogen*. In Köln for-
derten die Bürgermeister und Schöffen für jeden einzelnen Fall
die Feststellung, ob das bürgerliche oder das geistliche Gericht zu
entscheiden habe^ Nach Stadtrecht galt in Goslar die Klage
eines Bürgers gegen einen anderen vor dem geistlichen Gericht
als schlechthin unzulässig: wer sie erhob, mußte die Stadt räumen".
Das alles waren lokale Anordnungen oder Ansprüche ohne allge-
meine Giltigkeit. Aber in dem allen wirkte die gleiche Tendenz:
Zurückdrängung des Sendgerichts. Das Bestreben der Bischöfe,
die eigene Jurisdiktion auszudehnen, und die Abneigung der Bürger
gegen das geistliche Rügegericht wirkten, so verschieden sie waren,
als verbündete Kräfte. Die alte Institution konnte nicht unge-
schädigt aus diesem Ringen hervorgehen.
Ihr Rückgang war unvermeidlich. Da es nicht gelang, sie auf
das seelsorgerliche Gebiet hinüberzuführen, so wurde sie zu einer
Parallele des bürgerlichen Gerichts; nur daß im Sendgericht die-
jenigen Vergehen bestraft wurden, deren unmoralischen (^harakter
das allgemeine Urteil zwar anerkannte, nicht aber deren Strafwürdig-
keit. Darin lag der schwächste Punkt der ganzen Institution: sie
stand in einem gewissen Gegensatz gegen das Rechtsbewußtsein
des Volks. Der neue Charakter, den das Sendgericht annahm, be-
wies sich schließlich auch darin, daß es wie das bürgerliche Ge-
' Baum^artner S. 29 f.; Augsb. Stat. v. 1855 c. 18 S. 90. Schnoidt
S. 211, Kefonu. eccl. iudiciorum v. 1342; S. 806 Statut, v. 1422.
- Bonner Syn. v. Febr. 1330 c. 2 S. 806; wiederholt auf der Herbst-
syn. dess. .1. c. 1 S. 308f. ÄhnHche Vorschiitt in Utrecht 1350 S. 361.
' Vpl. Kp. pont. III S. 152 Nr. 181.
* Stildtechron. XVIIl S. 235; hier wurde nur gerügt ,was elich und
ander geistlich sach anget als eebrecheo, zauberniß oder der nit recht
zeheni, und offelich wucher. Zu vgl. der Eid der Braunschweiger Send-
schöffen, ÜB. d. St. Braunschweig I S. 98 Nr. 52, u. das Weistum v. 1300.
II S. 226 Nr. 453: Opponbare unkuscheit unde oppenbare undersat unde
oppenbare woker unde al dat weder der kerstenheit si.
* Vgl. den Kölner Schiedsspruch v. 1258 Nr. 31 S. 388.
° 0. Göschen, Die Goslarischen Statuten, Berlin 1840, S. 69,25.
— 235 —
rieht Geldstrafen verhäDgte. Das war eine Neuerung. Im 9. Jahr-
hundert hatte es fast nur kirchhche Pönitenzen aufgelegt^. Aber
die Bußredemptionen bildeten die Brücke, über welche die Geld-
strafen ihren Einzug hielten'-. Sie verdrängten im Verlaufe die
kirchlichen Pönitenzen gänzlich^. Für die Bedeutung des Send-
gerichts war dieser Wandel vollends verhängnisvoll. Denn dadurch
verlor es seinen Wert für die Bekämpfung irreligiöser und
unmorahscher Handlungen. Klar ist aber, daß die Entvvickelung
des Sendgerichts völlig der allgemeinen Entwäckelung der Kirche
entsprach: das Recht trat an die Stelle der Religion.
Der Rückgang der Gewalt der Erzdiakone führte von selbst
zur stärkeren Betonung des bischöflichen Aufsichtsrechts auch ihnen
gegenüber ^ Besonders bezeichnend ist, daß die Bischöfe sie in
der Bestellung von Unterbeamten nicht frei schalten ließen. In
Lüttich wm'de ihnen verwehrt, Ruraloftiziale zu ernennen'^. In
Würzburg beschränkte Bischof Wolfram 1330 die Befugnisse ihrer
Offiziale außerhalb Würzburgs auf die Entscheidung von Bagatell-
sachen^. Die Reform der geisthchen Gerichte durch Bischof Otto
1342 brachte die Anordnung, daß niemand zu einer Richterstelle
zugelassen werden dürfe, der nicht durch eine bischöfliche Kom-
mission für fähig' erklärt sei". Die Statuten von 1407 und 1422
fügten weitere Beschränkungen hinzu ^; besonders versuchte Jo-
hann II. das Einschreiten der Archidiakone auf die im Sendgericht
erhobenen Klagen zu beschränken ^ Das alles bedeutete eine ganz
erhebliche Zurückdrängung ihrer richterlichen Tätigkeit.
Höchst bedenklich für das ganze Amt war, daß die Bischöfe
begannen, es als Kommende zu vergeben ^^. Denn die Inhaber
1 Vgl. Regino II, 5, 38 S. 211; Vita I. Godeh. 28, Scr. XI ö. 188; Augsb.
Sendrecht vom Pfarrer: Canonicam excipiat correptionem, Steiner S. 6.
- Zuerst neben der Buße; so in dem kleinen Sendrecht, ZKR. IV
S. 162, u. in der Ordnung für Kaltenborn v. 1120, ÜB. d. H. Halberstadt i
S. 114 Nr. 147.
' Die Aachener Sendordnung v. 1331 kennt fast nur Geldstrafen.
(?ber den Krfolg derselben urteilt die Trierer Syn. v. 1238: Cum adulteri
. . pecuniaria poena persoluta minus timeant reclinaro, c. 35 S. 561.
* Vgl. z. B. Prager Syn. v. 1366 c. 9, Höfler S. 12.
* Syn. V. 1287 c. 14, lo S, 702 unter Voraussetzung der Lesung ruralos
officiales.
• C. 5 S. 311. -^ Schneid t S. 20i;.
- Syn. V. 1407 c. 6 S. 249, Stat. v. 1422 S. 287.
• A a. 0. S. 307: Nisi fuerit in sinodo denunciatus vel diffamatus vol
notabiliter nuspectuH.
'*» Vgl. Hilling S. 74 f.
— 236 —
von Kommenden besaßen ihre Amter nur auf" Zeit und waren zur
Rechenschaft über die Verwaltunj^ ver[)flichtet. Noch darüber
hinaus ging, daß Albrecht II. von Halberstadt einen x\rchidiakonat
selbst in Verwaltung nahm \ Denn konseciuent verfolgt, hätte
diese Maßregel zur Beseitigung des ganzen Amtes führen müssen.
Wenn es trotzdem nicht nur fortbestand, sondern bis zum
Ausgang des Mittelalters einen Teil seiner früheren Bedeutung
bewahrte, so war das die Folge seiner Verbindung mit den Dom-
herrnstellen. Die Domkapitel waren mächtig genug, direkte An-
griffe auf den Archidiakonat, wie sie in den zuletzt erwähnten
Maßregeln lagen, abzuwehren"-.
Fast unverändert ist in die letzten Jahrhunderte des Mittel-
alters das Amt der Ruraldekane^ übergegangen. Es hing, mit der
Zurückdrängung des Archidiakonats zusammen, daß der Episkopat
eher geneigt war, den Einfluß der Dekane zu heben, als ihn zu
mindern. Denn da diese der eigenen Jurisdiktionsgewalt ent-
behrten, waren sie nicht Konkurrenten der Bischöfe, sondern sie
vermittelten deren Einwirkung auf die Diözese und ihre Geistlichkeif*.
Die bischöfliche Diözesanregierung ist am Ausgang des Mittel-
alters ebenso kompliziert, wie sie zu Beginn desselben einfach war:
alte und neue Einrichtungen stehen nebeneinander, sich in ihrer
Wirksamkeit bald unterstützend, bald hemmend. Aber eines wird
dabei unmittelbar deutlich: daß die Kirche zu einem firoßen .Hechts-
institut geworden ist. Daß sie Heilsanstalt sein wollte, kam fast
nur noch in der Tätigkeit der Pfiirrer zur Geltung.
Doch ehe wir uns vergegenwärtigen, wie diese sich gestaltete,
haben w^ir unsere Aufmerksamkeit der Entwickelung der Theologie
zuzuwenden.
1 ÜB. III S. 512 Nr. 2417 v. 1350.
'^ Vgl. die Hüdesh. Wahlkapitulation v. 1390, ÜB. IV S. 335 Nr. 3040
u. V. 1420 S. 599 Nr. 3379 c. 24 f.
3 Vgl. Bd. II S. 71Sf. u. IV S. 16 Anm. 4.
* Als bischöfliche Aufsichtsbeamte erscheinen die Dekane z. B. in d.
Tass. Statut, v. 1260—04 S. 461; Trier um 1275 c. 8 S. 530; St. Polten
1284 c. 30 S. 679, Basel 1297, Trouill. II S. 656 u. 665 Nr. 506 u. ö. In
Passau (a. a. 0. ({uolibet anno semel vel pluries), Eichst, c. 1290 c. 12 u.
1354 c. 10 S. 372, Augsb. 1309—31 c. 11 S. 82, Mainz 1355 S. 309 (quos
ad hoc delcgatos nostros constituimus) wurden jährlich 2 Kirchenvisitationen
durch die Dekane angeordnet. Da die Wahrnchmunjfou dem B. oder dessen
OfHzial vorzulegen waren, so konkurrierten diese Visitationen mit denen
der Erzdiakone.
Viertes Kapitel.
Die Theologie.
Die Wissenschaft ist international. Aber da ihre Entvvicke-
liing stets durch die geschichtlich gewordenen Verhältnisse bedingt
ist. so trägt auch sie fast immer ein nationales Gepräge. Selbst
die allgemeinste Wissenschaft, die Philosophie, kann sich diesem
Gesetze nicht entziehen: der französische Empirismus, der eng-
lische Deismus, die ideahstische Philosophie Deutschlands sind national
bedingte Glieder in dem großen Entwickelungsgang des mensch-
lichen Wissens. Dagegen scheint in der Theologie des Mittelalters
der Einfluß des nationalen Elementes ausgeschaltet zu sein: die
Scholastik war weder romanisch noch germanisch, sie war mittel-
alterlich. So weit es Verschiedenheiten und Gegensätze in ihr gab,
waren sie nicht durch nationale Unterschiede bedingt. Nicht der
(jegensatz der Volksart, sondern der AVetteifer der großen, über
die Schranken der Völker hinübergreifenden Mönchsorden führte
zur Spaltung der scholastischen Theologie, zur Entstehung wissen-
schaftlicher Schulen. Und doch zeigt sich bei näherem Zusehen,
daß auch in der Theologie des Mittelalters die Wirkung des natio-
nalen Faktors keineswegs völlig gebrochen war.
Den Beweis bietet Deutschland. Wir erinnern uns, daß man
hier länger als bei den übrigen Nationen sich der neuen '^riieologio
ableiincnd gegenüber stellte, daß s'w. aber schließlich durchdrang*:
seit Albert d. Gr. verstummte der Widerspruch gegen die Afethode
und gegen die liehn;n der Scholastik. Sic^ war als die kirchliche
Theologie anerkannt. Trotzdem gingen di<' Wege alsbald wieder
auseinander.
» Vgl. Bd. rv S 411 tr, 4r.r, M
— 238 —
Die AlleinherrsclKift der Scliolastik war in den romanischen
Ländern und in England nicht nur dadurch gesichert, daß sie die
kirchhche Theologie war, sondern auch dadurch, daß sie die Uni-
versitätstheologie wurde. Durch den ganzen akademischen Studien-
betrieh war die scholastische Methode geschützt. Deutschland aber
entbehrte Ins gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts der
Hochschulen. Als im Jahr 1347 zu Prag die erste Universität
in einer deutschen Stadt gegründet wurde, gab es deren im übrigen
Europa bereits dreißig. Selbst ein so unbedeutendes Land wie Spa-
nien war Deutschland zuvorgekommen ^. Der romanische Süden
gründete Universitäten auch da, wo die Bedingungen zu ihrer Blüte
fehlten; dagegen geschah bei uns der Schritt von der alten zur neuen
Schule auch an solchen Orten nicht, an denen alle Voraussetzungen
für die Entstehung einer Universität gegeben zu sein schienen.
In Köln kann man in der zweiten Hälfte des zwölften Jahr-
hunderts neben der Domschule eine Anzahl anderer Schulen nach-
weisen^. Im dreizehnten Jahrhundert wurde die Stadt Sitz des
Studiums der Dominikaner und der Minderbrüder. Auch der
Cisterzienserorden plante die Gründung eines Studienhauses in der
niederrheinischen Metropole"'. Es gab also eine Menge Lehrkräfte,
zum Teil Gelehrte von angesehenem Namen, die in Paris die
akademischen Grade erworben hatten. Die Zahl der jungen
Männer, die gleichzeitig in diesen Schulen ihre Ausbildung fanden,
wird man auf hunderte schätzen dürfen. Überdies war Köln die
erste Stadt Deutschlands, die einzige, die an Lebhaftigkeit des
Verkehrs und an Wohlstand mit den romanischen Städten wett-
eifern konnte. Dort residierte der mächtigste unter den deutschen
Kirchenfürsten, der über ein ausgedehntes, wohlhabendes, verhältnis-
mäßig geschlossenes Gebiet herrschte: alles schien zur Gründung
einer Universität einzuladen. Aber wir wissen nicht, daß im drei-
zehnten und in der ersten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts
irgend jemand sie auch nur plante. Erst 1388 wurde die Kölner
Universität gegründet. Ahnlich waren die Verhältnisse in der
mitteldeutschen Stadt Erfurt. Im zwölften ,lahrhundert bestanden
})ei den verschiedenen Konventualkirchen der Stadt Schulen, die
sich eines lobhaften Zuspruchs erfreuten. Der Wetteifer war so
groß, daß der Erzbischot" Konrad 1., um die Eifersucht zwischen
den Schuh'n und den Orden abzuschneiden, die Bestimmunij traf.
' Palencia ist 1212 — 1214, Salamanca vor 1230 gegründet, Denifle,
Univerait. I S. 474 u. 479 f.
« Bd. IV 8. 452 Anm. 6. » S. unten.
— 239 —
daß jeder Konvent nur Schüler seines Ordens annehmen dürfe ^.
Man sollte meinen, daß dadurch der Besuch aller Schulen einge-
schränkt, also die Blüte des Erfurter Schulwesens geknickt worden
wäre. Aber diese Wirkung trat nicht ein. Im dreizehnten Jahr-
hundert erließen die drei Kollegiatstifter, St. Maria, St. Severus
und die Augustinerchorherrn, eine gemeinsame Schulordnung-.
Sie eröffnet einen, wenn auch nur beschränkten Einblick in den
Schulbetrieb und in manche Schwierigkeiten, mit denen man zu
kämpfen hatte. Man wollte um diese Zeit etwa tausend Schüler in
der Stadt zählen ^; im nächsten Jahrhundert galten die Erfurter Schu-
len als am meisten besucht unter allen Schulen in deutschen Landen.
Man sprach wohl von dem studium generale artium Erfordense^
Aber eine Universität war Erfurt nicht und wurde Erfurt nicht vor
dem Ende des vierzehnten Jahrhunderts. Bis 1392 lehrte man dort
nur die artes, aber weder Theologie noch Rechte noch Medizin.
Die späte Entwicklung des Universitätswesens wurde für die
Geschichte des geistigen Lebens in unserem Vaterland höchst
folgenreich. Wodurch war sie bedingt? Niemand wird im Ernste
glauben, daß sie sich aus der Wanderlust der deutschen Jugend
erklärt''. Oder soll man vermuten, daß die Lust zum Studium
und die Freude am Wissen im deutschen Volk erlahmt war?
Aber die Menge deutscher Studenten und die nicht unbeträchtliche
Zahl deutscher Lehrer in Paris, Bologna und anderwärts wider-
sprechen zu bestimmt, als daß diese Annahme zulässig wäre. Da-
gegen ist unverkennbar, daß in der Tat der Schwerpunkt des
Kulturlebens seit dem zwölften Jahrhundert sich A^om Norden
wieder nach den Ländern am Gestade des Mittelmeers zu vorlegen
begann. Eine Wirkung davon, die sofort zur Ursache wurde, ist
das rasche Aufblühen des Universitätswesens in Italien und Frank-
reich. Daß der dort gegebene Anstoß in Deutschland nicht fort-
wirkte, dazu trugen sehr verschiedene Ursachen bei. Ein Grund
' ÜB. d. Stadt Erfurt I 8. 22 Nr. 50. DeniHe 1 S. 403 schreibt den
»laß dem 1183 verstorbenen EB. Christian I. zu und verlegt ihn trotzdem
ins J. 1184. Daß er Konrad I. angehört, ist sicher, das Jahr ist ganz un-
gewiß.
- HerauHgegoben u. erläutert von Grauert, H. IB. 1910 S. 249ti. Außer
in den .Stiftnachulen wurde in Erfurt auch in den Klöstern gelehrt, 8.
(irauert S. 269 f.
■» Nicol. de Bibera, Carm. satir. v. irißG— 1599, GQ. d. l'rov. Sachsen 1,2
S. 90 fr.; vgl. Nikol. V. Siegen, Chroo. ecci. zu c. 1239 S. 354.
* Deniflo S. 406 f.
"* So DeniHe S. 751, vielfach wiederholt, /, B. von Felder, Studien itn
Fr.O. S. 245
— 240 —
lag in den Rechtsverhiiltnissoii Doutschlands. Das Studium der
sieben freien Künste und die theologische Unterweisung waren auch
hier üblich und notwendig; dagegen bestand kein Bedürfnis für das
Studium des römischen Rechtes. Damit entfiel eine der Ursachen,
die wenigstens in Italien über den bisherigen Studienbetrieb hinaus-
gedrängt hatten. Denn gerade die Rechtsschulen bildeten dort das Rück-
grad der werdenden Universitäten ^. Auch daß das Städtewesen
in Deutschland sich langsamer und unter größeren Schwierigkeiten
entwickelte als im Süden, kommt in Betracht: es fehlte einer der han-
delnden Faktoren. Das emporkommende Landesfürstentum konnte
diesen Mangel nicht ersetzen. Denn es richtete seine ganze Energie
zunächst, auf die Bildung und Befestigung des Territoriums und
auf den Erwerb und den Ausbau der Landeshoheit. Das König-
tum endlich war seit dem Tode Heinrichs VI. so geschwächt, daß
von ihm ein förderndes Eingreifen nicht ausgehen konnte. Was
Friedrich II. in Neapel tat, war ihm und seinen Nachfolgern dies-
seits der Alpen unmöglich.
So blieb Deutschland länger als die übrigen Länder Europas
ohne Hochschule. Die Folge war nun aber nicht, daß der Einfluß der
Universitätstheologie auf DeutschlaTul überhaupt abgeschnitten wurde.
Dazu war der geistige Austausch zwischen den verschiedenen Kultur-
ländern zu lebhaft. Männer, die ihre Studien an einer der Universitäten
der romanischen Nachbarländer gemacht hatten, fand man unter dem
deutschen Klerus überall. Besonders trugen die Domkapitel Sorge,
daß ihren Gliedern der Besuch einer Universität möglich wurde.
Sie entbanden sie für die Studienzeit von der Residenzpflicht'-.
Ahnliche Anordnungen trafen andere Kollegiatstifter^. Bonifaz VII] .
gewährte auch den Pfarrern zum Zweck der Studien die größten
Erleichterungen: Dispens von der Priesterweihe für sieben Jahre
und das Recht, die Pfarrei durch einen Vikar versehen zu lassen^.
1 Vgl. Denifle S. 696.
- Vielfach bezeugt; z. B. tür Lübeck, ÜB. I S. 178 Nr. 163; Münster,
Westf. ÜB. III S. 352 Nr. 672; Paderborn, IV,3 S. 1028 Nr. 2265; Minden,
VI 8. 56 Nr. 207; Würzburcj, M.B. XXXIX S. 424 Nr. 209: Halberstadt,
ÜB. II S. 81 Nr. 705. Die rechtliclio (-Irundlaffe gab der Erlaß Honoriua' III.
Super specula, Decret. Greg. IX. V. 5, r> .
^ Das Kap. v. Limburg a. d. L. beschloß 1331 «aliarura ecclesiarura tarn
Treverenaia quam Mognntine civitatum et dyocesium exemplis, 1. daß dio
AnfcTononimenen in der Schule des Stifts zu unterrichten seien, 2. daß sie
nach der Kmancijtation sich zu einem 2jährij^en Studium an ein Studium
generale zu begeben hätten, Sauerland II S. 407 Nr. 2039.
* M.B. XXXVIII S. 190 Nr. 107 v. 1298, von Johann XXIL 1325 er-
neuert, Wirt. GQ. II S. 381 Nr. 19.
— 241 —
Am Aveiiigsten blieben die Mönche den Universitätsstudien fremd:
man weiß von Benediktinern, die den Magistertitel führten i, von
Cisterziensern. die in Paris studierten -. Besonders den Bettelorden
galt Paris als die Heimat der Wissenschaft: Dominikaner und
Minoriten sandten jahraus jahrein eine Anzahl ihrer jüngeren Mit-
glieder, sei es zum Lehren oder zum Lernen, dorthin. AVie viele
Jünglinge endlich suchten auf eigene Hand an fremden Universitäten
die Unterweisung; die sie in Deutschland nicht erlangen konnten. Sa
bildeten sich die mannigfaltigsten Beziehungen zu den Pflegestätten
der wissenschaftlichen Theologie. Dazu kam der Einfluß der theo-
logischen Literatur. Man darf die Bedeutung der Bücher in dieser
Zeit gewiß nicht überschätzen: ihr Besitz war immer noch das
Privilegium der Reichen. Aber es wäre ebenso irrig, den Einfluß
des gesclu-iebenen AVortes zu leugnen. Wenn ich mich nicht
täusche, hat in der Theologie zuerst im dreizehnten Jahrhundert
das neue Buch in der allgemeinen Schätzung das alte überholt.
Man kann leicht die Bemerkung machen, daß Stifter und Klöster
fast überwiegend neue Literatur erwarben. Im Kloster Weingarten
z. B. wurde durch den Abt Berthold die Bibliothek nicht unbe-
deutend vermehrt. Aber unter den Zugängen war nicht eine ein-
zige Schrift eines Kirchenvaters. Ein Mönch, der im Kloster
Garsten lange Jahre an das Abschreiben von Büchern wandte,
hat gleichfalls von der älteren Literatur ganz abgesehen. Er
schrieb mit Vorliebe scholastische Werke, während Berthold von
Weingarten Bernhard allen anderen vorzog 'K Diese Beispiele sind
nicht typisch. Aber daß dergleichen vorkam, ist gleichwohl be-
zeichnend. Es bestätigt die gelegentlich ausgesprochenen Klagen,
daß die Alten keine Leser mehr fänden '*. Dagegen waren die
Werke des Thomas auch in ziemlich unbedeutenden Klöstern zu
finden'^. Der Büchererwerb wurde durch die steigende Wohl-
' z. B. in Admont, s. Wichner, Kloster Admont S. 34f.
- Heinrich v. Nördlin{?nn, Bf .S2 S. 218, 47: Ich (gab) das buchlin . .
.loni Htiidenten, ir ainem der nun von Parisz komen ist zu Kaishoim.
Wirt. ÜB. III S. 488 Nr. 28; Berthold starb 1232. ÜB. d. L. o. Enns
VI S. 37 Nr. 31 v. 13:^1.
' Der Chorherr v. Beroinünster, Rudolf v, Liebonegg, ^jest. 1332, macht
in beinern Pantorale novelluni die Bemerkung', <hiB die Werke der Alton
j)ro gravitat« Hui, jjro defectuve libroruni selten gelescm, noch aoltener vcr-
Mtanden und am HeltenHten beobachtet würden. Auszüge aus dem unge-
druckten Werk bei Kranz, Messe S. 486 fl'.
•• Rechnungsbuch v. Aldersbach 1333—34: Der Schreibor der Summa
ctra gentiles erhftlt 11 ko1„ C^uell. n. Krürt. I S 472. (iarsten erhielt 1331
IlauPk, KIrchengeiKshJchf»» V. 1^*
242
babcnheit Deutschlands gefördert. Es gab Bibliotheken nicht nur
in den Bischofshöten und den Klöstern, sondern da und dort auch
in Pfarrhiiusern \
Durch das alles ^vurde verhütet, daß Deutschland die Fühlung
mit der Fortentwickelung der Theologie verlor. Aber dadurch wurde
die Tatsache nicht aufgehoben, daß es Pfiegestätten der Wissen-
schaft, die sich den Universitäten an die Steite stellen konnten, in
Deutschland nicht gab. Nirgends wurde die Theologie berufsniiißig
in derselben Weise gelehrt, wie in Paris oder Oxford. Nirgends
konnte der Theologe die akademischen Grade erwerben und konnte
er in die eigentlich wissenschaftliche Lehrtätigkeit eintreten. Deutsch-
land entging der fördernde Einfluß, der stets von den Mittelpunkten
der wissenschaftlichen Arbeit ausgegangen ist. Die Wirkung er-
streckte sich nicht nur auf das Lehren und Lernen, sondern sie
traf auch die literarische Tätigkeit. Nichts fördert die Forschung
so sehr wie das Lehren und durch nichts wird die Lust zum
literarischen Schäften so sehr geweckt wie durch den Unterricht.
Da der deutschen Theologie die hohen Schulen fehlten, so er-
lahmte die Produktivität. Seit Albert d. Gr. versch^vinden für
lange Zeit deutsche Namen fast vollständig aus der Geschichte der
Scholastik. Eine Änderung trat erst mit der Gründung der Uni-
versitäten ein.
Doch kommt noch ein zweiter Gesichtspunkt in Betracht. Wenn
den deutschen Theologen die Förderung fehlte, die im Besitz einer
durchgebildeten wissenschaftlichen IMethode liegt, so waren sie
andererseits auch der Einschränkung ledig, die mit diesem Besitz ver-
bunden ist. Sie konnten sich freier bewegen als die Scholastiker.
Li der Tat haben die Arbeiten der Deutscheu ein individuelleres
Gepräge. Da sie nicht schulmäßig waren, so hielten sie sich nicht
selten auf einer mittleren Linie zw^ischen der wissenschaftlichen Er-
örterung und der erbaulichen Darlegung. Um so näher lag es den
Verfassern, vom ausschließlichen Gebrauch der Gelehrtensprache
abzusehen und ihre Traktate deutsch zu schreiben. Daß Deutsch-
land im ausgehenden dreizehnten und im beginnenden vierzehnten
Jahrhundert eine Theologie hatte, die nicht scholastisch war und
die beiden Summen u. 2 Bücher des Sentenzenkonim., ÜB. d. L. o. Knns VI
S. 'M Nr. :^1.
' Testament des Scholasters Heinrich in Koblenz 1262, Görz III S. 409
Nr. 1822; des Pf. Albert v. Gmundon 134^, ÜB. d. L. o. P^nns VI S. 500
Nr. r)02; eines Priesters in Kiel 1339, Schlesw.Holst. Lauenb.Hog. III S. 591
Nr. 1019; Bestimmung über die vom Pf. zu Mühlhausen hinterlassenen
Bücher 1.341, IB. d. Stadt M. I S. 461 Nr. 937.
— 243 —
die in deutscher Sprache redete, verdankte es dem Umstand, daß
es der Universitäten entbehrte.
Man war wie früher auf die Stifts- und Klosterschulen ange-
wiesen. Es ist nun nicht zu bezweifeln, daß die alten Schulen in
den Benediktinerklöstern und den Stiftern aus der Frühzeit des
Mittelalters wenigstens zum Teil fortbestanden, die Domsclmlen
wahrscheinlich alle\ In manchen wurde auch ernsthaft gearbeitet,
Zeuge dessen sind die Bemühungen des Magisters Konrad von
Muri, des Schulmeisters am Chorherrenstift in Zürich, um die
Fördening seiner Schüler-. Aber das Sinken der alten Schulen,
das schon im Laufe des zwölften Jahrhunderts begonnen hatte*",
war nicht aufzuhalten. Man kann geradezu sagen, daß sie durch
den Bestand der Universitäten herabgedrückt wurden. Da die-
jenigen Stiftsherren und Mönche, die theologische Bildung er-
strebten, sie an den Universitäten suchten, so wurde das Lehrziel
der stiftischen Schulen tiefer gesteckt als früher*. Einführung in
die wissenschaftliche Theologie wurde wohl nirgends mehr erstrebt.
Auch die Pflege der allgemeinen Bildung ging zurück; es fehlt
nicht an Notizen, die auf einen fast unglaublichen Tiefstand der-
selben selbst bei Domherren schließen lassend
Kein Wunder, daß man Stiftsherren und Benediktinern unter
den Theologen dieser Zeit nur selten begegnet. An literarischer
Tätigkeit fehlte es in den Stiftern nicht ganz. Konrad von Muri
ist eben genannt. Er hat eine ganz unglaubliche Zahl von
lateinischen Versen gemacht. Aber seine Werke standen fast aus-
schließlich im Dienste des Schulunterrichts'"'. Ein Augustinerchorherr
* Vgl. die oben S. 240 Anm. 8 angefühlte Stelle. In Worms bestä-
tigten 1260 das Domkapitel, St. Paul. St. Andreas und St. Martin die von
ihren Scholaren erlassene Schulordnung, Boos, Quellen T S. 196 f.
- G. V. Wyß, Allg. Deutsche Biogr. XXIII S. oTf. L. Rockinger in
Quellen u. Erörter. IX S. 405 ff. ; 8. 417 ff. ein Auszug aus der Summa de
arte prosandi.
» Vgl. Bd. IV S. 449 ff.
* Vgl, z. H. Mainzer riewohnheiten S. 9; Statut KU. Gorlachs v. 1355
bei Würdtwein, Subsid. I S. 173 Nr. 14; hiernach sollte der Kanoniker bei
der Entlassung idoneuR in legendo et cantando sein, S. 177; Halberst. Stat.
V. 141H (?) ÜB. IV S. 546 Nr. 3311: ut ceromonias chori addiscant. Die
4. LateranMyn. verlangte für die Motroi»olitankirchen einen Theologen, dir
die übrigen Kathedral- u. die Stiftskirchen einen Lehrer der (irammalik, c. 11.
* Von den 18 Mindener Domherrn vermochten i. .T. 1294 drei nicht
zu schreiben, Westf. IIB. VI S. 483 Nr. 1523. In Stiftern ii. Kittstern kam
Ähnliches vor, i. J. Bninner in der FcHtgabo für Biidinger, 8. 264.
" Eine Ausnahme bildet d«!r angedruckte Libelliis dn HatTamontiw. Kr
itt nach v. Wyü eine PastoraJun Weisung zur Verwaltung der Sakramente.
16*
— 244 —
war Nikolaus von Bibra, ein eckiger, charaktervoller Kopf mit
eigenen Gedanken. Aber auch er schrieb nicht als Theolog; er
ist dei' bedeutendste Satiriker des dreizehnten Jahrhunderts \ Dom-
herren waren der hervorragende Jurist Johann Zemeke, dem man den
Beinamen Teutonicus gegeben hat-, und der als politischer Schrift-
steller bedeutende Jordan ''\ Der erstere gehörte dem Halberstädter,
der letztere dem (Jsnabrücker Kapitel an. So wurde dies und
jenes produziert; aber das theologische Feld lag brach. Nur der
Chorherr von Beromünster, Rudolf von Liebenegg. griff nach einem
theologischen Gegenstand. Sein Pastorale novellum ist eine Art
versifizierter Pastoraltheologie. Aber Neues enthält es trotz seines
Titels nicht*. Bei dieser Lage der Dinge erstaunt man fast, dal')
der Magister am Hamburger Domstift, Dietrich Bavarus, den ]V[ut
hatte, eine eigene Theorie über das Heilige Abendmahl auszu-
bilden. Er erneuerte die streng sinnbildliche Fassung und suchte
sie in fast bizarrer Weise dadurch mit dem kirchlichen Dogma
von der Transsubstantiation auszugleichen, daß er die letztere in
das Jenseits verlegte: die Engel tragen die geweihten Elemente zum
Himmel, wo sie sich in Leib und Blut des Herrn verwandeln.
Dietrichs Lehre erregte Anstoß; man verhandelte auf einer Synode
des Erzbistums Hamburg-Bremen über sie. Aber der Erzbischof
Hildebold untcrheß, gegen ihn einzuschreiten : er war sein ausge-
sprochener Gönner. Um so schroffer handelte Clemens IV.: er
forderte, daß Dietrich seine Lehre öffentlich abschwöre"^.
Unter den Benediktinern dieser Zeit hatte Engelbert von
Admont den angesehensten Namen als Gelehrter". Aber n- ist
' Carmen satiricum, herausgeg. v. Th. Fischer, GQ. d. Prov. Sachsen
1,2, 1870.
2 Schulte, Gesch. der Quellen ii. Lit. des Canon. Rechts I S. 172tf.
Hinschius, P. RE, VI S. 716,i9t. In Halberstädter Urkunden kommt er von
1235 — 1241 vor. Seine Schriften stammen nicht aus dieser Zeit, sondern
sind vorfaßt, während er in ßolop^na lehrte, s. Schulte.
' Über ihn unten im 7. Kap.
* Vj2fl. oVion 8. 241 Anm. 4.
•'' Wir wissen von dem Vorgang: nur aus einem Erlaß Clemens" IV. v.
12r,7 bei Rainaldus /. d. .1. ij 39 S. 203.
'■' Enfjelbert pfibt über seine literarische Tätigkeit Auskunft in der
opistola de studiis et scriptis suis. ?iine Gesamtausgabe fehlt, (iedruckt
sind die Ep., die Schriften de causis longaovit. u. de gratiis Mariae bei
Pez, Thesaur. 1,1 S. 429if., de lib. arbitr. IV,2 S. 121, Specul. virtutum boi
Pez. Biblioth. ascetica 111 S. Itf.; de provid. Dei VI S 49, de pass. doiii.
sec. Matth. Vil 8. 65 (diese Schrift ist datiert v. 1327 S. 86), de statu de-
funct. IX S. 118: de ortu progr. et tine Rom. imp. in der Max. Bibl. XXV
S. 3B2tI.. de niusica l»oi Gerhert, Scr. eccl. de musica sacra, II S. 287. end-
— 245 —
keine typische Erscheinung. Man winde weit irren, wenn man
nach ihm ein Durchschnittsbild der Benediktinergelehrsamkeit des
ausgehenden dreizehnten und beginnenden vierzehnten Jahrhunderts
entwerfen wollte. Denn was er war, ist er zum geringsten Teil
durch seinen Orden geworden. Engelbert hat in hohem Alter in
einem wertvollen Brief an den Wiener Scholastikus Ulrich einen
knappen Bericht über seinen Studiengang gegeben, eine der seltenen
autobiographischen Aufzeichnungen des Mittelalters. Da erwähnt
er die Admonter Schule überhaupt nicht: sein wissenschaftliches
Studium begann, als er 1271 nach Prag ging, um bei den Ma-
gistern Osco und Bohemil Grammatik und Logik zu hören. Er
fand noch Größeres in Prag; denn dort führte ihn der Scholastikus
Gregor, der spätere Prager Bischof, zuerst in die naturwissenschaft-
lichen Studien ein. Die Erinnerung des Greises weilte mit Freuden
bei diesen Jahren; sie waren offenbar eine Zeit eifrigen und er-
Iblgreichen Vorwärtsdringens\ neue Erkenntnisgebiete erschlossen
sich dem Blick des wissensdurstigen Jünglings. Aber sie nahmen
ein jähes Ende. Im Winter 1274 — 1275 mußten alle Studenten
aus Osterreich und der Steiermark infolge der Königswahl Rudolfs
das stets ungastliche Prag räumen-. Die Muße, die Engelbert nun
in Admont fand, benützte er, einer ^Aufforderung des Bischofs
Johann von Chiemsee folgend, zur Abfassung eines lateinischen Ge-
dichtes über Rudolfs Wahl: es ist seine erste hterarische Arbeit".
Aber seines Bleibens war noch nicht in seiner klösterlichen Heimat.
Er zog, um seine Studien zu vollenden, zum zweitenmal aus, dies-
mal über die Berge. Er wandte sich der im Aufblüiien begriffenen
Lniversität Padua zu. Hier studierte er unter dem Magister Wil-
lielm von Brescia fünf Jahre lang Philosophie, dann vier Jahre lang
bei den Dominikanern Theologie. Jetzt erst betrachtete er seine Bil-
dung als abgeschlossen; er kehrte nach Admont zurück. Dort wurde er
1297 zum Abt gewählt. Er starb liochbetagt am 10. April i:^27.
lieh fle Bummo bono, Dialogu« concupiscentiae et rationis, de re^imine
principum, Utruni sapienti coinpetat ducere uxorom in En^elberti opuscula
phiio80pbica, KegenHijurg 1725. Nicht weniges ist ungedruckt, anderes ver-
Bchollen. — Über Engelbert eine Bemerkung bei Job. v. Viktring V,4
S. 116 ff. Vgl. Pez in der Einleitung zum 1. Hd. Heines Thesaurus; dann
<i. Fuchh in den Mitt d. Uhi. Ver. f. Steiermark XF, 1862 S. 90; endlich
.1. Wichner, (iPMcb. v. Admont III S. 1 ff. u. S. ."ill ff. u. Kloster Admont
S. 37 ff. Hier S. 461". ein Hruchstilck eineH Brief« Engelberts an don Kl!.
Konrad IV. v. Salzburg.
' Bf an Dir.: Profeci in tantum,<|uori interhociosnon tiiiniinimus rciputiilu.s.
- Da».; Celebrato concilio . , KudoUo per apostcdicum conlirmato.
'• Da«.: Per aduentum . . Kudoli'i in Austriam, d. li. Ilorbst 1276.
— 246 —
Im Predigcrkloster zu Padua lernte Engelbert die dialektische
Behandlung theologischer Fragen kennen. Aber ein unbedingter
Bewunderer der 8ch(jlastiker ist er nicht geworden. Er schätzte
das Studium der Alten, wie er sich ausdrückt: der ursprünglichen
Werke, höher, als es bei den Jüngern der Scholastik üblich zu
werden begaini. Seine ganze Arbeit, schreibt er an seinen Freund
Ulrich, habe er seit seiner zweiten Rückkehr nach Admont daran
gesetzt, sie zu erforschen \ Nicht ohne Ironie bemerkt er dabei,
wie vieles die modernen Gelehrten ihnen verdankten, ohne daß sie
es immer für notig hielten, das fremde Eigentum als solches kennt-
licli zu machen'-. Auch mit der scholastischen Exegese war er
nicht ganz zufrieden. Er wiederholte nicht nur den eben erwähn-
ten Tadel, sondern die INfethode genügte ihm nicht; er wandte
tretend ein, man erkläre das Einzelne ohne Rücksicht auf den
Zusammenhangt
In dem allen erscheint Engelbert als ein Mann, der mit klaren,
offenen Augen in die Welt blickte, die ihn umgab. Der Benedik-
tiner wahrte sich die Freiheit des Urteils auch der herrschenden
Schule gegenüber. Aber er urteilte nicht nur, er arbeitete selbst
mit. Ein langes Leben hindurcli war er unermüdlich als Schrift-
steller tätig; nicht weniger als 33 größere und kleinere Schriften
zählt er selbst als von ihm verfaßt auf, 16 theologische' uiul 17.
die er zur Philosophia naturalis und moralis rechnete ^ Die älteste
schrieb er im J. 1276, die letzte vollendete er kurz vor seinem
Tod, 1327. Ein zusannnenfassendes Werk, das seine Gesamtan-
schauung wiedergäbe, hat er nicht geschrieben, höchstens könnte
man das Speculum virtutum als einen Al)iiß dei- Ethik bezeichnen.
^ Totum Studium meum posui ad originaha inquirenda et perlegenda.
Man wird bei den originalia an die Schriften der Kirchenväter und dio
der Alten zu denken haben.
'^ E. spottet: quod tbrsitan factum est gratia brevitatis.
" Vorrede zur Auslegung des 119. Ps., Pez. Thes. VI, 3 S. 7: Non con-
sequentor secundum continuum sensum praecedentium ad seq'ientia ipsas
(scripturas) intelligunt et oxponunt. Die Auslegung der Leidensgeschichte
ist ganz frei von Moralisieren u. Allegorisieren. Erat an den Schluß ist
eine meditatio gestellt.
* Außer den gedruckten, oben angeführton, einiges Exegetische: Aus-
legung des 119. Ps., über Joh. 1, 1; dann dogmat. Untersuchungen: de
artic. lidei, de corp. domini, de gratia salvationis et iustitia damnationis
humanae, de summo bono, do miraculis Christi, Utrum deus adhuc incar-
natus fuisset, si primus homo lapsus non esset? de sensu doloris Christi in
passione. Die Kapitel der erhaltenen Scln-iften bei Wichner 8. 519 tt.
•'• Zu den letzteren zählte Kngelbert auch seine politischen Traktate
de ortu et tine Komani imperii, u. d. regimine principum.
— 247 —
Alles übrige besteht aus Abliaiullmigeu, die bald diese, bald jene
Einzelfrage behandeln. Die Gegenstände liegen zum Teil sehr weit
auseinander: es kehren alte theologische Streitfragen wieder, da-
neben werden Probleme besprochen, die nur aus den Gedanken der
mittelalterlichen Frömmigkeit verständlich sind, wie die Frage der
unbetieckten Empfängnis der Jungfr'au^ und die nach der Be-
deutung der Ablässe. Endlich ringt Engelbert auch mit Schwierig-
keiten, die wenig mittelalterlich erscheinen; er hat z. B. die Frage
über das Verhältnis der Herrschaft des Natiu'gesetzes zur gött-
lichen AVeltregierung sich ganz klar vorgelegt'*. Im allgemeinen ist
für seine Betrachtungsweise charakteristisch, daß sein Interesse sich
mehr den anthropologischen und ethischen, als den rein dogmatischen
Fragen zuwandte "^ Am wichtigsten ist seine Methode; denn
sie zeigt, daß er nicht umsonst Schüler einer Universität gewesen
war: mochte er die alten Fragen über die menschliche Willens-
freiheit und über die göttliche Vorsehung erörtern, oder mochte er
sich um die Lösung des von ihm als naturwissenschaftlich betrach-
teten Problems bemühen, wie die verschiedene Lebensdauer der
Menschen vor und nach der Sintflut zu erklären sei, er verfährt
überall in derselben AVeise: er formuliert die Frage möglichst
genau; die Gedanken entnimmt er den Ansichten der Autoritäten;
aus der dialektischen Erörterung derselben ergibt sich die Lösung
des Problems. Es ist die entwickelte scholastische Methode des
dreizehnten Jahrhunderts, mit der Engelbert aller Fragen, an die
er lierantrat, Herr zu werden glaubte. Die Autoritäten, auf die
er sich stützte, sind die gleichen, wie bei den Scholastikern dieser
Zeit: mit Aristoteles war er so vertraut, wie Albertus oder Tho-
mas: in der Ethik schloß er sich sogar enger an ihn an als sie.
Auch sonst benützte er mit Vorliebe antike Schriftsteller: Cicero
ist kaum von einem anderen so häutig angeführt worden wie von
ihm. Daß die Bibel und die Kirchenväter reichlich verwertet sind,
braucht man nicht zu sagen. Unter den Scholastikern knüpfte er
gelegentlich an Petrus Lombardus an; dessen Detinition von Willens-
freiheit legte er den Untersuchungen der Schrift De libero arbitrio
• De gnit. et virt. b. Mar. IV, 3 S. 703 ö". Engelbert erklärt sich gegen
dio unbefleckte Kniptangniw. f ber «lio AbläHwe de Ktat. defunct. JII, 1 — 6
.S. 168Ö
- De cauH. long. hoiu. 1 .S. 441; I tnim Kit a natura Hecundinu com-
munem cursuni et naturalcni ordinoni reruui, vel ex tlivino iudicio Honun-
duni voluntateni et ordinaiioneni dei [uaeter curHum et ordinom natuniloni.
"* Freilich IhI -au bedenken, daC gerade doguiat. Schriften nicht ge-
druckt oder vorHchoIIon «Ind.
— 248 —
zugrunde^. Dagegen sind die großen Lehrer df- dreizehnten
Jahrhunderts nirgends bei Namen genannt.
Daß P^ngclbeit in seiner Methode den Schohistikern folgte,
hinderte nicht, daß auch die Vorstellungen der Mystik auf ihn Ein-
fluß übten. Sie waren ihm zum Teil durch Augustin vermittelt;
aber wie er Bernhard kannte und häufig benützte, so scheint auch
Richard von St. Viktor ihm nicht fremd gewesen zu sein. Bi*-
nierkenswert ist, daß er nicht nur einzelne Gedanken von den
Mystikern übernahm; vielmehr klingt seine Gesamtanschauung in
einen mystischen Ton aus: die Vollendung der Frömmigkeit ist
die Vita contem[)lativa-.
Engelbert war nicht der einzige Schriftsteller und Gelehrt*'
des Benediktinerordens in dieser Zeit. Man kann sicli mit der
Geschichte des dreizehnten Jahrhunderts nicht beschäftigen, ohne
dankbar des trefflichen Abtes Hermann von Altaich zu gedenken,
eines Mannes, der in der Zeit der Parteiung nicht zum Parteiraann
wurde. Auch an Theologen fehlte es nicht ganz. Wir wissen,
daß der INIönch Johann von St. Lambrecht in der Steiermark eine
Auslegung der Leidensgeschichte des Herrn und einen Traktat
über die Frage, ob es den Mönchen zustehe zu predigen, verfaßte;
er widmete die letztere Schrift Engelbert'. Vom Abt Hermann
von Korvey werden Meditationen zu den Psalmen erwähnt*. So
mag noch mancher Mönch hin und her in den Klöstern der Bene-
diktiner ein Buch in der Weise der Alteren zustande gebracht
haben. Aber dies alles wurde vergessen: es war Nachblüte einer
größeren Zeit und blieb ohne Einfluß auf den Fortschritt der
Theologie.
* De lib. arb. 7 S. 129 f. Auch in der Frage, ob im J'urgatorium
Sünden vergeben werden, erklärt er sich für Petrus gegen Hugo, de stat.
def. 11,3 S. 140 f., vgl. Sent. IV, 21 A. Auch im folgenden schließt sich K,
an Petrus an. Über die Frage: Quorum ministerio poena purgatorii intli-
gatur, äußert er sich wie Thomas; doch bin ich nicht sicher, ob eine lite-
rarische Abhänf]figkoit vorliegt. Anselm wird mehrfach zitiert, unter den
älteren Alkuin. Engelbert glaubt, daß die Bezeichnung Kardinaltugendon
;iuf ihn zurückgehe, Spec. virt. IV, 12 S. 153.
- De grat. et virt. b. Mar. 111,2 S. 694 f. Kr definiert: Contemplatio
ist purgatao et illuminatae animae elevatio . . ad videndum Deuni. Kr
zählt (), bezw. 8 Stufen der Kontemplation: Consideratio, purgatio, illumi-
natio, elevatio, intentio ( - intuitus). vipio, visionis fixio, delectatio, c. 2
S. 595. Worden i\ gezählt, .so bleüit die erste u. siebente weg.
-•^ Pez, Thesaur. 1,1 S. LXII u. LXIII, vgl. Wichner, Admont III 8. 511
Anm. a.
' Hoi Ziogelbauor. Hist. rei litt. ord. s. Bened. II S. 45 erwähnt.
— 249 —
Dieser knüpfte sich an die Arbeit der jüngeren Orden K An
der Spitze standen die Dominikaner. Die große Zeit ihrer Theo-
logie, die Jahrzehnte, in denen Albert und Thomas neben ein-
ander tätig waren, reichte tief in die zweite Hälfte des dreizehnten
Jahrhunderts hinein. Aber auch in den späteren Jahren bemerkt
man zunächst kaum eine Abnahme des wissenschaftlichen Inte-
resses"-. Die führenden Männer waren sich des AVertes einer
gründlichen gelehrten Bildung wohl bewußt. Auf der Wissenschaft,
äußerte der deutsche Provinzial Ulrich, ruht unser Orden, wie auf
einem festen Turm ^". Demgemäß wurde das Studienwesen uner-
müdlich und einsichtig gefö)'dert. Die feste Grundhige bildete die
Ordnung v, 1228; darauf bauten die Konstitutionen Raimunds von
Pennaforte^ und die Beschlüsse der späteren Cleneralkapitel fort,
nicht ohne da und dort Änderungen eintreten zu lassen.
Nach den ursprünglichen Anordnungen sollte in jedem Kon-
vent ein Lesemeister tätig sein. Diese Bestimmung wurde nicht
aufgehoben, aber sie wurde nicht mehr durchgeführt'^. Es fehlte
offenbar in Folge des raschen Anwachsens der Zahl der Klöster
an einer genügenden Anzahl geeigneter Männer. Fügte man sich
hier in Schwierigkeiten, die nicht sofort zu überwinden waren, so
war es dagegen eine bewußte Abkehr von der ursjDrünglichen Hal-
tung, daß der Orden von dem grundsätzliclien Ausschluß der philo-
sophischen Studien mehr und mehr absah. Sie wurden als Vor-
bereitung auf das theologische Studium in den Lehrgang aufge-
nommen''. Auch jetzt wieder vermied man die undienliche Zer-
* Vgl. Roger Bacon, Comp. stud. 1 S. 398, der freirich im Hinblick
auf die englischen u. französischen Zustände spricht.
- Vgl. über die Studienordnung Bd. IV S. 458 ff. Die Generalkapitel
der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts hielten an den alten Zielen fest: GK.
V. Bologna 1252, Acta! S. 65, 8 ff., Valenciennes 1259, 8. 99f.; hierS. 99,io
die Bestimmung: Diligenter inquirant priores provinciales do iuvenibus-
aptis ad studium, qui in brevi possint proficere et eos in studio promo-
veant; Barcelona 1261, S. 110,13 ff.; Lyon 1274, S. 174. 23 ff.; Paris 1279,
S. 202,180'., vgl. Analecta h ord. I'raed. HI S. 171 ff. do studontil)us.
* Finke, Dominikanorbriefe Nr. 67 S. 94.
* 123«— 1240, c. 11,14 ALKG. V S. 562—564.
•• Vgl. Bd. IV S. 459, diuu GK. v. Valenc. 1259 I S. 99,i7; 8. 100, sH.,
28 ff. Die Stellen zeigen zugloi';h, daB es viele Konvente ohne liektoron gab.
* Noch in den Konstit. HaimundH wird das Studium der heidnischen
Autoreu und der arte» liberales abgelehnt, im Kloster soll ausschlioBlicii
Theologie studiert werden, 11.14 8. 562. dagegen sind die piiiloKophischen
.Studien neit dem GK. v. 1259 anerkannt, s. Acta 1 S. 99,27: C^uod ordinotur
in provin<-iis qui indiguerint aliquod studium arcium vel aliquii, ubi iuvcnes
instruantur; GK. v. 1261 8. 109,aft; v. 1265 8. 129,2f,.
— 250 —
splitteruug des Uiitorrichts in vielen kleinen Schnlen. Man ver-
suchte es zunächst mit einij^en wenigen. Nach einem Beschluß
des Genendkapitels v. 1261 sollten in geeigneten Konventen
Deutschlands 2 — 3 Schulen für die vorbereitenden Studien einge-
richtet werden'. Das geschah auch. Aber man kam über diese
Zahl bald hinaus. (iregen Ende des dreizehnten .Jahrhunderts
hatten die deutschen Dominikaner sieben Studien für die Artes:
in Basel, Worms. Würzburg, Regensburg. Leipzig, Huppin und
Halberstadt, dazu zwei in Osterreich und Brabant. Die Zahl der
Studenten war mäßig: an jeder Sclude im Durchschnitt nicht mehr
als sechs-.
Die theoh)gische Schule in Köln blühte weiter'^. Sie wurde
12()6 wiederholt als Generalstudium anerkannt*.
Diese Schulen genügten für die Dauer dem Bedürfnis nicht.
Im Laufe des vierzehnten Jahrhunderts trat eine beträchtliche Ver-
mehrung ein. Die große deutsche Ordensprovinz wurde im J. 1303
in die neuen Provinzen Saxonia und Teutonia zerlegte Die erstere
hatte 1379 in acht Konventen theologische Studien, nändich in
Magdeburg, Halberstadt, Eiseiuich, Soest, Lübeck. Leipzig, Leeu-
wardcn und Utrecht. Jedes war mit zwei Lehrern, einem Lektor
und einem Sentejitiarius, l)esetzt; die Zahl der Studenten schwankte
zwischen 4 und 8. Dazu kamen sieben Studien für Philosophie
und sechs für die Artes. Jene befanden sieb in Halle. Jena.
Minden, Stralsund, Strusberg, Zütfen und Norden, diese in (jiöttin-
gen, Braunschweig, Bremen, Warberg, Hamburg niul Seehausen''
Die Zahl der Studien in der deutschen Provinz war am Ende des
' Acta l S. 109,28. Der Beschluß ist Ausführung des älteren von 1259,
S. 99,27.
- S. das von Finke, KQS. VIII S. 374 tf. mitgeteilte Protokoll eines
deutschen Prov.Kap., das Finke mit guten Gründon in die Jahre 1284— JSlS
verlegt. Ktwas später bestand ein studium artium in Kolmar; es wurde
infolge der Kriegszustände nach Zürich verlegt, ZGORh. N.F. V S. 537 Nr. 3.
■' Doch machte die Erhaltung Schwierigkeiten, GK. v. 1251 1 S. 59,28ft'.
* GK. v. Trier I S. 135,20; über don Besuch durch nicht-deutsche
Studenten, s. GK. v. 1289 S. 250,3Gtf.
■' Die Teilung wurde 1289 auf dem GK. zu Trier in Angriti genommen.
Acta 1 S. 249,9; auf den GK. zu Köln 1301 u. Bologna 1302 gebilligt,
S. 304 u. 313, endlich auf dem GK. zu Besanvon 1303 vollzogen, S. 319.
"* Prov.Kiip. V. 1379, Finke a. a. 0. Die Zahl der studia artium war
möglicherweise größer. Mit Seehausen bricht Finkes Ihuchstück ab. Das
Kap. V. 1396-1400, S. 38«>tf. verglichen mit dem v. 1379 lehrt, daß die
Schulen vielfach wechselten, ottenbar je nach dem Bedürfnis. Es hat
10 theol. Schulen.
— 251 —
vierzehnten und Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts bedeutend
größer; sie behef sich auf ungefähr 25 theologische, die in der Regel
mit zwei Lehrern besetzt waren, und einige für die Artes und
Naturwissenschaften^. Dazu kamen noch etwa 12 Hausstudien
mit einem Lesemeister an der Si)itze. Auch die Zahl der Studen-
ten war etwas größer; doch lassen sich bestimmte Zahlen nicht
angeben '-.
Der Unterricht in diesen Schulen, mit i^usnahme der Haus-
studien, scheint auch solchen zugänglich gewesen zu sein, die dem
Orden nicht angehörten '^
Als Sitz der streng wissenschaftlichen Studien galt wie früher
die Universität Paris. Nach Albert haben von deutschen Domini-
kanern Dietrich von Freiberg und Eckhart dort gelehrt*. Da
jede Provinz das Recht hatte, drei Brüder in Paris studieren zu
lassen'', befand sich stets eine Anzalil deutscher Predigermönche
an der dortigen Universität.
Der vollständige Studiengang gestaltete sich folgendermaßen:
er Ijegann mit einem dreijährigen Studium der Logicalia, dann
folgte das zweijährige Studium der Naturalia. Hierauf erst be-
gann das Studium der Theologie. Es dauerte zwei Jahre. Nur
wer diese sieben Studienjahre absolviert hatte, durfte an ein General-
studium gesandt werden *\ Der theologische Kurs umfaßte das
Studium der Bibel und der Sentenzen. Man pflegte die beiden
übhchen Formen der Unterweisung, die lectio und die disputatio '.
Die letztere wurde besonders betont: sie bildete gewissermaßen
deFi Gii)felpunkt des Studienbetriebs. Dazu kam ,noch die kur-
* Die von Reichert, RQS. XI, 1897, S, 302tf. bekannt gemachten Akten
der deutschen Prov.Kap. v. 1400, 1401 u. 1402 verzeichnen, wenn man auch
1400 u. 1402 die von Aachen an aufgezählten Lektoren als lectores con-
ventuum betrachtet, 24, 25 u. 26 theol. Studien, Die meisten Namen
kehren in den 8 Verzeichnissen wieder. Stiulia artium et naturarum werden *
3, 4 u. 5 genannt.
* Sie lassen sich nicht angeben, da die Verzeichnisse mit etc. zu
schließen pflegen; aber schon di(! iingegobonen Namen sind ziihlreicher als
in der sü-chs. Provinz.
' So war es wenigstens in Paris, Chart, univ. Paris I 8. 25;^ f. Nr. 2'iO;
vgl. Hoger Bacon, Comp. stud. 5 S. 428 f.
* Verzeichnin der Pariser Magister, AF.KG. II S. 210 u. 211.
'• Konstitutionen KaimundH 11,14 S. 502 f.; vgl. die Pestimmung iilxn-
die Abordnung zum Magixtcriunj nach Paris, (jK. v. 1204 I S. 125,16 11'.
" GK. V. 1325, Acta II S. 157 f.
" Roger Hacon, OpuH tort. 75 S. viOIi: Studium . . in ioctioiM^ ei (liMpu-
tationo consistit. Math. Par. Cron, mai. / l'-'55, Scr XXVIII S. :;r.5, a: Su-
speDsiM leccioniboM et disputaiionibus.
— Ziyz —
sorische Lesung von Soliril't luifl Sentenzen. Sic la«^ den Bacca-
larii ob ^.
In den Hausstudien lierrschte ini l'nteiseliied liiervon die
jnaktisclie. auf die Seelsorgetätigkeit gerichtete Unterweisung-.
Mit der Regelung der Studien ging ihre Überwachung Hand
in Hand. Schon die Konstitutionen Raimunds von Pennafbrte ver-
wehrten jede Abweichung von dem überlieferten Schriftverständ-
nis'". Vollends j)ubliziert durfte nichts werden, was nicht voi'her
gepi-üft und gebilligt war^.
Wie gestaltete sich nun das wissenschaftliche Leben in den
Predigerklöstern in der Zeit zwischen Albert d. Gr. und der Be-
gründung der ersten Universitäten in Deutschland?
Albert wirkte bis weit über die Mitte des dreizehnten Jahi-
hunderts hinaus. Die Deutschen sonnten sich in seinem Ruhme:
er galt ihnen als der erste Meister in der Philosophie und Theo-
logie*'': zahlreiche dankbare Schüler blickten zu ihm auf. Aber
von einer Schule Alberts kann man nicht reden. Der Grund wird
in der wissenschaftlichen Haltung des großen Gelehrten zu suchen
sein: seine Methode war ihm nicht eigentümlich, und runde Er-
gebnisse bot er nicht viele. Diese aber sind es. die von den Schülern
aufgenommen zu werden pflegen : sie bilden die Klammern, die die
Schule zusammenhalten.
Auch Thomas hat wahrscheinlich in Deutschland nicht nni
gelernt, sondern auch gelehrt Aber die Zeit war zu kurz, als
daß sie für den Einfluß seiner Theologie hätte bedeutend werden
können. Hierfür war wichtiger, daß der Orden als solcher ihn zu
seinem theologischen Führer erklärte. Schon einige Jahre nach
seinem Tode untersagte das Generalkapitel, über ihn und seine
Schriften unehrerbietig zu urteilen, und im nächsten Jahrzehnt vei-
pflichtete der Orden seine ^litglieder insgesamt seine Lehre zu ver-
' (^K. V. 1265, Acta I S. 129,28; v. 127i< 1 S. li>7,ifl'.. vgl. 1305 11
S. 13,23tf.
- GK. v. 1259 1 S. 99: Legsmt privutas lectiones vel ystorias vel
siimmam de casibiis vel aliud huiusmodi, no fratres sint otiosi.
' S. 5ü4: Niillus fratrum legat in p.'^almis vel prophetis alium sen>uin
litteralem nisi quem sancti approl»ant.
' Kbonfalla bei Raimund sowohl für scripta l'acta wie compilatii. Vi,'l.
ÜK. v. 1254, Act. 1 S. 69; v. 1255 S. 74, i ; v. 1256 S. 78,16.
'• Heinrich v. Herford, ('hr. c. 94 S. 196: Philosophorum omniuni io-
tius cristianitatis >o\ preclarissium.s et generalis; vgl. 8. 201. l'lrich En.u'el-
berti bei Grabmann (s. u, 8. 253 Anm. 3). S. 91: Vir in omni scientia
adeo divinus, nt nostri temporis stupor et miraculuni congrue vocari possit.
— 253 -
treten \ Seitdem verdunkelte der Schüler den Meister. Obgleich
Thomas an eigenthch schöpferischem Talent Albert schwerlich über-
ragte, so liegt doch keine Ungerechtigkeit in dieser Haltung des
Ordens. Denn Thomas eignete mehr als irgend einem anderen
Gelehrten des Mittelalters die Gabe, die Gedanken verständlich zu
formulieren, klar zu entwickeln und durchsichtig zu ordnen. Da-
durch gelang es ihm die unversöhnten Gegensätze, die in seiner
Theologie vorhanden waren, zu verhüllen und den Schein einer Ge-
schlossenheit zu erwecken, die seiner Lehre in Wahrheit fehlte.
Während Albert gar manche Frage offen ließ, schien er sie alle
zu lösen. Seit 1286 wurde von allen Lektoren des Predigerordens
in Deutschland die Theologie nach der Lehre des Thomas vor-
getragen: seine Anschauungen bezeichnete man geradezu als die
gemeine Lehre-. Um so auffälliger ist es, daß unter denjenigen
deutschen Dominikanern, die sich durch eigene schriftstellerische
Tätigkeit über das Durchschnittsmaß erhoben, kein einziger als
Thomist bezeichnet werden kann. Es gab in der nächsten Zeit
nach des Thomas Hingang wenigstens in Deutschland keine
Thomistenschule.
Zu den persönlichen Schülern Alberts gehörte der Straßburger
Ulrich Engelberti". Er hat den tiefsten Eindruck von der über-
ragenden geistigen Bedeutung seines Lehrers empfangen: sein
Leben lang blickte er zu ihm als seinem Meister auf*: Vater,
Lehrer, Herr, Vormund hat er ihn wohl genannte Ein paar Briefe
an Albert, die auf uns gekommen sind, atmen den Geist des
schönsten Vertrauens, das zwischen beiden herrschte ^
Uliich war ein Mann von mancherlei Talenten: es ist die
' OK. zu Paris 1279. Acta I S. 204,19«.; zu Paris 12«6 S. 235, i ff.:
vgl. GK. zu Mailand 1278 S. 199,1 ff.
- So mehrfach bei Dietrich von Freiberg und Eckhart, s. u., auch bei
8u80, Ausgabe von Denifle I S. 288: nach gewöhnlicher Rede zu sprechen.
* Stamser Verzeichnis der Schriftsteller des PO. herausgegeb. v. Doniflo,
ALKU. II S. 240 Nr. 101: Heinr. v. Herford, c. 95 S. 204; Pinke, Domini-
kanerbriefe Nr. 43ff.; Quetif u. Echard 1 S. 356; Grabmann, ZkTli. XXIX,
1905 S. 82. Durch Finke, S. 18 ff'., und Grabniann sind dio iiltovcn Ar-
beiten über Ulrich antiquiert,
* Grabmann S. 91: Doctor iiieuK. Man nimmt an, daß Ulrich in Köln
Albert hörte, vielleicht gleichzeitig mit Thomas, Die Annahme ist nKiglich:
aber nach Finke, Bf 47 S. 80: Continuatis favoribus, quibus mo ab i|).si»iH
ordinif) cunabulis provexiHÜa, int sicher, daß die Beziehungen zwischen
boiden mit Ulrifrhs Eintritt in den Orden, also in Straßburg bogannon.
* Finko, Bf 50 S. 82.
" Finke, Bf 47, 50, 53; vgl, auch 55 u. «H.
— 254 —
Nachricht ul)eiliefert. daß er i. J. 1260 eiiio Orgel für das Straß-
hurger Münster lierstellte ^ Seine (,)rdensgenosseii hielten ihn fiir
geeignet zu einer leitenden Stellung in ihrer Genossenschaft; ol»-
gleich er ein kranker Mann war, wählten sie ihn auf dem Baseler
Provinzialkapitel von 1272 zum deutschen Provinzialprior -. Das
Bild, das die aus seiner Amtszeit erhaltenen Briefe von seiner
Berufstätigkeit geben '\ zeiirt. daß er dieses Zutrauen in jeder Hin-
sicht verdiente: er handelte ebenso klug und umsichtig, wie ge-
wissenhaft und tatkräftig, ein Nein zu sagen, scheute er sich nicht
und er war doch, wenn es sein komite, gern rücksichtsvoll. Wie er
den Großen der Welt gegenüber den rechten Ton traf, so auch
im Verkehr mit den Schwestern eines armen Klüsterleins. Dabei
war er unermüdlich in der Arbeit: der Provinzial. schreibt ein Domini-
kaner an einen Freund, ist eben dem Tod entgangen, und schon
ist er, wie gewohidich, eifrig bei der Visitation der Kloster^.
Doch zunächst war er Theolog. Eine Zeitlang wirkte er als
T^ektor im Predigcrkloster seiner Vaterstadt. Seine Arbeit hatte
erfreulichen Erfolg; nicht wenige seiner Schüler waren später als
Lektoren da und dort tätig''. Als er i. J. 1277 auf seinen Wunsch
von dem arbeitsreichen Amt des Provinzials entbunden wurde,
sandte ihn der Orden nach Paris, um dort über die Sentenzen zu
lesen''. Doch er stand am Ziele; ehe er seine Tätigkeit im der
Universität beginnen konnte, ist er gestorben '.
Ulrich hat drei größere Werke verfaßt: einen Kommentar zur
Meteorologie des Aristoteles, einen solchen zu den Sentenzen des
Petrus Lombardus und eine theologische Summa über das höchste
Gut. Die beiden ersteren sind verschollen, dagegen ist die Summa
erhalten, wenn auch bis jetzt nur in Auszügen bekannt ^
' Finke S. 18 Anm, 2. Aber die Stelle im Katalog der deutschen
Provinziale bei Jundt, Pantheisino populaire, S. 287: ein man gro/er tu-
genden und hoher kunst, wird von Grabraann mißverstanden, wenn er aus-
gCRagt lindet, daß Ulrich , Künstler" ofewesen sei, S. 99. Kunst im alten
Sinn bedeutet Wisaen, Weisheit.
- Catalogus S. 287, vgl. OK. v. Florenz 1272, Acta I S. 165,24 u. Finke,
Hf. 43—46 S. 78 tt'.
^ Finke. Bf 41]— 81. ' Finke, Bf 49 S. M.
•"' Johann v. Freiburg tut famosorum lectorum de scolis ipsius egres-
soruni Erwähnung, Grabmann S. 98.
•' GK. V. Bordeaux 1277, Acta I S. 198,36 f.; vgl. Finke, Bf 81 S. 104.
' .Tohann v. Freiburg bei Grabmann S. 98: Ante lectionum inceptio-
nem ibidem a domino est assumptus.
» Stamser Verz. S. 240 Nr. 101: Heinrich v. Herf. Chron., S. 204. Grab-
mann weist S. 317 f. nach, dat^ .Tohannes Nider, gest. 1438, den Sentenzen-
— :^oo —
Die Alllage des Werks hat kaum etwas Eigenartiges. Ulrich
gruppierte den dogmatischen Stoff, indem er mit der Lehre von
den drei göttlichen Personen die von den Werken Gottes kom-
binierte. Nur darin folgte er einem eigenen Gedanken, daß er an
die Spitze des Ganzen die Lehre vom göttlichen Wesen stellte, den
Abschluß sollte die Darstellung der Lehre von den Sakramenten
und von der ewigen Seligkeit bilden. Doch ließ Ulrichs Tod den
Plan nicht zur Ausführung kommen; sein Werk ist unvollendet ge-
blieben \
Ist die Anlage nicht gerade originell, so ist die Ausführung
um so bemerkenswerter. Ulrich sagt in der Vorrede, er werde in
seinem Werk die Erörterung der verschiedenen Meinungen ver-
meiden -, d. h. er verzichtete auf die Anwendung der scholastischen
Methode ^. Bedeutete das eine Rückkehr zur Frühscholastik ? Nichts
wäre irriger als diese Annahme. Denn in bezug auf den Inhalt
entfernte sich Ulrich weit von der fast rein theologischen Betrach-
tung, die einstmals bei ihr geherrscht hatte. Er war nicht ver-
geblich ein Schüler Alberts gewesen: sein Sinn war offen für die
philosophischen Probleme, die den Hintergrund der theologischen
Lehren bildeten. Lebhaft beschäftigten ihn die aristotelischen Ge-
danken über Form und Materie, Substanz und Accidenz, Potenz
und Akt u. a. Und doch ist auch damit noch nicbt ausgesprochen,
was dem Straßburger Theologen seine Bedeutung verleiht.
In der Theologie war von lange her ein Erbe neuplatonischer
Gedanken vorhanden. Auch in der Scholastik wurden sie nicht
ausgeschieden. Davor schützte sie das Ansehen, das Pseudodio-
nysius als Apostelschüler genoß. Aber durch Albert und Thomas
erhielt der Aristotelismus, obgleich beide nicht wenig Neupla-
tonisches festhielten, ein so entschiedenes Übergewicht, daß die Wirkung
des reinen Neuplatonismus abgeschnitten zu sein schien. Hier aber
trennte sich Ulrichs Weg von dem seines Lehrers. Die ncupla-
tonischen Gedanken gewannen für ihn eine weit größere Bedeutung,
als sie für den letzteren hatten; sie zogen ihn in ihren Zauber-
kommentar gekannt hat. Auch .loh. v. Trittenheim spricht von ihm als
vorhanden (oxtant), Catal. Hcr. ecd. (Köln l^hil) Fol. 91. Die Summa ist
vorhanden, aber angedrückt. Der Prolop steht bei Quetif I S. 8561?. ; vgl.
auch die Notiz RQS. XIX, 1905 8. 89. DankonKWorte AuH/üge gibt (irab-
mann S. 482 tt'.. nach S. 83 Anm. 5 int eine AtiHgabo der Summa von l'rof.
Kugen Müller in Straßb. in Angriil genommen. .loh. v. Triitenheim nennt
femer eine Schrift de anima, et alia nnilta
' ürabmann S. 484 tt'. « (^tM-fif I .^ .^57.
' Vgl. Grabroann S. 608.
— 256 —
kreis ^. Er ist eines der ersten Beispiele für die üljcrwiiltigende
Gewalt; die der Xeiiplatonismus auf nicht wonige Theologen des
späteren ^Iittehilters ansiihte. Damit ist die Redeutun.i; Ulrichs
für die Eiitwickelung der mittelalterlichen Theologi(^ in Deutsch-
land ausgesprochen: mit ihm hegann die Renaissance des Neupla-
tonismus. Sie hat die Herrschaft der aristotehschen Strömung nicht
gehrochen; auch wurde die mit den Schülern Alberts einsetzende
neuplatonische Richtung nie zu einer geschlossenen Schule. Gleich-
wohl verschwand sie nie ganz: sie reichte liinaus bis in die Refor-
mationszeit.
Die Kenntnis der neui)latonischen Gedankenwelt verdankte
Ulrich ohne Zweifel zunächst seinem Lehrer Albert. Durch ihn
wird er zu Pseudodionysius geführt worden sein: schon dieser machte
einen tiefen Eindruck auf ihn; er nannte ihn den großen gött-
lichen Führer-. Dann lernte er den mit neuplatonischen Anschau-
ungen durchtränkten Aristotelismus der arabischen Philosophen
kennen. Alfarabi gehörte zu seinen Gewährsmännern ". Den
hauptsächlichsten Einfluß auf ihn gewann schließlich der dem Aristo-
teles zugeschriebene Liber de causis^. Das arabische Original
dieses Buches war in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts
von Gerhard von Cremona ins Lateinische übersetzt worden''. Seit-
dem wirkte es auf die abendländischen Theologen. Albert hat es
in seinem AVerk de causis et processu universitatis kommentiert und
vielfach darauf Bezug genommen ^ Ebenso Thomas, dessen Scharf-
siim zuerst erkannte, daß hier Gedanken des Proklus. nicht des
Ai-istoteles, wiedergegeben sind'.
Im Anschluß an dieses Buch untersuchte Ulrich den Begrifl"
des Seins. Wie seine Vorlage hypostasierte er das Sein und be-
trachtete er es als die erste und die einzige unmittelbare Wirkung der
ersten Ursache ^. Das Sein allein ist durch Schöpfung, alles andere
durch Gestaltung''. Es ist in allem und vor allem, es ist reines.
' Schon Dionyaius Rvkel bemerkt über l'.: Viciotiir propeiroduni IMa-
tonicus factus, Zitat l>oi (ii;il)niaiin. 8. 625 Anm.
- Quetif S. 357. ^ Zitiert bei Grabniann S. 611 Anm. 4.
* Bardenhewer, Die ps. arist. Schrift, Über das reine Gute, bekannt
u. d. N. Liber de causis, Freib. 1882. Kr hat bewiesen, daL' dns Ruch Aus-
züge aus der o-'j'./z{t<\ii; \)z'j\fjyu7 des Proklus darbietet.
•• Bardenhewer S. 135 ff. " Das. S. 248 ft".
' Das. S. 27 1 tt.
'^ (irabraann S. 608 Anni. 2: Esse est prima et propria emanatio primi
principii. Lib. de cau«. 4 S. 166: Prima rerum creatarum est esse.
" Grabmann S. 608 Anm. 4: Solum esse est per creationem et omnia
alia sunt per informationem. I/ib. de caus. 4 S. 166. s. o.: c. 17 S. 180:
— 257 —
einfaches Sein^. Damit scheint die Verschiedenheit zwischen dem
allgemeinen Sein und Gott, dem schlechthin Einfachen, dem un-
bedingt reinen Sein, zu verschwinden. Aber wenn schon der Liber
de causis in ziemlich unklarer Weise den Pantheismus seiner Vor-
lage durch xVufnahme theistischer Wendungen verhüllt und ge-
brochen hatte, so war dies bei Ulrich in noch stärkerem Maße der
Fall: er suchte eine bestimmte Unterscheidung zwischen dem allge-
meinen Sein und dem Sein der ersten Ursache zu vollziehen und
dadurch den theistischen Standpunkt der kirchlichen Lehre zu
wahren'-.
Ein Zeitgenosse Ulrichs war Hugo Ripilin '\ Wie jener ein
Straßburger, wirkte er lange Zeit als Prior im Predigerkloster zu
Zürich. Später war er in derselben Stellung in seiner Vaterstadt
tätig. Das ist alles, was wdr über sein Leben wissen. Denn
schwerlich war er identisch mit jenem Hugo von Zürich, den das
Generalkapitel v. 1300 zum Provinzialvikar von Deutschland be-
stellte, der dann als letzter Provinzial der ungeteilten Provinz
Deutschland vorstand und im Jahre 1303 starb ^.
Von seinen Zeitgenossen wurde Hugo nicht nur als Gelehrter
geschätzt; man rühmte ihn als guten Sänger, Prediger und Maler.
Si eE8 primum dat rebus omnibus ens, tunc ipsum dat eis per modum cre-
ationis, vita autem prima dat eis quae sunt sub ea vitani non per modum
creationis, immo per modum formae. Es entspricht dieser Anschauung,
daß IT. nicht die Schöpfung des Irdischen unmittelbar durch Gott lehrte.
Es entsteht durch die instrumentalis causalitas der motoreiß orbium, Grab-
mann S. 620 Anm. 2. Thomas lehnte diese Vorstellung ab, s. Summa
theo). I q. 65 a. 4,
' Grabmann S, 608 Anm. 4: Esse in omnibus entibus; S. 609 Anm. 1:
In quantum prius eis (omnibus) est; S. 609 Anm. 3: Non est omnino purum
«icut est esse primi; S. 609 Anm. 4: Non est omnino simplex sicut esse
primi principii. Lib. de caus. 4 S. 166: Esse est supra sensum et supra
animam et supra intelligentiam, et non est post causam primam latius
neque prius causatum ipso, propter illud ergo factum est superius creatis
rebus omnibus et vohementiiis unitum. et non est factum ita nisi propter
Huam propinquitatem esse puro et uni vero.
- S. die vorige Anmerkung. Es ist aber bezeichnend, daß Ulrich
schließlich doch um den Satz nicht herumkommt, daß Gott das formale
esse omnium sei, Grabmann S. 618 Anm. 2. Thomas hat den Satz bekannt-
lich bentritten.
" Über ihn Staraser Ver/ S, 22*1 .Nr. 23: Fr. Hugo ArgentineuHis
»cripiit compendium theologiac; Do reb. Alsat. 5 H. 233: Summam focit
theologicae veritatiH. Hier auch die übrigen im Text verwerteten Noti/cm.
♦ Pfleger, ZfkThcol. XXVIII S. 435 sieht in Hugo den gloi<linaniigon
deutschen Provinzial. «h «cheint mir wenig wahrHcheinlicli.
Hanck, KircbeoKescbicbte. V. 1<
— 258 —
Für Ulis kommt er als einer der Sclirif'tstellor des Doininikaiier-
ordens in Betracht. Man -wußte laugst, daß er ein Werk über
die theologische AVahrheit verfaßte; aber erst neuere Forschungen
haben die Annahme, daß ilim das in den beiden letzten Jahr-
hunderten des Mittelalters viel gebrauchte Compendiuni theologicae
veritatis gehöre, nahezu sicher bewiesen ^
Vergleicht man sein Werk mit der Summa Ulrichs, so be-
rühren sie sich darin, daß auch Hugo die scholastische Entwicke-
lung vermeidet. Aber weit größer ist die Verschiedenheit. Beson-
ders mangelte Hugo, obwohl ihm die philosophischen Fragen nicht
fremd waren'-, das lebhafte philosophische Interesse, das Ulrich be-
seelte; sein Buch enthalt fast nur Theologie. Den Anspruch. Eigenes
zu geben, erhob er nicht; sein Ehrgeiz ging nur dahin, aus den
Schriften der großen Theologen ein brauchbares Handbuch zu-
sammenzustellen''. Die Gelehrten, an die er sich anlehnte, hat er
nicht genaimt, aber man erkennt sie leicht. Es waren Männer
des dreizehnten Jahrhunderts. Die Anlage seines Werkes und
einen Teil des Inhalts verdankte er dem ßreviloquium Bonaven-
turas'*; nicht weniges entnahm er auch der großen Encyklopädie
des Magdeburger Lektors Bartholomäus Anglicus"'. Beide waren
Minoriten. Lag in dieser Abkehr von den Lehrern des eigenen
Ordens ein unausgesprochener IVotest gegen den im Predigerorden
herrschend gewordenen Aristotelismus? Man könnte es vermuten:
denn Hugo rühmt die Theologie als die höchste Wissenschaft, die
alle philosophische S])ekulation überragt''. Aber die Vermutung
wäre nicht begründet. Auch Hugo war kein Gegner des Aristotelis-
mus: ..der Philosoph'' galt ihm so viel, wie irgend einem Scholastiker':
' Das Kompendium ist häufig gedruckt, z. 13. Alberti opcra ed. Borgnet.
Bd. 84; daß es Hugo Ripilin angehöre, vermutete Denifle, u. haben Pfleger,
ZfkTh. XXVlü S. 429ff. u. Grabmann, das. XXIX S. 321 bewiesen.
-Vgl. /.. B, 1,25 S. 28 die Tdeenlehre: II, 46 S. 71 ff. über den intel-
lectus agens et possibilis.
'^ Prolog S. 1. Er zitiert natürlich die Lehrer der alten Kirche.
Unter den m.a. Theologen am öftesten Bernhard, u. Hugo von St. Viktor,
seltener Anseimus 1,1 S. 3, Richard von St. Viktor 7,17 S. 247.
* Genannt wird Bonaventura, wenn mir nichts entgangen ist, nie-
mals; aber die Benützung ist zweifellos.
^ Kr handelt sich nicht nur um sachliches Zusammentreffen, sondern
um literarische Abhängigkeit. Man vgl. z. B. de propr. 111,2 u. Comp. II. 29.
Auch Comp. 11,30 — 34 ist zumeist Exzerpt aus de propr. 111,4—9.
0 Praef. S. 2 f.
- Vgl. z. B. 1.19 S. 22: 1,30 S. 34: 11,45 S. 71.
— 259 —
er stellte seine Autorität der Aiigustiiis gleich^. Und wie
er aus Schriften der Minoriten schöpfte, so hat er auch
die Alberts benützt: seine Lehre von den Engeln z. B. ist aus
der Summa de creaturis entnommen'-, überhaupt ist die Theo-
logie, die er wiedergibt, die dialektisch durchgebildete Theologie.
So bleibt als charakteristisch nur die fast rein theologische Haltung
und der Verzicht auf die scholastische Methode. Hugo kannte
auch mystische Theologen, den ..göttlichen- Bernhard'^, Hugo und
Richard von St. Victor, Pseudodionysius. Aber die mystischen
Gedanken sind in seinem Kompendium neutralisiert: die Probleme,
die die M}stiker beschäftigten, waren für ihn nicht vorhanden.
Die beiden Straßburger Mönche waren zwei sehr verschiedene
Männer: aber gerade ihr Nebeneinander ist, wie mich dünkt, be-
zeichnend für die deutschen Verhältnisse. Der eine zeigt, daß neue
Faktoren in die theologische Gedankenbildung eingriffen, der andere,
daß die Scholastik nicht nur durch ihre wissenschaftliche Form
wirkte: auch wer diese fallenließ, übernahm die scholastisch durch-
<?ebildeten kirchlichen Lehren.
Die Zahl der literarisch tätigen Dominikaner, die in derselben
Zeit wie L^lrich und Hugo und in den nächsten Jahrzehnten nach
ihnen wirkten, reicht nicht an die Menge der Ordensgelehrten in
den romanischen Ländern, aber für Deutschland war sie unge-
wöhnlich groß. Und noch umspannte die Ordensgelehrsamkeit die
Gesamtsumme des Wissens: wie die verschiedenen Zweige der
Theologie, so fanden im Predigerorden außer den philosophischen
Disziplinen* auch die Rechtswissenschaft"' und die Naturwissen-
^ V,5 S. 155 f. werden Augustin, Aristoteles u. Isidor als Autoritäten
angeführt.
- Vgl. Comp. 11,11 u. Summa de creat. tr. IV q. 20 S. 459.
» VII,31 S. 261.
* Im Stam.ser Verzeichnis bind genannt: Albertus Krfordensis Nr. 27
S. 229, Guido Argentinensis Nr. 65 S. 234, vgl. Quetit 1 8. 726, Gerardus
theutonicuH d. i. G. v. Minden Nr. 102 S. 240, vgl. Quetif I S. 725, als
Grammatiker Ludold Nr. 62 S. 233, vgl. S. 191 : Lutoldus frooweler Bas.,
u. Jordan Nr. 80 8. 235.
^ liurcharduB theutonicus ßcripsit Hummam iuris, Nr. 24 8. 229, vgl.
guetif I S. 466 u. Schulte, Gesch. der C^ucillon usw. 11 8. 423 f. Nach ihm
raht B.'i Summa canuum ganz auf der des Raymund; sie ist vor 1311 ver-
faßt, vgl. auch Dietterle, ZKG. XXV 8. 268; .lohannos Theutonicus Fribur-
geniii 8cri|)8it »ummas tres iuriK. Item libnini qui dicitur confos.sionale,
Nr. 39 S. 281; IUht ihn Quetif 1 8. 523; .Schulte 11 S. 419 ö.; Finke, Ale-
mannia II 8. 163 ff. Kr Mtarb 1314. Unter seinen 8chriften ist am wich.
ligHten die viel benutzte Summa confeHioruni, geschriehen zw. 1280 n 129K,
17»
— 260 —
Schaft Pflege'. Tiis ))es('hiiftigt nur die Tlieologie. Hier ist zu-
nächst bemerkenswert, mit welcher Energie man sich an die Durch-
arbeitung der in den Sentenzen niedergelegten Gedanken machte:
wir wissen von drei, vielleicht vier Kommentaren zu dem Buch des
Petrus Lombardus. die in dieser Zeit entstanden. Die Verfasser
waren Johann von Lichtenberg-, Johann von Sterngassen^ Jakob
von Metz' und vielleicht Konrad von Halberstadt'*. Die Schrift-
auslo2:iiiig trat daneben zurück: man kann nur einige Kommentare
namhaft machen''. Doch setzte Konrad von Halberstadt die von
Dietter]e S. 255. Hermanus de Minda scr. libr. de interdicto Nr. 47 S. 232.
Die Vorrede u. das Inhaltsverzeichnis gedruckt, Ztschr. f. Gesch. . . West-
falens XLV,1 S. 123 f. Kr war 1286—1290 Provinzial, a. Finke, Domini-
kanerbriete S. 22 ff., vgl. Quetif I S. 434. ?]inen deutschen Auszug aus der
Summa Johanns v. Freiburg schrieb um 1300 der Dom, Berthold, Schulte II
S. 423. Schulte rühmt seine Arbeit; vgl. auch Dietterle S. 260 u. XXVI
S. 67 f.
' (jiregorius Wienensis Nr. 68 S. 234, vgl. Quetif I S. 725.
- Nr. 18 S. 228, vgl. Quetif I S. 522. Deniflo findet Johann von Lich-
tenberg wieder in Johannes Picardi de Lucemberc, der am 3. Nov. 1310
Licentiat wurde, S. 213 Nr. 60. Sein Kommentar zu den Sentenzen ist er-
halten, s. Jahrb. f. Phil. u. spek. Theol. XVII, 1903 S. 43 ff. u. ZfkTh, XXIX.
1905 3. 98 Anm. 1; am ersteren Ort ist ein größeres Stück gedruckt,
Johann war 1308 — 1310 Provinzial von Deutschland, s, Jundt S. 288 u.
Acta cap, gen. II S. 37,25. Die weitere Notiz, er sei 1309 zum B. v. Regens-
burg gewählt, aber nicht bestätigt worden, ist chronologisch unmöglich.
Das Bist, erledigte sich erst 1313. Johann wurde vielmehr vom GK. v.
1310 ad recipiendum magisterium nach Paris gesandt, Acta II S. 48,83.
' Nr. 20 S. 228; vgl. Quetif I S. 700. .loh. ist von Denifle 1310 in
Straßburg nachgewiesen, ÜB. TII S. 206 Nr. 675; er wird als Lesemeister
bezeichnet, s. Preger S. 122; über die Predigten Jolianns, s. Preger II S. 116 ff.
* Nr. 25 S. 229; vgl. Quetif I S. 727.
^* Joh. V. Trittenheini, Catal. scr. eccl. Bl. 95 führt als Werke Kon-
rads V. Halberstadt an: Summa studentiuni, de Trivio, loctnra in Job, ser-
mones, commentarii. In den Kirschauer Annalen z. 1295. Ausg. v. St. Gallen
1690: II S. 65 nennt er ihn als Verf. eines Sentenzenkommentars u. der
Konkordanz. Die Zeit ist durch Wenck festgestellt, der einen Konrad v.
Haiborstadt als 1293 in Bologna studierend nachgewiesen hat, Forsch. XX
S. 281. Doch schreibt Wenck alles Theologische dem jüngeren Konrad zu.
Ich sehe keinen entscheidenden (irund dafür. Im .1. 1321 nahm Konrad
als diffinitor Saxonie am GK. in Florenz teil, .\cta II S. 137, ti. Mit dem
Konrad von Halberstadt, der Mönch im Predigerkloster zu Köln war u. im
Prozeß Kckharts genannt wird, ALK(i. II S. 627. war er sicher nicht identisch.
•^ Hermann Thentonicus super caniica Nr. 50 S. 232; Quet. 1, 727
Richard Theutonicas de interpretationibus hebraicorum vocabulorum biblie
Nr. 66 S. 234, Quet. 1,574. Derselbe Titel kehrt bei dem nächsten Schriftsteller
— 261 —
Hugo von St. eher begonnene Arbeit an der Herstellung einer
Bibelkonkordanz fort\ Endlich fehlte es nicht an erbaulichen
Schriften'- und Einzelabhandlungen zumeist ethischen Inhalts "'^. Von
den Schiiftstellern. die hier in Betracht kommen, mag es genügen
Nikolaus von Straßburg zu nennen. Er war Lektor in Köln, ein
im Orden und an der Kurie hochangesehener Mann. Johann XXII.
eniannte ihn 1325 zum Vikar des Generals und Yisitator in der
deutschen Ordensprovinz ^.
Unter allen genannten Schriften leistete allein die Konkordanz
Konrads der Theologie mehrere Jahrhunderte hindurch ersprieß-
liche Dienste. Aber sie war mehr ein Werk der Geduld als der
Wissenschaft. Alles andere wurde bald vergessen: es diente dem
Tag und verschwand mit dem Tag. Xur zwei jüngere Männer
überschritten die Linie dieser ZufoUsschriftstellerei und bewiesen
durch die Zahl und das Gewicht ihrer Werke, daß es noch Ge-
lehrte in Deutschland gab: Dietrich von Freiberg und Eckhart.
wieder: fr. Heinricus theutonicus debliens wilre. So schreibt Denifle; zu
lesen ist natürlich de blienswilre u. gemeint ist Blinnschweiler bei Schlett-
stadt. Ist dieser Heinrich vielleicht identisch mit dem Prior Heinrich in
Basel, de reb. Als. 5 S. 233? Gerardus theuton. bacularius, d. h. Gerhard
V. Minden, super ecclesiasten Nr. 102 S. 240, vgl. Brev. bist. ord. Praed. bei
Martene, Thesaur. VI S. 368. Hier ist ferner Johannes Christoforus von
Minden als Exeget genannt; er schrieb über die 4 Evang. u. die sämt-
lichen Briefe des Paulus. Die Notizen der Brev. bist, sind bei Heinrich v.
Herford S. 204 wiederholt, vgl. Quetif I S. 590.
' Die Konkordanz ist vielfach gedruckt; z. B. bei »Anton Kobcrger,
Dürer« Taufpaten, Nürnberg 1485.
- Hermann von Zerbst postilla super cantica, Nr. 41 8. 231; Heinrich
v. Blinnschweiler sermones de tempore, de sanctis, Nr. 67 S. 234; Jordan
postilla super apocalypsin, Nr. 80 S. 235.
* Helwicus Theutonicus, De eo quod est ma.ximum mandatum, libor
exemplorum, Nr. 43 8. 231. Denifle vermutet in diesem Helwich den Ei-
forter [-.ektor Helwich von (»ermar, von dem deutsche Predigten erhalten
.«jind. Hermann Theutonicus, d. h. wohl Hermann von Zerbst, De ascensu
cordis, de arte precandi, Nr. 50 8. 232. Richard, De virtutibus, Nr. 66 8. 234.
* Anal. Argent. I 8. 83 Nr. 69, vgl. ALKG. IV 8. 314 f. Deutsche
Predigten bei Pfeiffer I 8. 261 ff. Daß der Traktat de adventu Christi, den
NikolauM 1326 dem PapHt widmete, aus zwei 8chrifton des Johann v. I'aris
kompiliert ist, hat Denifie a. a. 0. dargetan. Nikohiu.s wurde in den ProzeU
Kckhartfl verwickelt; darüber unten. Kr behauptete «ich aber in seinem
Anieben im Orden, h. d. Prot, de« Michael v. Cosenu, Bull. Franc. V 8. 409,
und in der (iuoHt de» PapHton, Anal. Arg. I 8. 238 Nr. 273. Vgl. über ihn
Preger, Mynlik II S. 67M., wo aber wohl zu viel EvanijclischcH bei ihm ure
fanden wird, u. Deut«ch P.RK. .XIV 8. 84 ff.
- 262 -
Dietrich^ wurde bislier als Sprößling des deutschen Süd-
westens betrachtet; doch cntstaninite er wahrscheinlich dem Nord-
osten. Als seine Heimat wird Freiberg im Erzgebirge zu be-
trachten sein •''. Er war somit einer der ersten Vortreter der Wissen-
schaft, die das junge Kolonialland Deutschland schenkte. Dem
Dominikanerkloster seiner Vaterstadt verdankte er vermutlich seine
erste theologische Bildung; dort hat er auch als Lesemeister zu
lehren begonnen "*. Sein weiteres Leben zeigt den im Prediger-
orden niclit seltenen Wechsel zwischen Studium und Lehrtätigkeit
einerseits und Arbeit in der Leitung des Urdens andererseits. Wir
finden Dietrich um 1275 als Studenten in Paris, dann 1293 — 129(i
als deutschen Provinzial ^; hierauf folgte, wie es scheint, ein zweiter
Pariser Aufenthalt, während dessen Dietrich den Magistergrad er-
warb'*. Im Jahr 130.'1 war er Prior in einem nicht mein* festzu-
^ Es gehört zu den Verdiensten Pregers, zuerst auf die Bedeutung
Dietrichs hingewiesen zu haben: ZhTh. 39 S. 35 ff.; (resch. d. d. Mjst. I
S. 292 ff. Daß er in manchem irrte, wird man ihm kaum zum Vorwurf
machen. Dann hat Finke neues Licht über ihn verbreitet, Dom. Bfe
S. 165 ft". Nr. 159 tf.; Alemannia II S. 161 ff. Eine abschließende Unter-
suchung verdanken wir Krebs: Meister Dietrich, Münster 1906. Eine Ge-
samtausgabe der Schriften Dietrichs fehlt. Zwei Traktate und wertvolle
Auszüge aus den übrigen findet man bei Krebs im Anhang.
- Man sprach bisher fast allgemein von Dietrich von Freiburj^. Da-
gegen hat Krebs nachgewiesen, daß er in der m.a. Oberlieferung fast aus-
schließlich als Dietrich von Freiberg bezeichnet wird. Er hält deshalb für
überwiegend wahrscheinlich, daß Freiberg im Erzgebirge seine Heimat war.
Es läßt sich hiegegen nichts Begründetes einwenden.
^ Finke hat der Berliner Handschrift, die die von ihm herausgegebenen
Briefe enthält, die Notiz entnommen: Item fratri T lectori Vriburgensi
studenti Parisius duas marchas argenti, S. 166 Anm. Er bemerkt, daß
die Notiz höchst wahrscheinlich zu 1276 ofehört. Daß nicht Vriburg., sondern
Vribergensi zu lesen ist, hat Krebs festgestellt. Die Beziehung auf Dietrich
wird richtig sein. Die Zeit wird durch eine Notiz D.'s über seinen Pariser
Aufenthalt, wobei er sich auf don seit 1277 in Paris lehrenden Heinrich
von (lont bezieht, bestätigt, de intoll. II, 30 S. 160. Ganz unsicher scheint
mir dagejifon, ob der in der Vita Alberti des Petrus v. Prussia als Lektor
in Trier um 1280 genannte Theodorich, Proger, ZhTh. 39 S. 41, u. der in
einer Würzburger Urk. v. 1285 als Prior in dieser Stadt handelnde Theo-
dorich, Prefi^er, Mystik I S. 293, mit ihm identisch sind.
' Jundt, Catalog S. 287; vcrl. GK. v. lL»9n Acta 1 S. 270.20: Fink.\
Dom. Bfe Nr. 159. 161.
' Verzeichnis der Pariser Magister, AliKG. 11 S. 210 Nr. 40. Michael S.
124 läßt Dietrich 1285 — 89 in Paris lesen: der Zeitansatz ist nicht unmö«?-
lich, aber er ist unwahrscheinlich, da D. i\]< Provinzial den Titel Magister
nicht führte, Finke S. 165 Nr. 159.
— Jb.) —
stellenden deutschen Kloster^. Im nächsten Jahr nahm er als
einer der Definitoren am Generalkapitel in Toulouse Anteil ^ Die
letzte Nachricht über ihn gibt ein Beschluß des Generalkapitels
von Piacenza 1310, das ihn mit dem Vikariat der deutschen Ordens-
provinz betraute ''.
Die für Dietrichs Entwickelung wichtigste Frage, wer sein
Lehrer war. läßt sich nicht sicher beantworten. Es ist nicht un-
möghcli. daß er Albert d. Gr. hörte ^. Aber es fehlt doch jeder
Beleg für diese Annahme. Und die Art, wie er Albert erwähnt,
spricht eher gegen als für sie^. Doch mag er ihn gehört haben
oder nicht, eine gewisse Geistesverwandtschaft zwischen beiden war
vorhanden. Wie Albert, so verband Dietrich mit dem Studium der
Theologie das der Natur\Wsseuschaft und das der Erkenntnistheorie.
Auch dadurch erinnert er an den älteren Gelehrten, daß er
leicht und rasch produzierte. Wenn auch die Zahl seiner Schriften
nicht an die der AVerke Alberts hinanreicht, so ist sie doch un-
gewöhnlich groß'^. Aber er selbst hatte den Eindruck, daß die
große Zeit der Wissenschaft vorüber sei: er verglich sich wohl mit
einem Ährenleser, der das abgeerntete Feld nach den vergessenen
Halmen absucht. Da er eigene Wege ging, so blieb ihm Wider-
spruch nicht erspart; er reizte ihn kaum, noch weniger machte er
ihn irre. Denn so bescheiden er von seinen Arbeiten dachte,
dessen war er sich doch bewußt, daß auch sie Bausteine an deni
«großen Bau der Wissenschaft seien '^,
* In einer ürk. v. 1303, die Preger erwähnt, ZliTh. 39 S. 39 vg].
Krebs S. 9, erscheint Magister Theodorich, Prior von Würzburg. Der Titel
Magif^ter beweist, daß von unserem Dietrich die Rede ist; aber Preger u.
Krebs haben Bedenken, ob Würzburg richtig gelesen i^t.
- Erwähnt im Prolog zu de iride S. 27. •' Acta II 8. 50 22.
* Annahme von Preger, Mystik I S. 293.
"^ De miscibilibus, Prooemium, Krebs, Anhang S. 45, spricht D. von
der Verschiedenheit der Anschauungen, quae pervenerunt ad nos, puta Avi-
cennae, Averrois, Alberti. 'i'homao et sequaciuni eorum. De intellig. et
motor. eoel. 3 S. :>? erwähnt er dominum Albertum illum famosum. Es
wäre «eltaam, daß er beide Male sein porsönliche.s Verhältnis versehwiegen
hätte, wenn er .Mberts Schüler gewesen wäre.
" Die Schritten sind im Stamser Verzeichnis S. 240 Nr. 105 nicht
vollntändig aufgezählt. Krebs, Anhang S. 8 zählt 35 Traktate und zwei Ihiofo.
' De corp. glor., prol. S. 105 sagt D. mit Bezug auf diese Schritt:
.MiigiH patebit calumniae inter omnia opuscula moa, si tarnen opora vol
opuMcuIa dici poHHunt res tum parvi momenti et valoris. quibus cum Kuth ivi
post terga metentium, ut coliigerem spicas ad excutiondiim, quae ab aliis,
ne«cio quo spiritu, adhuc «üb palea remamerant iiidiHcretii, ut «»t ogo ali-
qn*»m fruf-tum «tudii raei afferrom in domo domini etc.
— 264 —
Dietric'li war weniger Theolog als Albert. l'iiter seinen
Schriften findet sich kein rein theologisches Werk^. Anch wenn
er eine theologische Frage untersuchte, so war in der Regel der
Gesichtspunkt; unter dem er sie betrachtete, ebenso wenig theo-
logisch wie der Weg, auf dem er die Lösung fand. In der Schrift
de corpore Christi mortuo z. B. handelt es sich um die dialektische
Frage: Ist der K()ri)er des lebenden und dos toten Herrn der Zahl
nach derselbe-?
Offenbar überwog bei Dietrich die Freude am Naturerkennen.
Er hatte ein offenes Auge für die Schönheit der Natur und es
reizte ihn, die Ursachen der Erscheinungen zu entdecken "^ Das
überlieferte Wissen hat er nicht verachtet. Aber er gehörte zu den
Mämiern. die den Mut fanden, die eigene Beobachtung den Lohren
der xAutoritäten entgegenzustellen "*. Dadurch wurde es ihm mög-
hch, das Wissen wirklich zu fördern: seine Erklärung des Kogen-
bogens hat ihm in der Geschichte der Optik verdienten, wenn auch
verspäteten Buhm gebracht. In diesen Studien war er glücklich.
Daß ihn sein späteres Leben von ihnen wegführte, hat or. ein
^ Unter den 35 Schriften zählt Krebs 6 logische auf, 3 beschäftigen
sich mit Optik, 4 mit naturphilosophischen, 15 mit kosmologischen u. psy-
chologiöchen Fragen; der Theologie werden 11, den Ordensangeiegenheiten
eine und zwei Briefe zugewiesen. Von den 11 theol. Traktaten sind 2
mit Recht auch bei den kosmologischcn gezählt. 6 sind nicht erhalten:
de efficientiu Dei, de viribus inferioribus intelloctu in angelis, de incarna-
litate angelorum, de corpore Christi in sacramento, de theologia quod est
scientia, de subiecto Thomae. Schon die Titel zeigen, daß eigentlich theo-
logische Fragen in den wenigsten von ihnen besprochen wurden. Erhalten
sind: Qnaestio utrum in Deo sit aliqua vis cognitiva inferior intellectu.
De corporibus gloriosis. De dotibus corporum gloriosorum. De intellectu
s. de visione beatiüca. De corpore Christi mortuo. Die Schriften l).'.s
chronologisch zu ordnen, ist nicht möglich. Wir wissen nur, daß or die
Quaestio de intellectu in scholis per moduni ([uaestionis proposuit et deter-
minavit, De int. et intellig. 1, 7 S. 128, also wahrscheinlich in i'aris 1296
oder später, u. daß er die Schrift de irid. 1304 verfaßte, prol. S. 27.
Wahrscheinlich ist, daß de int. et inotor. cael. die letzte der philoo.
Schriften war, s. S. 265 Anni. 1.
- 8. 114.
' Do iride, prol. 8. 27 äußert er: Sunt enim huiusmodi res — der
Regenbogen u. ähnliche Erscheinungen — sie apparentes pulchriores multis
aliis rebus sonsibilibus et mirabilioris consistentiae et eo mirabilioris quo
lutontiores causae.
* Do oleni. corp. 9 S. 52 warnt D., ne auctoritas viri tarn famosi sc.
Aristotelis praeiudicet veritati et infallibili et super experientiam sensui^
fundatae demonstrativae rationi.
— 265 —
ecliter Mönch, ohne zu widerstreben, hingenommen; aber fast weh-
mütig blickte er auf die ferne Zeit zurück, wo sie seinem Leben
den Gehalt gaben ^.
Obwohl er Dominikaner war, rechnete sich Dietrich nicht zu
der Schule der großen Lehrer seines Ordens". Diese Selbstbeur-
teilung war berechtigt. Denn nicht nur trennte er sich in vielen
einzelnen Punkten von der im Predigerorden herrschenden Lehre,
sondern besonders besteht in der Gesamthaltung ein augenfälliger
Unterschied. Auch für Dietrich war Aristoteles Autorität. Forscht
man aber nach den philosophischen Voraussetzungen seines Welt-
bilds, so erweist sich, daß die Hauptlinien nicht im Sinne des
Aristoteles gezogen sind; sie sind vielmehr durch die neuplatonische
Gedankenwelt bestinnnt. Diese bildete die Grundlage für seine
Voi-stellungen von (nrott und Welt und von dem Verhältnis beider.
Zu dem Bau. den er auf diesem Fundamente errichtete; haben ihm
aristotelische und kirchliche Anschauungen als Bausteine gedient.
Aber dadurch wurde das Wesentliche seiner Anschauung nicht
geändert, nur die Folgerichtigkeit ini einzelnen gebrochen.
Es ist klar, daß sich Dietrich in dieser Haltung mit den vor-
thomistischen Scholastikern berührte. Uns interessiert besonders,
daß er auf demselben Wege wie Ulrich Engclberti weiter ging.
Wie dieser kannte er den Neuplatonismus aus den Schriften
der kirchlichen Lehrer und der arabischen Philosophen, besonders
auch aus dem Liber de causis. Dazu kam eine neue Quelle.
Kurz ehe er zum Studium nach Paris ging, wurden die theologischen
Elemente des Proklus durch eine lateinische IJbersetzung den
abendländischen Theologen zugänglich '^ Dies Werk muß einen
tiefen Eindruck auf ihn gemacht haben. Bewundernd riilimte er
Proklus als eifrigen Forscher; er rechnete ihn neben Aristoteles und
Phito zu d<'n ersten und vorzüglichsten Philosojjheii ^.
* De intellig. et mot. coel., prol. S. 56: Secundum statum aotiitis meae
««rniones a rae petere debeatis, non quaestiones, maxinie eas, qiiae perti-
nent ad philoHophicani indagationem, extra quarum profcsHionem iaii:
dudum poHÜUH Hum. Sed vo8 cofi^itis mo respicere retro et rursus coinmit-
t«re manum ad aratrum quod reliqui.
* Vgl. die Art, wie er von ihren sciiuacos upricht, JS. 265^ Anm. i").
I>ie Art, wie er von unneren Tlicologen, de cogn. ent. 15 S. )*tU, von unseron
Doktoren, de corp. j^lor, 20 S. 108 upricht, «cheidet ihn mehr von denselben,
aU daB Hie ihn mit ihnen verbände Auch «eino Polemik fi^oif^n die com-
niuniter loquente« gehört hierluM-, k. /. H. de accid. 1 .S. 8o.
^' Cber dieHelbo, Uurdenhuwor S. 271 i. Sie Htanmit von W ilhclin \on
.Moerbcku und wurdt> 1268 vollendet.
* De iutell. et intelligib I,ii S, 1S2; 4 S. 12'»: DiligenH inda><ator.
— 20() —
Der große Kiiitluß der neuplatonischei) Gedanken zeigt sich
besonders in Dietrichs Kosmologie. Er rang nach einer Vorstellung
dei- Entstehung der Welt aus Gott. Dabei genügte ihm die kirch-
liche Lehre von der Schöpfung aus nichts, wie er sie bei Albert
und Thomas fimd. nicht. Er lehnte sie nicht ab; aber er schränkte
sie so ein, daß sie ihre IJedeutung verlor. Auch der christliche
Gottesbegrirt" erfuhr eine Umbildung im Sinne des Neuplatonismus.
Der von i)antheistischen Zügen nicht freie Monotheismus des Aristo-
teles mag ihm wie anderen als Brücke zur Aufnahme der fremden
Gedanken gedient habend Aus dem Neuplatonismus entnahm er
Aveiter die Vorstellungen von der Einheit'^ und von den vier Stufen
des Seins: dem höchsten Einem, den Intelligenzen, den Geistwesen
und der Körperwelt ^. Die Entstehung der Welt vollzieht sich
unter diesen Voraussetzungen dadurch, daß Gott, das höchste Eine.
die erste Intelligenz denkt, die dadurch das Sein empfängt. Das,
und das allein ist Schaffen *. Aus der ersten IntelHgenz geht die zweite,
aus dieser die dritte hervor und so fort bis zur Entstehung der
Körperwelt'\ Diesei- Hervorgang des Einen aus dem Anderen
' De intell. et intelHgib, 1,4 S. 126: Tpsum nnum, causa priraa, supe-
lior omni narratione, super omncm causam, super omne nomen, dives in
se, unier Verweis auf Lib. de caus. 5, 20 u. 21. De anim. coeli S. CA:
Primus et summus intellectus.
- De anim, coeli S. 64: Invenimus Universum hoc esse ens et unum
per se.
■^ De intell. et intellig. 1,4 S. 12o unter Verweis auf Proklus, vgl. de
corp. glor. 1 S. 106.
* De intell. et intellig. 1, 11 S. 132: Creare est sie producere, quod non
praesupponat aliquod superius et prius agens, in cuius virtute agat et a
quo habeat virtutem agcndi et quod secum agat illud idem, quod agitur
ab eadem causa secur.da.
^ I, 11 S. 132: Posuerunt dicti philosophi — er nennt neben den
(kriechen Avicenna — res fluere a Deo secundum ({uendam ordinem, ut
videlicet primo procedat a Deo prima intelligentia et ab hac procedat in-
telligentia secunda etc. I. 12 S. 188 heißt es über den ordo emanationis,
er bestehe darin, daß unus ab alio et ab isto alius et sie deinceps ttuat in
esse: vgl. de corp. glorios. 20 S. 107 f. Bezeichnend ist die vorsichtige Be-
merkung de int. et intellig. II. 1 S. 184: Dicorem ad salvandum ordinem
rerum, <(uantum ad emanationem, et ad magnificandam omnipotentem vir-
tutem creatoris, omnes intellectus inforioris ordinis procedere ab intellec-
tibus Ruperioribus, agentibus hoc in virtute primae causae fundante eorum
actionem et agente eosdem simul immo prius modo superiori et eminenti-
ori, nisi iudicarem hoc temere dictum ex hoc. «luod non est expressum in
scriptura veritatis. Ein Verzicht auf die vorgetragene Ansicht liegt in den
Worten natürlich nicht. Sie berührt sich mit den Anschauungen Ulrichs
— 267 —
fällt nicht mehr unter den Begriff Schaffen^. Denn obgleich er
durch die aus dem höchsten Einen überquellende Kraft bedingt
ist", so ist doch immer das Eine die Ursache des Andern, ohne
daß dabei ein unmittelbares Wirken des höchsten Einen stattfände.
So dachte Dietrich die Entstehung der Welt. Wollte er damit
nm* eine poetische Darstellung von Gott als der causa formalis
omniura geben ^? Es dünkt mich, daß sein Bestreben ernsthafter
war. Er suchte die Vorstellung von der Einheit des Seins in der
Vielheit des Seienden festzuhalten, indem er die Ursachenkette
aufzeigte, die, nie unterbrochen, das Letzte an das Erste, die
Körperwelt an das höchste Eine bindet. Aber indem er das tat,
vertauschte er, obwohl er das Wort festhielt, die kirchliche Lehre
von der Schöpfung mit der neuplatonischen von der Emanation.
Das Seitenstück zu Dietrichs Kosmologie ist seine Psychologie.
Es ist bekannt, daß die aristotelischen Bemerkungen über die
wirkende und die leidende Vernunft^ die mittelalterlichen Philo-
sophen viel beschäftigten. Dabei erhielten diese Formeln einen
sehr verschiedenen Inhalt. Die einen schieden die wirkende Ver-
nunft von der Einzelseele, dachten sie als für sich bestehend, als
eine und dieselbe für alle Menschen und setzten sie mit der Gott-
heit, dem Geiste, dem Logos gleich'^. Die anderen dachten sie
als eine Kraft in der Seele, die daran ihre Eigenart hat, daß
sie nicht an den Körper oder ein körperliches Organ gebunden
ist*. Die letztere Anschauung herrschte seit Thomas im Prediger-
orden. Hugo Ripilin hat sie in seinem Kompendium klar und
knapp wiedergegeben '.
Dietrich nahm eine Sonderstellung ein; er teilte die thcmistische
Anschauung nicht; aber er ])ekainitc sich ebensowenig zu der ent-
gegengesetzten. Thomas und seinen Schülern trat er entgegen, in-
dem er ablehnte in der wirkenden Vernunft eine Kraft zu sehen:
Engelbert!, b. oben. Über die Entstehung des Körperlichen aus dcMi Intelli-
genzen, 8. Krebs S. 68 tf".
* A. a. 0.: Procedero rem a re non est unaiii crearo aliam.
' De intell. et intellip. I, 9 S. 130: flla sujiorbencdictR natura sua
fecunditaie redundat extra in totuni ens, constituons illud ox niliilo por
creationem et gubernationein.
' Vgl. Kreb« b. IH.
' Vgl. (;omj)crz, Griech. Denker III S. 159rt,
"> Cberweg-Heinzo II, 9. Aufl., H. 251 ff., S. 3:i3li. Kreb« S. lOüfl".
•» Überwog! (ei n/,e S. :U3tf.
' II, if) S. 71: Intelloctuä aj^'ons t-nt, <jmi alj.straliit HpncicK al» imagino
»iro phantEMin et huu irradiatione fufüt univer«aien an ponit r«'M in inldloc-
tu poftsibili . . . E«t lux animae . . ]<otentia animao rationalis.
— 268 —
sie ist Suhsttiiiz '. In dieser Ueliauptimp; traf er mit den plato-
nisierenden Arabern und ihren Nachfolgern zusammen. Er schied
sich von ihnen, indem er die Identität der wirkenden Vernunft mit
dem Götthchen bestritt. Sie ist zwar für jede Seele gleich, aber
sie existiert für jede gesondert ■: so ist sie von Gott als das Lebens-
prinzip der Seele in unsere Natur geptlanzt. die in der möglichen
Vernunft die Emptänglichkeit für das Licht der tätigen besitzt ''\
Mit der in dieser Art gefaßten aristotelischen Vorstellung ver-
band Dietrich einen Gedanken Augustins. Dieser hatte ausge-
sprochen, das göttliche Ebenbild des Menschen liege im geheimnis-
vollen Grund der Seele. Dietrich nahm den Seelengrund und die
wirkende Vernunft als identisch und kam damit zu dem Satze, die
letztere sei das Ebenbild Gottes*. Hier fügten sich dann wieder
neuplatonische Gedanken an: als das Ebenbild Gottes ist sie aus
Gott; es eignet ihr die Erkenntnis Gottes und sie hat darin die
Sehgkeit'*.
Auch die Psychologie Dietrichs stand somit unter dem Ein-
tluß neuplatonischer Gedanken. Trennte er sich in einem Punkte
von ihnen, so geschah es, weil er das Abbiegen in die panthe-
istische Bahn vermeiden wollte. Aber er erkaufte diesen Gewinn
dadurch, daß er die Durchsichtigkeit und Folgerichtigkeit seiner
Theorie aufgab.
Ich begnüge mich, diese beiden Lehren Dietrichs hervorzu-
heben. Sie sind die wichtigsten ; das gilt gerade für unsere Bc-
* De vis. beat. 1, 1 S. 72, Ratio imaginis consistit in conformitate
üubßtantiae, igitur id quod formaliter est imago Dei in nobis — nämUch
der intellectus agens — est substantia. De intell. et intellig. II, 81 f.
S. 161 f.
- De intell. et intelliir. 11, 31 S. 161: Est individuum (luoddam . .
Intor se sunt aequales. S. 162: Nobilissimum illud et supremuiu. quod Deus
in natura nostra plantavit.
■'' De intell. ot intellig. II, 8 8. 141: Intellectus agens noster e.st princi-
piiun causale essentiae animae. De vis. beat. S. 76 t.: Mediante intelloctu
agente intellectus possibilis intellectualiter procedit in actum et perfec-
tionem suao propriae operationis.
* De vis. beatif. S. 70f., 74tt.; de intell. ot intellig. 1, 7 8. I2b; II.
31 8. 162: Plst illud deiforme, quo Deus insignifica-t creaturam rationalora,
ut ipsa sit ad imagineni suaiu.
^' Do intell. ot intellig. 11. 32 8. 163: Procedit in esse a Deo ut imago
eiu8, cuius ratio consistit in cognoscendo ipsum eo modo cognitionis qni
est proxima et immediata unio sui ad Deuni; II, 84 S. 164: Procedere in
quantun» imago est procedere cognoscendo eum a quo procedit, ita quod
ipsa talis cogoitio sit ipsa processio et acceptio suae essentiae.
— 269 —
trachtung; denn sie boten Anknüpfungspunkte lür religiöse Ge-
dankenreihen. Dem Satze, daß alles Sein dem höchsten Einen ent-
quillt, entsprach schon bei den Neuplatonikern der andern, daß
alles zu ihm zurtickstrebt. Dietrich hat ihn nicht überhört; er
wiederholte ihn ein paarmal^, Aus der Annahme, daß die wir-
kende Yeniunft die Erkenntnis Gottes in sich trägt, ergab sich die
Folgerung, daß dem Menschen von Natur wirkliche Gotteserkennt-
nis möglich ist". Nun behauptete Dietrich nicht, daß er sie in
diesem Leben ohne die Gnade erreiche ; aber seine Gesamtanschau-
ung lief in den Gedanken aus, daß, wenn einstmals die wirkende
Vernunft ganz mit der Seele eins geworden ist, der Mensch im
Anschauen Gottes die volle Erkenntnis und darin die Gemein-
schaft mit Gott besitzt. Um dies Ziel zu erreichen sei nicht, wie
Thomas lehrte, die Verleihung des Lichtes der Herrlichkeit not-
wendig"; es sei erreicht, indem Gott die mögliche Vernunft durch
die wirkende formt: denn dadurch wird sie in den Zustand der
steten, wesenhaften Gotteserkenntnis erhoben*.
Dietrich galt dem Mittelalter als einer der großen Prediger
der Mystik. Aber von seinen Predigten ist nichts auf uns ge-
kommen. Ein einziges Wort einer namenlosen Nonne gibt uns
eine Vorstellung von dem, was er mit seinen Reden erstrebte. Sie
sagt, er wollte die Seele versenken in den Grmid ohne Grund •^.
Versteht man nicht diese Absicht des Predigers, wenn man sicli
die Gedanken des Philosophen über Gott, Welt und Seele ver-
gegenwärtigt?
' De intell. et intellig. I, 9 S. 130; III, 24 S. 190; mit Bezug auf den
Intellectus ageüs, de vis. beat. S. 76: Semper convertitur in Deum, ita ut
eins emanatio, «jua intellectaliter emanat per essentiam a suo principio,
sit ipsius in ipsum principium conver.sio eadem simplici intellectione, quae
est essentia eiu8.
- De vis. beat. 8. 77: Conversio in principium primum est medianto
intellecta agente, quia prirao gradu et ordine regulae aeternae et incom-
mutabilis verita« praesentes sunt abdito mentis secundum Augustinum, quod
e«t intellectus agens, quo mediante fulgont in intellectu possibili, (juo et
ip«e conversus ent in primum omnium principium, (^uod est Deus.
De vis. beatif. S. 78 f.
* A. a. 0. 8. 77 ff-.; de inlell. et intellig. II, 81 8. 162: Ent illud bea-
tificum principium, quo informati, i. e. quando fuerit forma nobis, sumus
beati per unionem noMtri ad Deum per immediatam beatiiicam contom-
plationem, qua videbimuK Denm per essentiam.
* Höfler in der Germania XV, 1870, S. 98f.; auch bei Krebs S. 148.
r)aniit int zu vprgleichen da« von Dronck bei Mone, Anzeiger für Kunde d.
teutHchr-n Vorzeit VI. IH'M S. 7-'» bekannt gemac^hte Stürk aiiH (»inor K«d)-
lenzer Handtohrift.
— 270 —
Die Anschauungen Dietrichs haben in Deutschland da und
dort Ankhmg gefunden. Tauler hat ihn genannt und gelegentlich
benutzt. Doch war er nicht eigentlich von ihm abhängig ^ Wahr-
scheinlich dem jüngeren Eckehart gehört der deutsche Traktat:
Über die wirkende und die möghche Vernunft -. Er schließt sich
vielfach an Dietrich an, führt aber zugleich über ihn hinaus. Denn
hier wird gelehrt: Da das Wesen der wirkenden Vernunft darin
besteht, daß sie Gott schaut, so ist sie selig von Natur. Und da
es durch die Gnade möglich ist. daß die -Überformung dei* mög-
hchen Vernunft durch die Avirkende schon in diesem Leben eintritt,
so kann es — in der Kontemplation — schon im Diesseits zum
seligen Anschauen Gottes kommen"'. Nach einer anderen Seite
hin kann man die Wirkung der Lehren Dietrichs bis in das I^ager
der ausgesprochenen Pantheisten verfolgen. Unter den von Clemens V.
verdammten Sätzen der Begarden klingt der fünfte an seine An-
schauung an'. Auch unter den Häretikern in den Rheinlanden
waren ähnliche Gedanken verbreitet; sie lehrten: da die wirkende
Vernunft in den Verdammten ist wie in den Seligen, so sind jene
ebenso selig wie diese''.
Das sind Spuren des Fortwirkens einmal ausgesprochener Ge-
danken. Doch sie sind zersplittert. Eine geschlossene, ins Weite
und T'efe dringende Wirkung ist von Dietrich nicht ausgegangen.
Um so wichtiger war, daß unabhängig von ihm ein zweiter be-
deutender Zeitgenosse sich auf der gleichen Bahn bewegte wie er:
Meister Eckhart".
' Z. i:^. Sonntag nach Trinit. 2. Pred. Baseler Ausg. v. 1521 Bl. 104;
vgl. Krebs S. Ulf.
■' Der Traktat ist von Preger besprochen und herausgegeben in den
8B. der Münchener Akad. 1871 S. 159tt'.; vgl. Gesch. d. d. Myst. II S. 146 tf.;
Krebs S. 1361t'. Der Traktat ist handschriftlich als Werk des Eckhartus de
Gründig bezeichnet, S. 176. Preger vermutet wohl mit Recht in diesem
den auch sonst bekannten jüngeren Eckehart, der als Definitor der sächsi-
schen Ordensprovinz am GK. v. 1337 Anteil nahm u auf der iiückrois«'!
starb, s. Acta II S. 258,16.
=' S. 185; vgl. Krebs S. 136 f.
* Denzingor, Enchirid. Nr. 403: Quod quaolibet intellectualis natura
in se ipsa naturalitor est beata, quodque anima non indiget lumine gloriae
ipsam elevante ad Deum videndum et eo beate fruendum.
'^ Mitteilung Pregers aus einem ungedruckten Werke Heimerichs de
Campo gegen die Begarden, Münch. SB. 1871 S. 167.
'• Die Literatur über Eckliart ist sehr groß. Man findet sie ver-
zeichnet bei Deutsch, RE. V S. 142 u. bei Überweg-Heinze II S. 352 f. Ich
hebe nur das wichtigste hervor: A. Lassen, Meister E.. der Mystiker, 1868.
— 271 —
Ich nenne damit einen großen Namen. Aber der Name be-
deutet eine große Frage. Denn wir kennen Eckhart und kennen
ihn nicht. Wir wissen, daß er sein gelehrtes Lebenswerk in latei-
nischer Sprache geschrieben hat; aber zugänglich sind bis jetzt
nur Auszüge, die, von einem bestimmten Gesichtspunkt aus ge-
sammelt, kein vollständiges Bild geben. Die Menge der deutschen
Schriften, die ihm zugeschrieben werden, ist stetig angewachsen ;
aber die ki'itische Sichtung und Textgestaltung ist noch weit vom
Abschluß der Arbeit entfernt. Bei dieser Sachlage mag der Ver-
such, ein Bild der Anschauungen dieses Theologen zu entwerfen
und ihm seine Stelle im Entwickelungsgang der Theologie in
Deutschland anzuweisen, fast vermessen erscheinen. Wer kann aus
Wasser eine Statue formen? Doch dünkt mich, daß die Grund-
linien seiner Anschauungen jetzt schon so deutlich hervortreten,
A. Jundt, Essai sur le mysticisaie speculatif de maitre E., 1871; ders., Hist.
du pantheisme populaire au moyen äge, 1875, S. 58 ff. W. Preger, ZfhTli.
XXXIX S. 49ff. u. Gesch. d. d. Mystik I. 1874, S. 309ff. H. Denifle, ALKG. IT,
1886, S.417ff.: V, 1889, S. 349ff.; E. Lehmann, Mystik, 1908, S. 105 ; Langen-
berg, Quellen u. Forsch, z. Gesch. d. d. Mystik, 1902; M. Pahncke, Unter-
suchungen z. d. d. Pred. Meister Eckharts. Hallesche üissert. 1905; ders.
im JB. des Gymnas. za Neuhaldensleben 1909; 0. Simon, Überlieferung des
Traktates , Schwester Katrei". Hallesche Dissert. 1906. A. Spamer, Beitr.
z. Gesch. d. deutsch. Sprache XXXIV, 1909, S. 307ff.; Behagel, das. S. 530ff.:
E. Kramm, Eckehart.s Terminologie, Z. f. deutsche Phil. XVI, 1884, S. 111.
Die deutschen Schriften E.'s sind herausgegeb. im 2. Band der deutschen
Mystiker v. F. Pfeiffer; Ergänzungen gaben: Preger, Zf hTh. XXXIV, 1864,
S. 166; XXXVI S. 453 ff.: Wackernagel, Altdeutsche Pred. Nr. 59ff.; Sievers,
ZdA. XV, 1872, S. 373ff.; Jundt, Hist. du panth. S. 231ff.; F. v. d. Leyen,
Zfd.Ph. 38 S. 177 ff.; Ph. Strauch, Kleine Texte Nr. 55, 1910; F. Jostes,
Meister E. u. seine Jünger. Collectanea Friburg. 1895. Auszüge aus den
lat. Schriften von Denifle, ALKG. II S. 533 ff.; V S. 358 ff. Übersetzung der
wichtigsten deutschen Schriften von H. Büttner, 2 Bde., Lpz. 1903 u. 09.
Ich zitiere Pfeiffers Ausgabe mit Pred. u. Trakt., im übrigen mit den
Namen der Herausgeber. Von den deutschen Schriften ist allgemein an-
erkannt nur der 5. Traktat bei Pfeiffer, den Strauch eigens herausgegeben
hat. Ich benutze außerdem als echt den 17. und das Stück: Von dorn
edelen menschen, bei Strauch S. 41 ff., neudeutsch bei Büttner, führe aber
Parallelen zu lat. oder sicheren deutschen Stollen auch aus zweifelhaften
Traktaten an. Als sicher unecht bleiben unbenutzt Trakt. 3, 6, 7, 12 u. 18.
Von den Predigten bezeichnet Spanier auf (irund der Berührung mit dem
Opas sermonum als sicher echt Nr. 21, 22, 54 u 100. Ich benutze außerdem
die von Puhncke konstruierten Heilien, no wenig ich mir verhelilc, daß
seine Resultate nicht ganz gesichert sind.
_ i z
(laß man liotien darf, es sei möglich, wenigstens sie zu erkennen
lind festzuhalten.
Unsere Kunde vom Lebensgang Eckharts ist nicht ganz so
fragmentarisch wie unser Wissen über Dietricli von Freiberg. Sicher
ist, daß ei- dem mittleren Deutschland entstammte: seine Heimat
war Horchheim bei Gotha ^ Sein Geburtsjahr ist unbekannt; doch
wird man ihn für etwas jünger als Dietrich zu halten haben ^. In
der Zeit, in die seine Jugend fällt, gab es in Thüringen nur zwei
Predigerklöster: in Erfurt und Eisenach ^. Wahrscheinlich im ersteren
ward er Novize und legte er das Gelübde ab. Aber so wenig wir
den Zeitpunkt bestimmen können, in dem das geschah, so wenig
wissen wir über die Motive, die ihn, den Sprößling eines ritter-
lichen Geschlechtes, dem Predigerorden zuführten, so wenig wissen
wir auch über das Lernen und Forschen des jugendlichen Mönchs.
Nur die Bemerkung, daß er nicht nur mit seiner wissenschaftlichen
Arbeit an Thomas anknüpfte'*, sondern daß seine Gesamtanschau-
ung mit thomistischen Gedanken wie durchtränkt ist, legt die Ver-
mutung nahe, daß seine theologischen Studien in die Zeit fielen,
in der der Thomismus als die Ordenstheologie der Dominikaner
anerkannt war''.
Eckharts hervorragende Begabung wurde im (Jrden frühzeitig
erkannt und anerkannt. Im letzten Jahrzehnt des dreizehnten
Jahrhunderts trat er als Prior an die S])itze des Erfurter Konvents.
Noch während er ihn leitete, vertraute ihm der Orden die Stellung
eines Provinzialvikars für Thüringen an". Dann wurde er nach
Paris i^esandt. um dort zu lehren. Er erwarb 1802 den Magistcr-
^ Von üonifle nachgewiesen, ALKO». V S. 349tt'. auf Grund einer Notiz
unter einer lat. Predigt K.'s in einem Kodex der Amploniana zu Erfurt:
Iste sermo sie est reportatus ab ore magistri Kchardi de Hochheim die b.
Augustini Parisius.
- Die Annahme läßt sich nicht streng beweisen. Sie ist wahrschein-
lich, da die parallelen Krlebnisse hei E. später fallen als bei Dietrich.
^ Die nächsten : Tena, Nordhauson ii. Miihlhaupen entstunden erst
seit 128f).
* Sein Opus quaestionuni behandelt C,>uä8tionen nach der Zahl u. Ord-
nung derselben in der Summa des doctoris e^jre^ii venerabilis fratris Tho-
mas, Denitlc II S. 534. Daß Kckh. in Köln Theologie hörte, ist sehr wahr-
scheinlich. Dafür aber, daß er vorher in Staaßburg studierte (Büttner I
S. XXII), spricht nichts.
^ Denifle S. 581,10; vgl, von d. J.eyen S. 358.
•* In der Überschrift der Rede der Unterscheidungen (Trakt. 17) trägt
er beide Titel. Die Vereinigung «1er beiden Ämter in einer Hand war seit
1*298 unzulässig, Acta cap. gen. I S. 289; daher der chronol. Ansatz.
— 273 —
grad ^. Er muß gerne in Paris geweilt haben; denn die Erinnerung
an den dortigen Aufenthalt begleitete ihn durch das Leben. Aber
schon im Jahre 1803 kehrte er in die Heimat zurück-. Nun
wählte ihn das Provinzialkapitel zu Erfurt zum ersten Provinzial der
neuen Ordensprovinz Sachsen ■'.
Das ist der Umriß von Eckharts Werdegang: er bietet ein
Bild mannigfachen Wandels, aber dem Bilde fehlt die Seele. Denn
was Eckhart in dem Wechsel der äußeren Verhältnisse innerlich
durchlebte, wie seine Anschauungen, indem er vom Jünghng zum
Manne ward, sich l)ildeten, klärten und festigten: das alles bleibt
uns verborgen. Wir wissen, daß der Schüler der thomistischen ;
Theologie noch bei anderen Männern in die Schule ging als bei ,
den Lehrern der Kirche: er kannte den Liber de causis und i,
Proklus. die arabischen und jüdischen Philosophen*. Der Einfluß, %
den ihre Gedanken auf ihn gewannen, war mindestens so tief wie
der des Thomismus. Aber wir können die Frage nicht beant-
worten, wann sie in seinen Gesichtskreis traten, geschweige denn,
daß wir eine Vorstellung davon hätten, wie die altvertrauten und
die neugewonnenen Ideen in ihm sich berührten, brachen, verbanden
und trennten. Genug, daß die Erfurter Wahl davon Zeugnis gibt,
daß Eckhart bei seiner Rückkehr aus Paris seinen Ordensbrüdern
als ein fertiger, in sich gefestigter ^lann galt. Sie vertrauten ihm
das Amt an, das mehr Arbeit, mehr beherrschende Überlegung
und mehr ruhige Kraft forderte, als ein zweites, das sie zu ver-
geben hatten.
Aber auch die Jahre, währeiul deren Eckhart als Provinzial-
prior tätig war, gehen vorüber, ohne daß sie uns ein anschauliches
Bihl seiner Gesinnung und seines Wirkens gewährten. Kaum, daß
eine abgerissene Notiz uns etwfis von den Schwierigkeiten ahnen
läßt, mit denen er zu riugen hatte. Das Generalkapitel von L306
machte allen Provinzialprioren, namentlicb den beiden deutschen,
' Verz. der Pariser Magister, ALK^J. 11 S. 211.
- Die Rückkehr war Folge eiiiPi- uIIl'. Anordnung? dos (IK. v. Hosaiirdii
1.S03. Acta 1 S. 328. uff.
"■ A. a. 0.; Acta cap. gener, II, S. 1; Catal. provino. pr. Sax. bei Mar-
tin«! u. Daran«!, Veter. «er. coli. VI S. .'M3. Als nia^istor PariHionsis, pro-
viDciaÜH fratrum ordiniH Predicatorum per prov. »Saxonie besiegelt er 19, Mai
130.'» eine Urk, de« Kreuzklosters /.u (iotha, Donifle S, 354.
' Der Liber de cauHJ« und Proklu« j^^hören zu den von Kckliarl viel
/zitierten Autoritäten, h. für den ersteren Donifle S, 543, 13; 544, 27-, 545,22;
54«, 5 u. ö,; für den let/.teren S. 499; 543,13 u. 24; 55G, 8 u. ö. Aviconna
S. 535,25; 536,2; 538,18; 543,0 u, ii. Da/.u Donifle S. 5191. Avi("brnii
S. 566, 19. MaimonidoM S. 554,34; 582,22.
Ilaack, KlrcberRMchlchtc V 1^
— 274 —
zur Pflicht, gewissen Mißständen unter den Laienbrüderii zu
wehren ^ Anhiß zu dem Beschhd) hoten dringende Klagen, die
vor das Generalkapitel gebracht worden waren. Der Vorfall zeigt,
daß ein gewisser Gegensatz zwischen den verschiedenen, im Orden
vereinigten Elementen bestand. Die Priestermönche urteilten, daß
Eckhart und sein Amtsgenosse in der deutschen Provinz die Dis-
ziplin unter den Laienbrüdern nicht mit dem nötigen Nachdruck
wahrten, und das Generalkapitel billigte ihre Ansicht. Aber diesem
Zwiespalt lag kein tiefer gehender Gegensatz der Überzeugungen
zugrunde. Eckhart blieb der Vertrauensmann des Ordens und
besonders der deutschen Dominikaner. Seine Stellung als Provin-
zialprior behielt er bis zum Jahr 1311". Daneben bestellte ihn
das Generalkapitel von 1307 zum Generalvikar der böhmischen
Ordensprovinz; er erhielt völlig freie Hand zu allen Maßregeln,
die er für notwendig erachtete^. Als sich im Jahre 1310 die
deutsche Ordensprovinz erledigte, wählte ihn deren Provinzialkapitcl
zum Provinzialprior*. Zwar bestätigte das Generalkapitel von 1311
diese Wahl nicht; aber das geschah nur, um ihm eine andere,
vielleicht ihm selbst erwünschtere Stellung zu übertragen . Es
sandte ihn zu neuer Lehrtätigkeit nach Paris''. Wir wissen nicht,
wie lange er dort blieb. Einige Jahre später weilte er in Straß -
bm'g^'. Den Rest seines Ijebens verbrachte er in Köln als Lese-
meister am dortigen Studium. Er war inzwischen zum Greis ge-
^ Act. cap. gen. II S. 18. Da es von den beiden deutschen Provinzen
heißt: De quibus super hoc magnam querelam recepimus et clamorem, so
ist eine Denuntiation anzunehmen ; sie kann nur aus dem Orden selbst
hervorgegangen sein.
2 Katalog bei Martene a. a. 0., vgl. Acta IT S, 53, i7. Preger nimmt
eine Neuwahl im J. 1307 an. Das ist möglich, doch nicht überliefert.
•' Acta cap. gen. II S. 28: Dantes sibi plenariam potestatem tam in
capite quam in membris, in omnibus et singulis, etiamsi de hiis oporteret
fieri mencionem specialem, ut ipse ordinet et disponat. secundum quod sibi
videbitur expediro.
* Über die Erledigung der deutschen Provinz s. oben S. 260 Anm. 2.
Die Wahl u. Nichtbestiitigung Eckharts im Katalog der Provinziale bei
.Tundt, Hist. du panth. pop. S. 288. Sie steht dort in einem chronologisch
unmöglichen Zusammenhang; aber die Tatsache selbst wird nicht zu be-
zweifeln sein.
^ Acta cap. gen. II S. 53,17; Katalog bei Martene u. Durand. Vet. scr.
coli. VI S. 343.
« ÜB. d. St. Straßburg III S. 236 Nr. 768 v. 1314: Magister Eckehard
Professor sacrae theologiae.
— 275 —
worden. Im Gedächtnis seiner Schüler lebte die Erinnerung an
ihn als den alten Meister^.
Wir können Eckharts Tätio^keit drei Jahrzehnte hindurch ver-
l'olgen. Während derselben teilte sich seine Arbeit ziemlich gleich-
mäßig zwischen dem Wirken in der Leitung des Ordens und im
Lehramte. Einen dem Leben abgekehrten Gelehrten haben also
seine Genossen nicht in ihm gesehen: mit der Lehrgabe, die ihm
sicher eignete, muß sich das Talent und die Kraft, zu ordnen und
zu leiten, verbunden haben.
Aber Eckhart war ein Gelehrter. Als solcher wirkte er wie
durch das gesprochene Wort, so auch durch seine Schriften. Ge-
rade bei ihm hängt diese Doppeltätigkeit enge zusammen: aus dem
Lehrer ist der Schriftsteller geworden. Denn was er in Vor-
lesungen und Disputationen, in Predigten und Reden vortrug,
gestaltete er, dem Drängen seiner Ordensbrüder nachgebend,
schließlich auch zum Buch"^. Wie erwähnt, kennen wir von dem, was
er schrieb, nur den geringsten Teil. Aber was wir kennen, genügt,
um das Lrteil zu begründen, daß unter den deutschen Theologen
im Jahrhundert nach Albert, was den Umfang der schrift-
stellerischen Leistungen anlangt, nicht einer ihm gleichkam.
Er leistete dem Herkommen seinen Tribut, indem er einen
Kommentar /u den Sentenzen schrieb '\ Dann aber ging er eigene
Wege: er entwarl den Plan zu einem Werke, das alle Fragen, die
die Theologie beschäftigten, erörtern sollte: zu seinem Opus
tripartitum. Der erste Teil, Liber propositionum, sollte die philo-
sophisch-theologischen Grundbegriffe behandeln : . das Sein und
das Seiende und sein Gegenteil, das Nichts; die Einheit und das
Eine und sein Gegenteil, das Viele; die Wahrheit und das Wahre
und sein Gegenteil, das Falsche u. dgl. Der zweite Teil, Liber
<luaestionum, sollte im Anschluß an die Summa des Thomas dog-
matische Einzeluntersuchungeii l)ringen. Der dritte Teil endlich
der Liber expositi(mum, sollte Auslegungen solcher Stellen des
Alten und Neuen Testaments enthalten, die einer neuen Erklärung
zu l)edürfen schienen^.
' Vgl. M. P^ckohart« Wirtschaft, v. d. Leyen S. 3f)2,2i: Dor meiHtor
Mprach: kint, lat den meiHter sincs alterH ^oniezen.
- ProlüK Ä. Opus tripart. ALKG. II S. 533.
^ Von TrithfirniuH erwähnt, Catal. scr. occles. Hl. 100b; bis jntzt niclit
aufgefunden.
* Da« Werk int nur zum geringnton Teil erhalten; von don i>oidon oruton
Teilen xind nur die f*rologn vorhandon, von dem dritten dagegen grr)üore
Partien, «. Denifle S. 419ff. u. S. «73 tt". Dor Prolog /um giiri/.'n Work
bei DeniHe H. 533 H. Hr gibt dio fibcri wiiulorholto AiHkunft ilb«'r Plan
— 276 —
Das; war ein sehr umfassender Arbeitsplan. Seine Ausführung
mußte viele .Taln-e in Anspruch nelimen. Nicht uneben spricht
Eckhart von einem Meer von Arbeiten, (he erforderlich seien ^
Aber er war glücklicher als andere: es war ihm vergönnt, sein
AVerk mcht nur zu beginnen, sondern auch zu vollenden.
Während ei* in dieser Arbeit stand, schrieb er einige Trak-
tate in deutscher Sprache"-. 13och ist man dai'in einig, daß das
wenigste, was unter seinem Namen erhalten ist, von ihm sell>st
(aufgezeichnet wurde, besonders seine Reden wurden von Freunden
und Schülern aufgeschrieben, und diese behandelten sie dabei mit
jderjenigen Freiheit, die nur ein dritter, nicht der Verfasser selbst
'sich zu gestatten pflegt. Man kann in dieser Art der Verbreitung
Eckhartischer Reden einen Beweis dafür finden, daß seine Schüler
und Freunde in seinen deutschen Schriften nicht die eigentliche
Arbeit seines Lebens sahen: sie betrachteten sie wie die Al)fälle
aus seiner AVerkstatt, die zu sammeln und weiter zu geben jedem
frei stand. Doch viel deutlicher verkünden diese Nachschriften,
wie mächtig alles, was er sagte, seine Hörer fesselte, und wie leb-
haft es sie beschäftigte. Auch die mangelhafteste Aufzeichnung
wollte das, was der Meister gesagt hatte, der Vergänglichkeit ent-
reißen: seijie Gedanken sollten fortwirken, seine Worte fortklingen.
Ist somit nicht jedes als Eckhartisch überlieferte Stück von ihm
selbst gestaltet, so ist doch sicher vieles Deutsche nach Form und
Inhalt sein Eigentum. ^Mit Recht ist er uns deshalb wert als
einer der ersten, der für theologische Abhandlungen sich der
deutschen Sprache bediente. Man mag ja daran erinnern, daß <'r
dabei nichts völlig Neues tat. Gepredigt wurde seit Jahrhunderten
in deutscher Sprache: auch Schriftsi)rache war das Deutsche längst
gew^orden. nicht nur für das Lied, sondern auch für den erbau-
lichen Traktat: das Werkzeug war geschmiedet. Aber p]ckharts
Ruhm bleibt es. daß er es benützt und unvergleichlich verfeinert
hat. Denn wie wußte er die deutsche Sprache zu gebrauchen !
und Anlage. DaV)ei ist beßon<lerp betont, daß dio droi Teile genau aiit
einander bezogen sind: Opus secundnm siniilitor et tertium sie dependet
;i primo opere . . quod sino ipso sunt parve utilitatis, S. r>37. Das Werk
setzt eine länifero Lehrtätigkeit voraus; S. 5.^5^ 3: Respondere consuevi.
' ProlojT 8. .534.
^ Von ilini selbst aufgezeichnet ist Nr. 5: Das Buch der götthchon
Tröstung, s. Strauch S. 6, 12: vielleicht auch Nr. 17: Die Reden der Unter-
scheidung, s. S. 547, 14. Man muß aber erinnern, daß er vor dem P»uch
der Tröstunf? vil wort oucli anderswo beschrieben hatte, S. 39, 39. An lat.
Schriften ist dabei nicht zu denken. Man tut also nicht gut, sich seine
deutsche Schriftstellerei zu eng vorzustellen.
li i
Sie erscheint bei ihm so biegsam und gelenkig, als wäre sie seit
Jahrhunderten geübt worden, und zugleich so gestaltungstähigj als
stünde sie noch in der ersten Jugend. Sein Stil hat nichts von
Rhetorik oder von dem Ton der Poesie: er ist schlicht. Und doch
kann sich dem Reiz desselben kein Deutscher entziehen. Der
Grund liegt in seiner Unmittelbarkeit: Eckhart sprach, auch wenn
er schrieb: er ermüdete seine Leser nicht durch lange Deduktionen,
sondern er unterredete sich mit ihnen. Überlegte Kunstform war
das schwerlich ; es entsprang aus der Lebhaftigkeit senier
Auffiissung. In ihr wurzelte auch die ungesuchte Anschaulichkeit
seines Ausdrucks. Jedes Wort ist Träger einer Vorstellung; aber
für die meisten Menschen ist diese verloren gegangen; sie denken
nur bei den Worten. Eckhart gehörte zu denen, für die die Worte
noch Bilder mit sich tragen. Deshalb war er ein großer Schrift-
steller: was er schrieb, ist erfrischend wie der kühle Quell.
Sucht man sich zu vergegenwärtigen, was Eckhart als Ge-
lehrter war, so fällt zuerst die konsequente Beschränkung" auf das
theologische Gebiet auf. Das lebhafte Literesse für naturwissen-
schaftliche Fragen, das Albert und Dietrich erfüllt hatte, fehlte ihm
völlig. So otien sein Auge selbst für Kleinigkeiten im Bereiche
des sittlichen Lebens war. und so sorgsam er die seelischen Vor-
gänge im Menschen beobachtete, so völlig teilnahmlos vorhielt er
sich gegen die Fragen, die das Naturgeschehen dem beobachtenden
Menschen nahe legt. Wie Eckhart in dieser Hinsicht Schranken,
ich möchte nicht sagen, sich steckte, aber solche hatte, so noch in
einer zweiten Richtung. Mehr als mancher Zeitgenosse war er
von einem Grundgedanken beherrscht; aber das Px'diirfiiis. srTnT
Gesamtanschauung abgerundet darzulegen, hiittt- er niciit. \\ a.s er
zu sagen hatte, zersplitterte er in der Erörterung unzähliger Einzel-
frageii. So wenig suchte er eine in sich geschlossene Dai>tc 1 hing.
i laß er diese Fragen und ihre Reihenfolge einem fremden Werke
entnahm, daß er sogar die Schriftstellen, auf die er seine Ansichten
gründete, nach der Folge der biblischen Bücher erklärte. Darin
liegt eine Gleichgiltigkeit gegen die künstlerische Gestaltung der
(iedanken, die um so njehi- Erstaunen erregt, je mehr Kckhart
sich als ein Meister der Sprach(i bewies. Oder sollte er absichtlich
vermieden haben, der Welt ein al)gerundetes Kild seiner Ibcr-
zeugungen vorzulegen V
Wo is»t nun die Stelle dieses cin.^t.'iligen Tlicologeii im Mnt-
wickeluFigsgang der mittelalterliclHMi IMicoIogic?
Er .setzte di<; Herrschaft des Thomismus in der 1 )(iiniiiik;inei-
theologie voraus und sein Bestreben war nicht, sie zu erschüttern
oder zu breclien; er ließ sie bestehen. Andererseits sehrieh er
— 278 —
so wenig wie Dietrich, im Gefühl, als Glied der Thomisteiischule
das von ihr Aiigoiioiimiene wiederholen zu müssen. Er widei*sprach
nicht selten der gemeinen Lehre. Sein: Ich spreche, stellte er un-
bedenklich dem gegenüber, was die Meister insgemein sagen. Den
Entschluß zu schreiben, rechtfertigte er durch die Erwägung, daß
sein Werk Neues, Seltenes, Ungewcihnliches enthalten werde ^. Auch
verhehlte er nicht, daß das Neue vielleicht auffällig, zweifelhaft, ja
falsch erscheinen könne. Doch machte ihn das nicht bedenklich:
er war der tlberzeugung, daß es sich schließlich als wahr beweisen
müsse -.
Den Anspruch, mehr und anderes zu sein als der Schüler
irgend eines Meisters, hat Eckhart also erhoben. Er wollte ein
Mann für sich sein. Täuschte er sich dabei? Manchmal ist man
versucht zu urteilen, das Neue liege bei ihm nur in der Form.
Er liebte es, seine Sätze scharf zuzuspitzen. Dadurch geschah es
wohl, daß alte Gedanken einen Ausdruck erhielten, der sie neu
und der sie angreifbar erscheinen ließ. Sagte er, Gott ist nichts,
so forderte das Wort den Widerspruch heraus. Aber der Ge-
danke war weder eigenartig noch bedenklich. Denn gemeint war
nur, daß Gott nicht dies noch das, nichts Individuelles sei; das
aber bestritt niemand. Und doch würde man auf diese Weise
Eckhart nicht gerecht. AVas ihm eigen war, lag nicht nur in
der Form.
Eckhart war ein Scholastiker. Der Satz ist unbestreitbar,
besonders deshalb, weil er etwas Selbstverständliches sagt. Aber
der Satz gibt, obwohl er richtig ist, keine richtige Vorstellung.
Er scheint das zu nennen, was den Theologen Eckhart charakte-
risiert; in Wahrheit läßt er gerade das, was ihm eigentümlich war,
unausgesprochen. Das ist einleuchtend, sobald man die nicht sehr
umfängliche Summe von Gedanken, die Eckhart in seinen latei-
nischen wie in seinen deutschen Schriften unermüdlich wiederholte,
der Gedankenwelt, die die scholastische Theologie überlieferte,
gegenüberstellt. So viel Philosophisches und Halbphilosophisches
nach und nach in der letzteren Heimatrecht erhalten hatte, so ver-
leugnete sie doch nie, daß sie im letzten (Jrund aus der christ-
lichen Predigt stammte; sie war die Interpretin der Kirchenlehre.
Demgemäß bildete die Person und das Werk Christi einen der
Brennpunkte in der großen Ellipse der scholastischen Lehren. Da-
gegen ist bei Eckhart die Bedeutung der Person Christi fast
vollständig neutralisiert. Niemand wird bezweifeln, daß er die
> Prolog S. .'»38. - Das. S. 535.
- 279 —
orthodoxe Christologie als Wahrheit anerkaünte. Auch daß er zu
Jesu ..unserem lieben Herrn^' verehrend aufblickte und da und
dort an seine Worte die eigenen Gedanken anknüpfte, ist leicht
zu beweisen. Nicht minder ist sicher, daß er in ilim das ver-
wirkHcht sah. was in allen Gotteskindern verwirklicht werden soll,
und daß demgemäß der Gedanke der Nachfolge, der Nachahmung
Jesu ihm wertvoll war^. Aber das alles fällt nicht entscheidend
ins Gewicht. Denn es ist sicher, daß seiner Überzeugung nach
der Person Jesu Christi bei der YerwirkHchung der Gottesgemein-
schaft keine notwendige Stelle zukommt. Diese Tatsache wird
durch den Satz: Eckhart war Scholastiker, verhüllt; deshalb führt
er irre.
Dasselbe zeigt sich an einem zw^eiten Punkt. Die Scholastik
wies, um zum Heile zu führen, an die Kirche und ihre Hand-
lungen, die Sakramente. Eckhart hat die Kirche nicht bekämpft
imd die Sakramente nicht gering geschätzt". Gleichwohl ist die
Wirksamkeit der Kirche und der Sakramente bei ihm ausgeschaltet.
Das Heil, die Gottesgemeinschaft, kann nicht nur zustande kommen
ohne sie, sondern kommt regelmäßig ohne sie zustande: denn Gott
wirkt ohne Mittel.
Es ist klar: das religiöse Leben war für Eckhart einfacher,
weniger zusammengesetzt als für die Kirche; Elemente, die für die
mittelalterliche Frömmigkeit grundlegend sind, waren bei ihm auf-
gegeben. Niemand w^ird geneigt sein, hier ledighch den Unter-
schied des Mehr oder Weniger zu sehen. Denn die Anschauungen,
<lie Eckhart, ich will nicht sagen, abstieß, aber fallen ließ, bedingen
den Charakter des Christentums als einer positiven Religion. Eck-
hart stand auf einem anderen Boden als die Scholastik: er ver-
kündigte Gottesgemeinschaft; aber nicht die durch Jesus Christus
verwirklichte und durch die Kirche angeeignete. Er war ein Prediger
^lei' Religion, aber nicht der historisch bedingten, sondern der durch
das Verhältnis des Endlichen zum Unendlichen gegebenen.
Man mag ihn deshalb einen Mystiker nennen. Aber bleiben
wir nns l>e\vußt. daß diese Flagge sehr verschiedene Fracht deckt.
• Trakt. 5, Strauch S. 29,39ff, 32,10tf.; 17 8. 5G0, 23 tt.; 8. 562, 24 ff.
Vj(l. [..awon 8. 309 ff. In den latein. Schriften, soweit sie bekannt sind,
wird Christus u. nein Werk kaum orwillint -. in den l'rodipton ist die llaupt-
gtelle 68 S. 219,7 0.
* Vgl. f.. B. Trakt. 17 S. 565,7«". über den Kmplang des AM., (huu
aber, waa er vom geistlichen GenuB de« AM. sagt, S. 568,3 ti".: Di/ nuu;
der menicbe so getriulichon nonien, da/, er richcr wirt an ^'enadnn donno
kein m^ntebe uf ortrichc. Di/, niac der mensche tuon tusnnt sinnt in diMu
tage und mer, er si swa er si, er si siech oder gesuni.
280 —
Eckhart stand zur kirclilichen Mystik .^eiiaii wie zur Scholastik:
sie hat auf ihn gewirkt; aber viele Töne, die in ihr angeschlagen
w'urden, fanden bei ihm die Saite nicht, die den Klang wiedergibt.
Von der sinnigen Mystik der Jesusliebe, die Bernhard in der Kirche
heimisch gemacht hat. war er so weit entfernt, wie von der poetischen
Mystik, durch die Franz von Assisi zarte Gemüter entzückt. Fin-
solches Gedankens] )iel war er zu ernsthaft.
Mit einem Wort: So viel Eckhart von Scholastik und My>tik
gelernt hat, die beherrschenden Gedanken verdankte er weder dieser
noch jener. Sie sind auch nicht sein Eigentum. Fragt man, wo-
her er sie entnahm, so ist die Antwort wieder: aus dem Neuplato-
nismus. Was wir bei Ulrich P.]ngelberti und Dietrich bemerkten,
setzt sich bei ihm fort, erreicht bei ihm den Gipfel: das Wieder-
aufleben der neuplatonischen Gedanken. Die herrschende Scholastik
hatte mit ihnen das Dognia der Kirche gewissermaßen legiert und
sie dadurch ihres Gehaltes beraubt. Auf Eckhart dagegen wirkten
sie so, wie sie einstmals gedacht waren; dadurch gewannen sie das
Leben zurück. Es war so miichtig, daß, wenn sie von ihm mit
den kirchlichen Lehren verbunden wurden, diese ihren Gehalt ver-
loren; sie mußten sich einer neuen Weltanschauung einfügen.
Ich kann nicht versuchen, hier die Gesamtsumme der Ge-
danken, die Ecklnirt vorgetragen hat, zu wiederholen. Es mag ge-
nügen, wenn ich an die Punkte erinnere, die er selbst deutlich
hervorgehoben hat.
Es war nichts Neues. daF) Eckhart, indem er den Gottesbegritf
untersuchte, die Vorstellung des höchsten iCinen mit der des reinen
Sein gleichsetzte. Auch Thomas hatte deiiniert: Gott iht das sub-
sistierende Sein^; auch im Kompendium Hugo Ripüins best man:
das Eine, insofern es mit dem Seienden identisch ist, kommt Gott
ZU". Aber der Satz: Gott ist das Sein, oder wie er bei Eckhart
auch lautet: das Sein ist Gott'\ gewann unter seiner Hand neuen
^ fSumma tli. 1 q. 11 u. 4 S. 74: Dens cum «it inaxime ens et iiuixime
indivisus, est etiam maxime unus . . . Est ipsum esso subsistens omnibu>
modis indoterminafcuni.
- 1, 2 S. 4: Unuui, piout convertitur cum onto, Deo convonit.
'^ Prol. z. op. trip. S. 537: Ess(\ est deus . . Deus et esse idem . . .
Si es.se est aliud quam Deus et alienum deo, deus esset nichil. Vgl. Jostes,
Collect. Frib. Nr. 82 S. 84ft". Was den Sprachgebrauch anlangt, .so unter-
scheidet Kckhart zwischen essentia, natura, quidditas, Wesen und zwischen
esse, annitas. Islikoit. In der Kreatur ist esse und essentia verschieden,
S. 561, 6; dagegen in Gott sind sie eins: Idem essentia et esse, quod ßoli
Deo convenit, cuius quidditas e.'it sua annitas, ut ait Avicenna, nee habet
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Gehalt. Die Scholastiker hatteu ihn gewissermaßen mit einem
Zaun umhegt, hidem sie reinlich schieden zwischen dem Sein Gottes
und dem Sein der Kreaturen ^ Er dagegen legte diesen Zaun
nieder: er glaubte gerade dann Gott und die Dinge recht zu er-
kennen, wenn er Gott in allem Sein fand. Sagte er: da Gott das
Sein ist. so hat alles von ihm und in ihm das Sein. Leben, Ver-
nünftigsein '-. so könnten diese Worte im Sinne der kirchlichen
Schöpfungslehre verstanden werden^. Aber so waren sie nicht ge-
dacht*. Eckhart wehrte ab, daß man das Sein der Kreaturen von
Gott getrennt denke: Gott hat nicht geschaffen, daß etwas außer
ihm sei, neben ihm oder bei ihm bestehe, wie das Werk neben dem
Künstler, sondern er hat alles aus dem Nicht- Sein zum Sein ge-
rufen, das es in ihm finden, empflmgen und besitzen sollte; denn
er ist das Sein''.
Ln Sinne Eckharts war der Satz: Gott ist das Sein, nicht
ein starker Ausdruck für den Gedanken der obersten göttlichen
Kausalität, sondern der entsprechende Ausdruck für die Über-
zeugung von der Immanenz Gottes in allem Geschaffenen. Sie aber
bildete den Hauptpfeiler seines Glaubens. Denn auf ihr beruhte
für ihn die Sicherheit der Existenz Gottes".
Deshalb beherrschte dieser Satz sein ganzes Denken. Er schrieb
quidditatem preter sohim annitatem quam esse significat, S. 560, 2ft'.. vgl.
S. 604, 7 ff.
* Thomai unterscheidet bestimmt zwischen dem göttlichen Sein und
dem esse commune quod de Omnibus praedicatur und verwift den Satz,
quod deus sit ens commune praedicabile de Omnibus, Summa th. I q. 3 a.
4 S. 23 f. Ich unterlasse es, Eckeharts Anschauung über die Bewegruni»-
des Seins in der Gottheit darzustellen. Sie hält sich im wesentlichen an
die kirchliche Trinitätslehre, ist aber natürlich durch seine Lehre vom
Sein beeinflußt. Der Ausdruck , ewiger Prozeß" scheint mir aber für seine
Fassung nicht ganz zutreffond: man könnte eher von deni ewigen Pulsieron
des Seins reden.
S. 588,24 ff.; vgl. das Citat bei DeniHe S. 470: Omnis creatura . . ,
scmper actu accipit esse a deo et suum esse est in continuo fluxu et fieri.
•"' Auch der von ihm mehrfach ausgesprochene Gedanke, daß die Dingo
als Ideen in Gott sind, z. B. S. G04,22; vgl. Trakt. 9 S. 484, 2 ff"., drückt
das Spezifische seiner Anschauung nicht aus. Hierbei lehrte er oinfacli
thomiHtisch, Summa th, I q. 1.') S. lJ^7ff.
♦ Ober K.'s Schöpfungslehre, s. d. päpst. Urteil S. 037 Art. 1—3.
» S. 589,33 ff.: vgl. S. 541MIff.: S. 499; Trakt. 5 S. 33,14, Strauch:
Hencme man allen creaturen . . das wesen, das got git, so pliben si plos
ni<ht; f*red. 49 S. ir.3. 3. Dem entspricht der Satz, daß (lott die Welt von
Kwigkeit geschaffen hat, S. 579,7; vgl, Trakt. 5, Strauch S. 2H, l8tl.
•» S. 537. 20 ff.
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ihn über sein großes lateinisches AVerk; er ist die Proposition mit
der der erste Teil beginnt; er liegt der ersten Quiistio des z^veiten
Teils: Ob Gott ist? zugrunde, und auf ihn führt die erste Ex-
positio des dritten, die Erklärung der Schriftstelle Gen. 1, 1\ Und
mit wahrer T^ust versenkt er sich in das Meer von Voi'stellungen,
die dem (Jedanken der göttlichen Immanenz entquellen, um es
nach allen Seiten hin zu durchmessen. Als Sein ist Gott in allem
und vor allem; alles, was erschafft, wirkt und handelt, das handelt
und wirkt er in sich selbst. Denn was außer Gott würde, wäre
außer dem Sein -. Deshalb sind alle Dinge Gottes voll. Der
Menschen Leben und aller Dinge Leben ist Gottes Sein 'l Er ist
das Sein alles Seienden ; er hat die Dinge nicht gewissermaßen
projiziert, sondern in ihm haben sie Sein^ Im allergeringsten,
in jedem Stein, in jeder Fliege ist Gottes Leben und Wesen''.
Mag das einzelne Gott gegenüber so winzig sein, wie ein Tropfen
gegen das Meer, das macht nichts aus; denn etwas von Gott ist
Gott allzumal". Deshalb ist nichts so eins, so ungeschieden wie
Gott und das Geschaffene: denn nichts ist so ungeschieden wie
das Sein und das Seiende, der Akt und die Potenz, die Form
und die Materie: so aber verhält sich Gott zu allem Geschaffenen'.
Das Sein Gottes und das Sein der Kieaturen ist dasselbe: wer
im Sein ist, der ist in Gott^, in dem Sein, in dem alles ist'*. Dc^^-
1 S. 537 f.
- Denifle S. 539,18tf.; S. 535,1 7 tf. Die Stelle unten Anm. 0.
V«,'l. auch Trakt. 2 S. 389,24tf.
' 'i'rakt. 5 S. 35,21 Strauch: Gotes eigenschat't do von, das er das
luter ein ist sunder alle zuovallent mengi underscheides, ouch in gedenken,
das alles, das in im ist, got selben ist. unt wan das war ist, so sprich
ich: alles das der guot mensch lidet dur got, das lidet er in got und got
ist mit liden in lidenne, min liden in ^ot, min liden got. Prod. 65
S. 204, 19 ff. : Waz ist leben? Gotes wesen ist min leben. Ist min leben
s^otes wesen, so muoz daz gotes sin min sin und gotes istikeit min istikeit.
weder rainner noch mehr. Fred. 87 S. 283, 25 f.
^ Denifle S. 539, 29tf., vgl. ZfhTh. 34 S. 172.
••* Pred. 58 S. 185, 12ff.; 69 S. 221,11; v. d. Leyen S. 337: daz ewige
abegründe götliches wesens, uz dem si — eine Fliege — komen ist.
" Ztschr. f. bist. Th. lid. 34 S. 174.
' Von Denifle S. 499 zitiert.
"^ S. 595, 19ff.: Certum est, quod omne, quod quis est, est eo, quod in
esse est et esse in ipso est. Primo lo: In Deo manet et Deus in eo; v^l.
S. 543, 15. Gott ist primum et plenum esse, de quo nihil negari potest.
eo quod omne esse simul prehabeat et includat.
*' S. 535,17rt'. : Non ipsum esse, et que cum i]>so convertibiliter idem
sunt (d. h. das ununi, verum, bonum), superveniunt rebus tamquam pos-
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halb kann man nach Eckhart die Worte Gott und Sein geradezu
vertauschen ; er urteilte : Nichts ist von Gott geschieden und kann
von Gott geschieden sein. Das ist einleuchtend, sobald man für
Gott Sein sagt. Denn daß das Sein von allem, was ist, unge-
schieden ist, und daß nichts vom Sein geschieden und getrennt ist,
noch sein kann, das steht außer Frage ^.
Es war nur eine Folgerung, wenn Eckhart in dem Drang zum
Sein, der in allem lel)t, die stets ungestillte Sehnsucht nach Gott
fand. Schön sagte er: Was alles in Xatur und Kunst begehrt, ist
das Sein. Ist doch alles Wirkens Zweck und Grund, daß die
Wirkung sei und Sein habe. Denn ohne Sein ist die ganze Welt
nicht mehr wert als eine Mücke, die Sonne nicht mehr als eine
Kohle, die Weisheit nicht mehr als die Unwissenheit'-^. Aber Gott
ist die unendliche Wahrheit und Güte, das unendhche Sein; alles
was ist, was wahr ist, was gut ist, ißt ihn und hungert nach ihm.
Es ißt ihn, weil er ist, weil er wahr und gut ist, und es hungert
nach ihm, weil er unendlich ist^. Es ist dieselbe Vorstellung, nur
nach einer anderen Seite gewandt, wenn Eckhart sagte, Gott liebe
in den Dingen sich selbst, da das Sein, das er liebt, er selbst ist*.
Man kaini verstehen, daß Eckhart von diesen Vorstellungen
teriora, set sunt priora omnibus rebus. Ipsum enim esse non accipit, quod
sit in aliquo nee ab aliquo nee per aliquid, nee advenit aut supervenit
alicui set prevenit et prius est omnium. Propter quod esse omnium est
iramediate a causa prima et a causa universaU omnium. Ab ipso igitur
esse et per ipsum et in ipso sunt omnia. Ipsum non in aliquo nee ab ali-
quo, quod enim aliud est ab esse nihil est.
' Von Denifle S. 494 unten angeführt; ebenso S. 595, 17: Premissorum
ratio et exemplum manifesta sunt, si loco dei ponamus esse et iustitiam.
- Denifle S. 583,24tf.; vgl. Fred. 65 S. 204, «ff. Die Anschauung ist
Avicenna entnommen, s. S. 535, 25f.
^ Denifle 8. 588, 10 ff., vgl. S. 585,21: Onine ens edit deuni utpote osso.
Fred. 22 S. 93, 14: Die creaturen hant all ein rufen wider in ze komende,
da »ie uz geflozzen sint. .\llez ir leben und ir wesen daz ist allez ein
ruofen und ein ilen wider zno dem, von dorn sie uz gangen sint. Trakt. 5,
.Strauch S. 30,20«.
Denifle 8. 493: Ksse est, in quo, sub quo, propter ({uod amat Deus
omnia, que amat, omnia in illo, jiroptor illutl, illud in omnibus. Sed deus
e»t CH«e; igitur den« est ipsum hoIuim, quod amat ipse, in quo omnia et
quod in onmibu« et propter quod omnia et extra quod nihil nee amat n*^c
novit, nee univerMalitor operatnr. ZfhTh. 34 S. 168: Von not müston im
(üottj alle ding gevallen; wan der da Mach, dan wan got unde das er mu-h,
da« wan got. Fred. 2 S, 13, 10: AIho meinet got in allen wincn work(>n <^m
ein nelig ende, da/ iHt : "i'li «olbon. Trakt. 2 S. 390, 3ff.. Trakt. 11
S. 507, 12 f.
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wie hiiigeiioinineii war: der ju^ewaltiijjL* Gedanke der Einheit des All
hatte sich ihm erschlossen. Es mochte ihn dünken, er schaue die
unendliche Flut des 8eins, die unahlässig wogt und wallt, die sich
in allen Kreaturen hricht, ohne je durch ihre Gesamtheit erschöpft
zu werden \
Was ist nun der Mensch in diesem Ozean des Seins? In-
sofern sie sind, sind Gott und Kreatur eins'-. Dagegen was die
Kreaturen zu Sonderexistenzen macht, was sich in Zeit und Raum
ahs])ielt, ist kein Sein. Von diesem Punkte aus betrachtet, sind sie
nichts^. Dieser Bruch, der durch alles Geschöpfliche geht, geht
auch dui'ch den Menschen. Er \A)t in Zeit und Raum; aber in
seinem innersten Wesen ist er dem Kreatürlichen fremd. Das legt
Eckhart dar in der Fassung, die er der Vorstellung vom Seelen-
grund gibt*.
Fj'agt man, Avas er, oder wie Eckhart auch ^agt: was der
Funken, das Herz der Seele ist. so hört man zunächst Werturteile:
Er ist das Reinste, Edelste, Zarteste, das die Seele besitzt'*. Dai-
über hinausgeht, daß er als der Mutterboden für die Kriifte der
Seele betrachtet wird. Sie entspringen aus ihm. Aber gerade des-
halb ist er von ihnen unterschieden: in ihm ist weder Wirken noch
* Pred. 22 S. 92,9: Alle cioatuie wellcnt got .sprechen in allen iien
werken: sie sprechen alle so sie nahest niügen, sie enmügent in doch niht
gesprechen. Sie wellen oder onwellen, ez si in liep oder leit, sie wellent
alle got sprechen und er belibet doch ungesprochen.
- Deshalb ist die höchste Erkenntnis: Gott und die Kreatur in ihrer
Einheit erkennen, Vom edlen Menschen S. 48,27. ZfhTli. 34 S. 174
Von den vater sind auß geflossen alle dinck und nicht an im selber: also
ist der ewig fluß ain Ursprung aller ding an irer ewikait: aber in der zeit
sind sie von nicht ^oschaflen und da von sind sie creatur: aber in den
ewifi^en fliiU. in dtMi .sie geflossen sind sunder sich selber, da sind sio ijot
an got.
•^ Traktat 5 S. 83, 14, Strauch (oben S. 281 Anm. 5); tVed. 40
S. 136, 23: Alle creature sint ein luter niht. Ich spricheniht, daz sie kleine
sin oder iht sin: sie sind ein luter niht. Swaz niht wesens hat, daz ist
niht. Alle creature hant kein wesen, wan ir wesen swebet an der gegen-
wertikeit gotes. Nr. 26 der verworfenen Sätze.
* Die P.sychologie Eckharts ist im wesentlichen thomistisch, .s. l'ber-
weic-tloinze S. 3061". Eigenartig»- ist der im Text hervorgehobene Punkt.
Man vgl. außer den in den folg. Anm. angeführten Stellen die sieber echte
21. Predigt S. 88 tt.
* Vom edolen Menschen S. 42, 12ff.; Pred. 1 S. 3,21ff.; S. 4, 21 If. ;
l'red. 29 S. 105, 3 tt". u. ö., vgl. dazu die Wiedergabe der Lehre E.'s im
Traktat von d. wirkenden u. m<&g